Nur wenige Väter gehen länger als zwei Monate in Elternzeit.
Das liegt an strukturellen Ungleichheiten, an Arbeitgebern – und auch an den
Vätern selbst. Doch es gibt Ideen, wie sich das ändern ließe.
Als Hans-Georg Nelles vor 25 Jahren mit seiner Arbeit begann,
hieß die Elternzeit noch Erziehungsurlaub. Nur
ungefähr ein Prozent der Väter machten damals die Erfahrung, dass es eher
Arbeit als All-inclusive-Ferien gleichkommt, ein Baby zu wickeln, zu füttern
und herumzutragen, bis es einschlummert. Denn all das erledigten fast immer die
Mütter. Wenn in politischen Willenserklärungen und bunten
Arbeitgeber-Broschüren von „Vereinbarkeit von Beruf und Familie“ die
Rede war, dann ging es meist um Mütter, fast nie um Väter. „Das wollte ich
ändern“, sagt Nelles, der selbst drei erwachsene Kinder hat. Heute leitet
er die Landesarbeitsgemeinschaft Väterarbeit in NRW und berät Unternehmen, wie
sie „väterbewusste Personalpolitik“ machen können.
Auch wenn sich in den vergangenen 25 Jahren viel getan hat:
Die Arbeit dürfte ihm so schnell nicht ausgehen.
Spricht man mit Aktivisten wie Nelles, mit Juristinnen und
Juristen oder Wissenschaftlern, dann wird klar: Ähnlich wie Mütter machen auch
Väter im Beruf diskriminierende Erfahrungen. Es fällt nur seltener auf, weil
Männer generell seltener und kürzer in Elternzeit gehen. Da ist der
Arbeitgeber, der den werdenden Vater sicherheitshalber noch mal fragt, ob er
sich das mit der Elternzeit denn gut überlegt habe. Oder der Angestellte,
dessen Leistungsbeurteilung nach der beruflichen Auszeit schlechter ausfällt
als zuvor. Oder aber, im Extremfall, der Mitarbeiter, dem direkt nach seiner
Elternzeit die Kündigung ins Haus flattert. Andererseits gibt es auch
Beispiele, die Väter ermutigen könnten, länger im Job auszusetzen.
Bis zu drei Jahre lang können Eltern hierzulande pro Kind in Elternzeit gehen, egal ob Vater oder Mutter. Das Elterngeld, das die damalige Bundesfamilienministerin Ursula von der Leyen im Jahr 2007 auf den Weg brachte, wird in der Basis-Version bis zu 14 Monate an die Eltern ausgezahlt, wobei maximal zwölf Monate von einem Elternteil genommen werden dürfen. In der Praxis beantragt ein Elternteil, meist die Mutter, das Elterngeld in knapp drei Viertel aller Fälle für zwölf Monate, der andere Elternteil, meist der Vater, für zwei. Auch deshalb gelten sie umgangssprachlich als „Vätermonate“. Das kann schon mal zu Missverständnissen führen: „Teilweise fragen Vorgesetzte werdende Väter, ob sie das denn überhaupt dürften – mehr als zwei Monate in Elternzeit gehen“, berichtet Nelles. Er lacht dabei ein wenig verzweifelt. …
Das ‚Fatherhood Institute‘ stellt heute seine Studie „Lockdown Fathers, the untold story“ vor. Die Studie ist die erste, die detailliert aufzeigt, wie Großbritanniens Väter den Lockdown im Frühjahr 2020 erlebten: was sie taten, wie sie sich fühlten und welche Auswirkungen das auf ihre Kinder hatte.
Einigen ging es natürlich besser als anderen. Sie können
alle Details in den Berichten auf der Website nachlesen. Aber in Kurzform ist
die Geschichte so.
Väter:
verbrachten mehr Zeit mit ihren Kindern
bauten stärkere Beziehungen zu ihnen auf
halfen bei Hausunterricht und Hausaufgaben
wurden besser in der Kindererziehung
gewannen an Selbstvertrauen
haben mehr Einsicht in die Rolle ihrer Partner
bei der Kinderbetreuung gewonnen
erledigten mehr Hausarbeit.
Die große Frage lautet also: Wie gehen die Geschichten
weiter?
Ein Gespräch mit Gunter Beetz über die Vorbereitung von Vätern auf die Geburt und was danach auf sie zukommt.
In nehme wahr, dass es in den letzten Jahren in immer mehr
Städten in Deutschland Geburtsvorbereitungskurs für werdende Väter gibt.
Bei deinem Angebot kommt das Wort Geburtsvorbereitung aber kaum vor.
