Interview mit Andreas Haase und Alexander Bentheim
Lieber Andreas, du hast gemeinsam mit Alexander Bentheim das
Portal vaeter-nrw.de aufgebaut. Kannst du dich noch daran erinnern, wie
Ihr an den Auftrag gekommen seid?
Andreas Haase Ja. Es gab einen Fachtag im Jahr 2005
zum Thema Väterarbeit in NRW auf der Basis der Untersuchungen von Martin
Verlinden. Diesen hatten wir als männerwege GbR für das Ministerium
konzipiert und organisiert. Er war in der Vernetzung der Akteure in der
Väterarbeit so erfolgreich, dass das Ministerium danach an diesem Thema
weiterarbeiten wollte. In einem Brainstorming-Workshop im Spätsommer
2005 mit uns und Martin Verlinden entstand dann die Idee eines Portals,
auf dem alle wichtigen Informationen und Anregungen für Väter und
Fachpersonal gebündelt werden sollten.
Alexander Bentheim … neben Martin Verlinden war
zeitweilig noch Robert Richter dabei, um Optionen für eine
arbeitsteilige Umsetzung zu beraten. Die Freischaltung des Portals fand
dann am 12. Mai 2006 in Anwesenheit von Armin Laschet, damals
NRW-Familienminister, statt.
Welche Erwartungen hat das Familienministerium mit dem Väter-Portal verknüpft?
AH Das Ministerium wollte damals vor allem (jungen)
Väter Hilfestellungen geben, ihre Vaterrolle im Sinne einer zugewandten
Erziehung auszuüben. Eine weitere Erwartung war sicherlich, dass durch
die Bündelung aller Aktiven im Bereich Väterarbeit in NRW, dieses Thema
hoch professionell nach außen getragen werden konnte.
Was waren eure persönlichen Ziele beim Aufbau und der Betreuung der Webseite?
AH Meine Ziele bestanden darin, sowohl für die Väter
als auch für das Fachpersonal die bestmöglichsten Informationen
bereitzustellen, um einerseits die Väter zu motivieren, ihre Vaterrolle
anzunehmen und so auszugestalten, dass es dem Kind, ihnen selber und der
Familie zu Gute kommt. Zum anderen sollte das Fachpersonal im Bereich
Väterarbeit angeregt werden, durch neue Ideen ihren Arbeitsbereich
weiterzuentwickeln und sich selber zu reflektieren.
AB Ich fand es spannend, jahrelange Erfahrungen
vieler in der Väterarbeit Engagierter in einem ministeriellen Vorhaben
konzentriert bündeln und zugänglich machen zu können – exemplarisch in
dieser offiziellen Form erstmals und mit Reichweite auch über NRW
hinaus. Mein persönliches Ziel war, die Auftraggeber*innen von der
Notwendigkeit einer Ermutigung von Vätern für ihre Belange, und
natürlich auch der Sichtbarmachung ihrer verschiedenen Lebenslagen, zu
überzeugen. Dass wir neben der Zielgruppe Väter parallel auch Fachkräfte
und Multiplikator*innen mit entsprechenden eigenen Inhalten direkt
erreichen konnten, fand ich folgerichtig und in der hier mit dem
Ministerium gemeinsam geteilten Wahrnehmung sehr angenehm.
Rückblickend betrachtet, hat das Projekt die Wirkungen erzielt, die erreicht werden sollten?
AH Ich kann nur für die Jahre 2006 bis 2009 dazu
etwas sagen, da wir das Väterportal nur bis 2009 gepflegt haben. In
dieser Zeit entstand aus meiner Sicht eine gute Vernetzung der
Väterarbeit in NRW sowie viele Idee in der Väterarbeit, um Väter mit
ihren Anliegen zu unterstützen. Zudem konnten wir m.E. viele Väter durch
das Väterportal erreichen, um ihnen auf diesem Wege viele Anregungen
und wichtige Informationen rund um ihre Vaterschaft zu vermitteln.
AB … aus meiner Sicht wären fundiertere
Wirkungsanalysen in den Zielgruppen wünschenswert gewesen, weil
»gefühlte» Erkenntnisse oder rein statistische Daten zur
Nutzungsfrequenz des Portals allein nicht ausreichen, um die Frage
valide beantworten zu können.
Wie müsste eurer Meinung nach heute, im ‚Social-Media‘ Zeitalter, ein Portal aussehen, dass Väter anspricht und begleitet?
AB Es müssten sicher mehr Apps und Tools für
Smartphones zum Einsatz kommen, um die zu verbreitenden Informationen
schneller, prägnanter, übersichtlicher zur Verfügung stellen. Auch
Bildmarken und andere kommunikative Elemente spielen heute eine größere
Rolle als vor 16 Jahren. Ich denke, dass Väter einen guten Mix aus
praktischer Information und auch unmittelbarer Interaktion schätzen
würden.
AH Da kann ich leider nicht viel zu sagen, da ich derzeit die Bedürfnisse der Väter, wie eine Informationsaufbereitung aussehen sollte und ihren Umgang mit ‚Social-Media‘ nicht ausreichend genug kenne.
auch in diesem
Jahr sind mehr als 25 Väter der Einladung von Heiner Fischer gefolgt und
haben zum Vatertag in einem kurzen Videostatement erzählt, was
Vaterschaft für sie bedeutet und haben sich so als Väter in
Verantwortung sichtbar gemacht.
Väter wollen mehr Verantwortung übernehmen
Das sieht selbst das Arbeitgeber*innen nahe Kölner Institut der
Deutschen Wirtschaft: In einem Beitrag zum Vatertag ist zu lesen: „Die
meisten Väter wünschen sich eine gleiche Aufgabenteilung bei der
Kindererziehung:
Die positiven Entwicklungen beim Elterngeld weisen darauf hin, dass sie
es ernst meinen. … War Kindererziehung lange Zeit fast ausschließlich
Frauensache, wollen sich die Väter heutzutage mehr engagieren. 55
Prozent der Männer mit Kindern unter zehn Jahren wollen die Hälfte der
Betreuung übernehmen, 23 Prozent sogar den größeren Anteil.
Dass es den Vätern mit der Kinderbetreuung ernst ist, zeigt sich beim
Elterngeld: Nutzten dies bei den im Jahr 2008 geborenen Kindern knapp
21,2 Prozent, waren es bei 2018 geborenen Kindern mit 42,1 Prozent
bereits nahezu doppelt so viele. Ein weiterer Anstieg zeichnet sich ab.
Allerdings nehmen die meisten Väter bisher lediglich die zwei vorgesehen
‚Partnermonate‘ in Anspruch.“
Das ist nicht nur in Deutschland so, auch in Island, wo seit langem
die Regelung 3 Monate für die Mütter, 3 für die Väter und 3 zur freien
Verfügung gilt und mehr als 90 % der Väter Elternzeit nehmen, sind es
die für sie ‚vorgesehenen‘ drei Monate.
