Wenn der Vater fehlt
Erstellt von Hans-Georg Nelles am Mittwoch 10. November 2010
Wer seinen leiblichen Vater niemals kennengelernt hat, leidet darunter ein Leben lang, sagt der Psychoanalytiker Horst Petri im Interview der neuen Ausgabe von GEO WISSEN zum Thema „Väter“
… Bei der Generation der heutigen jungen Väter ist die Vaterentbehrung meist eine Folge der Trennung der Eltern. Ändert sich damit auch die Symptomatik?
Diese Männer verleugnen den frühen Schmerz meist völlig, sagen, dass der Vater schon lange kein Thema mehr für sie ist, weil sie ihn seit Jahrzehnten nicht mehr gesehen haben und sie bei der Mutter aufgewachsen sind. Aber dann sitzen die plötzlich bei mir und brauchen Hilfe. Ich habe vier Patienten im Alter zwischen 30 und 40 Jahren, die alle kleine Kinder haben. Die Frauen halten es mit den Männern nicht mehr aus, weil sie unfähig sind, empathisch auf die Familie einzugehen. Sie sind sehr leistungsorientiert, sehr tüchtig und erfolgreich – aber emotional wie zugeschnürt.
Immerhin kommen diese Männer überhaupt zu Ihnen.
Oft aber erst nach einer Trennung, oder wenn die Frau ihnen gesagt hat, dass sie sich trennen will. Für die Männer bricht eine Welt zusammen, sie sind oft völlig hilflos, entwickeln schwere Verlassensängste und Depressionen. In den Gesprächen stellt sich dann heraus, dass sich diese Männer bislang kaum um die Kinder gekümmert haben, sie aber nun wie wild um die Familie kämpfen. Sie versuchen ihre Schuldgefühle loszuwerden und sich als guter Vater zu profilieren, alles Versäumte nachzuholen. Dabei sind sie häufig so überfürsorglich und vereinnahmend, dass die Kinder in ihrer freien Entwicklung erheblich eingeschränkt werden.
Und das ist eine Folge der eigenen Vaterentbehrung?
Sie haben aufgrund dieser Entbehrung nie gelernt, eine gute Bindungsqualität zum anderen Geschlecht und zu den eigenen Kindern zu entwickeln. Ihre Gefühlsbindungen zu nahen Personen haben an Tiefe verloren. Und dann kommt es zur sogenannten transgenerationalen Weitergabe des Traumas: Sie vernachlässigen die eigenen Kinder, weil sie das selber nicht anders erlebt haben und ohnehin davon ausgehen, dass sie entbehrlich sind.