Wenn Männer etwas fordern, heißt es gleich die jammern
Erstellt von Hans-Georg Nelles am Samstag 3. September 2011
Wollen Väter wirklich weniger arbeiten und ihre Kinder wickeln, oder sind das bloss Lippenbekenntnisse? Im Gespräch mit Stefan van Bergen verteidigt Markus Theunert, Präsident des Schweizer Dachverbands Männer.ch, den guten Willen und die neue Sensibilität von Männern.
‚… Warum sollten die Parteien Wunschträume und Lippenbekenntnisse bewirtschaften?
Diese Kritik greift zu kurz. Natürlich machen einige Väter bloss Lippenbekenntnisse. Aber auch sie leisten als Haupternährer viel für die Familie. Sie unterliegen zudem einem sozialen Druck. Männliche Identität basiert zentral auf Leistung. Wenn einer seine Leistung zu 100 Prozent im Job zu erbringen glaubt, dann ist es für sein Selbstbild riskant, sein Pensum zu reduzieren. Männer haben Angst vor den schrägen Blicken der Kollegen und fürchten, eine Reduktion der Arbeitszeit werde ihnen als mangelndes Engagement ausgelegt.
Das muss ein Mann halt in Kauf nehmen, wenn er wirklich weniger arbeiten will.
Schon. Aber es gibt ganz reale Hindernisse, wie die begründete Sorge, dass die Karriere dann nicht mehr vorangeht. Es gibt auch eine Verantwortung des Staats bei der Ermöglichung einer neuen Vaterrolle. Etwa indem er eine Väterzeit einführt, die es in der Schweiz im Unterschied zur EU nicht gibt. Studien belegen, dass die Präsenz in den ersten Wochen nach der Geburt eines Kindes für die Väter einen positiven Effekt hat, bis die Kinder erwachsen sind.
Väter könnten unbezahlten Urlaub nehmen, aber nur wenige tun das. Braucht es da wirklich eine staatliche Aufforderung?
Es braucht eine neue Selbstverständlichkeit. Das Modell eines privat finanzierten, steuerbefreiten Vaterschaftsurlaubs, das wir im Mai in einer überparteilichen Gruppe lancierten, würde ein starkes Signal für ein neues Vatersein im Alltag setzen. Übrigens: Wenn Männer etwas fordern und ein Anliegen formulieren, heisst es reflexartig: O je, die armen Männer jammern.
Gesteht man Frauen eher zu, sich über Nachteile zu beklagen?
Männer sollen alles im Griff haben, das ist die nach wie vor gültige Norm. Wir von Männer.ch sagen aber: Wir Männer von heute haben nicht alles im Griff, wir schaffen es nicht, den ganzen Kanon von Anforderungen zu erfüllen, wir haben Anliegen. Offenbar ist das für jene, die die alte Männlichkeitsnorm verteidigen, eine Provokation.
Weil fehlende Gleichberechtigung wenn schon als Problem der Frauen und nicht der privilegierten Männer gilt?
Es gibt sonderbare Kurzschlüsse. Man sagt etwa: Jetzt kommen die Männer mit Anliegen, wo doch die Frauen immer noch weniger verdienen als die Männer. Es ist aber nicht so, dass das eine Geschlecht von einer Sache profitiert und das andere Geschlecht darunter leidet. In der Realität leiden beide unter ihrem Rollenkorsett. Ja, die Frauen müssen sich bei Lohngesprächen durchsetzen lernen. Und ja, Männer müssen zu ihren Ressourcen mehr Sorge tragen.
Scheuen Frauen vor Frauenfragen weniger zurück als Männer vor Männerfragen?
Die ganze Gesellschaft und die Politik scheuen Männerfragen. Die hohen Kosten, die der traditionelle Männlichkeitstyp verursacht, werden versteckt. Raserunfälle werden unter dem Aspekt der Verkehrssicherheit und nicht der Männlichkeit diskutiert. Stress unter dem Aspekt Gesundheit. Dass 85 Prozent aller Gefangenen Männer sind, ist in der Debatte über den Strafvollzug ein Randthema. Die Schweiz leistet sich den Luxus, solche Probleme nicht unter der Männerperspektive zu betrachten. …’