Da liegt es doch auf der Hand, die Zahl der für Väter reservierten
Monate heraufzusetzen und am besten eine paritätische Aufteilung: je
sieben Monate für Väter und Mütter einzuführen.
Der Lackmustest dafür, wie die Arbeitgeber*innen tatsächlich zu mehr
väterlichem Engagement von Anfang an stehen, ist ihre Haltung zur
14tägigen ‚Vaterschaftsfreistellung‘ unmittelbar nach der Geburt. Die
ersten Reaktionen auf die Ankündigung der ehemaligen Familienministerin
Anne Spiegel, dieses Vorhaben schnell umzusetzen, ergab eine falsche
Färbung.
In dem üblichen Abwehrreflex ließen sie verlauten, die bisherigen
tariflichen Regelungen, d.h. eine Freistellung an einem Tag, reiche
vollkommen aus.
… dies sagt Collien Ulmen-Fernandes deren zweiteilige Doku
zum Thema „Rabenväter oder Superdads“ auf ZDFneo und der Mediathek zu
sehen ist. Darin berichten unter anderem fünf Väter aus ihrem sehr
unterschiedlichen Alltag. Außerdem kommen Expert*innen zu Wort, um
einzuordnen, wo wir aktuell in der Väterforschung stehen und was sich
ändern sollte.
In dem Interview äußert Ulmen-Fernandes weiter: „Wenn man anfängt
sich mit diesem Thema zu beschäftigen, dann merkt man wie enorm wichtig
die Väterforschung ist. Ich selbst setze mich ja schon seit Jahren für
Gleichberechtigungsthemen ein und war, als die Redaktion das Thema
angefragt hat, nicht vor Begeisterung vom Stuhl gefallen. Ich hatte ja
das weibliche Pendant dazu schon gemacht. In der Recherche zum Thema und
in der Auseinandersetzung mit der Väterforschung habe ich dann gemerkt,
wie wichtig das Thema eigentlich ist“
Die Mitglieder der LAG haben diese Überzeugung ja schon lange und wir
hoffen, dass diese Dokumentation den Rückenwind für unsere Arbeit
verstärken wird.
Migrationssensible Väterarbeit
Ist das Schwerpunktthema der LAG im m März und April. Im Gespräch
mit Prof. Uslucan haben wir auf das Projekt ‚Interkulturelle
Väterarbeit in NRW (IVA)‘ zurückgeschaut und beleuchtet, was auch im
Hinblick auf die aktuelle Fluchtbewegung aus der Ukraine von Bedeutung
sein wird. „Ein Aspekt war auch die soziale Vernetzung. Dass sie erkannt
haben: ‚Es ist wichtig, auch mit andern Vätern ins Gespräch zu kommen‘,
weil ‚Es sind nicht nur meine Sorgen, sondern es sind Sorgen auch
anderer Väter.‘ Und durch diese Väterarbeit auch eine Art von
Vernetzung, was letztlich auch Solidarpotenziale aufbauen hilft und dazu
führt, dass man auch entlastet ist, weil man merkt, das ist nicht nur
etwas, was einen selbst betrifft.“
In dem Werkstattgespräch am 7. April wird Alexander Stathopoulos vom
Verband binationaler Familien in Frankfurt über Erfahrungen des
Arbeitskreises Migrationssensibler Väterarbeit (MiseV) in Hessen
berichten und Erfolgskriterien skizzieren.
Rückblick
Beim ersten Werkstattgespräch dieses Jahres ging es um die
Väterpolitik. Eine Zusammenfassung des Gesprächs und den Link zum
Download des Vortrags finden Sie hier.
Der 29. Februar ist der Equal Care Day. An diesem Tag, den es nur
alle vier Jahre gibt, wird auf die weitgehend unsichtbare Fürsorge
Arbeit aufmerksam gemacht. Die LAG Väterarbeit ist ja unter anderem
angetreten, Vätern mehr Engagement in Familie zu ermöglichen und das
heißt auch mehr Zeit für fürsorgliches Verhalten und die Übernahme von
Care Arbeiten.
Dazu haben wir auch den diesjährigen Equal Care Day genutzt. Im
Gespräch mit Nantke Garrelts hatte Hans-Georg Nelles am Gelegenheit im
Tagesspiegel die Position der LAG darzulegen. Einen Tag zuvor hat
Patricia Cammarata die Perspektive der Frauen dargelegt. Am 28. Februar
gab es noch einmal einen zusammenfassenden Beitrag.
Ausblick
Am 15. Mai finden in NRW die Landtagswahlen statt und auch auf
Landesebene gilt es Weichen für mehr väterliches Engagement zu stellen.
Dazu werden wir Ihre Erwartungen zusammenfassen, Fragen an die Parteien
stellen und mit verantwortlichen Politiker*innen ins Gespräch kommen.
Im Sommer wird die LAG ‚Väter und Kinder als Opfer von Gewalt‘
thematisieren. Dazu wird es ebenfalls ein Werkstattgespräch in Präsenz,
Interviews mit Expert*innen und verschiedene Fachbeiträge geben.
5. April 2022, 2. Online Member Meeting der LAG Väterarbeit
7. April 2022, 15:30 bis 17 Uhr, Online Werkstattgespräch ‚Migrationssensible Väterarbeit‘
Migrationssensible Väterarbeit ist wichtig für die Zukunft unserer
Gesellschaft. In Großstädten wie Köln oder Frankfurt haben weit mehr als
50 Prozent der schulpflichtigen Kinder einen sogenannten
Migrationshintergrund. Die Väter dieser Kinder können einen bedeutsamen
Beitrag zu ihrem guten Aufwachsen und Bildungserfolg leisten.
Bei dem Werkstattgespräch am 7. April wird Alexander Stathopoulos vom
Verband binationaler Familien in Frankfurt über die Erfahrungen des
Arbeitskreises berichten und wir werden gemeinsam überlegen, wie wir
diese für die Väterarbeit in NRW nutzen können.
… aber die Last
trugen und tragen die Familien, ist Birk Grüling überzeugt: Wenn die
Betreuung wegbricht, springen die Eltern ein. Das ist erstmal gut und
richtig. Allerdings brauchen sie dafür Unterstützung – Corona-
Krankentage, mehr Kindergeld, etc. Und im Moment wird die Last der
Pandemie ohne Schutz in Schulen und Kita wieder auf die Eltern und
Kinder abgewälzt.
Die Zahlen sehen auf den ersten Blick gut aus, sowohl bei Vätern und
Müttern hat die Carearbeit mit 2,6 bzw. 3,1 Stunden täglich zugenommen.
Bei Familien mit traditioneller Rollenverteilung hat sich weniger
verändert als bei denen, die auch schon vor der Pandemie versucht haben,
Erwerbs- und Familienarbeit partnerschaftlich aufzuteilen.
