Bericht vom Werkstattgespräch mit Thomas Wendland zum Thema
‚Väterarbeit im Strafvollzug‘
Schon im Kontext von Familienbildung sind Angebote für Väter
noch nicht ‚normal‘ in dem Sinne, dass Väter in dem Maße angesprochen und
erreicht werden, wie es ihrer Bedeutung für die Entwicklung von Kindern
entspricht. Diejenigen, die sich in der LAG-Väterarbeit zusammengeschlossen
haben tun sich mit dem Begriff ebenfalls schwer, aber einen besseren gibt es
bislang nicht.
Umso spannender war der Impuls von Thomas Wendland, der seit
17 Jahren mit Vätern in dem Kontext von Inhaftierung arbeitet. Er selbst
bezeichnet seine Tätigkeit als ‚Crossover‘ Tätigkeit, das heißt Jugendhilfe und
Straffälligenhilfe sind miteinander verknüpft „ein Unterfangen, das durchaus
manche Hürden mit sich brachte“. Das Angebot ‚Freiräume‘ arbeitet
NRW-weiteinzigartig in der Brückenfunktion von freier Straffälligenhilfe zur
Kinder-Jugend- und Familienhilfe und ist Teil des Arbeitsbereichs Straffälligenhilfe.
Hintergrund der Arbeit ist, das vielfach übersehen wird,
dass Kinder und Familien der Straffälligen indirekt auch Opfer sind bzw.
werden. Langfristige Folgen des Fehlens eines Elternteils können später
auftretende psychische Erkrankungen und Störungen bei der Entwicklung eines
eigenen Elternkonzepts sein.
In einem Bericht an den Deutschen Bundestag durch das
Institut für Menschenrechte wurde 2017 gefordert, gezielte Angebote für Kinder
von Inhaftierten zu machen, sich mit anderen betroffenen Kindern auszutauschen
und mit dem inhaftierten Elternteil in einen Beziehungskontakt treten zu
können. Diesen Anspruch löst ‚Freiräume‘ ein und gibt dem inhaftierten
Elternteil die Möglichkeit, ihre Verantwortung praktisch auszuüben und
erfolgreich wahrzunehmen.
Die Angebote reichen von Beginn der Strafverfolgung über die
Inhaftierung bis hin zur Reintegration und schließen das gesamte Familiensystem
ein. Im geschlossen Strafvollzug in Bielefeld Brackwede gibt es derzeit
folgende Angebote für Väter.
Bild1
Das Projekt ‚Kinderbesuchsweg‘ ist gemeinsam mit den
Bediensteten der JVA durchgeführt worden, die den Weg der Kinder hin zum
Besuchsraum kindgerecht gestaltet haben. Die Paarberatung kann bei Bedarf auch
ohne Anwesenheit eines Beamten in Form eines „normalen Beratungssettings unter
8 Augen durchgeführt werden“. Auch das ist ein Ergebnis der jahrelangen
Kooperation und des Standings des Trägers.
Für die Teilnahme an der Vater-Kind-Gruppe gibt es eine
Reihe von formalen Voraussetzungen, kritisch kann es aber insbesondere dann
werden, wenn die Mutter keinen Kontakt zum Vater mehr haben will und die Frage
im Raum steht, ob sie es den Kindern ermöglichen möchte, den Kontakt zu ihrem
Vater aufrecht zu erhalten. Auch hier bietet ‚Freiräume‘ Beratung an.
Die Ergebnisse einer internationalen Studie zu dem Thema aus
dem Jahr 2012, bei der die Auswirkungen der Inhaftierung eines Elternteils auf
die Kinder untersucht wurden, spricht die eindeutige Empfehlung aus: um diese
negativen Folgen zu vermeiden oder zu lindern ist ein direkter, physischer und
interaktiver Eltern-Kind-Kontakt erforderlich.
Bild2
Die Themen der 14 tägigen Vätergruppe im geschlossenen
Vollzug, an der 6 bis 10 Väter teilnehmen, leiten sich aus den Haftbedingungen
und den eingeschränkten Möglichkeiten des Vaterseins ab:
Vatersein in einer totalen Institution
Spannungsverhältnis Vaterschaft – Täterschaft
Wie sag ich’s meinem Kinde?
Distanz erschwert kindgerechten Umgang
Emotionales Dabeisein – Entwicklung des Kindes
Rollenbild als Vater verändert sich
Die Effekte der Angebote ist durchweg positiv, unter anderem
steht bei der Entlassungsvorbereitung ein größeres Helfernetzwerk zur Verfügung
und der Häftling hat Perspektiven für die Zeit nach der Haft. Illustriert wurde
der Impuls durch Video- und Audiosequenzen mit Stimmen von Vätern und Kindern,
die berichten, was sie während der Besuche erleben und was die Väterarbeit im
Strafvollzug ihnen bringt.
In dem folgenden Gespräch ging es dann unter anderem um die
Frage, welche Möglichkeiten inhaftierte Väter haben, einen Kontakt zu und einen
Umgang mit ihren Kindern durchzusetzen, wenn die Mütter diesen nicht wollen:
den sicherlich schwierigen Weg über die Jugendämter. Durch welche Angebote
Angehörige unterstützt werden können, während die Kinder in der Vater-Kind -Gruppe
teilnehmen. Viele haben eine längere Anreise und die JVA’s liegen außerhalb
dicht besiedelter Räume.
Zu den Erfolgskriterien der Arbeit äußerte Thomas Wendland
unter anderem, einen langen Atem, die Ansprache und Einbeziehung der
Bediensteten, aus der Kinder gehören nicht in eine JVA Haltung hat sich seiner
Meinung nach eine echte Willkommenskultur entwickelt, sowie die Tatsache dass
es eine Kooperation zwischen einer JVA und einem externen Träger ist, der
Kompetenzen zu (fast) allen nachgefragten Themen zur Verfügung hat.
Take away für die Väterarbeit
Die systemische Herangehensweise
Den Vätern Verantwortung geben
In einem schwierigen Umfeld für die Anliegen von
Vätern einstehen und werben
Argumente aus der Wissenschaft zu Hilfe nehmen
Literaturhinweise
Jens Borchert, Für eine Familienorientierung im
Strafvollzug, Grundlagen, Praxisansätze, Konzeptentwicklung; Freiburg 2018
Thomas Engelhardt, Monika Osberghaus; Im
Gefängnis, Ein Kinderbuch über das Leben hinter Gittern; Leipzig 2018
Leben die Eltern nicht mehr zusammen, sind Väter unzufriedener mit den Familienarrangements. Diese und weitere Erkenntnisse liefert eine aktuelle Studie der Eidgenössischen Kommission für Familienfragen (EKFF).
Zwei von fünf Ehen werden in der Schweiz geschieden. Bei
etwas weniger als der Hälfte der Scheidungen (46%) sind minderjährige Kinder
involviert. Doch über den Alltag und die Lebensumstände von Kindern, deren
Eltern nicht mehr zusammenwohnen, ist wenig bekannt.
Diese Lücke schließt eine Anfang Dezember publizierte Studie,
die von der Eidgenössischen Kommission für Familienfragen (EKFF) in Auftrag
gegeben wurde. Diese basiert auf einer repräsentative Onlinebefragung, an der
fast 3000 getrenntlebende Eltern und 244 Jugendliche teilgenommen haben.
Demnach sind fast drei Viertel der Kinder regelmäßig bei
beiden Eltern sind und übernachten auch dort. Allerdings verbringt die Hälfte
der Kinder im Alltag mindestens zwei Drittel der Nächte bei der Mutter.
Weiter legt die Studie dar, dass die Betreuungsanteile von
Mutter und Vater vor der Trennung das Familienarrangement nach der Trennung
beeinflussen. So sei es wahrscheinlicher, dass die Kinder später beim
überwiegend betreuenden Elternteil wohnen, wenn bereits vor der Trennung eine
ungleiche Aufteilung herrschte.
Das gelebte Familienarrangement hängt eng mit dem
Ausbildungsniveau der Eltern – und somit ihren Verdienstmöglichkeiten – zusammen.
So ist der Anteil der Kinder, die in beiden Haushalten wohnen, bei Eltern ohne
Berufsabschluss deutlich tiefer (33%) als bei jenen mit Hochschulabschluss (62%).
Solche Arrangements sind der Studie zufolge in erheblichem Maß eine Frage der
finanziellen Ressourcen.
Drei Viertel der Mütter und zwei Drittel der Väter haben in
der Studie angegeben, dass die aktuelle Lösung für ihre Situation die beste
sei. Bei näherem Hinschauen zeigt sich aber, dass die Väter in allen
Familienarrangements weniger zufrieden sind als die Mütter. ‚Die
Unzufriedenheit der Väter richtet sich insbesondere auch gegen die Aufteilung
der finanziellen Lasten zwischen ihnen und den Müttern‘, schreiben die
Forschenden. …
Eine weitere Erkenntnis, welche die Studie liefert: Eltern
beteiligen die Kinder nach der Trennung häufig nicht an Entscheidungen zum Betreuungsmodell.