Steckt irgendeine Absicht dahinter?
Für mich markiert die Geburt eines eigenen Kindes eines der
wichtigsten Lebensübergänge im Leben eines Mannes. Er übernimmt nicht
nur für sich, sondern auch für sein Kind und seine Familie
Verantwortung. Für mich greift der Begriff der Geburtsvorbereitung
deshalb zu kurz. Ich möchte werdende Väter darauf vorbereiten was auf
sie zukommt über das Wochenbett hinaus. Es soll eine Vorbereitung auf
die Vater-Rolle sein. Und deshalb nenne ich es „In das Vater-Sein
wachsen”.
Aber das Thema Geburt kommt auch vor, oder?
Ja, das ist Teil des Seminars. Gut vorbereitet zu sein auf eine
Geburt, ist sehr wichtig. Aber bei mir geht es mehr darum, dass Väter
ihren eigenen Umgang damit finden. Ich rate Vätern zum Beispiel, nicht
nur am Kopfende zu stehen. Für mich war die Geburt meines eigenen Kindes
einer der magischsten Momente in meinem Leben. Ich möchte, dass es
jeder mit sich selbst ausmacht, wie viel er sehen will oder, noch
wichtiger, dies mit der werdenden Mutter abspricht, was für sie okay
ist. Darum geht es. Eine eigene Haltung entwickeln, bei der Geburt und
darüber hinaus.
Dein Seminar heißt „In das Vater-Sein wachsen” und geht über ein ganzes Wochenende. Braucht es so viel Vorbereitung?
Frei nach dem Spruch: „Es ist noch kein Meister vom Himmel gefallen“
finde ich, dass man auch in die Vater-Rolle hereinwachsen muss. In
meinem Seminar geht es darum, einen intensiven Blick darauf zu werfen,
was man für die Rolle mitbringt. Es geht um Fragen wie: Was für ein
Vater möchte ich sein? Was wurde mir vorgelebt? Welche Vater-Rolle kenne
ich? Was davon möchte ich weiterführen, was aber auch hinter mir
lassen? Die Beantwortung dieser Fragen hilft dabei, eine Haltung zu
entwickeln. Und diese Haltung ist wichtig, um in der Partnerschaft ein
Gegenüber zu sein. Und deswegen ist es so intensiv. Es hilft dabei,
nicht direkt in alte Rollenmuster zu verfallen, sondern ein
gleichwertiges Gegenüber zu sein.
Was unterscheidet deinen Kurs von anderen? Was ist das Besondere daran?
Wir verbringen vier Tage in der Natur und leben autark in einem
Waldstück bei Münster. Durch unterschiedliche Natur-Übungen lernen wir
uns selbst und unsere eigene Geschichte kennen. Alles zum Thema
Vaterschaft. Der Fokus liegt dabei auf unterschiedlichen, menschlichen
Qualitäten. Diese zu entwickeln oder zu erforschen, ist ein wichtiger
Punkt. Wir entwickeln eine Art eigene innere Landkarte oder
intrinsisches Orientierungs-Modell. Und dieses Modell hilft dabei, die
unterschiedlichen Vater-Rollen oder unterschiedlichen Qualitäten in sich
wahrzunehmen. Bin ich eher ein intuitiver Vater oder eher ein
strukturierter? Zweifle ich viel oder habe ich ein gesundes Urvertrauen
für diesen Schritt? Wir vergessen häufig, dass wir diese Vater-Rollen
oder Qualitäten alle in uns haben und dass wir auch die Wahl haben, was
für ein Vater wir sein möchten. Was auch sehr spannend und besonders
ist, ist, dass jeder Teilnehmer im Laufe des Prozesses eine Nacht allein
im Wald unter einem Plane verbringt mit Iso-Matte und Schlafsack. Alles
andere lässt man weg. Wer bin ich dann, wenn ich alles weglasse? Diese
Erfahrung, ein Teil der Natur zu sein, das macht etwas mit den
Teilnehmern.
Der Wald spielt also eine wichtige Rolle, oder? Man könnte
das ja auch im Kloster machen, da gibt es auch karg eingerichtete Räume.
Ja, man könnte das auch im Kloster machen. Was für mich auch wichtig
ist, ist, dass wir uns als Teil der Natur verstehen und auch von der
Natur lernen. Es berichten viele Teilnehmer, dass das etwas mit ihnen
gemacht hat, um auch den Geburtsvorgang oder diesen auch als natürlichen
Prozess zu verstehen. Dafür ist die Natur wichtig. Ja.
