35 Stunden Woche für Väter
Erstellt von Hans-Georg Nelles am Sonntag 24. Juni 2012
… und Mütter mit Kindern bis zu 6 Jahren, und dass bei vollem Lohnausgleich. Wer vor 35 Jahren darauf gewettet hätte, 1977 forderte die IG Metall die Einführung der 35 Stunden Woche, dass eine solche Regelung von der Frankfurter Allgemeinen als vorbildlich herausgestellt wird, wäre für verrückt erklärt worden.
Aber jetzt haben wir 2012 und die Verhandlungspartner der Chemiebranche haben gerade eine derartige Regelung vereinbart. Jan Grossarth schreibt dazu in der FAZ:
‚… Die experimentierfreudigen Tarifpartner der Chemieindustrie handelten wieder einmal eine Novität aus: Demographiekorridore. Was ist das? Die wöchentliche Arbeitszeit wird flexibler, sie richtet sich nicht nur nach der Auftragslage der Unternehmen, sondern auch nach der Lebensphase der Arbeiter. Diese sollen fortan in der Regel nur vier Tage in der Woche arbeiten, wenn sie älter als 60 Jahre sind. Erstmals wurden solche Arbeitszeitkonten, die es in ähnlicher Form schon länger in der Chemiebranche gibt, nun auf Familien ausgeweitet. Das heißt, junge kinderlose Arbeitnehmer arbeiten länger, zum Beispiel 40 Stunden in der Woche, und wenn sie Kinder bekommen, reduziert sich die Arbeitszeit auf bis zu 35 Stunden bei vollem Lohnausgleich. Wenn die Kinder dann älter sind, steigt die Arbeitszeit wieder.
Die Demographiekorridore lassen sich die Unternehmen der chemischen Industrie bis 2015 erstmal 200 Millionen Euro zusätzlich kosten. … Ist solche Tarifpolitik vielleicht die bessere Familienpolitik? Das kann gut sein. Denn mehr Geld vom Staat und auch mehr Kita-Plätze lösen das zentrale Problem junger Menschen nicht, dass die Arbeitsanforderungen vieler Unternehmen nicht mit Kindern vereinbar scheinen. Tatsächliche Arbeitszeiten sprengen den 40-Stunden-Rahmen nicht selten, die Arbeit frisst alle Energie. …
Freiwillige Betriebsvereinbarungen, wie sie die Chemiebranche plant, haben eine andere Qualität: Es ist ein entscheidender Unterschied, ob der Staat die Unternehmen gewissermaßen dafür bestraft, dass sie Mütter und Väter einstellen, oder ob das Unternehmen sie belohnt. Eine solche Wertschätzung kann die Angst nehmen, mit der Familie ginge die eigene „Wettbewerbsfähigkeit“ im Unternehmen verloren. …‘