Teresa Bücker, Journalistin und Autorin appellierte beim #VaeterSummitNRW am 26. August 2023 in Essen an alle Männer: „Ihr müsst laut
und deutlich sagen: Wir wollen mehr Zeit mit unseren Familien!“ Väter
müssten sich politisch für mehr Familienzeit und bessere Teilzeitlöhne
einsetzen. „Sie müssen unbequemer werden.“
Jürgen Haas ist seit vielen Jahren als Koordinator der Väterkindagentur im Bereich der Evangelischen Kirche von Westfalen in der Familienbildung tätig. Ihm ist Vernetzungsarbeit und die Kooperation mit andern für die Belange von Vätern und Kindern sehr wichtig. Als Supervisor, Gestalttherapeut und wissenschaftlicher Referent hat er zahlreiche Zugänge zur Männer- und Väterarbeit und ist selbst leidenschaftlich gerne Vater und Großvater von zwei Töchtern und einem Enkelkind.
Ergänzen Sie bitte den Satz ‚Vater werden ist …‘
… eine wunderbare Herausforderung und ein nachhaltiges Erlebnis.
Welche Eigenschaften fallen ihnen beim Wort ‚Vater‘ ein?
Was sollte Mann beim Vater werden unbedingt beachten?
Nach meiner nun fast 30 jährigen Erfahrung ist es wichtig immer mit dem eigenen Kind empathisch und nachhaltig in Kontakt zu bleiben und dies auch in sogenannten schwierigen Zeiten. Für mich beginnt diese Nähe und die von Verantwortung und Liebe getragene Verbundenheit vor der Geburt und gilt ein Leben lang, durch alle Lebensabschnitte und -phasen meines Kindes, bzw. meiner Kinder. Dieser Kontakt setzt gemeinsame Zeit voraus, für die es wichtig ist zu kämpfen, um konsequent Zeiträume und Zeitfenster zu sichern. Ich finde es wichtig elterliche Verantwortung gemeinsam zu tragen und trotz der Diversität mit Blick auf Einstellungen und Ansichten gemeinsame Wege zu suchen. Diese Grundhaltung sollte ggf. auch über die Partnerschaft hinaus (Stichwort: Trennung) Gültigkeit haben.
Was würde Ihrer Meinung nach Vätern in Zukunft das Vater sein erleichtern?
Die Anerkennung von Care-Aufgaben als wichtigen gesellschaftlichen und nachhaltigen Beitrag und als elementare Voraussetzung für eine partnerschaftliche Aufteilung von Erziehungsverantwortung. In Konsequenz bedeutet dies für mich die Festschreibung und Umsetzung von politischen Maßnahmen und Rahmenbedingungen für eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf und zur finanziellen Absicherung von Familien.
An welches Erlebnis mit Ihrem Vater erinnern Sie sich am liebsten?
Mein Vater war Küchenmeister und hat leidenschaftlich gerne gekocht. An jedem Sonntag hatte ich die Gelegenheit ihm beim Kochen zuzuschauen und ihn dabei zu unterstützen. Es hat mich sehr beeindruckt, wie er mit Gewürzen „jonglieren“ und Geschmacksnuancen komponieren konnte. Das er mich daran teilhaben ließ und mir die Dinge liebevoll und mit viel Geduld erklärte, hat bei mir Spuren und wunderschöne Erinnerungsbilder hinterlassen, an denen ich gerne meine Kindern in Geschichten und Erzählungen teilhaben lasse.
Vaterschaft wird zunehmend zu einer individuellen Option,
die immer weniger vorgegebenen sozialen Normen folgt. Diese Entwicklung führt
auch dazu, dass ein Mann im Verlauf seines Lebens Vaterschaft in verschiedenen
Familienformen, in unterschiedlichen Partnerschaften und auch mit Kindern erleben
kann, die einen anderen biologischen Vater haben. Diese Möglichkeiten sind mit
Herausforderungen verknüpft, auf die Väter oft nicht ausreichend vorbereitet
sind.
Es fehlen ihnen Möglichkeiten zur Vergemeinschaftung der
individuellen Lebenslagen in ihrer Vielfalt, zum Austausch mit anderen Vätern
über die Situation zum Beispiel als ‚aktiver‘ Vater, als Vater in Elternzeit,
als Vater mit einem partnerschaftlichen Verständnis von Kindererziehung usw.
Diese Möglichkeiten zur Verständigung und das Erleben der Bedeutsamkeit als
Vater sind von großer Bedeutung für ein geschlechtergerechtes Verständnisses
von Vaterschaft.
