Männer für morgen – eine Initiative
Erstellt von Hans-Georg Nelles am Montag 4. November 2013
Jungen und männliche Heranwachsende brauchen vielfältige Möglichkeiten und Herausforderungen, um ihre Talente und Begabungen zu entwickeln. Sonst laufen sie Gefahr, an dem sich gegenwärtig vollziehenden Wandel der Rollenbilder in unserer Gesellschaft zu scheitern. So beschreibt Gerald Hüther, Professor für Neurobiologie an der Universität Göttingen, die Situation der männlichen Jugendlichen in Deutschland. „Es kann nicht sein, dass Jungs und junge Männer in den traditionellen Rollenbeschreibungen gefangen bleiben. Sie brauchen mehr Chancen und Gelegenheiten, in denen sie vor Herausforderungen gestellt werden und ihre eigene Identität erproben und herausbilden können.“ Um hierzu aktiv zu werden und dieses Thema mehr in das öffentliche Bewusstsein zu rücken, hat Hüther zusammen mit sechs weiteren Initiatoren die Initiative „Männer für morgen“ ins Leben gerufen, die jetzt an den Start geht.
Das ganze Interview mit Gerald Hüther zum Start der Initiative:
1. Was ist der Hintergrund für die Gründung der Initiative „Männer für morgen“?
Schon seit einigen Jahren vollzieht sich in unserer Gesellschaft ein Wandel, der längst auch das Selbstverständnis von Männern und Frauen erfasst hat. Jahrhundertelang tradierte Rollenbilder beginnen sich aufzulösen. In allen Lebensbereichen haben sich die Frauen von den alten Abhängigkeiten und Bevormundungen einer patriarchal geprägten Gesellschaft emanzipiert. Noch immer gibt es zu wenige Frauen in Führungspositionen und geringere Bezahlungen für gleiche Arbeit, noch immer tragen Frauen die Hauptlast im familiären Bereich, bei der Kindererziehung und der Pflege kranker und alter Familienmitglieder. Aber im Bildungsbereich, in der Schule, in der beruflichen Ausbildung und in Universitäten ist das Prinzip der Chancengleichheit weitgehend verwirklicht. Viele Mädchen und junge Frauen haben diese Möglichkeiten genutzt, haben ein neues Selbstverständnis entwickelt. Sie erzielen bessere und höherwertige schulische Abschlüsse, bilden sowohl an Gymnasien wie an Hochschulen die Mehrheit und erlangen bessere Qualifikationen als ihre männlichen Altersgenossen. Die in unsere Gesellschaft hineinwachsenden Jungen haben ein Problem, für das sie selbst nicht verantwortlich sind und das sie auch allein nicht lösen können: Nicht alle, aber doch sehr viele laufen Gefahr, zu Verlierern dieser Entwicklung zu werden. Abgehängt in der Schule, zu schlecht im Gymnasium, schwierig in der Ausbildung und in deutlicher Minderheit beim Studium.
2. Was sind Ihrer Meinung nach die Folgen dieser Entwicklung für die Jungen?
Schulschwierigkeiten, Ausbildungsabbrüche, soziale Probleme, Kriminalität, Drogenkonsum, selbst- und fremddestruktives Verhalten, Zusammenrottung in radikalen, gewaltbereiten Gruppierungen, Manipulierbarkeit durch fragwürdige Vorbilder und nicht zuletzt Beziehungsstörungen zum anderen Geschlecht – alles mehrheitlich Verhaltensweisen und Merkmale von Jungs und jungen Männern. Jungen haben Orientierungsprobleme. Nicht so sehr als Heranwachsende an sich, sondern vor allem als heranwachsende Männer. Sie finden zu selten positive männliche Vorbilder. Sie kommen mit der Auflösung des alten Rollenverständnisses der beiden Geschlechter nicht so gut zurecht wie die Mädchen und laufen Gefahr, sich zu verlieren und die in ihnen angelegten Talente und Begabungen verkümmern zu lassen. Die nachwachsende Generation männlichen Geschlechts wird so zunehmend zu einer Belastung unseres sozialen Zusammenlebens und zu einem erheblichem Kostenfaktor für unsere Gesellschaft.