Corona wirkt auch an dieser Stelle wie ein Brennglas: Es gibt keinen
Rückschritt, sondern eher die Erkenntnis, dass wir auch vorher nicht
weit genug waren. Damit sich dauerhaft etwas verändert ist es notwendig,
dass
Unternehmen und Politik den Wert von Familienarbeit und
Gleichberechtigung erkennen und Kinderbetreuung, Elternzeit und aktive
Vaterschaft fördern
Väter ihre ‚Privilegien‘ als Bezugspersonen dauerhaft verteidigen und ihre Erwerbsarbeitszeiten reduzieren
Eltern laut und unbequem werden und stärker für ihre Rechte kämpfen
Eine der Visionen die in der Dialogrunde formuliert wurde lautet:
‚Familienarbeit aus der Tabuzone holen‘. Was damit gemeint ist erläutert
Holger Strenz, Moderator de Nachmittags: „Im gesellschaftlichen Kontext
gehen wir vom Idealbild der heilen Familie aus, ein Ort von Liebe und
Geborgenheit. Treten Probleme und Herausforderungen auf, werden diese
schnell individualisiert und stehen in Verantwortung der Eltern. … Nicht
zuletzt gehört Familien- und Care-Arbeit nach wie vor zu den
unentgeltlichen Leistungen, die für eine Gesellschaft zwar unabdingbar
sind, aber eben nicht finanziert und entsprechend anerkannt werden.
Nicht zuletzt sehen wir im Umgang mit Familien während der Pandemie,
dass zwar Trostpflaster verabreicht werden, wie einmalige Zahlungen,
aber dass wir viel mehr über Wirtschaft und Finanzen berichten, als dass
die herausfordernde Familien- und Sorgearbeit in den Mittelpunkt
gerückt werden.“
Damit alle anfallenden Aufgaben und Arbeiten in Familie
gleichberechtigt aufgeteilt werden, ist es erforderlich, Männer und
werdende Väter nicht nur als gleichberechtigte Subjekte von Anfang an
einzubeziehen sondern ihnen auch die entsprechenden Kompetenzen
zuzuschreiben. Dieser Prozess beginnt schon bei der frühkindlichen
Bildung:
„Wenn wir {…] etwas ändern wollen, dann müssen wir an individuellen
Einstellungen etwas verändern und bei den frühen Sozialisationsinstanzen
starten. Kinder müssen erleben können, dass Väter im Alltag anwesend
sind und sich ebenso um Kinder kümmern, wie sie ihre bezahlte Arbeit
meistern. So braucht es in allen Lebensbereichen männliche Vorbilder,
die ein gleichberechtigtes Leben ohne Rollenzuschreibungen anstreben
oder bereits realisiert haben. Und hierfür braucht es Männer und Väter
die dies auch leben wollen, also davon überzeugt sind, dass dies für sie
und für die nachfolgende Generation ein guter Weg ist, Gesellschaft zu
gestalten.“ so Strenz.
Damit die Vision Wirklichkeit werden kann, kommt es darauf,
Rahmenbedingungen dafür zu schaffen, dass Männer nicht mit dem ‚Stempel‘
eines Familienernährers aufwachsen und sich als hauptverantwortlich für
die finanzielle Absicherung der Familie erleben. Jungen und (werdenden)
Vätern brauchen Ermutigung, sich auszuprobieren, den Bereich von
Sorgearbeit zu entdecken und sich auch dort zu engagieren.
Take Aways für Väter (und Mütter)
nehmen sie sich auch in ‚Pandemiezeiten‘ Raum und Zeit für Partnerschaft
tauschen Sie sich regelmäßig über ihre Erwartungen und (Un-)Zufriedenheit aus
thematisieren Sie ihre Familiensituation am Arbeitsplatz
nehmen Sie rechtzeitig Unterstützung und Beratungsangebote in Anspruch
Anregungen für Kita’s und Familienzentren
thematisieren Sie schon in den Familienzentren geschlechtsspezifische Arbeitsteilung
überprüfen sie, welche Haltungen und Vorstellungen in Ihrem Team zu dem Thema vorhanden sind
ermutigen Sie Väter mehr Verantwortung bei der Sorgearbeit zu übernehmen
Hinweise für Gleichstellungsstellen
betrachten Sie Männer und Väter als handelnde Subjekte, die gleichermaßen Gleichberechtigung wollen und auch davon profitieren
weisen Sie bei Ihren Angeboten auf die Bedeutung von Männern und Vätern für die Erreichung der Geschlechtergerechtigkeit hin
unterstützen Sie Männer und Väter dabei, ihre Haltungen zu
hinterfragen und gemeinsam mit ihren Partner:innen neue Modelle
auszuhandeln
Es geht um die
erforderlichen Weichenstellungen für mehr väterliches Engagement. Katja
Gelinsky hat in einem Beitrag in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung den
roten Faden der Fachtagung der LAG-Väterarbeit in NRW aufgegriffen und notwendige
Konsequenzen aufgezeigt.
‚Marco hat in der Corona- Pandemie seine Stelle als Fahrer
verloren – und seine Stellung als Ernährer der Familie. Die übernahm seine
Frau; sie ist Bürokauffrau. Marco kümmerte sich den ganzen Tag um den zweijährigen
Sohn; das Kind erhält in normalen Zeiten Frühförderung. Seine Frau sei nach
ihrem anstrengenden Arbeitstag kaputt gewesen, erzählt Marco in einem
Interview. „Bis spätabends war ich mit dem Kind beschäftigt.“
Klingt nach einer weiteren der vielen Corona-Stress-Geschichten.
Doch dann die Überraschung: „In einer ruhigen Minute, wenn mich keiner sieht, springe
ich manchmal noch vor Freude in die Luft“, berichtet Marco. Der Mann mit eckiger
Brille im grauen Sweatshirt lächelt vorsichtig, dann ein bisschen mehr: „Dass
ich das geschafft habe, was ich immer wollte – ein besserer Vater zu werden,
als mein Vater es gewesen ist!“
Andere Väter, deren Corona-Erfahrungen ebenfalls unlängst
auf einer Tagung der „Landesarbeitsgemeinschaft Väterarbeit in NRW“ in
Video-Einspielern vorgestellt wurden, äußern sich nicht ganz so enthusiastisch.
Aber im Ergebnis stimmten die Männer – Krankenpfleger, Beamte, Handwerker und Architekten
– Marco zu: Die Pandemie habe sie zu engagierteren, sensibleren Vätern gemacht.
Es ist die Art Erfahrung, wie die Landesarbeitsgemeinschaft Väterarbeit sie
fördern will; die LAG ist ein Zusammenschluss von etwa einem Dutzend
Organisationen und Vereinen, der sich, unterstützt vom Land, dafür einsetzt,
dass Väterpolitik stärker als gesellschaftliche Querschnittsaufgabe wahrgenommen
wird. …‘
Bei dieser Veranstaltung wird es darum gehen, Lebenssituationen und
-ereignisse, in denen väterliches Engagement beeinflusst wird, zu
identifizieren und diejenigen, die Väter in diesen Phasen begleiten und
beraten mit denen ins Gespräch zu bringen, die gesellschaftliche und
politische Rahmenbedingungen mitgestalten.