Väter benötigen also Orte und Gelegenheiten, an denen sie
sich über ihren Alltag als Väter verständigen und austauschen können, wo wie
sich vernetzen und den Gedanken der aktiven Vaterschaft weitertragen, sich
informieren und einander in ihrer Vielfalt und Unterschiedlichkeit begegnen
können.
Diese Orte und Angebote bieten Mitglieder der LAG-Väterarbeit
in NRW und zahlreiche weitere Initiativen in NRW, die wir an dieser Stelle in
lockerer Reihenfolge vorstellen möchten. Beginnen wollen wir mit zwei ‚Urgesteinen‘,
die auch zu den Gründern der LAG-Väterarbeit gehören.
Evangelische Kirche von Westfalen – Vater-Kind-Agentur
Das Institut für Kirche und Gesellschaft der westfälischen
Landeskirche bietet seit vielen Jahren in enger Kooperation mit
Familienzentren, Kindertageseinrichtungen, Grundschulen, Gemeinden und anderen
Partner*innen Angebote für Väter und Kinder, wie z.B. Erlebnis-Wochenenden und
Vater-Kind-Nächte durch. Jährlich finden über 100 Vater-Kind-Wochenenden und
300 Väterabende statt. Väter sind an deren Planung aktiv beteiligt und bringen
ihre Erfahrungen und die Wünsche der Kinder mit ein.
Alle Angebote der Vater-Kind-Agentur finden Sie hier.
Väter in Köln e.V.
wurde im Jahr 2010 von Vätern für Väter gegründet und macht seitdem Vätern vielfältige Angebote zur Vernetzung, Freizeitgestaltung und Selbst-Realisierung. Der Verein, der seit 2012 als Träger der freien Kinder- und Jugendhilfe anerkannt ist, versteht seine Arbeit als proaktiv, präventiv, inklusiv, interkulturell, systemisch und gleichstellungsorientiert.
Das Angebot ist umfangreich und wird kontinuierlich weiterentwickelt:
ein wöchentliches Vater-Kind-Café
Geburtsvorbereitung für Väter
Vernetzung von Elternzeit-Vätern über
Mailingliste und WhatsApp
Vater-Kind-Wochenenden und -Events
Väter-Gruppe „PapaPalaver“
Väterarbeit in Kitas
Coaching-Gruppe für Väter
Neben diesen Angeboten für Väter unterstützt der Verein auch Fachkräfte und Einrichtungen bei der Entwicklung und Umsetzung von Angeboten für Väter. Alle Angebote finden Sie auf der Webseite der Väter in Köln e.V.
(Nicht-)Anerkennung von Familien- und Erwerbsarbeit bei
Paaren
Mit dem Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetz rückte die
Figur des aktiven Vaters in den Fokus. Gleichzeitig wirken traditionelle
Verweisungen in sozialpolitischen Regelungen, Normen und Betriebskulturen.
Stefanie Aunkofer analysiert väterliche Elternzeitnahmen
anhand von qualitativen Paarinterviews mit Blick auf Anerkennung von Familien-
und Erwerbsarbeit und zeigt: Erwerbsarbeit bleibt die Quelle von Anerkennung.
Vätern den Zugang zur familialen Sphäre partiell über Elternzeit zu öffnen
reicht nicht aus. Für eine tatsächliche Egalisierung ist vielmehr ein
grundlegender Wandel im Geschlechter- und Anerkennungsverhältnis notwendig.
Der Band ist im Beltz Verlag erschienen und kann als Print für 50 € bestellt oder mit OpenAcessLizenz als pdf heruntergeladen werden.
Familienpolitik liegt zum größeren Teil in der Verantwortung des Bundes, neben dem Familienministerium ist es vor allem das Ministerium für Justiz, die strukturelle Rahmenbedingungen für Väter und Mütter wie Elternzeit und Elterngeld, Familienstartzeit und Unterhaltsrecht regeln und notwendige Veränderungen in die Wege leiten oder auch nicht.
Als Landesarbeitsgemeinschaft blicken wir daher bei diesen
wichtigen Eckpunkten auch mal nach Berlin. Nach der letzten Bundestagswahl
haben wir dazu sehr optimistisch festgehalten: „Nachdem die
neue Familienministerin angekündigt hat, eine Vaterschaftsfreistellung in den
ersten zwei Wochen nach der Geburt einzuführen und auch Elternzeit und
Elterngeld weiterzuentwickeln, lohnt es sich näher hinzuschauen.“
Dies haben wir beim Werkstattgespräch am 24. Februar 2022 dann auch gemacht. Im Vorfeld hatten wir den Zukunftsvertrag der Ampelkoalition analysiert und viele Ankündigungen zum Punkt ‚Zeit für Familien‘
Wir werden Familien dabei unterstützen, wenn sie
Zeit für Erziehung und Pflege brauchen und dabei Erwerbs- und Sorgearbeit
partnerschaftlich aufteilen wollen.
