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Neue Lebenswirklichkeiten sind verfassungswidrig

Erstellt von Hans-Georg Nelles am Freitag 11. Februar 2011

So kann man das heutige Urteil auch lesen. Laut Verfassungsgericht darf der Unterhalt nicht von vorneherein gekürzt werden, wenn der zahlungspflichtige Partner wieder heiratet. Das Bundesverfassungsgericht hob damit Urteile des Bundesgerichtshofs (BGH) auf, wonach eine neue Heirat bei der Bemessung des Bedarfs berücksichtigt werden muss.

Die BGH-Rechtsprechung nannten die Verfassungsrichter einen „Systemwechsel“, der zu weit gehe. Maßgeblich seien vielmehr die Lebensverhältnisse zum Zeitpunkt der Scheidung. Die neue Rechtsprechung des BGH sei verfassungswidrig.

Im konkreten Fall hatte die Klägerin nach 24 Jahren Ehe zunächst 618 Euro Unterhalt pro Monat von ihrem Ex-Mann bekommen. Als der Mann wieder heiratete, wurde der Unterhalt auf 488 Euro herabgesetzt. Der Grund: Seit 2008 berücksichtigt der Bundesgerichtshof (BGH) bei der Berechnung des Bedarfs auch Unterhaltspflichten gegenüber einem neuen Ehepartner. Dies führte regelmäßig dazu, dass der geschiedene Partner weniger Geld bekam.

Das sei nicht zulässig, entschieden nun die Verfassungsrichter: Nach dem Gesetz sind die „ehelichen Lebensverhältnisse“ Maßstab für den Unterhaltsbedarf (Paragraf 1578 BGB). Hierfür sei nach dem Willen des Gesetzgebers der Zeitpunkt der Scheidung maßgeblich. Dem Unterhaltsberechtigten sollte „der erreichte Lebensstandard gesichert und insbesondere sein sozialer Abstieg vermieden werden“, so die Richter.

Der Bundesgerichtshof habe sich über dieses Konzept hinweggesetzt, kritisieren die Verfassungsrichter. Anstelle der „ehelichen Lebensverhältnisse“ setze der BGH eigenmächtig den Maßstab der „wandelbaren ehelichen Lebensverhältnisse“. Das überschreite die erlaubten Grenzen der Gesetzesauslegung durch den Richter.

Es ist Richtern also nicht gestattet, die veränderten Realitäten zu berücksichtigen. Dass dies noch nicht die Spitze der Absurdität ist, zeigt die aktuelle Diskussion zum Thema Unterhalt in der Schweiz. Dort steht selbst das Existenzminimum geschiedener Väter zur Debatte. Da ist die (symbolische) Belagerung des Parlaments in Bern am kommenden Montag noch eine freundliche Reaktion.

Quelle

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