Dabei werden die Erfahrungen, die Väter und alle anderen, in der Corona
Pandemie, während der Lockdowns mit Schul- und Kitaschließungen, im
Homeoffice und in der Ausübung systemrelevante Berufe gemacht haben im
Vordergrund stehen und die Chancen der Learnings dieser 18 Monate
ausgewertet.
Ergebnis dieser Tagung sind konkrete Ansätze, die es einerseits Vätern
bzw. denjenigen die sie begleiten und beraten ermöglichen,
Entscheidungsabläufe ‚transparenter‘ zu gestalten und andererseits
denjenigen, die Rahmenbedingungen (mit-) gestalten, erlauben
vermeintliche Sachzwänge und andere Faktoren, die nicht zu den
‚erwünschten‘ Zielen führen, zu korrigieren und Weichen anders zu
stellen.
Programm
Ab 9.00 Uhr Login der Teilnehmenden
9.30 Uhr Eröffnung und Einführung
Videogrußbotschaft Andreas Bothe, Staatssekretär MKFFI
LAG-V Mitglieder im Gespräch: Hans-Georg Nelles, Stephan Buttgereit und
Jürgen Haas zu den Herausforderungen und Erfahrungen in der Arbeit der
letzten 18 Monate.
10.00 Uhr Keynotes
Engagement von Vätern, Entwicklung, Bedeutung und Rahmenbedingungen
David Juncke Prognos AG
Corona als Brennglas – Erfahrungen von Vätern und Chancen/ Ansatzpunkte für Veränderungen mehr väterliches Engagement
Anna Buschmeyer, Deutsches Jugendinstitut München
11:20 Uhr Pause
11:35 Uhr Videoimpuls: Portraits von Paaren und ihren Erfahrungen in unterschiedlichen Familienkonstellationen
Am 16. Dezember hat der zweite ‘harte’ Lockdown begonnen und
nicht nur der Jahreswechsel gibt Anlass, eine erste Bilanz der ‘Learnings’ aus
der bisherigen Zeit mit Corona zu ziehen.
“Eltern sind in der Corona-Zeit mehrheitlich nicht in
traditionelle Rollen „zurückgefallen“. Meist blieb die Aufteilung der
Kinderbetreuung zwischen den Elternteilen unverändert, in etwa jeder fünften
Familie wurde die Aufteilung gleichmäßiger, in ebenso vielen Familien aber auch
ungleichmäßiger. Die zusätzlich anfallenden Betreuungsaufgaben haben Mütter und
Väter vielfach gemeinsam geschultert.” heißt es in der kürzlich
veröffentlichten Broschüre ‘Familien in der Corona Zeit’ des
BMFSFJ.
Die britischen Zeitung Guardian beurteilt die Auswirkungen von
Corona noch optimistischer: “Das Jahr 2020 verändert die Art und Weise,
wie die Gesellschaft Vaterschaft sieht, und könnte nach Ansicht von Forschern,
Wirtschaftsführern und Aktivisten die tiefgreifendste Veränderung der
Betreuungsaufgaben seit dem Zweiten Weltkrieg bewirken….”
So oder so wird es aber darauf ankommen, genauer auf die
Situationen in den Familien und die Erfahrungen der Väter und Mütter zu
schauen, und die richtigen Konsequenzen daraus zu ziehen und die jetzt sichtbar
werdenden Effekte nachhaltig wirksam werden zu lassen.
Väter & Corona – die positiven Erfahrungen aus der
Krise für eine geschlechtergerechte Gestaltung der Zukunft und die Arbeit mit
Vätern nutzen
In der gesellschaftlichen Diskussion der Corona Pandemie und
ihrer Auswirkungen standen angesichts von Schul- und Kitaschließungen und
anderer Einschränkungen vor allem die Herausforderungen und Belastungen für
Familien im Vordergrund. Die Landesarbeitsgemeinschaft Väterarbeit in NRW hat
die Entwicklungen von Anfang an im engen Austausch mit ihren Mitgliedern und in
zahlreichen Gesprächen mit Vätern verfolgt und sieht neben den Mehrbelastungen
und Problemen für Väter und Mütter auch positive Erfahrungen aus der Krise.
Damit diese bei der Arbeit mit Vätern aber insbesondere auch bei der Gestaltung
der neuen ‚Normalität‘ genutzt werden kann, möchten wir sie in den folgenden
sieben ‚Corona Lektionen gelernt‘ Punkten zusammenfassen:
1. Zusätzliche
Herausforderungen
Väter und Mütter sind in vergangenen Monaten mit neuen Herausforderungen
konfrontiert worden. Mühsam ausbalancierte ‘Vereinbarkeiten’ sind durch die
Schließung von Kitas und Schulen oft wie ein Kartenhaus zusammengefallen. Väter
und Mütter sind je nach Branche und Tätigkeitsfeld als systemrelevant
eingestuft, in Kurzarbeit geschickt oder konnten im Homeoffice weiterarbeiten.
Zusätzlich zu den Sorgen um die Betreuung und Beschulung der Kinder kamen
vielfach die um die finanzielle Absicherung der Familien und in allen Fällen
die um die Gesundheit, die eigene, die der Kinder und vor allem die der älteren
Familienangehörigen. Diese Herausforderungen sind von vielen Familien gestemmt
worden, in einer Zeit, in der Beratungs- und Unterstützungssysteme, wenn
überhaupt, nur per Telefon zu erreichen waren.
2. Care- und
Betreuungsarbeiten
Sowohl bezahlte als auch unbezahlte Care- und Betreuungsarbeiten sind ungleich
zwischen Vätern und Müttern aufgeteilt. Dies hat unter anderem mit Bezahlung
und Zuschreibungen dieser Tätigkeiten zu tun. Bereits die Zeitverwendungsstudie
hat aber gezeigt, dass Väter und Mütter in der Summe der bezahlten Erwerbs- und
unbezahlten Care- und Betreuungsarbeiten gleich viel Zeit aufwenden. Die
Berichte von Vätern, vor allem aber die in den letzten Monaten durchgeführten
Studien zeigen auf, dass sich Väter mit zusätzlichen Zeitanteilen an Care- und
Betreuungsarbeiten beteiligen, insbesondere, wenn sie in Kurzarbeit oder
Homeoffice und ihre Partnerin in einem systemrelevanten Beruf tätig ist. Die
Erzählungen der Väter, diese Erfahrungen seien eine Bereicherung gewesen,
wollen wir für eine gerechtere Aufteilung von bezahlten und unbezahlten
Tätigkeiten nutzen.