‚War ein Kind bei der Trennung zwischen 8 und 17 Jahre alt, so hat ca. die
Hälfte der Eltern es beim Aushandeln des Familienarrangements nach seinen
Wünschen gefragt‘, schreiben die Autor*innen. War das Kind jünger, sinkt der
Anteil auf knapp einen Viertel.
Eine
Inhaftierung trifft nicht nur den Inhaftierten selbst, sondern auch
seine Angehörigen und ganz besonders Kinder. Angebote zur
Aufrechterhaltung sozialer und familiärer Bindungen während der Haftzeit
haben eine große Bedeutung: sie sind eine wichtige Stütze für den
Inhaftierten während der schwierigen Zeit der Haft dar und sind
mitentscheidend für eine erfolgreiche Resozialisierung. Der regelmäßige
Kontakt zu dem inhaftierten Vater bzw. Mutter ist zudem ein Grund- und
Menschenrecht jedes Kindes und in der Regel bedeutsam für die kindliche
Entwicklung.
Vor diesem Hintergrund haben sich die Fraktionsvorsitzenden der
Grünen, Stefan Engstfeld und Josefine Paul im Dezember 2021 mit einer
Kleinen Anfrage an die damalige Landesregierung gewandt, um zu erkunden,
wie familiensensibel der Strafvollzug in NRW ist.
Gibt es mittlerweile in allen Justizvollzugsanstalten in
Nordrhein-Westfalen spezielle Kinderbesuchsräume? (tabellarische
Auflistung nach Justizvollzugsanstalt und Jahr der Inbetriebnahme wird
erbeten)
Gibt es in allen Justizvollzugsanstalten familiensensible
Besuchszeiten und -dauern mit Rücksicht auf Schulzeiten und eventuell
lange Anfahrtswege? (tabellarische Auflistung nach
Justizvollzugsanstalt, Besuchszeit und -dauer wird erbeten)
Gelten die besonderen Familienbesuchsmöglichkeiten für sämtliche
Familienkonstellationen (Patchworkfamilien, nicht-leibliche Kinder)?
Welche Angebote gibt es für inhaftierte Eltern (Kurse, Gruppen,
Therapie) bzw. für Angehörige von Inhaftierten (für Kinder Inhaftierter,
Lebenspartnerinnen und -partner, Eltern)? (tabellarische Auflistung
nach Justizvollzugsanstalten wird erbeten)
Welche Fortbildungsangebote gibt es für Bedienstete von Justizvollzugsanstalten zum Thema familiensensibler Justizvollzug?
Die am 19. Januar 2022 erfolgte Antwort zeichnet fast ein Idealbild:
Nahezu alle Justizvollzugsanstalten Nordrhein-Westfalens verfügen
über kindgerecht gestaltete und eingerichtete Besuchsräume. Fröndenberg
seit 1990, Münster als Schlusslicht seit 2019. Lediglich in Hagen gibt
es im Besuchsraum nur eine Spielecke.
Familiensensible Besuchszeiten gibt es in allen Haftanstalten und
diese gelten für alle Familienkonstellationen. Die Frage nach den
Anfahrtszeiten (und die Anbindung an den öffentlichen Nahverkehr)
bleiben unbeantwortet. Da die Justizvollzugsanstalten oftmals in
Randgebieten angesiedelt sind, stellen diese für die ‚Restfamilie‘
oftmals eine große Herausforderung dar.
Für Bedienstete im Justizstrafvollzug hat die Justizakademie die
Fortbildung „Justizvollzug: Familiensensibler Straf-vollzug – Chancen,
Möglichkeiten und Grenzen“ im Programm.
Den größten Teil der Antwort bezieht sich auf die Angebote für die
inhaftierten Väter und Mütter und deren Angehörigen. Dass diese sich an
bestehende Beratungsstellen wenden können, ist selbstverständlich,
wichtiger ist da schon der Gebührennachlass für Angebote der
Familienbildung.
Aus Mitteln des Kinder- und Jugendförderplans NRW werden zwei
Angebote gefördert: die Fachberatungsstelle ‚Freiräume“ der Diakonie für
Bielefeld sowie das Projekt ‚Kinder in Familien mit Straffälligkeit –
Förderung und Prävention“ des SKM und Freie Straffälligenhilfe in Bochum
gefördert.
Darüber hinaus gibt es in fast allen Haftanstalten Angebote für
Inhaftierte und ihre Familien. Auch die Liste der Angebote für
inhaftierte Väter kann sich sehen lassen
Vater-Kind-Gruppe: Hier haben die Kinder die Möglichkeit, jeweils
mit ihren Vätern in ausreichender Zeit gemeinsam zu spielen, zu basteln,
zu reden und zu lachen. Durch diese kindgerechten Kontaktmöglichkeiten
im Vollzug wird den Elternteilen ermöglicht, auch während der Haft eine
gute und kindgerechte Beziehung zu ihren Kindern zu pflegen. Die Kinder
werden dadurch in dieser schwierigen Situation besonders unterstützt.
(Bielefeld)
Väter-Gruppe: Verpflichtend für die Väter, die an der Vater Kind
Gruppe und an dem Familientreffen teilnehmen. In der Vätergruppe werden
die jeweiligen Gruppen mit den Kindern vor- und nachbereitet. Die
Elternteile bekommen von den Gruppenteilnehmern und von den Teamern eine
Rückmeldung zu dem Kontakt mit dem eigenen Kind. Ferner werden Rituale
wie Kindergeburtstag, saisonale Feste besprochen, vorbereitet und
umgesetzt.
Darüber hinaus finden 13 thematische Einheiten statt (Auseinandersetzung
mit der eigenen Elternerfahrung, Elternverantwortung ganz praktisch
trotz Vollzug, was ist für Kinder wichtig, wie erzählen / erklären sie
ihrem Kind ihren Aufenthalt; kindgerecht). Zudem werden spezielle
Einheiten zu Erziehungsthemen (welche Bedürfnisse haben meine Kinder?
Was tut Kindern gut? Guter Vater- Schlechter, Vater, Medienkonsum usw.
angeboten. (Bielefeld)
Vätergruppe: Die Gruppen sind konzeptionell offen gestaltet und
dienen u.a. dem fachlich begleiteten Austausch über Erziehungsinhalte.
(Duisburg)
Vater-Kind-Gruppe: Mehrstündige Treffen von Vätern und ihren Kindern
in ungezwungener Atmosphäre bei Sport-, Spiel-, und anderen
Freizeitaktivitäten. (Essen)
Vater-Kind-Tag: von 10-15 Uhr können Kinder ihre Väter besuchen und mit ihnen ungestört spielen, basteln und essen (Geldern)
Einmal jährlich Durchführung einer Gruppe für inhaftierte Väter:
„Lass das mal den Papa machen“. Acht Sitzungen mit Themen rund um das
Kind und das Vatersein auch unter Berücksichtigung der speziellen
Situation in Haft. (Heinsberg)
Zweimal jährlich ein dreimonatiges Väterseminar mit Familientag.
Dieses beinhaltet 10 Sitzungen zu ca. 1,5-2 Stunden plus den Familientag
von 3 Stunden in der hiesigen Kirche. (Herford)
Vätergruppe für werdende und junge Väter: Inhalte u.a.:
Rollenverständnis; Was bedeutet es Vater zu sein? Wie und wo bekommen
jungen Familien Hilfe? (Hövelhof)
„Papa liest“: Die Väter lesen aus einem, vorab von ihnen
ausgesuchtem, Kinderbuch vor. Das Gelesene wird, mit Hilfe eines
Mikrofons, auf einem Datenträger aufgezeichnet und im Anschluss mit dem
Buch und einem persönlichen Brief an das Kind nach Hause versandt.
(Remscheid)
„Papa, mein Superheld“ – Triple P: An zwei Samstagen im Jahr findet
ein Erziehungskompetenztraining (Triple P) mit einer externen Fachkraft
statt. (Remscheid)
Gruppe „Vater sein im Gefängnis“: Das Gruppenangebot richtet sich an
inhaftierte Väter und soll diesen die Möglichkeit bieten, ihre
Vater-Kind Beziehung zur stärken. Die Teilnehmer haben die Gelegenheit,
sich mit anderen Vätern auszutauschen und Erziehungsfragen zu
besprechen. (Werl)
Zusammengenommen kommt (fast) keine Familienbildungsstätte an so ein
väterspezifisches Programm heran. Vor dem Hintergrund, dass in NRW ca.
