Vereinbarkeit – erst simulieren, dann leben
Erstellt von Hans-Georg Nelles am 11. März 2018
Alle reden von der Work-Life-Balance. Und viele bleiben auf der Suche nach dem Gleichgewicht, nach der Vereinbarkeit von Arbeit und Privatleben, doch erfolglos. Den Begriff Work-Life-Balance hält der Arbeitssoziologe Stefan Paulus allerdings für einen schwammigen Begriff. Der suggeriere, dass Arbeit nur Erwerbsarbeit sei, nur Job, und dass im wahren Leben gar keine Arbeit stattfände. ‚Das ist ein Unsinn. Kinderbetreuung, Pflege der Angehörigen, sich generell um Menschen und sich selber zu kümmern, ist auch Arbeit. Wir nennen es Sorgearbeit‘, sagt Paulus.
Das alles unter einen Hut zu bringen, ist nicht leicht. Vor allem junge Väter haben Mühe mit der Vereinbarkeit von Erwerbsarbeit und Privatleben. Und auch viele alleinerziehende Mütter landen in einem Burn-out, auch weil ihnen schlicht ein Partner fehlt, der zum Einkommen beiträgt. Gequält werden zudem viele wegen der dauernden Erreichbarkeit. «In einem Forschungsprojekt haben wir das Switchen genannt. Dieses ewige Hin und Her im Kopf. Laufend werden uns Informationen zugetragen, die wir verarbeiten müssen. Die Erreichbarkeit zwingt uns, dauernd zwischen verschiedenen Kontexten hin und her zu switchen. Das führe oft in Handlungswidersprüche. Ein Vater will einerseits ein guter Mitarbeiter sein, andererseits aber auch ein fürsorglicher Vater, der seine Kinder aufwachsen sieht.
‚Insbesondere Väter haben Mühe, über ihre Vereinbarkeit zu sprechen‘, sagt Paulus. Schwierig machen es ihnen Rollenbilder, in denen es besser ist, von einem Marathonlauf zu erzählen als vom Besuch des Kasperli-Theaters mit seinen Kindern. Nur kein Softie sein und als halber Mann zu gelten.
Für Paulus ist nicht nur die ständige Erreichbarkeit, sondern auch die Beschleunigung ein Problem. ‚Wir müssen immer mehr leisten innert kürzerer Zeit. Das führt zu einer Dynamik, die nicht mehr zu steuern ist. Die einen schaffen es, die Notbremse für sich zu ziehen, die anderen fallen in ein Burn-out‘, sagt Paulus.
Soziologen der Fachhochschule St. Gallen um Stefan Paulus haben deshalb einen Vereinbarkeits-Simulator entwickelt. Mit dem Vereinbarkeits – Simulator soll der Nutzer erkennen, was seine Belastungen und Wünsche sind. Der Simulator zeigt den Nutzern Konflikte, Unzufriedenheiten und messbare Belastungen, vor allem Zeitbelastungen. Anschließend schlägt der Simulator einen Plan vor, wie man vom Ist-Zustand zu einem erwünschten Soll-Zustand kommen kann.
Die Nutzer zeigen den Plan zuerst ihrer Familie, um dort eine Vereinbarung zu treffen. Danach ist der Zeitpunkt gekommen, um mit dem Chef darüber zu reden. Vielleicht um ein neues Arbeitsorganisationsmodell zu gestalten. Sollte weder mit der Familie noch mit den Vorgesetzten eine Einigung erzielt werden, kann der Nutzer damit noch einmal den Simulator füttern und einen erneuten Versuch machen.
Ein Gleichgewicht kann laut Paulus nur hergestellt werden, wenn man das Leben mit Erwerbsarbeit und Privatem als Ganzes betrachte.
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