3. Beziehung zu den Kindern
Kinder wünschen sich in allen Befragungen mehr Zeit mit ihren Vätern und auch
diese wollen von Anfang an für diese da sein und sich aktiv an deren Erziehung
beteiligen und das Aufwachsen begleiten. In der Vergangenheit haben wir bei
unseren Angeboten eine Unsicherheit der Väter gespürt, ob sie über ausreichende
Kompetenzen in der Betreuung insbesondere der jüngeren Kinder verfügen. Diese
Kompetenzen können sie erwerben, indem sie Zeit mit ihren Kindern verbringen,
sich auf diese einlassen und so eine Beziehung zu ihnen aufbauen. Diese
Erfahrungen haben Väter während der Krise machen können und sich dabei
zunehmend als wirksam und bedeutend für ihre Kinder erlebt. Diese Erfahrungen
werden auch das Ausmaß des zukünftigen väterlichen Engagements bestimmen, es
wird aber darauf ankommen, sie einzubeziehen und passende Rahmenbedingungen zu
schaffen.
4. Partnerschaftliche
Arbeitsteilung
Aus den Wünschen junger Paare, sich Erwerbs- und Familienarbeiten
partnerschaftlich aufzuteilen wird nach der Geburt des ersten Kindes häufig
eine mehr oder weniger traditionelle Arbeitsteilung, die Väter in die
Ernährerrolle und Mütter in die sorgende Sphäre verweist. In der Folge sinken
Zufriedenheit und Partnerschaftsqualität mit weiteren negativen Wirkungen auf
das Engagement von Vätern.
Diese Kreisläufe sind in den vergangenen Wochen vielfach durchbrochen worden.
Den Vätern und Müttern, denen es schon vor der Pandemie gelungen ist, eine
partnerschaftliche Arbeitsteilung zu leben, berichten zwar am häufigsten von
extremen Belastungen, wollen aber keineswegs zurück zu einer klassischen
Arbeitsteilung. In den zahlreichen anderen Fällen ist die traditionelle Arbeitsteilung,
in die man vielfach ‘hineingerutscht’ ist, wieder zu einem Aushandlungsthema
geworden. Wir wollen Väter dabei unterstützen, ihre Wünsche nach einer
Reduzierung von Erwerbsarbeitszeiten auch umzusetzen
5. Stärkung des familiären
Zusammenhalts
Die Bewältigung der Herausforderungen ist selbstverständlich nicht ohne Krisen
und Konflikte verlaufen. Väter und Mütter sind in den vergangenen Monaten
häufig und für längere Zeiträume über ihre Grenzen hinaus gegangen und mit den
Erfahrungen auch gewachsen. Die Stärkung der Resilienzen ist eine wichtige
Erfahrung für den Zusammenhalt von Familien.
Wir wünschen uns selbstverständlich keine Wiederholung dieser ‘Lernsituation’
durch einen weiteren ‘Lockdown’, werden aber Väter und ihre Familien dabei
begleiten, ihre Erfahrungen aufzuarbeiten und für die Bewältigung zukünftiger
Herausforderungen nutzbar zu machen. In den Fällen,, in der die Krisen in
der Familie eskaliert sind, gilt es hinzuschauen welche Unterstützungsangebote
nötig sind um Krisensituationen konstruktiv meistern zu können.
6. Andere Formen der
Erwerbsarbeit Auch außerhalb von Familien haben Väter neue Erfahrungen machen können.
Arbeitsorte, -zeiten und -abläufe haben sich in vielen Bereichen grundlegend
verändert, in anderen ist schlagartig die gesellschaftliche Relevanz von
vielfach unterbezahlten Tätigkeiten deutlich geworden. Die Väter, die zeitweise
oder ganz im Homeoffice arbeiten konnten (oder mussten) wünschen sich, dass sie
diese Möglichkeiten auch weiterhin zumindest an zwei bis drei Tagen pro Woche
nutzen können, um mehr Zeit für Familie und Kinder zu haben.
Darüber hinaus geht es auch um Verantwortungsübernahme und Selbststeuerung, die
letztlich Auswirkungen auf Abläufe und Kulturen in den Unternehmen haben
werden. Dass die Arbeit im Homeoffice kein Ersatz für eine qualitativ
hochwertige Kinderbetreuung ist ja auch eine Lernerfahrung der letzten
Monate.
7. Wege der Arbeit mit
Vätern
Die Krise und die damit einhergehenden ‘Coronaschutzverordnungen’ haben auch
unmittelbare Auswirkungen auf die Arbeit unserer Mitglieder gehabt.
Einrichtungen haben geschlossen und selbst nach der Wiederöffnung ist Vätern
der Zugang verwehrt oder nur streng reglementiert. Hygienekonzepte führen dazu,
dass offene Angebote kaum noch möglich sind.
Diese Rahmenbedingungen haben zu einem Lernschub bei der Nutzung von neuen,
insbesondere digitalen Zugängen zu Vätern geführt und damit auch Vätern, die
schon vorher keine Angebote vor Ort gefunden haben, Möglichkeiten zur Teilnahme
eröffnet und Schwellen gesenkt. Nach anfänglichen Unsicherheiten finden
Beratungen zunehmend per Video statt und auch bei thematischen Veranstaltungen
und Weiterbildungsangeboten sind wertvolle Erfahrungen mit dieser Form des
Zusammenkommens und Austauschs gemacht worden, die die zukünftige Arbeit mit
Vätern erweitern können.
Ich bin mir bewusst, dass es auch zahlreiche Väter und Mütter gab, die andere Erfahrungen gemacht haben, weil der Partner bzw. die Partnerin nicht zur Verfügung standen, prekäre Lebenssituationen und unsichere Arbeitsverhältnisse sich während der Pandemie noch verschärft haben und diese oder andere Rahmenbedingungen zur Verschärfung von Konflikten beigetragen haben. Diese Familien brauchen auch weiterhin passende Beratungs- und Unterstützungsangebote.
Aber auch dabei lohnt sich der Blick auf die oben
skizzierten Gelingensfaktoren. Diese wollen wir auch in Zukunft durch die
Arbeit der LAG-Väterarbeit in NRW sowie der 26 Mitgliedsorganisationen stärken,
um Vätern Wege in die Familie zu ebnen, Kindern eine gelingende Entwicklung und
Partnerschaften zufriedenstellende Beziehungen zu ermöglichen.
Ihre Erfahrungen sind gefragt
Das ist eine erste Zwischenbilanz, die wir aus zahlreichen
Gesprächen und Zoom Konferenzen mit Kollegen und Kolleginnen zum Jahresende
ziehen. Wir sind uns bewusst, dass Sie und andere Menschen auch ganz andere
Erfahrungen gemacht haben können bzw. andere Konsequenzen aus diesen
Erfahrungen ziehen können.
Herr Nelles, Frauen- und Kinderverbände wurden aus der
gesellschaftlichen Defensive gegründet. Gegen wen will sich das
Bundesforum Männer behaupten?