16.000 Männer inhaftiert sind, sind die Angebote jedoch ein Tropfen auf
dem heißen Stein. Dazu kommt, dass sie in den Jahren 2020 und 2021
bedingt durch die Corona Pandemie zum größten Teil nicht stattgefunden
haben.
Bei dem nächsten Werkstattgespräch am 5. Dezember wird Thomas
Wendland, der bei der Diakonie in Bielefeld die Vater-Kind Angebote in
der dortigen JVA durchführt über seine Arbeit und deren Wirkungen auf
die inhaftierten Väter und ihre Kinder berichten.
Hier können Sie sich zu dem Werkstattgespräch anmelden
„Ich kam nach Hause und habe gefragt, wo Papa ist. Da hat
Mama gesagt, was Sache ist. Und da war ich sehr, sehr traurig, weil ich ja
gewohnt war, dass mein Vater und meine Mutter da sind.“
Rund 62.000 Inhaftierte gibt es in Deutschland, die meisten
von ihnen sind Männer. Zwei Drittel, so schätzt man, haben Kinder unter 18
Jahren. Um die 100.000 Jungen und Mädchen können es sein, die damit leben
müssen, dass Vater oder Mutter im Gefängnis sitzen.
Immer mehr Haftanstalten beginnen damit, auch die
Angehörigen in den Blick zu nehmen. Oftmals ist diese eine Kooperation von
Gefängnisseelsorge, Straffälligenhilfe und Justiz. In einigen JVA‘s gibt es
inzwischen Langzeitbesuche über mehrere Stunden, Familientreffen,
Vater-Kind-Treffen, Familien-Sonntage oder Väter- bzw. Müttergruppen. Nur
wenige haben umfangreiche Angebote für die ganze Familie.
In Nordrhein-Westfalen gibt es 36 Gefängnisse mit insgesamt ca.
16.000 Inhaftierten. Vorreiter für einen familienorientierten Strafvollzug ist
die Anlaufstelle ‚Freiräume‘ der Diakonie für Bielefeld. Sie ist seit 15 Jahren
Kooperationspartner des geschlossenen Vollzugs in Bielefeld-Brackwede.
Einige europäische Länder wie etwa Dänemark, Schweden oder
die Niederlande sind viel weiter als Deutschland, was familienfreundlichen
Strafvollzug angeht. In Dänemark zum Beispiel gibt es sogar Kinderbeauftragte,
die Verbesserungsvorschläge erarbeiten. Die dortigen Erfahrungen zeigen deutlich:
Familienorientierter Strafvollzug lohnt sich auch für die Gesellschaft. Die
Rückfallquoten sinken, die Resozialisierungschancen steigen. Das hat auch
Robert Dammann, der ehemalige Leiter der JVA Bielefeld-Brackwede, festgestellt:
„Die Väter sehen wir nie wieder. Das ist eine wunderbare
Begleiterscheinung dieses Projekt. Weil ich glaube, das haben mir auch viele
Väter so gesagt, dass sie so in die Pflicht genommen worden sind, auch
bezüglich ihrer Kinder, dass sie alles dransetzen, da nicht eine weitere
Enttäuschung zu setzen. Da hilft dieses Projekt 100 Prozent.“
Thomas Wendland arbeitet als Sozialpädagoge in der
Anlaufstelle ‚Freiräume‘. Er wird bei dem Werkstattgespräch am Montag, den 5.
Dezember über seine Väter – Arbeit im Strafvollzug berichten und aufzeigen, was
Kinder brauchen, deren Vater oder Mutter im Gefängnis sitzen oder gerade haftentlassen
sind.
„Wir werden zwar unterstützt in dem, was wir machen. Aber
es ist eben noch eine Menge Weg vor uns, um diesen Blick für die Familie
wirklich ganz im Vollzug drin zu haben.“ Thomas Wendland
Hier können Sie sich zu dem Werkstattgespräch anmelden.
Marius Kronsberger hat einen schonungslos ehrlichen Bericht
über seine 365 Tage Elternzeit mit den Zwillingen Franz und Isa geschrieben. Unter
der Überschrift ‚Von einem der heimging um bei seinen Kindern zu sein‘
schildert er, was ein Jahr Elternzeit mit ihm als Papa gemacht haben und fasst
im letzten Teil des Buches, am Ende der Elternzeit, seine Erfahrungen zusammen
und ermutigt zukünftige Papas, ebenfalls möglichst lange und alleine Elternzeit
zu machen.
Aber der Reihe nach. Ein beschissener Anfang, Franz kotzt,
er hat Magen Darm und … die erste Woche zieht sich bis zum ‚ockerfarbenen
Freitag‘. Kronsberger führt während seiner Elternzeit Tagebuch und zitiert beschissene
und freudige Erlebnisse. Dabei fasst er seine Erlebnisse in den unterschiedlichen
Phasen der Elternzeit thematisch zusammen und verdichtet diese.
Zum Beispiel ‚Das Denken der Anderen‘: „Die Leute gucken. Sie
gucken mich an und die Kinder. Es gibt unterschiedliche Reaktionen. Oft
bekommen wir ein Lächeln geschenkt, insbesondere von älteren Frauen. Männer,
vor allem jüngere, grinsen manchmal doof.“ Diese Blicke und die Gespräche, die
sich manchmal daraus entwickeln spiegeln den Blick auf einen Vater in
Elternzeit in einer deutschen Kleinstadt wider. „Im Kern meinen es die meisten
Menschen ja gut mit uns, selbst wenn sie über mein Geschlecht verwundert sind.“
Das alles erlebt der Autor im Jahr 2020, vierzehn Jahre nach
der Einführung des Elterngeldes können sich manche Menschen sich immer noch
nicht vorstellen, dass ein Vater das freiwillig macht. Aber damit kann der
Autor nach einer Weile gut umgehen. Was ihn, und alle anderen Mütter und Väter
aus den Socken haut, sind die Meldungen vom Freitag, den 13. März 2020: Für
Montag wird der erste Lockdown verbunden mit der Schließung der Kitas und
Schulen und der Sperrung der Spielplätze verhängt.
„Ich habe keine Ahnung, wie ich die nächsten fünf Wochen mit
drei Kindern zu Hause und ohne Aktivitätsangebote überstehen soll. Das wird
echt hart.“ Ja das war hart und Kronsberger beschönigt nichts. „Die globale
Kris ist vermutlich noch lange nicht beendet. Meine aber zum Glück schon. Ich
bin wieder zu Kräften gekommen, bin nicht mehr so dünnhäutig. Am Ende gehe ich
gestärkt und mit dem Wissen um eine Grenzerfahrung aus dieser Zeit.“
Die Erfahrungen führen zu einem Perspektivwechsel, den der
Autor nicht nur möglichst vielen Vätern, sondern auch vielen Führungskräften an
Herz legt. Sie würden mit den Anliegen ihrer Mitarbeitenden anders umgehen,
wenn sie einmal selbst verantwortlich mit diesen vermeintlichen Lappalien umgehen
müssten.
Dieser Perspektivwechsel hat einen Preis, auch das spricht
Kronsberger ehrlich an. Er hat sich am Ende der Elternzeit dafür entschieden,
nicht in Vollzeit in den Job zurückzukehren. Die Erfahrungen der Elternzeit
haben ihm geholfen, den gesellschaftlichen Druck der Arbeitswelt abzustreifen. „Die
Angst um den Job war eine der größten Hürden.“ Aber, „die Nähe zu meinen
Kindern und die Zeit mit ihnen sind mir mehr wert als ein großer
Karriereschritt.“
Die Erfahrungen sind aber auch für Arbeitgebende attraktiv:
Er sei mit viel mehr Wassern gewaschen als vorher und die Persönlichkeit ist in
vielen Facetten gereift. So beschreibt er fast bescheiden den Zuwachs an sozialen
Kompetenzen, die Mann, und natürlich auch Frau im täglichen Umgang mit Kindern erwirbt
und weiter entwickelt.
Vor diesem Hintergrund ist das ‚Sendungsbewusstsein‘ mit dem
er andere (werdende) Väter ermutigen möchte, diese Erfahrungen auch zu machen
nur zu verständlich.