In deiner Ausschreibung taucht auch der Begriff „transformative Bildung” auf. Was muss ich mir darunter vorstellen?
Transformative Bildung bedeutet, dass wir uns erst einmal selbst
besser kennenlernen. Es geht um die Auseinandersetzung mit den erlernten
Denk-, Fühl- und Handlungsmustern. Wir schauen darauf, was wir für
gewohnte Bewertungen haben oder was uns gesellschaftliche Leitbilder an
Normen und Werten vorgeben. Das hilft dann dabei, ein anderes
Ich-Verständnis zu bekommen, eine Haltung zu entwickeln. Mit dieser
Haltung kann ich dann ein anderes Weltbild vertreten oder mit der Welt
anders in Kontakt treten. In dem Falle mit meiner Partnerin.
Zunächst möchte ich, denke ich, mit meinem Kind in Kontakt
treten unmittelbar nach der Geburt. Das mit der Welt hört sich ein
bisschen spirituell an.
Spirituell ist immer ein schwieriger Begriff. Natur zu erleben hat
etwas Spirituelles, finde ich. Je klarer ich mir meiner Rolle bin oder
dessen, was ich für eine Vater-Rolle einnehmen will, desto besser kann
ich auch mit meinem Kind in Verbindung treten. Und das ist genau das.
Klar, nach der Geburt nimmt man sein Kind einmal auf die Brust. Man
versucht da zu sein, man versucht für die Frau da zu sein. Mir geht es
mehr darum, was man langfristig möchte. Was möchte ich dem Kind bieten?
Ich habe immer eine Leitfrage: Was möchte ich, was mein Kind in 25
Jahren über mich erzählt über meine Vater-Rolle oder wie ich als Vater
war? Das finde ich ein schönes Leitbild, um danach zu gehen und sich
danach zu orientieren.
Nochmal zusammengefasst: Warum ist deiner Meinung nach eine intensive Vorbereitung auf die anstehende Vaterschaft so wichtig?
Was ich, als Vater von zwei Töchtern, gemerkt habe, war, dass wir in
diesem ersten Jahr gar keine Zeit hatten, uns so intensiv damit
auseinanderzusetzen. Das Kind ist dann da. Da gibt es andere
Bedürfnisse. Und deswegen macht eine intensive Vorbereitung sehr viel
Sinn. Im Gegensatz zu den werdenden Müttern. Die werdenden Mütter haben
einen gewissen Vorteil in Anführungsstrichen, da sie sich neun Monate
auf diese Geburt vorbereiten können. Körperlich, seelisch und geistig
bereiten sie sich auf den Übergang in das Mutter-Sein vor. Für uns Väter
ist das ein bisschen komplizierter. Für uns ist die Schwangerschaft
häufig etwas Surreales. Wir werden erst bei der Geburt richtig Vater.
Viele Hebammen haben mir erzählt, dass sie bei der Geburt immer auch in
das Gesicht des Vaters gucken, weil sie dann merken: „Okay, jetzt ist er
Papa geworden.“ Dann kommt aber das Problem im ersten Jahr, was ich
eben beschrieben habe, dass es wenig Zeit gibt, sich mit den
Veränderungen auseinanderzusetzen. Auch die Mütter sind häufig, ich sage
einmal, mit dem Kopf woanders. Einmal völlig wertfrei. Mit dieser
intensiven Auseinandersetzung haben wir die Möglichkeit eine eigene
Haltung, eine eigene Rolle zu vertreten und dann Kompromisse einzugehen.
Wenn man das nicht tut, reagiert man oft und agiert nicht.
Du hast jetzt gerade auch von den Müttern gesprochen, die
sich aufgrund der körperlichen, biologischen Vorgänge ganz anders darauf
vorbereiten können. Haben die Mütter auch etwas von dieser
Vorbereitung, die du speziell für die Väter anbietest?
Ich rege die werdenden Väter dazu an, mit ihren Partnerinnen zu
sprechen. Was hat die Partnerin für ein Vaterbild? Was gibt es für
Erwartungen an die Vaterschaft? Die Auseinandersetzung hilft beiden, um
sich mit den neuen Rollen gut zu identifizieren. Da werden auch die
Weichen gestellt für die spätere Vereinbarkeit von Familie und Beruf.
Was stellen sich die beiden eigentlich vor? Wie soll das Ganze laufen?
Diese Auseinandersetzung schon vor der Geburt zu führen oder zu haben,
hilft für die spätere Partnerschaft.
Ja, das finde ich ein ganz wichtiges Stichwort.