Wir wenden uns gegen Ignoranz gegenüber den Anliegen von Männern,
Jungen und Vätern. Aber wir haben uns nicht aus der Defensive heraus
zusammengeschlossen. Ich habe damals in den neunziger Jahren bei meinem
damaligen Arbeitgeber mit einem Projekt zur beruflichen Qualifizierung
während des Erziehungsurlaubs begonnen. Wir haben ausdrücklich auch
Väter angesprochen. Das Thema Erziehungsurlaub musste aus der Frauenecke
heraus. Die Zahl der Väter, die Erziehungsurlaub nahmen, war zwar sehr
gering. Aber es gab auch damals schon den Wunsch nach einer anderen
Aufteilung von Berufs- und Familienarbeit. Daran haben wir gearbeitet
und uns zusammengetan, um Kommunikationslinien in die Politik und in die
Verbände hinein aufbauen. Den Anfang machte das „Väterexpertennetz“.
Bald kamen auch Themen für Nichtväter dazu. Ein wichtiger Partner war
die evangelische Kirche, die schon lange eine sehr elaborierte
Männerarbeit geleistet hat. 2008 sind wir mit dem
Bundesfamilienministerium in Gespräch gekommen. Dort zeigte man sich
sehr aufgeschlossen, denn einen zentralen Ansprechpartner für die
Belange von Männern gab es nicht. 2010 haben wir mit zunächst zwei
Dutzend Verbänden das Bundesforum Männer gegründet – nicht gegen
irgendjemanden, sondern um Themen von Jungen, Männern und Vätern
gebündelt nach vorne zu bringen.
Personell grenzen Sie sich von Frauenverbänden ab, inhaltlich von
Männerbündnissen mit traditionellen Rollenbildern. Was genau ist Ihr
Markenkern?
Zentral für uns sind Geschlechtergerechtigkeit und Dialog. Es geht
uns um Gleichberechtigung in allen Lebensbereichen. Wir treten in den
Dialog mit denjenigen, die zuständig sind für Gesetzgebung und für
Arbeitsbedingungen. Mit der IG Metall haben wir uns zum Beispiel darüber
auseinandergesetzt, wie sich Arbeitszeiten so gestalten lassen, dass
sie aktive Vaterschaft ermöglichen. Einige unserer Mitgliedsvereine
legen ihren Schwerpunkt auf Gewaltprävention oder Gesundheitsvorsorge.
Die Lebens- und Arbeitsweise von Männern führt dazu, dass sie eine
niedrigere Lebenserwartung haben. Zu vernünftigen Ergebnissen in der
Gleichstellungspolitik kommen wir nur, wenn wir das ganze Leben von
Männern betrachten.
Gehören dem Bundesforum Männer auch Vereine und Organisationen mit traditionellen Männerthemen an?
Wir sind im Gespräch zum Beispiel mit dem Nationalen Olympischen
Komitee und anderen Vereinen. Aber Bedingung für eine Mitgliedschaft bei
uns ist, dass die Interessen von Männern in der eigenen Organisation
thematisiert werden. Es gibt zwar viele große Vereine, in denen
massenhaft Männer organisiert sind, die spezifische Perspektive von
Jungen, Männern und Vätern wird dort aber oft noch nicht adressiert.
Doch es gibt Bewegung. Väter im Fußball, zum Beispiel, ist durchaus ein
Thema.
Klassiker traditioneller Männerarbeit sind Holzhacken oder Reparaturen rund ums Haus. Was ist Ihr Verständnis von Männerarbeit?
Wir arbeiten daran, Geschlechterklischees zu überwinden. Viele Männer
wollen beim Kindergartenfest nicht nur am Grill stehen. Sie möchten
auch fürsorglich sein und als Erziehungspartner akzeptiert werden. Die
gesetzlichen Rahmenbedingungen, etwa das Ehegattensplitting, wirken
jedoch einer partnerschaftlichen Aufteilung der Erwerbs- und
Familienarbeit entgegen. Derartige Fehlanreize führen dazu, dass Männer,
gerade wenn sie Väter geworden sind, nicht das Leben führen können, das
sie eigentlich gerne leben würden.
Die meisten Ihrer Mitgliedsorganisationen kommen aus den Bereichen
Bildung, Gesundheit, Kirche, Arbeit und Soziales. Sind auch Unternehmen
eingebunden?
Mit der „Väter gGmbH“ haben wir ein Mitglied, das sehr aktiv und
erfolgreich Netzwerkarbeit für Väter in Unternehmen betreibt. Die Väter
gGmbh berät bundesweit Unternehmen zum Thema Vereinbarkeit von Beruf und
Familie aus Vätersicht. In verschiedenen Branchen wurden Väternetzwerke
aufgebaut, im Bankenwesen ebenso wie in Mobilfunkunternehmen, in der
Pharmaindustrie und im Handel. Ich würde allerdings vehement der These
widersprechen, dass kleine Betriebe sich mit der Väterarbeit schwerer
tun als Großkonzerne. Aus eigener Erfahrung in Unternehmen verschiedener
Größe kann ich berichten, dass es immer darauf ankommt, die
Vereinbarkeit von Familie und Beruf tatsächlich zu leben und vorzuleben.
Wenn ein Handwerksmeister ein halbes Jahr in Elternzeit geht und
tatsächlich „nur“ 30 Wochenstunden im Betrieb ist, wird sich etwas
verändern.
Sie haben viele Aktive aus dem kirchlichen Bereich. Wie sieht es aus
mit Organisationen anderer Religionsgemeinschaften. Gibt es unter Ihrem
Dach islamische Verbände?
Aktuell liegt uns ein Mitgliedsantrag des Sozialdienstes muslimischer Frauen (SmF) vor . . .
Eines Frauenverbandes?
Ja, der Sozialdienst betreibt auch eine sehr engagierte Väterarbeit.
Einen Sozialdienst muslimischer Männer gibt es bislang nicht. Die
Aufnahme des SmF wäre in der Tat ein Präzedenzfall. Aber in unseren
Mitgliedsverbänden sind nicht ausschließlich Männer tätig. Einige
schicken auch weibliche Delegierte zu unseren Mitgliedsversammlungen.
Ihr Verband empfiehlt sich der Politik aber als Ansprechpartner für
die Anliegen von Männern. Was unterscheidet männer- von
frauenpolitischen Themen?
Die unterschiedliche Perspektive. Im Koalitionsvertrag ist zum
Beispiel vereinbart, dass das Umgangs- und Sorgerecht neu geregelt wird.
Unsere Erwartung war, dass die Interessen von Vätern künftig früher
berücksichtigt werden und unverheiratete Väter nach der
Vaterschaftsanerkennung automatisch sorgeberechtigt sein werden. Danach
sieht es aber nun leider nicht aus. Dabei hatte eine Arbeitsgruppe von
Familienrechtlern diesen Reformschritt empfohlen und überzeugend
dargelegt, dass Kinder von Geburt an Anspruch auf zwei sorgeberechtigte
Eltern haben.