„Nimm richtige Elternzeit, weil: sie dich verändern wird, du
eine völlig neue Perspektive auf das Leben kennenlernen wirst, deine Grenze
zwischen wichtig und unwichtig verschoben wird, diese Zeit eine riesige Chance
ist (und zwar für dich) und du danach eine enge Beziehung zu deinen Kindern
hast, die du anders nicht erreichen kannst!“
Um den Vätern ihre Entscheidung zu erleichtern, fasst er am
Ende seine Erkenntnisse in ‚10 Soft Skills‘ zusammen. Der Hinweis mit dem
Gefrierschrank stammt aus dem siebten: „Löse Probleme erst, wenn du sie hast.“
Das können Väter getrost auch auf ihre Sorgen bezüglich der
Reaktion ihres Arbeitgebenden auf den Wunsch länger als zwei Monate in
Elternzeit gehen zu wollen, beziehen. Freudensprünge werde in der Regel ausbleiben,
aber das Gespräch wird sich schnell um die Frage drehen, wie eine gute Lösung
für die Zeit der Abwesenheit gefunden werden kann.
Das Buch von Marius Kronsberger liefert ansonsten alle Argumente,
die ein Vater braucht, sich für diesen Schritt zu entscheiden und gemeinsam mit
der Partnerin auszuhandeln, wer, wann was in welchem Umfang macht. Eine gleichmäßige
Aufteilung von Erwerbs- und Carearbeit führt, das soll nicht verschwiegen
werden, auch zu einer Steigerung der Partnerschaftsqualität.
Das knapp 150seitige Buch von Marius Kronsberger ist in meinen Augen ein ‚must read‘ für werdende Väter und jede und jeder, der sich fragt, was er einem solchen schenken kann, ist mit 14,90 € dabei.
im Oktober hat die LAG-Väterarbeit in NRW eine Kurzumfrage mit 5 Fragen zur Bedeutung von Vätern in der Geburtshilfe gestartet. Die erste Frage lautete:
Welche Bedeutung haben Väter Ihrer Meinung nach bei der Geburt?
Wichtig bzw. sehr wichtig antworteten 93%. Spannend ist bei dieser Frage der Blick auf die Unterschiede zwischen Männern und Frauen. Von den 98 Antwortenden haben sich 65 dem männlichen und 30 dem weiblichen Geschlecht zugeordnet. Drei haben keine Angaben gemacht.
Während die Einschätzung, sie haben gar keine oder eine geringe
Bedeutung gleichermaßen selten geäußert wird sind prozentual mehr Frauen
der Überzeugung, dass werdende Väter bei der Geburt unabkömmlich sind
als Männer. Eine große Mehrheit von 63% bzw. 73% schätzen ihre Rolle bei
der Geburt aber als wichtig ein.
Frage 2: Kennen Sie Angebote für Väter sich auf die Geburt bzw. aufs Vaterwerden vorzubereiten?
Im Durchschnitt kennen 58% der Antwortenden Angebote zur
Geburtsvorbereitung für Väter. Während aber lediglich 52% der Väter
entsprechende Angebote bekannt sind, äußern über 73% der Frauen diese
Angebote zu kennen.
Bei der Frage, welche Angebote bekannt sind, nennen 6 der 34 Männer
väterspezifische Angebote, bei den Frauen äußern drei, diese Angebote zu
nennen. Alle anderen Nennungen beziehen sich auf die Teilnahme an den
Kursen der Hebammen bzw. Paarkurse. …
Schlussfolgerungen für die Arbeit der LAG-Väterarbeit
Väter ‚spielen‘ bei der Geburt eine bedeutsame Rolle, vor, während
und unmittelbar nach der Geburt werden Weichen für väterliches
Engagement und eine partnerschaftliche Arbeitsteilung gestellt.
In diesem Kontext sind passende Angebote für Väter sind ein
unbedingtes Muss und die gemeinsame Vorbereitung im Rahmen eines
Hebammenkurses kann diese nicht ersetzen.
Im Rahmen dieser Angebote, die es bislang nur vereinzelt, vor allem
in städtischen Ballungszentren gibt, brauchen Väter Möglichkeiten, sich
mit anderen (werdenden) Vätern auszutauschen, alleine und gemeinsam mit
ihren Kindern, sich als bedeutsam für die Entwicklung ihrer Kinder zu
erleben und diese Bedeutung auch gesellschaftlich zugeschrieben zu
bekommen.
Für die Schaffung der konkreten Angebote braucht es politischen Gestaltungswillen und die entsprechenden Mittel. Die allgemeine Anerkennung der Bedeutung von Vätern für die Entwicklung von Kindern ist vor allem eine Frage der Haltung. Sie einzunehmen erleichtert die Gestaltung der passenden Rahmenbedingungen, di nicht nur den Vätern, sondern auch den Kindern und den Partnerschaften zugutekommen.
So lautete die Überschrift in dem Abschnitt ‚Eckpunkte für
eine zukünftige Familienpolitik‘ in dem Familienbericht, den die
Landesregierung 2015 veröffentlichte. Dem Bericht zugrunde lagen die Auswertung
statistischer Daten, eine eigens durchgeführte Familienbefragung sowie die
Ergebnisse verschiedener Workshops an denen Familien und Expert*innen sich
beteiligen konnten. Als letzte Veranstaltung fand im November 2014 unter der
Überschrift ‚Vatersein in Siegen, Vater sein in NRW‘ ein Familiendialog an der
Universität in Siegen statt.
Hier wurden bereits die Ambivalenzen und Widersprüche
deutlich, mit denen Väter und Mütter, nicht nur in NRW, konfrontiert werden. ‚Väter
sehen sich nicht mehr länger nur in der Rolle des Ernährers, sondern möchten
sich aktiv an der Betreuung und Erziehung ihrer Kinder beteiligen. Bei der Familienbefragung
für NRW haben 42 Prozent der Väter erklärt, dass sie es ideal fänden, wenn
beide Elternteile in gleichem Maße erwerbstätig sind und sich um Haushalt und
Familie kümmern.‘
Die Ursache – Wirkung – Kette‘ wird in dem Bericht
folgendermaßen beschrieben: Dies spiegelt die individuellen Wünsche der Väter,
mehr Zeit mit ihren Kindern verbringen zu können – stellt aber auch eine
Grundvoraussetzung für eine erhöhte Erwerbstätigkeit der Mütter dar. „Einspruch
Euer Ehren“ würde es jetzt vor Gericht lauten. Hat doch die gleiche
Landesregierung bei der Prognos AG wenige Jahre zuvor eine Untersuchung in
Auftrag gegeben, wovon die Inanspruchnahme von Elternzeit in erster Linie
abhängt. Als die wichtigsten Faktoren wurden identifiziert:
die existierenden Kinderbetreuungsangebote
der Umfang der Berufstätigkeit von Frauen und
die Einstellung zur Betreuung von kleinen
Kindern durch eine andere Person als die Mutter
Insbesondere bei den beiden letzten
Kriterien liegt NRW weit zurück. Darüber hinaus konstatiert der Bericht: ‚die
im Bundesvergleich geringe Inanspruchnahme der Partnermonate beim Elterngeld
bei den Vätern in NRW belegt, dass auch Väter bei der Realisierung des von
ihnen gewünschten Familienmodells auf Widerstände stoßen. … Dass viele Väter
hiermit unzufrieden sind, ist bei den Familiendialogen sehr deutlich geworden:
Väter erklärten, sie hätten immer ein schlechtes Gewissen ihren Kindern
gegenüber, und sie beneideten ihre Partnerin um die Zeit, die diese mit den
gemeinsamen Kindern verbringen könne. Dazu passt, dass 24 Prozent der voll
erwerbstätigen Väter bei der Familienbefragung für NRW den Wunsch nach einer Reduzierung
ihrer Arbeitszeit geäußert haben.
Bei den Gründen, warum sie es nicht tun, spielten
finanzielle Erwägungen eine wichtige Rolle. Äußerungen aus den Familiendialogen
hätten aber auch gezeigt, dass viele Väter ihre Rechte im Hinblick auf eine
Teilzeittätigkeit nicht kennen. Als Ziel wird an dieser Stelle im Bericht
formuliert, die Entscheidungsspielräume für Eltern zu erweitern. Dazu „müssen
die traditionellen Geschlechterbilder für Frauen und Männer so verändert
werden, dass die wechselnden Phasen von Erwerbs- und Familienphasen nicht
länger zu unterschiedlichen Erwerbschancen von Frauen und Männern führen“.
Diese mechanistische Sichtweise karikiert das an sich
wünschenswerte Ziel ‚atmender‘ Lebensläufe von Vätern und Müttern. Verhalten
und noch mehr Haltungen lassen sich nicht durch Anweisungen verändern, sondern
dadurch, dass Väter und Mütter andere Erfahrungen machen können, z.B. durch
Elternzeiten und Verantwortungsübernahme in bislang „vernachlässigten“
Bereichen.
Hier setze die Arbeit der 16 Kompetenzzentren Frau und Beruf
an. Es gehe dabei auch um Strategien für eine bessere Vereinbarkeit von
Familie/Pflege und Beruf, flexible Übergänge zum Wiedereinstieg nach der
Elternzeit, aber auch bessere berufliche Entwicklungs- und
Aufstiegsmöglichkeiten für Frauen und die Gewinnung weiblicher Auszubildender
in frauenuntypischen Berufen.