Partnerschaftlichkeit. Viele Umfragen deuten seit mehr als 20 Jahren
darauf hin, dass sich junge Frauen und Männer die Vorstellung haben die
Erwerbsarbeit und die Familienarbeit partnerschaftlich aufzuteilen. Das
ist ein Vorhaben, das sie haben. Da gibt es diese Karikatur, auf der das
moderne Paar in den Kreißsaal hereingeht und als seine Großeltern mit
den traditionellen Vorstellungen und Lebensweisen wieder herauskommt.
Bist du der Überzeugung, dass das Angebot, das du da machst, ein Stück
weit dazu beiträgt, dass die Konzepte, die in den Köpfen sind,
Wirklichkeit werden können?
Ich bin der festen Überzeugung, dass das dabei helfen kann. Natürlich
ist es Arbeit, nicht in alte Rollenmuster zu verfallen. Wir leben das,
was wir von unseren Eltern beigebracht bekommen haben, oft nach und da
braucht es genau diese bewusste Auseinandersetzung, um dagegen zu
steuern oder um von vornherein transparent damit umzugehen, was man für
Wünsche an die Vaterschaft, an die Rolle hat. Was mag man, was mag man
nicht? Dieser ganze Mental Load. Um was kümmere ich mich, um was kümmere
ich mich nicht? Was möchte ich machen? Das hilft schon. Ich bin der
festen Überzeugung, dass diese Auseinandersetzung Paaren hilft.
Du hast zu Beginn gesagt, dass dein Kurs nicht
Geburtsvorbereitungs-Kurs heißt, weil die Inhalte, die Themen und die
Bedeutung weit über den eigentlichen Geburtsvorgang hinausgehen. Wäre es
nicht konsequent in Bezug zu dem Thema Partnerschaftlichkeit und
Verwirklichung der Vorstellungen ein Follow-Up zu machen? Also dass die
Väter nach sechs Wochen oder nach sechs Monaten noch einmal eingeladen
werden und man schaut: „In der Zeit als wir uns im Wald getroffen haben,
hattet ihr die und die Vorstellung.“ Das kann man ja auch schriftlich
festhalten. Und dass man dann schaut: „Was ist daraus Wirklichkeit
geworden und was braucht es, um da nachzusteuern?“
Wenn sich da etwas ergibt, bin ich offen dafür. Ich weiß nur aus
eigener Erfahrung, in den ersten Monaten hätte ich da meiner Frau
gesagt: „Ich bin dann nochmal für ein Wochenende weg“, ich weiß nicht,
ob das nicht doch … Man hat wenig Zeit. Das ist das Problem. Vielleicht
ist so etwas online heutzutage einfacher möglich. Da bin ich offen für,
ja. Das ist eine gute Idee.
Vielen Dank für das Gespräch
Informationen über die Arbeit von Gunter Beetz finden Sie hier.
Birk Grüling, Autor von ‚Eltern
als Team – Ideen eines Vaters für gelebte Vereinbarkeit‘ im Gespräch mit der
LAG Väterarbeit in NRW
Was war der Anlass für dich,
den Ratgeber zu schreiben?
Sowohl privat als auch als Journalist habe
ich mich in den letzten Jahren sehr viel mit dem Thema Vereinbarkeit
auseinandergesetzt und damit auch mit der Frage, wie ich eigentlich arbeiten
und wie viel Zeit ich für die Familie haben will. Ein ganz wichtiger Moment in
diesem Zusammenhang war der Tod meines eigenen Vaters in der Schwangerschaft
meiner Frau. Das hat mich sehr zum Grübeln gebracht. Mein Vater hat immer viel
gearbeitet und wenig auf seine Gesundheit geachtet, am Ende hat er dadurch
seinen Enkel verpasst. Und als Journalist habe ich das Privileg, meinen eigenen
Fragen auch noch beruflich nachzugehen. So entstanden aus der privaten Suche
nach meiner eigenen Vater-Rolle viele Texte und irgendwann dieses Buch. In dem
Buch erzähle ich aber nicht nur von mir, sondern stelle Menschen und ihre
tollen Ideen zu den ganz verschiedenen Aspekten von Vereinbarkeit vor. Ein
Patent-Rezept entsteht daraus zwar nicht, aber viele spannende Impulse wie ich
finde.
Zu Beginn des Buchs schreibst
du „Vereinbarkeit ist nicht unmöglich“. Mir kommen da zwei Titel, vor 6 Jahren
auch von Journalist:innen geschrieben, in den Kopf. Nämlich: „Geht alles gar
nicht“ von Marc Brost und Heinrich Wefing und „Die Alles ist möglich-Lüge:
Wieso Familie und Beruf nicht zu vereinbaren sind“ von Susanne Garsoffky und
Britta Sembach. Was entgegnest du Ihnen aus heutiger Perspektive?