Wir werden das Elterngeld vereinfachen,
digitalisieren und die gemeinschaftliche elterliche Verantwortung stärken.
Wir werden eine zweiwöchige vergütete
Freistellung für die Partnerin oder den Partner nach der Geburt eines Kindes
einführen.
Die Partnermonate beim Basis-Elterngeld werden
wir um einen Monat erweitern. …
und ‚Wir werden das Familienrecht modernisieren‘
Wir werden die partnerschaftliche Betreuung der
Kinder nach der Trennung fördern, indem wir die umgangs- und
betreuungsbedingten Mehrbelastungen im Sozial- und Steuerrecht besser
berücksichtigen.
Wir wollen allen Familien eine am Kindeswohl
orientierte partnerschaftliche Betreuung minderjähriger Kinder auch nach
Trennung und Scheidung der Eltern ermöglichen und die dafür erforderlichen
Bedingungen schaffen.
Wir wollen im Unterhaltsrecht die
Betreuungsanteile vor und nach der Scheidung besser berücksichtigen, ohne das
Existenzminimum des Kindes zu gefährden. …
gefunden.
Beim MemberMeeting der LAGV am 19. September haben wir die
Frage, ‚was Familienpolitik (noch) bewirken will‘ in den Mittelpunkt gestellt.
ZU der mehrfach aufgeschobene ‚Vaterschaftsfreistellung‘ die
jetzt als ‚Familienstartzeit‘ gelabelt ist, kursiert seit März ein
Referent*innenentwurf, der aber bis heute nicht offiziell veröffentlicht ist.
Die Ankündigung der Familienministerin vom 12. September, das Gesetz komme
zeitnah ist für 2023 nicht mehr zu verwirklichen.
Bei der Elternzeit wird inzwischen über Kürzungen diskutiert.
Paus selber schlug vor die Einkommensgrenzen auf 150.000 € abzusenken, um die
Sparvorgaben zu erreichen. Die FDP hat inzwischen eine Verkürzung der
Elternzeit von 14 auf 12 Monate ins Gespräch gebracht.
Die Einschätzung des Bundesforums Männer, dass dies ein
rückwärtsgewandter Vorschlag ist, der vor allem für Väter ein
gleichstellungspolitischer Rückschritt wäre, teilen wir uneingeschränkt.
Über die im 9. Familienbericht angemahnte Anpassung der Elterngeldbeitrage, die
seit 15 Jahren unverändert sind, wird gar nicht gesprochen.
Zur ‚Modernisierung des Familienrechts‘ hat Justizminister
Buschmann am 24. August das Eckpunktepapier ‚Ein faires Unterhaltsrecht für
Trennungsfamilien‘ vorgelegt, das sich an den Vorschlägen des vom ‚Wissenschaftlichen
Beirats für Familienfragen des BMFSFJ‘ vorgelegten Gutachtens ‚Gemeinsam
getrennt erziehen‘ orientiert.
Die Diskussion um diesen Vorschlag zielt aber nicht darauf
ab, wie wir von der traditionellen Vorstellung ‚einer betreut, einer zahlt‘
wegkommen, Kindern nach einer Trennung eine gute Beziehung zu beiden Eltern
ermöglichen und Vätern von Anfang an und auch nach einer gescheiterten
Paarbeziehung ermöglichen, die Bedeutung, die sie für ihre Kinder haben auch
wahrzunehmen.
Vielmehr ging und geht es darum wer Gewinner*in oder
Verlierer*in der Vorschläge sein wird. Dies gipfelte in der abstrusen
Behauptung, Väterrechtler hätten ihre Interessen durchgesetzt. Das
Familienministerium, das unter anderem die Professorinnen Walper und Kreyenfeld
mit der Entwicklung des Stufenmodells beauftragt hat, schweigt zu dem
Spektakel.
Die Bilanz des Treffens, die Perspektiven für eine geschlechtergerechte Familienpolitik, die die strukturellen Rahmenbedingungen dafür schafft, dass Väter und Mütter in allen Lebenslagen, auch in Krisen, Erwerbs- und Familienarbeit partnerschaftlich aufteilen können, sehen momentan nicht gut aus. Und das liegt nicht alleine an der durch Corona und Energiekrise angespannten Finanzlage.