Alles gut und EU finanziert, aber was unternimmt die Landesregierung um Vätern
neue Erfahrungen zu ermöglichen? Dazu ist im Familienbericht zu lesen: Mit
ihrem Portal „www.vaeter.nrw.de“informiert die Landesregierung über
Wege zu einer aktiven Vaterschaft. Sie fördert außerdem eine Fachstelle für
Väterarbeit. Zusätzlich wird sie die Diskussion über die Bedeutung von Vaterschaft
stärker in die Gesellschaft hineintragen. Ziele einer Öffentlichkeitskampagne
sind deshalb u. a.:
die Attraktivität der Vaterrolle für Männer zu
steigern,
die Sensibilisierung der Öffentlichkeit für die
mit dem Rollenwandel einhergehenden Anforderungen,
die Bedeutung einer aktiven Vaterschaft für die kindliche
Erziehung darzustellen und
die notwendigen Aushandlungsprozesse von Eltern zu
begleiten.
Die Kampagne ist knapp 9 Monate nach der Veröffentlichung
des Familienberichts Ende Juni 2016 mit einer Plakataktion gestartet. Besonders
wirksam war der Aufbau eines SocialMedia Auftritts bei Facebook, bei dem
wöchentlich Erfahrungsberichte von Vätern publiziert wurden und der innerhalb
weniger Monate mehr als 8.000 Follower hatte.
Bereits fünf Monate vor dem Start der Kampagne fand der
ebenfalls im Bericht erwähnte Familiengipfel statt. In der Erklärung ist u.a.
zu lesen, „… dass Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber mit Müttern und Vätern
gemeinsam das Gespräch über die unterschiedlichen Ausgestaltungsmöglichen der
Elternzeit suchen und den werdenden Müttern und Vätern Ansprechpartner zur
Beratung und Beantragung des Elterngelds benennen, …“ und weiter unten „… dass
Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber mit Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern und
ihren Vertretungen in einer Kultur gegenseitiger Wertschätzung die
Inanspruchnahme der Elternzeit festlegen.“
Das klang und klingt gut und wäre, wenn den Worten denn
Taten gefolgt wären, echt innovativ gewesen, aber …
Und auch der Kampagne ging schnell die Luft bzw. das Geld
aus und nach der Landtagswahl im Mai 2017, bei der eine Koalition aus CDU und
FDP die bisherige Regierung ablöste wurde auch die erfolgreiche Facebook Seite
ebenso wie das Portal vaeter.nrw in den neuen Auftritt der Landesregierung
„integriert“. Die besondere Ansprache der Zielgruppe und das
Kommunikationsdesign dem allgemeinen ‚Corporate Design‘ untergeordnet.
Die Fachstelle ist bis Ende 2018
und mit einem halben Jahr Unterbrechung ab Juli 2019 die Geschäftsstelle der
LAG-Väterarbeit weiterhin gefördert. Seit dem Familienbericht sind sechs
Fachtagungen zu Väterthemen gefördert worden, u.a. 2017 in Bielefeld ‚Bewegte
Zeiten für Väter‘ und Olpe ‚Vater ist, was du draus machst!‘, 2019 in
Düsseldorf ‚Eltern bleiben trotz Trennung‘ und 2021 online per Zoom ‚Lockdown
als Chance? – Weichenstellungen für mehr väterliches Engagement‘.
Von den Veranstaltungen gingen
wichtige Impuls aus und die Geschäftsstelle der LAG-Väterarbeit arbeitet
kontinuierlich daran, die Weichen für väterliches Engagement zu stellen. Als
Dienstleister für alle diejenigen, die in Familienbildung- und beratung, Kitas
und Familienzentren Angebotejetzt schon Angebote für Väter machen, aber auch
als Lobbyist bei denen, die Rahmenbedingungen für väterliches Engagement strukturell
gestalten.
In dem Sinne sieht nicht nur die Landesregierung die
Arbeitgebenden als wichtige Akteure, wenn es um aktive Vaterschaft und eine
Unternehmenskultur geht, in der die Bedarfe von Vätern respektiert und
„mitgedacht“ werden.
Der Bericht „Familien gestalten Zukunft“ und insbesondere der Abschnitt ‚Mehr Zeit mit der Familie für Väter‘ sind ein erster Meilenstein nicht nur auf dem Weg zu einer kontinuierlichen Familienberichterstattung, sondern auch im Hinblick darauf, wie ernsthaft das Ziel einer partnerschaftlichen Aufteilung von Erwerbs- und Carearbeit in der Landespolitik verfolgt und umgesetzt wird. In der Legislaturperiode 2017 bis 2022 ist kein weiterer Bericht erfolgt. Dieses Vorhaben steht nun auf der Agenda der neuen Landesregierung und die Krisen ‚Corona‘ ‚Krieg‘ und ‚Inflation‘ und ihre Auswirkungen auf Väter, Mütter und Kinder sind mehr als ein Anlass für die Schwerpunktthemen des neuen Berichts.
Bericht zum Werkstattgespräch der LAG-Väterarbeit am 26. Oktober
Das in einem Strategiepapier des ‚Runden Tischs Eltern
werden‘ zur guten Geburt gefordert wird, Mutter und Kind als rechtliche Subjekte
in der Geburtshilfe zu betrachten, zeigt auf, dass dort einiges schiefläuft.
In seinem Impuls ‚Väter in der Geburtshilfe – systemische Perspektiven‘
zeigte Hans-Georg Nelles einige der ‚Krisensymptome‘ auf: Schließung von ‚unrentablen‘
Kreißsälen, fehlende Hebammen und werdende Väter, die während der Pandemie die
Geburt auf den Gängen der Krankenhäuser oder im kalten Auto begleiten mussten.
Dies sind in seinen Augen aber nur Symptome der eigentlichen Krise, die seiner
Auffassung darin besteht, dass Väter im Geburtshilfesystem nicht als Subjekte betrachtet
und vielfach noch nicht einmal in den Blick genommen werden. So erleben
92%
der Väter nehmen an Vorsorgeuntersuchungen teil, aber 61% berichten, dass
ihre Rolle als Vater zu keinem Zeitpunkt angesprochen worden ist
Väter
haben keinen formalen Status bei der Geburtsvorbereitung, selbst ihr Name
wird nicht erfasst. Lediglich 16 % der Väter werden während der Geburt
nach ihrem Befinden gefragt.
Wenn
‚Väter‘ und ‚Mütter‘ statt ‚Eltern‘ adressiert werden und deutlich gemacht
wird, dass beide gefragt sind, steigt die Beteiligung von Vätern bei der
Nachsorge von ca. 20% auf bis zu 70%
Ergebnisse der Väterforschung zeigen auch, dass Väter, die
bei der Geburt dabei sind, mehr Zeit mit ihren Kindern verbringen, ihre Kinder
häufiger wickeln, ihre Kinder öfter am Körper tragen, häufiger mit ihrem Kind
an der frischen Luft unterwegs sind sowie sicherer im Umgang mit dem Kind sind
und mehr Spaß daran haben. Dieses Engagement profitiert auch die Partnerschaft.
In dem Beitrag ging der Referent auch auf gute Beispiele ein,
Studien des Fatherhoodinstitute aus Großbritannien und die Initiative Erzählcafé,
die einen Kostenlosen Flyer für Väter entwickelt hat.
Um Veränderungen im System Geburtshilfe zu bewirken sind
jedoch weitere Initiativen und politische Maßnahmen erforderlich. Eine
bundesweite Befragung von Hebammen zu ihren Erfahrungen mit Vätern bei der
Geburtsvorbereitung und unter der Geburt könnten dem Thema Aufmerksamkeit
verleihen. Auch bei der momentan laufenden Umstellung der Hebammenausbildung
könnte darauf hingewirkt werden, das gesamte System werdende Familie in den
Blick zu nehmen und die Rolle der Hebammen bei der (Te-) Konstruktion
traditioneller Rollenbilder zu reflektieren. Im politischen Raum geht es vor
diesem Hintergrund vor allem darum:
Die Bedeutung von Hebammen für das Paar im
Übergang in die Elternschaft mit den psychosozialen Aspekten bei der
akademischen Ausbildung angemessen zu berücksichtigen
Fortbildungsangebote, Informationskampagnen durchzuführen
sowie die Zusammenarbeit mit Hebammenverbänden zu intensivieren, um das Thema
zu etablieren und auch den Nutzen zu kommunizieren, der der Hebammenarbeit
durch die Einbeziehung der Väter zugutekommt.