Wo sehen Sie weiteren Handlungsbedarf, wenn es um die Rechte und Interessen von Jungen, Männern und Vätern geht?
Das Feld vor und rund um die Geburt von Kindern muss insgesamt
stärker ins Blickfeld rücken. Denn bereits bei der Geburtsvorbereitung
werden die Weichen gestellt für alles weitere, was man später versucht,
durch Gleichstellungspolitik zu reparieren. Deshalb ist es so wichtig,
Vätern zu diesem frühen Zeitpunkt Angebote zu machen. Noch viel mehr
passieren müsste beim Gewaltschutz. Auch Männer werden Opfer häuslicher
Gewalt. Zumindest im Hellfeld nicht so häufig wie Frauen, aber der
Anteil liegt immerhin bei rund 20 Prozent. Für Männer gibt es jedoch
kaum Schutzräume. Einige Gewaltschutzwohnungen wurden mittlerweile im
Rahmen von Modellprojekten in Bayern und in Nordrhein-Westfalen
eingerichtet. In Sachsen gibt es ebenfalls eine Einrichtung. Aber
insgesamt sind es viel zu wenige. Wir bräuchten auch deutlich mehr
Beratungsstellen für Männer, die häusliche Gewalt erleben. Auf einer
Internetseite haben wir bislang rund 280 Angebote gebündelt, damit
Männer möglichst frühzeitig Hilfe suchen und Krisen überwunden werden
können, ohne dass es zur Trennung kommt.
Ihr Verband arbeitet ja auch mit Frauenorganisationen zusammen. Bei
welchen Themen funktioniert die Kooperation gut und wo gibt es
Differenzen?
Wir haben von Anfang an mit dem Deutschen Frauenrat
zusammengearbeitet. In den allermeisten Fällen klappt das sehr gut. Aber
manchmal haben wir unterschiedliche Perspektiven, etwa im Bereich
Pflege. Mit der Ausgangsthese, Männer würden sich hier nicht engagieren,
erreicht man nichts. Gerade ältere Männer übernehmen häufig
Pflegeverantwortung für ihre Frauen oder Partnerinnen, fast ebenso
häufig wie ältere Frauen. Wenn man erreichen möchte, dass Männer sich
insgesamt mehr in der Pflege engagieren, auch beruflich, sollte man auch
anerkennen, wo sie bereits als Pflegende aktiv sind.
Die Corona-Pandemie gilt als Rückschlag für die
Gleichstellungspolitik. Frauen und Mütter gelten als die Verliererinnen.
Stimmen Sie zu?
Nein, das sehe ich nicht so. Die Corona-Krise wirkt wie ein
Brennglas, das heißt man sieht in besonderer Schärfe, was vorher schon
war. So hat sich in der Pandemie besonders bemerkbar gemacht, dass
überwiegend die Männer Vollzeit arbeiten und die Frauen sehr häufig in
Teilzeit tätig sind, wenn sie Familie haben. Wie sich dieses Modell in
der Corona-Krise auf die Familie ausgewirkt hat, war zum Teil sehr stark
branchenabhängig. Arbeitet der Mann in einem Unternehmen, das
Kurzarbeit anmeldete, blieb er zu Hause. Eine Partnerin, die im
Pflegebereich tätig ist, war beruflich voll eingespannt. Aber nach einer
Umfrage, die das Bundesfamilienministerium in Auftrag gegeben hatte,
ist die Aufteilung bei der Kinderbetreuung in knapp 60 Prozent der
Familien so gut wie gleich geblieben. In rund 20 Prozent der befragten
Familien ging es partnerschaftlicher zu und in weiteren rund 20 Prozent
wurde die Aufteilung ungleicher. Einen großen Trend zur
Retraditionalisierung sehe ich hier nicht. Im Gegenteil: Das familiäre
Engagement der Väter hat in der Corona-Krise stärker zugenommen als in
früheren Jahren, auch wenn Frauen sich insgesamt noch mehr engagieren.
Ihr Verband blickte im November 2020 auf sein zehnjähriges Jubiläum zurück. Was gab es zu feiern?
Unser Verband und unser Einfluss sind deutlich gewachsen. Nicht nur
in Berlin, auch in vielen Bundesländern werden unsere Themen
aufgegriffen. Aber es gibt weiterhin viel zu tun. Die traditionelle
Überzeugung, dass Kinder und Mütter mehr zusammengehören und Väter
zweitrangig sind, ist immer noch da. Vor allem bei den Themen Trennung,
Sorge und Unterhalt sind wir noch lange nicht am Ziel.
Treffen Sie sich mit Ihrem Sohn manchmal zu einem klassischen Männerabend?
Dazu haben wir leider zu selten Gelegenheit gehabt. Seit dem Abitur
vor 13 Jahren ist mein Sohn in der Weltgeschichte unterwegs. Mal
gemeinsam vor dem Fernseher abzuhängen und Bier zu trinken, das wird, in
Zeiten von Corona, in diesem Jahr aber klappen.
‚Vater werden ist nicht schwer, Vater sein dagegen sehr …‘
dichtete Wilhelm Busch vor 150 Jahren. Zumindest der zweite Teil des Satzes
gilt bis heute und die Schwierigkeiten haben sich noch erhöht. Vater sein
reicht nicht mehr aus. Die allermeisten Männer die heute Vater werden nehmen
sich vor, ein guter Vater zu sein, es besser zu machen als sie es selbst erlebt
haben. Aber wie geht das, ein guter Vater zu sein, wenn es an erlebten
Vorbildern mangelt. Und, ist überhaupt ausgemacht, was ein Vater ist. Ist er
sowas wie ein Mupa? Eine Kopie der Mutter, oder zumindest ihr guter Assistent?
Es gibt inzwischen zahlreiche Väterratgeber und Erfahrungsberichte von Vätern,
die Elternzeit gemacht haben und davon berichten, vor welchen Herausforderungen
junge Väter und Mütter stehen, die sich aus alten Rollenvorstellungen
emanzipieren wollen und dabei über einen Rollentausch
Björn Vedder bearbeitet in seinem Buch ‚Väter der Zukunft‘ das
Thema völlig anders, in Form eines philosophischen Essays. Er ist von Beruf
Philosoph, Publizist und Kurator im Europäischen Künstlerhaus Oberbayern.
Außerdem ist er selbst Vater von zwei Töchtern und hat selber von den
Erfahrungen zwei grundverschiedener Väter profitieren können.