Ich habe beide Bücher nicht
gelesen und kann zu ihnen auch wenig sagen. Allerdings bin ich ein großer Fan
von konstruktivem Journalismus. Also Probleme benennen und Lösungen suchen,
statt einfach nur zu jammern und die Flinte in Korn zu werfen. Und ja, es gibt
sehr viele Probleme – von fehlenden Betreuungsplätzen bis zu alles anderes als
familienfreundlichen Arbeitsmodellen. Aber das bedeutet doch nicht, dass ich das
Thema Vereinbarkeit für mich abharken und alles so mache wie unsere
Eltern-Generation. Es muss doch etwas zwischen Hausmann und 60 Stunden Wochen
Karrieremann geben.
Eine große Rolle spielt für dich die Vorbereitung auf das
Elternsein. Du sprichst da von der Entwicklung einer „Familienvision“. Wie
können sich Väter auf das Vatersein vorbereiten und auf welche „Rolemodels“ und
Unterstützung können sie dabei zurückgreifen?
Ich glaube, der wichtigste
Schritt ist die bewusste Auseinandersetzung mit den wichtigen Fragen der
Vaterrolle. Also sehe ich mich eher als Ernährer und „Wochenendpapa“ oder will
ich wirklich in Teilzeit arbeiten und kann ich mir dabei sogar vorstellen auf
bestimmte Symbole zu verzichten. Ich habe das Gefühl, dass selbst vorher
gleichberechtigte Paare ganz schnell in „traditionelle“ Rollenbilder
abrutschen, einfach weil sie diese nie richtig hinterfragt haben. Und daraus
entstehen oft Konflikte. Im Babykurs meiner Frau beschwerten sich zum Beispiel unzählige
Mütter darüber, dass ihre Männer doch gar nicht so engagierte Papas waren, wie
der Generation der „Neuen Väter“ gemeinhin nachgesagt wird. Und ich kann sagen:
Konflikte über unausgesprochene Erwartungen klärt man lieber im Vorfeld, als
völlig übermüdet und genervt mit zahnendem Baby auf dem Arm. Deshalb würde ich
jedem raten, sich mit seiner zukünftigen Rolle auszusetzen und ruhig mal mit
anderen Vätern und natürlich mit der eigenen Partnerin darüber zu sprechen. Und
wenn ich die Rolemodels vielleicht nicht im eigenen Freundeskreis findet, kann
ich sie mir im Internet suchen und mit ihnen in Kontakt treten.
Im Zusammenhang mit der
Elternzeit schreibst du: „Noch nie standen die Chancen besser, mit alten Werten
zu brechen, der Last des alleinigen Ernährers zu entfliehen und die eigene
Vaterrolle neu und anders zu gestalten.“ Die Elternzeit gibt es ja schon seit
14 Jahren, woher rührt dein Optimismus?
Ist das wirklich optimistisch? Im
Vergleich zu allen Väter-Generationen vor uns haben wir fürstliche Möglichkeiten.
Gleichzeitig nutzen wir sie nicht genug und rutschen immer noch viel zu oft in
Rollenbilder aus den 50er Jahren. Deshalb muss es noch mehr Druck zur
Gleichberechtigung geben – zum Beispiel könnten Mütter und Väter, die
gleichberechtigt in Elternzeit gehen, mehr Geld bekommen oder sogar eine
„Pflicht“ zur Gleichberechtigung eingeführt werden, jedenfalls wenn man
Elterngeld bekommen möchte. Ich bin also eher enttäuscht darüber, dass wir
Eltern immer noch zu wenig aus den Chancen machen, bin aber froh, dass es sie überhaupt
gibt – auch wenn bei ihnen durchaus Nachholbedarf besteht.
Welche Rolle spielen dabei die letzten 14 Monate mit
Corona?
Corona ist ein komplexes Thema –
einerseits haben wir gespürt, dass zuhause arbeiten deutlich besser
funktioniert und daraus könnte eine deutlich rasantere Flexibilisierung der
Arbeitswelt entstehen. Auch manche Väter haben sich nun stärker in die
Care-Arbeit eingebracht und damit einen Wertewandel durchlaufen. Andererseits
hat die Pandemie auch gezeigt, wie groß die Probleme in diesem Land sind – zum
Beispiel, dass die Belange von Familie politisch nichts wert sind oder das auch
Bildung keine so große Rolle spielte wie die Belange von Industrie und
Wirtschaft. Und wir haben erlebt, dass am Ende in vielen Familien die Mütter
die Last der Pandemie tragen und die Väter selbst im Homeoffice gut auf
Tauchstation gehen können. Am Ende sehe
ich die Pandemie aber durchaus als Chance für Veränderungen. Jedenfalls kann
man jetzt die Probleme und die Versäumnisse nicht mehr klein oder schön reden.