Neben der Sensibilisierung im Rahmen von Aus-
und Fortbildung muss diese Aufgabe der Hebammen vom Gesetzgeber und den
Krankenkassen ausdrücklich zugeschrieben und honoriert werden.
Damit dies Wirklichkeit werden kann kommt es darauf an, (werdende)
Väter so zu empowern, dass sie ihre Bedürfnisse artikulieren und entsprechende
Angebote einfordern.
Die Teilnehmenden des Werkstattgesprächs, die allesamt
beruflich mit der Beratung und Begleitung von Vätern und Müttern rund um die
Geburt befasst sind, tauschten sich im anschließenden Gespräch über ihre
Erfahrungen mit der ‚Missachtung‘ von Vätern aus. Ein trauriges Resümee: die
traumatisierenden Erfahrungen von Vätern unter der Geburt haben signifikant
zugenommen, während es so gut wie keine Angebote für Väter gibt. Vielfach ist die
Diagnose ‚postnatale Depression‘ bei Vätern selbst beim Fachpersonal nicht
bekannt.
Ein weiterer Schwerpunkt des Gesprächs war die Frage,
inwieweit es sinnvoll ist im Rahmen der Geburtsvorbereitung Risiken zu
thematisieren. Ja, das ist wichtig, es geht dabei nicht darum, die (Vor-)
Freude auf die Geburt zu trüben, sondern das Paar in die Lage zu versetzen, zum
Beispiel im Fall einer ungeplanten Sectio handlungsfähig zu sein und im
Gespräch zu bleiben.
Stefanie Schmid-Altringer, die Initiatorin der Erzählcafés fasste
die Aufgaben der Väter, nicht nur in solchen Situationen, folgendermaßen
zusammen:
Sie unterstützen die Mutter bei der Geburt
Sie haben eine Bodyguard Funktion im Hinblick
auf Gewalt und Respektlosigkeit
Sie achten auf sich selbst (Selbstfürsorge)
Sie sind als Patient auch rechtliches Subjekt im
System
Ein Ergebnis des Gesprächs ist, eine Umfrage unter Vätern
und Expert*innen durchzuführen und zu erfragen, was Väter im Kontext dieses
existenziellen Lebensereignisses brauchen.
Das trifft auf viele Bereiche zu, insbesondere aber dann,
wenn es um die Aufteilung von bezahlter und unbezahlter Arbeit geht. Sich eine
partnerschaftliche Aufgabenteilung zu wünschen ist die eine, sie tatsächlich leben
zu können die andere Seite der Medaille.
Dies stellt auch das Beratungsunternehmen prognos in dem im Auftrag des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend im Rahmen des Unternehmensprogramms “Erfolgsfaktor Familie” erstellten Policy Paper` ‚Vereinbarkeit von Familie und Beruf als Beitrag zur Fachkräftesicherung‘ fest. Eine der Kernaussagen des Papers lautet:
„Vereinbarkeit darf sich jedoch nicht nur an Frauen und
Mütter richten, sondern muss auch Männer und Väter adressieren und eine partnerschaftliche
Arbeitsteilung von Müttern und Vätern ermöglichen.“
Meiner Meinung nach kann die Strategie nur erfolgreich sein,
wenn sie Männer und Väter als handelnde Subjekte in dem komplexen System
Familie und Partnerschaft ansieht und nicht nur als Beiwerk‘ adressiert. Die in
dem Papier angeführten Fakten und Studien sprechen dafür. Unter anderem heißt
es dort:
„Väter sind indirekter Teil der Fachkräftestrategie –
ohne ihre Vereinbarkeit geht es nicht.
Der Fokus auf die Potenziale der Müttererwerbstätigkeit
bedeutet nicht, dass Vereinbarkeit ein Frauenthema ist und sich weiterhin
hauptsächlich auf Branchen konzentrieren kann, in denen der Frauen- und
Mütteranteil besonders hoch ist. Väter sind zwar kein direkter Teil der
Fachkräftestrategie, aber dass sie Familie und Beruf gut vereinbaren können ist
existenziell, damit die von vielen Elternpaaren gewünschte partnerschaftliche
Arbeitsteilung realisiert werden kann, Mütter mehr Freiraum für eine
umfassendere Erwerbstätigkeit haben und ihr Fachkräftepotenzial gehoben werden
kann.
Zudem bestätigen Studien eine erkennbare Änderung der
Haltung von „aktiven Vätern“, die zunehmend aktiver in der familiären
Fürsorgearbeit werden wollen. Haben 2018 noch 83 Prozent der Väter Vereinbarkeitsangebote
in Unternehmen als Angebote für Mütter wahrgenommen, wollen die „Neuen Väter“
gleichfalls Angebote für ihre Vereinbarkeit. 59 Prozent der jungen Männer, die
im Alter einer möglichen Vaterschaft oder Familiengründung sind, würden wegen
fehlender Möglichkeiten den Arbeitgeber wechseln.
Insbesondere die fehlenden Betreuungsmöglichkeiten während
der COVID-19 Pandemie haben einen Schub der Vereinbarkeit von Vätern
verursacht. So geben in der repräsentativen Studie „Neue Chancen für
Vereinbarkeit“ 43 Prozent der befragten Väter an, dass sie während der Pandemie
ihren Arbeitgeber auf Veränderungen ihrer Arbeitsweise oder ihres Arbeitsortes
zugunsten der Kinderbetreuung angesprochen haben.
Vereinbarkeit von Müttern und Vätern ist der Schlüssel zu
Arbeitgeberattraktivität und Fachkräftegewinnung und -bindung.
Hinweise, dass eine partnerschaftliche Arbeitsteilung von Vätern und Müttern, aber auch Angebote für haushaltsnahe Dienstleistungen, einen positiven Einfluss auf die Fachkräftesituation entfalten können, gibt ein aktueller Wochenbericht des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung e. V. (DIW). Demnach ist in Deutschland unbezahlte Hausarbeit, Betreuung und Pflege von Kindern und älteren Angehörigen zwischen Männern und Frauen immer noch sehr ungleich verteilt. In rund drei Viertel der deutschen Paarhaushalte übernehmen Frauen mehr als die Hälfte der Sorgearbeit. Reduziert sich jedoch die Sorgearbeit des gesamten Haushalts, steigen sowohl Beschäftigungswahrscheinlichkeit als auch -umfang beider Partner, vor allem jedoch bei Frauen.
43 Prozent der Eltern wünschen sich aktuell eine
partnerschaftliche Teilung von Berufs- und Familienarbeit. Je jünger die Frauen
und je besser sie gebildet sind, desto höher ist ihr Anspruch an eine
partnerschaftliche Arbeitsteilung. Der Väterreport 2021 zeigt auf, dass
mittlerweile auch 48 Prozent der Väter mit einem ältesten Kind unter 10 Jahren
diese Ansicht teilen.“
Vater werden und sein verändert alles. Diese an sich
triviale Aussage verweist auf die Großartigkeit des Ereignisses einer Geburt
und die Komplexität der Wirkungen, die sie auslöst. Sie zeigt aber auch auf die
Fülle der Möglichkeiten auf, die Hebammen und andere haben, werdende Väter und
Mütter auf diesem Weg zu begleiten und sie auf das dieses Ereignis und die
folgenden Jahrzehnte vorzubereiten. Mehr als 90 Prozent der werdenden Väter
sind bei der Geburt ihres Kindes dabei und eine gute Vorbereitung wirkt sich
nicht nur auf den Geburtsverlauf positiv aus.
Wenn Männer Väter werden, wollen sie nicht nur beruflich
weiterhin erfolgreich, sondern gleichermaßen auch gute Väter sein. Das bedeutet
in erster Linie, Zeit haben, für die Kinder da zu sein, präsent zu sein, ihre
Entwicklung zu begleiten und zu fördern, ihnen die besten Möglichkeiten für
einen guten Schulabschluss zu verschaffen sowie möglichst viele Risiken des
Alltags von ihnen fernzuhalten. Also ein durch und durch fürsorglicher Vater zu
sein.
Im Hinblick auf die Partnerschaft und die Partnerin steht
der Anspruch, sich anfallende Aufgaben partnerschaftlich aufzuteilen und nicht
in traditionelle Rollenmuster zurückzufallen, im Raum. Eltern werden, Partner
bleiben. Die große Herausforderung bei der Umsetzung dieser Ansprüche ist, dass
Väter (und Mütter) kaum auf erprobte Muster und Rollenmodelle zurückgreifen
können und sich einen eigenen Weg suchen müssen. Es ist zwar inzwischen viel zu
diesem Thema geschrieben worden, aber verwirklichen müssen Mann und Frau ihren
Traum von einer partnerschaftlichen Aufgabenteilung, einer geteilten
Verantwortung für die Kinder und genügend Gelegenheiten für die Pflege der
Paarbeziehung schon selber.