Mit seinem 150seitigen Essay möchte er Väter aus dem
Schatten des eigenen abwesenden Vaters befreien. Dazu braucht es eine
Beschreibung, wie und was Väter heute sein können und zwar ‚jenseits von
Überkommenen Männlichkeitsvorstellungen, patriarchalen Familienmodellen oder
der Idee einer geschlechtslosen Elternschaft‘. Um es vorwegzunehmen, diesen
Anspruch löst er auch tatsächlich ein und es lohnt sich wirklich, das Buch
Seite für Seite zu lesen, es regelmäßig zur Seite zu legen und die Thesen,
Geschichten und Berichte aus eigenen Erfahrungen, die Vedder virtuos verknüpft,
wirken zu lassen.
Er betrachtet das, was er herleitet, als einen Vorschlag an
Männer, sich von der tradierten Rolle des Patriarchen zu emanzipieren, ohne
einfach die Mutterrolle zu kopieren. Eine angemessene Beschreibung der
Vaterrolle unterstützt sie dabei. Kinder brauchen, das zeigt die
Bindungsforschung, zwei verschiedene, sich ergänzende Bezugspersonen. Eine mit
der sie eine symbiotische Beziehung pflegen und eine andere, die diese
Beziehung nach außen, zur Gesellschaft, zur Welt hin öffnet. Letztere Aufgabe
nehmen die wahr, die üblicherweise ‚Vater‘ genannt werden.
Nach dieser kurzen Beschreibung des Selbstverständlichen
wird es schnell grundsätzlich. Eine Erziehung, die auf der Logik des
Kapitalismus, des Wachstums basiere bereite Kinder nicht darauf vor mit
zukünftigen Herausforderungen des Lebens vor. Das Leben sei keine Goldmine, die
es auszubeuten gelte. Es sei elementar auch mit Verlusten umgehen zu können
gerade weil die Logik des Kapitalismus derartige Erfahrungen ausschließe. An
dieser Stelle komme dem Vater eine zentrale Bedeutung zu: Vedder schlägt vor, ‚dass
sich in der Figur des Vaters ein Ort für diese Erfahrungen findet, … dass es
eine Aufgabe der Väter ist, den Umgang mit Verlust und Verzicht wieder in unser
Leben zu integrieren. Ebendas macht sie zu Vätern der Zukunft.‘
Damit dies gelingen kann, benötigen Väter eine Bedeutung in
der Erziehung der Kinder. Wie diese Rolle auf der ‚familiären Bühne‘ aussehen und
wie sie wahrgenommen werden kann beschreibt der Autor in den folgenden
Abschnitten. Ein roter Faden dabei ist Aspekt der Selbstbeschränkung und des
Verzichts. Er wendet sich explizit gegen eine ‚Eventisierung des Familienlebens‘:
‚Der einzige Ausweg daraus wäre freilich, in das Leben zurückzukehren. Eine
Grenze zu ziehen. Den Sprung in die Beschränkung zu wagen. Sich für das eine
Wirkliche gegenüber den vielen Möglichkeiten zu entscheiden. Entweder oder zu
sagen und zu leben.‘
Es ist Aufgabe des Vaters sich für das gute Leben anstelle
eines schönen Lebens zu entscheiden, nur dann werde er der Bedeutung des Kindes
als eigenständigen Subjektes gerecht. ‚Es ist ein Wesen, das nicht nur eine
Bedeutung für mich hat, sondern für das es selbst Bedeutung gibt.‘ Dieser
Perspektivwechsel auf die Unverfügbarkeit seiner Kinder ist gleichzeitig der
Wechsel ‚vom ästhetischen Standpunkt auf den ethischen, vom schönen Leben in
das gute Leben.‘
In diesem guten Leben gilt es, Entscheidungen zu treffen und
nicht einfach nach Gusto alles zu tun oder zu lassen. Um diese Freiheit,
entscheiden zu können wie ich mich den Dingen, die mir begegnen gegenüber
verhalte, ausüben zu können ist es aber wichtig so wie der Sänger das ganze
Lied vor Augen hat, als Vater das ganze Leben in den Blick zu nehmen, also zum
Tode vorzulaufen. ‚Zum Tode vorzulaufen heißt also, das eigene Leben in den
Griff zu bekommen, es zu leben und nicht nur zu erleben, es zu singen.‘
Was es konkret bedeuten kann, das ‚väterliche Sein zum Tode‘
einzusetzen um den Herausforderungen der Zukunft angemessen begegnen zu können,
verdeutlicht Vedder am Beispiel des Klimawandels. Mit dem Bild des von
Aristoteles skizzierten Hausvaters beschreibt er worauf es ankommt: es geht ‚weniger
um den Erwerb als um die Pflege der Dinge, weniger um ihren Konsum als um ihren
Erhalt. … Die Reflexion unseres Konsums in Bezug darauf, was er mit uns macht,
ist eine Möglichkeit für Väter, unser Wirtschaften zu verändern.
Das aus der Möglichkeit im Zuge der Corona-Pandemie so
schnell eine wirkliche Herausforderung, nicht nur für Väter geworden ist, hat
Vedder nicht ahnen können. Alle Eventgelegenheiten sind geschlossen, soziale
Kontakte außerhalb der Kernfamilie weitestgehend eingeschränkt und Krankheit
und Tod kommen via Bildschirm und soziale Medien in jedes Haus und Verzicht und
Verlust sind zum Alltag geworden. Die noch existierenden patriarchalen
Strukturen sind genauso ratlos wie die ansonsten so lautstarken Populisten. Sie
versuchen zwar noch mit haarsträubenden und erlogenen Geschichten Einfluss zu
nehmen, werden aber im weiteren Verlauf der Krise verstummen. Sie haben im
wahrsten Sinne des Wortes Nichts zu sagen.
Worauf es ankommt und diese Rolle kommt in den Familien den
Vätern zu, vom Ende der Krise her, im Rahmen einer Regnose, zurückblickend mögliche,
positive und mutmachende Szenarien zu beschreiben. Was das Klima angeht die
Tatsache, dass in diesem Jahr weltweit der CO² Ausstoß sinken wird. Die Bilder
aus Italien mit auf den Balkonen singenden Menschen und den neuen Solidargemeinschaften
die überall entstanden sind. All das sind Geschichten, die Väter erzählen
können, wenn sie mit ihren Kindern am Fluss des Lebens sitzen.
Der philosophische Essay von Björn Vedder ist absolut
empfehlenswert, weil er gerade heute, in dem alte Gewissheiten und Ordnungen
ins Wanken geraten, Männern eine Möglichkeit bietet für ihr Vatersein einen (Nach-)
Denkraum zu öffnen und vielleicht erstmalig Sicherheit in ihrer Rolle als Vater
zu gewinnen. Für diejenigen, die auch im Krimi zuerst das Ende lesen, das kurze
Resümee von Vedder findet sich im einseitigen 8. Kapitel.
Wie wollen Väter in Zukunft leben und arbeiten und welche Beiträge können die Digitalisierung bzw. digitale Unterstützungssysteme dazu beisteuern. Um diese und andere Fragen ging es beim 1. Väter-Summit der Väter-gGmbH in Frankfurt.