Ein Thema, das sich wie ein roter
Faden durch das Buch zieht, ist die Erwerbsarbeitszeit bzw. die „30 Stunden
Woche“ als neue Vollzeit. Warum ist die Möglichkeit einer Reduzierung der
Erwerbsarbeitszeit für Väter so wichtig?
Ich hole mal
etwas theoretisch aus. Forscher der Oxford University kamen in einer Studie zum
Schluss, dass in den USA 47 Prozent aller Arbeitsplätze in den nächsten ein bis
zwei Jahrzehnten bedroht sind. In
Deutschland sieht es ähnlich aus. Wir müssen uns also schon heute Gedanken
machen, wie wir bald weniger vorhandene Arbeit besser verteilen können. Und ich
halte dabei die 30 Stunden Woche für ein tolles Modell. Die Zeit reicht aus, um
Arbeit zu gestalten und auch „Karriere“ zu machen. Auf der anderen Seite bleibt
so deutlich mehr Platz für die Familie oder das Privatleben. Außerdem ließe
sich die Arbeit besser und gerechter verteilen. Dadurch das auch sehr
hochqualifizierte Mütter oft nur geringen Umfang arbeiten, geht Unternehmen
viel Wissen und Knowhow verloren. Kurzum: Die 30-Stunden Woche wäre geeignet,
um die „Work-Life-Balance“ zu verbessern und mehr Gleichberechtigung zu
schaffen. Allerdings darf das nicht eine Akademiker-Geschichte bleiben. Auch in
der Pflege oder im Einzelhandel muss eine 30 Stunden Woche so gut bezahlt sein,
dass ich davon meinen Lebensunterhalt bestreiten kann. Und davon sind wir
leider oft noch etwas entfernt.
Der Begriff des „Mental Load“
wird ja im Kontext von partnerschaftlicher Arbeitsteilung von vielen angeführt.
Du schreibst in dem Abschnitt „Wir müssen über Geld reden“ von einem „Financial
Load“, sind das zwei Seiten einer Medaille?
Ich glaube, 1 zu 1 übertragbar
sind die beiden Dinge nicht. Aber die (fast) alleinige Last des
Familienernährers ist für mich ein wichtiges Thema, über das zu wenig
besprochen wird. Dieses Modell ist nämlich immens gefährlich und sehr
belastend. Dem Alleinernährer darf nichts passieren, von seinem Gehalt lebt die
Familie. Kommt es doch zu einem Unfall oder einer schweren Erkrankung, wird es
richtig schwer für die Familie – nicht nur emotional, sondern auch finanziell.
Von den negativen Auswirkungen auf die Rentenansprüche der Frau ganz zu
schweigen – Kinder groß zu ziehen, ist ein großes Armutsrisiko im Alter.
Deshalb müssen wir dringend auch die „Last“ der Erwerbsarbeit besser verteilen
und dazu gehört auch die Überwindung des Gender Pay Gaps. Und wir Väter
gewinnen dabei nur: Wir müssen weniger arbeiten, müssen uns weniger Sorgen
machen, ob das Gehalt für alle wohl reicht und haben noch mehr Zeit für die
Kinder. Achja, Paare, die gleichberechtigt arbeiten, haben auch noch ein
deutlich höheres Familieneinkommen als Alleinernährer.
„Vereinbarkeit ist kein Sprint
sondern ein Marathon“ steht auf einer der letzten Seiten deines Buchs. Was
müssen Väter in jedem Fall beachten, damit sie die „Strecke“ durchhalten?
Familienleben ist hoch dynamisch.
Ständig tauchen neue Herausforderungen auf. Geschwister werden geboren,
Arbeitszeiten verändern sich, die Schulzeit beginnt, auch unvorhersehbare Dinge
wie Krankheiten bringen alte Routinen durcheinander. Deshalb muss ich auch in
Sachen Vereinbarkeit ständig nachjustieren und immer wieder neue Wege und
Lösungen suchen. Denn alles was gestern noch reibungslos klappte, kann morgen
schon völlig unpassend sein. Deshalb ist es wichtig, im Gespräch zu bleiben und
sich auch als Eltern-Team regelmäßig zu fragen, ob die vor zwei Monaten oder
zwei Jahren getroffenen Entscheidungen noch heute passen oder ob gegengesteuert
werden muss. Das ist glaube ich das wichtigste Rezept beim Durchhalten. Am Ende
müssen einfach alle Beteiligten zufrieden sein.