Erfahrungen und Studienergebnisse (BMFSFJ, 2011) zeigen,
dass die gewählten Lebensmodelle vielfach nicht Ergebnis zielgerichteter
Aushandlungsprozesse sind, sondern Paare vor dem Hintergrund vermeintlich
rationaler Gründe nach der Geburt dort ‚hineingeschliddert‘ sind und Väter sich
mehr oder weniger freiwillig auf die traditionelle Rolle des Ernährers und
Assistenten in der Familie einlassen.
Was Väter brauchen, sind passende Erwartungshaltungen,
Rahmenbedingungen und Wertschätzungsstrukturen. Es kommt vor allem darauf an,
dass es völlig normal sein wird, beruflichen Erfolg und fürsorgliches Verhalten
in Familie und anderswo nicht mehr als Gegensätze zu denken, sondern als
gegenseitige Ergänzung und Bereicherung.
In dem Zeitraum zwischen der Entscheidung Vater und Mutter
werden zu wollen und der Geburt, der in den meisten Fällen länger als die 280
Tage der Schwangerschaft umfasst, werden nicht nur Pläne geschmiedet und das
‚Nest‘ hergerichtet, sondern die Weichen dafür gestellt, ob die Vorstellungen
sich Erwerbs- und Familienarbeit partnerschaftlich aufzuteilen gelingen können oder
nicht.
Auf die Vorbereitung kommt es an
Auf der Grundlage internationaler Forschungsergebnisse, die
die Zusammenhänge zwischen dem Verhalten, den Erfahrungen, Einstellungen und
Merkmalen von werdenden und neuen Vätern und der Gesundheit und Wohlbefinden
von Mutter und Kind aufzeigen, hat die Weltgesundheits-organisation (WHO) eine
der zehn Empfehlungen zu Maßnahmen der Gesundheitsförderung von Müttern und
Neugeborenen zur Einbeziehung von Vätern formuliert.
Die WHO empfiehlt, die Beteiligung von Männern während der Schwangerschaft, der Geburt und nach der Geburt zu fördern, um die Selbstsorge von Frauen und die häuslichen Pflegepraktiken für Frauen und Neugeborene zu verbessern, den Einsatz qualifizierter Vorsorge für Frauen und Neugeborene während der Schwangerschaft, der Entbindung sowie in der postnatalen Periode zu erleichtern, und die Einrichtung für Geburtshilfe rechtzeitig zu nutzen falls es Komplikationen bei den Neugeborenen gibt.
Neben dieser auf die
Gesundheit von Mutter und Kind bezogenen Perspektive, die für sich genommen
schon Grund genug ist, Väter während der Schwangerschaft, bei der
Geburtsvorbereitung, der Geburt und der Zeit danach aktiv einzubeziehen, gibt
es weitere, ebenfalls wissenschaftlich gut belegte Gründe, dies zu tun.
Die Gesundheit der
Väter und ihre Beziehung zu dem ungeborenen Kind haben einen großen Einfluss
darauf, in welchem Maße sie sich an der Erziehung des Kindes beteiligen und
Ressourcen für seine gelingende Entwicklung zur Verfügung stellen.
In dem 2016 auf 136
Seiten ausformuliertem ‚Nationalen Gesundheitsziel Gesunde Geburt‘ wird die
Einbeziehung von Vätern an verschiedenen Stellen erwähnt. Unter anderem heißt
es dort ‚Väter bzw. Partnerinnen und Partner sollen dazu ermutigt werden, sich
von Anfang an in der Babyversorgung zu engagieren und einen eigenen positiven
Stil im Umgang mit dem Neugeborenen zu finden‘.
Ansprüche und
Wirklichkeiten
Obwohl also Alles
dafürspricht, (werdende) Väter rechtzeitig einzubeziehen und als aktive
Subjekte im Geburtsgeschehen zu betrachten, werden sie hierzulande häufig immer
noch als ‚Beifahrer‘ (BZgA 2011) betrachtet. In Großbritannien, wo bereits 2006
im Nationalen Gesundheitssystem ein Paradigmenwechsel zugunsten der
Einbeziehung von Vätern stattgefunden hat, zeigen gerade veröffentlichte
Befragungsergebnisse, dass dieser empfohlene Wandel auch dort noch längst nicht
überall praktiziert wird. (Thorpe, 2018)
92% der Väter nehmen an den Vorsorgeuntersuchungen teil,
aber 61% berichten, dass ihre Rolle als Vater zu keinem Zeitpunkt
angesprochen worden ist
Väter haben keinen formalen Status bei der
Geburtsvorbereitung, selbst ihr Name wird nicht erfasst. Lediglich 16 %
der Väter werden während der Geburt nach ihrem Befinden gefragt.
Wenn ‚Väter‘ und ‚Mütter‘ statt ‚Eltern‘ adressiert werden
und deutlich gemacht wird, dass beide gefragt sind, steigt die Beteiligung
von Vätern bei der Nachsorge von ca. 20% auf bis zu 70%
Ein Blick hinter die Kulissen
Zu der Thematik liegen vor allem Praxis- und
Forschungsberichte aus dem angelsächsischen Raum vor. Auf der Website www.familyincluded.com werden diese seit 2015 systematisch
ausgewertet, thematisch gelistet und zur Verfügung gestellt. Das Projekt ist
nach der Erklärung der Weltgesundheitsorganisation im Jahr 2013, in der erklärt
wurde, dass die Zusammenarbeit mit den Vätern eine globale Priorität für die
Gesundheitsversorgung von Müttern haben sollte, und vor dem Hintergrund, dass
es weder Pläne noch Ressourcen gab, um dies umzusetzen, entstanden. Als
Haupthindernisse für die tatsächliche Einbeziehung von Vätern werden dort
folgende Punkte identifiziert:
Das erste Problem ist die Professionalisierung und die
Perspektive auf die Gesundheit von Müttern und Neugeborenen. Häufig wird diese
Gesundheitsversorgung als eine Angelegenheit betrachtet, die sich nur zwischen
dem Gesundheitspersonal und der „Patientin“, in diesem Fall der
Schwangeren abspielt.
Das zweite Problem ist die Sorge um die Gleichberechtigung
der Geschlechter. Fast alle Familien umfassen Männer, und sie haben oft mehr
vor allem finanzielle Ressourcen. Wenn man sie in die Pflege einbezieht, so
wird befürchtet, könnte dies dazu führen, dass die Autonomie der Frauen
eingeschränkt wird und die geschlechtsspezifischen Unterschiede in den Familien
nicht in Frage gestellt werden. Diese Aussage spiegelt die Tatsache wider, dass
zahlreiche Forschungsprojekte in Ländern mit noch ausgeprägteren patriarchalen
Strukturen durchgeführt werden.
Hierzulande geht es vor allem darum, Väter für eine
Beteiligung in Familie und an den in der Familie zu erledigenden Arbeiten zu
gewinnen und zwar von Anfang an. Für den deutschsprachigen Raum liegen zwei
Untersuchungen vor, die die von ‚Family Included‘ identifizierten Hindernisse
bestätigen.
Marion Müller und Nicole Zilien (2016) verifizieren in ihrem
Forschungsprojekt die Ausgangsthese, „dass die heutigen
Geburtsvorbereitungskurse durch ihre Ausgestaltung Geschlechterdifferenzen
hervorheben, diese weiterhin mit geschlechterdifferenzierenden Zuschreibungen
häuslicher Arbeit koppeln und durch eine wissenschaftlich gestützte
Naturalisierung legitimieren. Geburtsvorbereitungskurse bahnen demnach bereits
in der pränatalen Phase eine geschlechterdifferenzierende Arbeitsteilung an und
lassen sich deshalb als Institutionen der Retraditionalisierung
interpretieren.“
Lisa Maria Groß (2017) kommt in ihrer Arbeit ‚Väter als
Adressaten in Frühen Hilfen? Über die Konstruktion von Väterlichkeit im
professionellen Handeln von Familienhebammen‘ zu dem Ergebnis, „In Interviews mit Familienhebammen und ethnographischen
Beobachtungsprotokollen von Hausbesuchen zeigt sich allerdings eine Mütterorientierung
im professionellen Handeln von Familienhebammen, die zu einer sekundären
Adressierung der Väter hinsichtlich innerfamilialer Sorgetätigkeiten bis hin
zur Exklusion väterlicher Fürsorge aus dem Binnenraum der Familie
führt.“
Die Vorbereitung des geburtshilflichen Teams auf die
Väter
Wie Väter auf die Geburt vorbereitet werden können und
welche Rolle die verschiedenen Professionen dabei spielen, hat schon 2014 das,
in einer von der Bundeszentrale für gesundheitliche veröffentlichten Broschüre,
Ergebnis einer multiprofessionellen Arbeitsgruppe deutlich gemacht. (BZgA 2014)
Ein entscheidender Faktor dabei ist die Haltung gegenüber
der Rolle sowie der aktiven Einbeziehung von Vätern. Ihre gute Vorbereitung auf
die Geburt kommt auch der werdenden Mutter zugute. Studien zeigen, dass Väter,
die ihre Rolle während der Geburt kennen und verstehen, was dort geschieht,
selbst besser vor übermäßigem Stress geschützt sind und seltener Gefahr laufen,
den Ablauf der Geburt negativ zu beeinflussen. Das gilt insbesondere in den
Momenten, in dem es mal nicht „nach Plan läuft“, was aber auch völlig normal
ist. (Schäfer, Abu Dakn 2008)
Die Rolle, die sie während der Geburt wahrnehmen können, für
ihre Partnerin da zu sein, den neuen Lebensabschnitt gemeinsam zu beginnen und
von Anfang an als Vater präsent zu sein. Dabei erleben sie sich vielfach in
einer völlig ungewohnten Situation: Sie haben keine Kontrolle über das
Geschehen und die Mächtigkeit der Gefühle führt sie vielfach nicht nur
emotional an ihre Grenzen, sondern manchmal sogar darüber hinaus. Das Vertrauen
in die Kompetenzen des geburtshilflichen Teams und ihr Wissen um die
natürlichen Abläufe sind in diesen Momenten gute Stützen.