3. Was gilt es Ihrer Meinung nach zu tun?
Die notwendige Unterstützung bei der Herausbildung einer – im positiven Sinn – neuen männlichen Identität kann nicht von Frauen geleistet werden. Sie muss von Seiten der Männer erfolgen. Genau das ist das Ziel der Initiative „Männer für morgen“. Und der Grund, der uns dazu gebracht hat, diese Initiative in Gang zu setzen: Wir wollen die Männer von Morgen dabei unterstützen, eine authentische männliche Identität zu entwickeln, die nicht mehr von den alten Rollenbildern des vergangenen Jahrhunderts geprägt ist.
4. Was ist also die primäre Herausforderung der Jungen und jungen Männer heute?
Die entscheidende Herausforderung für die Jungs und jungen Männer in der gegenwärtigen Entwicklungsphase unserer Gesellschaft und unseres Kulturkreises lautet: Wie gelingt es mir, die besonderen Talente und Begabungen, die ich in mir trage, zur wirklichen Meisterschaft zu entfalten und wie kann ich diese, so entwickelten Fähigkeiten einsetzen, um die Zukunftsaufgaben, vor denen unsere Gesellschaft steht, gemeinsam mit anderen meistern zu helfen? Dazu brauchen sie männliche Vorbilder, die ihnen Orientierung bieten und ihnen vorleben, wie sie mit ihrer Suche nach Halt und sozialer Bedeutung umgehen.
5. Was unterscheidet die Jungs von den Mädchen? Ist der Unterschied so gravierend, und wenn ja, was sind die Konsequenzen?
Jungs kommen konstitutionell schwächer zur Welt als Mädchen, weil sie durch das fehlende zweite x-Chromosom empfindlicher für zelluläre und damit körperliche Störungen sind. Sie brauchen und suchen daher schon unmittelbar nach der Geburt mehr Halt als Mädchen. Und den suchen sie im Außen, meist vehementer als Mädchen, weil das anstelle eines zweiten x-Chromosoms bei ihnen vorhandene y-Chromosom die Ausreifung männlicher Gonaden und damit die Produktion des antriebssteigernden, anabol wirksamen Testosterons bewirkt.
6. Was können denn die Väter tun? Werden sie mit der Initiative auch angesprochen?
Väter sind die natürlichen Vorbilder für ihre Söhne. Sie haben die besten Voraussetzungen, ihnen Halt und Orientierung zu bieten. Die Initiative will mit ihren Projekten dazu beitragen, dass Väter sich noch mehr als bisher dieser Verantwortung bewusst werden und sie dabei bestärken, diese Verantwortung auch zu übernehmen.
7. Zur Initiative konkret: welche Projekte fördern Sie, was sind die Kriterien für eine Förderung?
Zunächst stellt die Initiative einige ausgewählte Projekte vor, die diese Ziele aus Sicht der Initiatoren in vorbildlicher Weise anstreben und zu erreichen in der Lage sind. Wir gehen davon aus, dass sich die Zahl und das Spektrum dieser Projekte rasch erweitern.
8. Wie kann Ihrer Meinung nach die Politik die Situation verbessern helfen?
Wir bemühen uns darum, politische Entscheidungsträger und Gremien als Unterstützer für diese Initiative zu gewinnen. Wir sind uns aber auch über die Grenzen der Möglichkeiten politischer Maßnahmen in Bezug auf die Umsetzung unseres Anliegens bewusst.
9. Wenn Sie einen Wunsch für die Jungen frei hätten, welcher wäre das?
Macht die Jungs nicht länger zum Objekt irgendwelcher Maßnahmen, sondern versucht sie einzuladen, zu ermutigen und zu inspirieren, das zu werden, was jeder von ihnen eigentlich sein könnte: ein liebevoller, umsichtiger, verantwortungsvoller und authentischer Mann. Ein Mann, der mit seinen besonderen Fähigkeiten dazu beiträgt, gemeinsam mit den Frauen eine lebenswerte, zukunftsfähige Welt zu gestalten.