Das ist der Titel des ‚konstruktiven Buches‘ von Birk
Grüling, Jahrgang 1985 und selbst Vater eines Sohnes. Konstruktiv in dem Sinne,
dass er Vereinbarkeit für möglich hält und sich vor dem Hintergrund der eigenen
Erfahrungen selbstkritisch mit den Möglichkeiten und Hindernissen
auseinandersetzt. Diese subjektive Perspektive wird ergänzt durch die
Perspektive von 16 Praktiker:innen, Coaches, Therapeut:innen, Trainer:innen und
Personalverantwortlichen sowie zahlreichen Vätern und Müttern, die ihr Ringen
um eine gemeinsame Lösung beschreiben.
„Eltern als Team“, das ist die Übersetzung des seit langem geäußerten
Wunschs junger Mütter und Väter nach einer partnerschaftlichen Aufteilung von
bezahlter Erwerbsarbeit und unbezahlter Familien- bzw. Care-Arbeit.
Vereinbarkeit geht nur gemeinsam, wenn überhaupt.
Es ist noch gar nicht so lange her, dass sich ebenfalls
Journalist:innen, Marc Brost und Heinrich Wefing mit „Geht alles gar nicht“ und
Susanne Garsoffky und Britta Sembach mit „Die Alles ist möglich-Lüge: Wieso
Familie und Beruf nicht zu vereinbaren sind“ ganz anders positioniert haben.
Aber auch Grüling macht an dieser Stelle keine falschen
Versprechungen. Vereinbarkeit ist kein Sprint, den Mann oder Frau mal eben
abläuft, sondern ein Marathon, der den permanenten Austausch zwischen Vater und
Mutter erfordert. Und damit beginnen die werdenden Eltern am besten vor der
Geburt.
Damit meint der Autor nicht nur die ‚Geburtsvorbereitung und
den „Nestbau“, er skizziert quasi als Vorbereitung auf die Vereinbarkeit für
eine gemeinsame ‚Familienvision‘ die natürlich voraussetzt, dass auch der
werdende Vater eine Vorstellung davon entwickelt, welcher Vater er sein möchte.
Wie dieser Visionsentwicklungsprozess aussehen kann, beschreibt er sehr
anschaulich. „Die erste Frage für dich wäre also: Welches Bild von mir als
Vater … habe ich selbst?“ und dabei geht es natürlich auch um die
Auseinandersetzung mit den Erfahrungen mit dem eigenen Vater bzw. der eigenen Mutter.
Die Hinweise und Fragestellungen die Grüling an dieser, aber
auch an vielen anderen Stellen formuliert, sind ein passendes Angebot und
verleiten wirklich dazu, sich auf die entsprechenden Situationen und
Herausforderungen einzulassen und im Anschluss daran, das Gespräch mit der
Partnerin zu suchen.
Apropos Partnerschaft, dass es nicht nur um eine möglichst
optimale und gleichberechtigte Aufgabenteilung geht, sondern um die Pflege
einer Beziehung und die Selbstsorge, macht er in einem eigenen Abschnitt
deutlich. Wie wichtig dies ist, macht das Zitat zu Beginn dieses Abschnitts
deutlich, dass Jeder und Jede kennt, die schon einmal geflogen ist: „Im
unwahrscheinlichsten Fall eines Druckverlusts falle automatisch
Sauerstoffmasken aus der Kabinendecke … Atmen Sie normal weiter. Helfen Sie
danach Kindern und hilfsbedürftigen Menschen.“ Nur in dieser Reihenfolge
gelingen Beziehungen, Vereinbarkeit und Erziehung von Kindern.
Weitere Themen sind Elternzeit, Bedeutung und Auswahl von
Kinderbetreuungseinrichtungen und die Routine, die sich irgendwann einstellt.
Grüling spricht in diesem Zusammenhang auch von den „Drei Säulen der
Vereinbarkeit“ und macht deutlich, dass sich zwar jedes werdende und gewordene
Elternpaar für ihren Weg entscheidet, dass die Gestaltung der Rahmenbedingungen
keineswegs nur Privatsache ist.