Dieses Vertrauen kann im Vorfeld der Geburt durch
verschiedene Angebote zur Geburtsvorbereitung in den Geburtskliniken und den
Kursen der Hebammen bzw. der Familienbildung gebildet werden. Dabei geht es
verständlicherweise vorrangig um die biologischen Abläufe der Geburt und die
Vorbereitung der Mütter darauf, um ihre Bedürfnisse, Ängste und Sorgen.
Darüber hinaus sind aber zwei weitere Ebenen der
Vorbereitung auf die Geburt und vor allem die Zeit danach für Väter von großer
Bedeutung. Die gemeinsamen Planungen der werdenden Eltern für die Zeit zu Dritt
und der Austausch des werdenden Vaters mit anderen Männern.
Einbeziehung von Vätern nutzt partnerschaftlicher
Aufgabenteilung
Die Entscheidung Eltern werden zu wollen, ist heute eine
bewusste, auch wenn eine exakte Planung nicht garantiert ist. Im Rahmen dieses
Prozesses können Fragen der beruflichen Weiterentwicklung, der familiären
Arbeitsteilung und auch die Vorstellungen zu den Rollen als Mutter und Vater sowie
die Erfahrungen und Prägungen in der eigenen Herkunftsfamilie thematisiert
werden. In ihrem Papa Handbuch beschreiben die Autoren eine Fülle von
praktischen Möglichkeiten dazu. (Richter, Schäfer 2020)
Darüber hinaus gibt es eine Fülle an ‚Väterthemen und fragen‘,
die am besten bearbeitet werden können, wenn Väter unter sich sind und diese
Phase auch von einem erfahrenen Mann und Vater betreut wird:
Welche Wünsche und Befürchtungen habe ich für
die Geburt?
Will ich bei der Geburt dabei sein? Was will ich
sehen, was nicht?
Was ist mir wichtig für die erste Zeit zuhause?
Welche Bedeutung habe ich als Vater für die
Entwicklung des Kindes?
Wie kann ich meine Vaterkompetenzen entfalten?
Wie entwickelt sich das Verhältnis zu meiner
Partnerin, wenn sie auch Mutter ist?
Was ist mit dem Sex in der Schwangerschaft und
nach der Geburt?
Wie kann es gelingen, dass wir auch als Vater
und Mutter die Verantwortung für finanzielle Versorgung der Familie und die
dort anfallenden Care-Aufgaben partnerschaftlich aufteilen?
Die Möglichkeit, sich mit anderen Vätern darüber auszutauschen,
haben einen bedeutenden Einfluss auf das spätere Geburtsgeschehen. Derart
vorbereitet können Väter vom geburtshilflichen Team als unmittelbar Beteiligte
des Geschehens wahrgenommen und als Personen mit eigenen Bedürfnissen und
eigenem Erleben angesprochen und einbezogen werden.
Diese „Männerrunden“ sind teilweise schon Praxis bei der
Geburtsvorbereitung. Darüber hinaus gibt es an wenigen Orten spezielle Angebote
für werdende Väter. (Mens Health 2016)
Ergebnisse eines Praxisprojekts in NRW
Ein vom Familienministerium in NRW gefördertes Praxisprojekt
beschäftigte sich mit der Fragestellung, wie die Einbeziehung von Vätern im
Rahmen der Geburtsvorbereitung durch Hebammen gefördert werden kann. Im Zentrum
standen dabei die Entwicklung und Erprobung eines Fortbildungs-Curriculums.
(Nelles 2020)
Die Annahme, Väter und Mütter im Kontext der
Geburtsvorbereitung durch Hebammen anzusprechen und dort das Anliegen
‚partnerschaftliche Aufgabenteilung‘ zu thematisieren hat sich bestätigt, da in
diesem Zeitraum entscheidende Weichenstellungen vorgenommen werden und mehr als
90 % der Väter an der Geburt und, zumindest beim ersten Kind, auch an
angebotenen Kursen zur Vorbereitung teilnehmen.
Auf der Basis freiwilliger Fortbildungen für Hebammen lässt
sich das Ziel, partnerschaftliche Aufgabenteilung im Rahmen der
Geburtsvorbereitung zu thematisieren jedoch nicht erreichen. Das liegt zum
einen, an der von der, an den unterschiedlichsten Stellen beschriebenen Haltung
der Hebammen, Frauen und Männern traditionelle Rollen zuweisen und selbst wenn
sie Angebote für Väter machen, diesen Unterstützungs- und Assistentenaufgaben
zuweisen.
Auf der anderen Seite sind es strukturelle Rahmenbedingungen
wie Personalschlüssel in Kliniken und der Blick der dort arbeitenden Gynäkologen
auf die Hebammen sowie die schlechte Bezahlung von letzteren. Dazu kommt die
Akademisierung der Hebammenausbildung und die Umsetzung der entsprechenden
Verordnungen und die Sicherstellung der praktischen Ausbildungsanteile auf den
‚letzten Drücker‘.
Die Neuaufstellung der Hebammenausbildung bietet, zumindest
theoretisch, die Chance, die Themen ‚Bedeutung von Vätern‘ und ‚Aufstellung der
Akteure im System Familie‘ in den neuen Curricula zu verankern zumal es in der
Anlage 1 der ‚Studien- und Prüfungsverordnung für Hebammen des
Bundesministeriums für Gesundheit‘, in der die Kompetenzen von Hebammen
aufgeführt sind, ausdrücklich heißt: [ sie] ‚verfügen über Kenntnisse … über Prozesse der Familiengründung und bereiten
die schwangere Frau und ihre Familie ihrer individuellen Lebenssituation
entsprechend auf die Geburt, das Wochenbett und die Elternschaft vor …‘ (BMG
2019)
Um die Chance, die Themen im Rahmen der zu erarbeitenden
neuen Ausbildungsordnungen breiter zu verankern, wird es aber notwendig sein,
mit Unterstützung bereits im System tätigen Akteur*innen, Professor*innen mit
ausgewiesener Väterexpertise und Praktikern der Väterbildung zunächst eine
Expertise und darauf aufbauend Bausteine für die universitären Lehrpläne zu
entwickeln.
Ein anderer Ansatzpunkt die Themen in bestehenden
Geburtsvorbereitungskursen zu verankern sind die Qualitätsstandards. Die Kurse
werden, zumindest für die Frauen, von den gesetzlichen Krankenkassen
finanziert. Jede Hebamme, die derartige Kurse anbietet kann sie über die
Krankenkassen abrechnen. Diese könnten also mit entsprechenden Standards auch
Einfluss auf die Inhalte ausüben
Fazit
Als Vision und Wunsch abschließend formuliert: um werdenden
und gewordenen Vätern und Müttern die Verwirklichung ihres Wunsches nach einer
gleichberechtigten Aufgabenteilung zu ermöglichen braucht es, neben den
äußeren, passenden Rahmenbedingungen, ein Angebot sich vor und nach der Geburt
mit den oben genannten Themen auseinanderzusetzen. Und zwar an den Orten und zu
den Anlässen, die Väter und Mütter sowieso gemeinsam oder getrennt aufsuchen
und nutzen. Die Geburtsvorbereitung gehört in jedem Fall dazu. Es braucht aber
neben den Hebammen weitere (männliche) Akteure und Angebote für Väter, vor
allem für die Zeit nach der Geburt.