Wie soll man ein Gespräch mit jemandem beginnen, der nicht reden will?
Erstellt von Hans-Georg Nelles am Mittwoch 13. Oktober 2010
Giovanni di Lorenzo und Axel Hacke haben zusammen ein ungewöhnliches Buch geschrieben: Wofür stehst Du? Ein Plädoyer gegen die Gleichgültigkeit. Sie stellen die große Frage nach den Werten, die für sie maßgeblich sind – oder sein sollten.
Zwei Freunde, nahezu gleichaltrig, stellen fest, dass sie sich in Jahrzehnten über vieles Private ausgetauscht haben, Leidenschaften, Ehen und Trennungen, Erfolge, Ängste und Todesfälle, dass aber eines zwischen ihnen seltsam unbesprochen blieb: An welche grundlegenden Werte glaubst du eigentlich, wenn es nicht um dich, sondern um uns alle geht? Was ist wirklich wichtig in diesem Land? Für welche Ziele der Gemeinschaft bist du bereit, dich einzusetzen? Kurz: Wofür stehst du?
Im Gespräch mit dem Berliner Tagesspiegel äußert sich Axel Hacke auch zum Verhältnis zu seinem eigenen Vater:
‚… Sehr offen erzählen Sie vom schwierigen Verhältnis zu Ihrem Vater. War das nur möglich, weil er bereits gestorben ist?
Ja, und ich glaube, das geht vielen Autoren so. Uwe Timm konnte das Buch über seinen Bruder und seinen Vater auch erst schreiben, weil die schon gestorben waren. Viele Dinge, die ich über meinen Vater schreibe, hätte ich lieber mit ihm besprochen. Leider war das nicht möglich. Erstens, weil mein Vater relativ früh gestorben ist, und zweitens, weil es die Ebene dafür nie gab. Mein Vater gehörte dieser traumatisierten, nicht sprechfähigen Kriegsheimkehrer-Generation an. Wie soll man ein Gespräch mit jemandem beginnen, der nicht reden will? Damit war ich überfordert. Heute wäre ich es vielleicht nicht mehr.
War das Schreiben darüber eine Befreiung?
Ja, wenn man solche Dinge, die einen früher eher unbewusst bedrückt haben, in einen Text verpacken kann, dann sind sie aus einem raus, dann ist man freier davon. Trotzdem – abseits aller religiösen Fragen habe ich immer noch den ganz naiven Kinderglauben, dass man sich irgendwann wiedersieht. Ich habe das Gefühl, eines Tages stehe ich meinem Vater gegenüber und er fragt mich: Wie konntest du so persönliche Dinge über mich preisgeben? Das ist etwas, das schwierig bleibt.
Sie sprechen aber auch von einer Vaterliebe, die sogar die Verachtung der eigenen Kinder aushielt.
Das geht zurück auf die Zeit meiner Pubertät, in der ich maßlos gegen meinen Vater rebelliert habe, lange Haare bis zum Gürtel hatte und nie im Leben eine Krawatte getragen hätte. Trotzdem hat mir mein Vater einen Job in seinem Büro verschafft, wo alle seine Mitarbeiter jeden Tag gesehen haben: der Sohn vom Hacke sieht aus wie ein Gammler, wie man damals sagte. Das ist mir beim Schreiben erst klar geworden, dass man Vater da eine innere Solidarität zu mir hatte. Ein sehr rarer Moment, wo ich seine Liebe in aller Sprachlosigkeit gespürt habe.
Bleiben die Eltern Instanz über den Tod hinaus?
Das ist ja das Schwierige daran, wenn man selber Vater ist. Man weiß, man wird auch für die eigenen Kinder immer Instanz sein, wie verhält man sich da? Das ist ein unglaublicher Druck. Und die Fehler zu sehen, die man macht, ist schrecklich. Ich weiß, dass ich gegenüber meinen Kindern vieles falsch gemacht habe, und das einzige, was hilft, ist, sich klarzumachen, dass Fehler zum Leben dazugehören. …’