Diese eröffnen Möglichkeiten oder engen sie ein. Das fängt
bei Regelungen im Steuer- und Sozialversicherungsrecht an, geht über die
Kinderbetreuung und hört bei Regelungen zur Arbeitszeit noch lange nicht auf.
Die „30 Stunden Woche“ taucht an vielen Stellen als Option auf und es wird
deutlich, dass diese in der Lebensphase mit kleinen Kindern, der Weg sein kann,
„Mental- und Financial Load“ gerecht zu verteilen und Väter und Mütter in die
Lage zu versetzen, als Team zu agieren.
„Noch nie standen die Chancen besser, mit alten Werten zu
brechen, der Last des alleinigen Ernährers zu entfliehen und die eigene
Vaterrolle neu und anders zu gestalten.“ Lautet eine der Kernaussagen des
Buchs, dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund der Erfahrungen, die Familien
in den vergangenen 14 Monaten gemacht haben. Der Ratgeber von Birk Grüling ist
bestens dazu geeignet, die richtigen Lehren aus dieser Zeit zu ziehen und sich
als werdende oder gewordene Väter und Mütter mit der eigenen Zukunft als Eltern
und Paar auseinanderzusetzen.
„… Eltern sind Zufluchtsort, Schule, Zuhause. Sie
organisieren, reparieren, moderieren, schleppen, planen, lachen, weinen,
heilen, hören zu und geben Halt. Sie sind 24/7 im Dienst, nie gleichgültig und
sie sind zu Recht die ganze Welt für ihre Kids. Und eine Inspiration für uns.
Dies ist euer Film, liebe Eltern.
Ob Mutter-Vater, Regenbogenfamilie, Alleinerziehende oder
Patchwork-Modell, wir sehen und erleben in unseren Filialen Tag für Tag, was
ihr für eure Liebsten leistet. Mit guter Miene und gutem Essen sorgt ihr dafür,
dass zu Hause die Welt in Ordnung bleibt. Ihr seid wahre Elternhelden! Danke,
dass wir für euch da sein dürfen.“
Einen
Überblick über aktuelle Forschungsergebnisse auf Grundlage der
Datenerhebung AID:A 2019 über die Zeit vor Corona bietet die Publikation
„Aufwachsen in Deutschland 2019. Alltagswelten von Kindern,
Jugendlichen und Familien“. Darüber hinaus ermöglichen aktuelle Analysen
breite Einblicke in Veränderungen seit dem Beginn der Pandemie zu
vielfältigen Themen wie Peerbeziehungen und soziales Engagement junger
Menschen, Anregungs- und Lernbedingungen ab der frühen Kindheit, die
Gestaltung des Familienlebens zwischen Homeoffice und Distanzlernen und
vieles mehr.
Die DJI-Forscherinnen und Forscher gehen etwa der Frage nach: Sind
Homeoffice und Notbetreuung wirksam gegen elterlichen Stress in der
COVID-19-Pandemie? Ihr Fazit: Homeoffice im Lockdown konnte nur bedingt
Vereinbarkeitskonflikte zwischen Familie und Beruf verringern, wobei
Mütter nicht im gleichen Maße profitieren konnten wie Väter.
Notbetreuungsmaßnahmen können den Pandemie-Druck auf das elterliche
Wohlbefinden nicht mindern, verhindern aber effektiv den Anstieg
negativen Erziehungsverhaltens wie häufiges „Wütend werden“. Diese
Wirkung ist auch Monate nach dem ersten COVID-19 Lockdown im März/April
2020 deutlich und statistisch signifikant messbar.
Freundinnen und Freunde gehören weiterhin zu den wichtigsten
Bezugssystemen von Jugendlichen. Sie knüpfen ihre Freundschaften vor
allem in der Schule, gestalten diese dann aber ebenso online wie offline
aus. Analoge und digitale Welten stehen sich somit nicht gegenüber,
sondern ergänzen und verbinden sich. Auch zu den Peerbeziehungen
Jugendlicher vor und während Corona liegen Daten vor. Während des ersten
Lockdown im Frühjahr 2020 haben sich junge Menschen vor allem an ihre
Eltern und Peers gewandt. Sie haben sich auf vielfältige Weise
engagiert, sich gegenseitig und andere unterstützt.
Ein weiteres Forschungsbeispiel sind Herausforderungen für Kinder und
ihre Familien vor und während der Pandemie. So spielt etwa beim
Distanzlernen das Elternhaus insbesondere bei der technischen
Ausstattung eine zentrale Rolle für das Zurechtkommen. Die Ausstattung
ist bei Schülerinnen und Schülern in benachteiligteren Lebenslagen
jedoch seltener vorhanden.