‚Ein Vater muss der Meister der Kniebeuge sein’
Erstellt von Hans-Georg Nelles am 9. Dezember 2008
In der aktuellen Ausgabe von chrismon, dem evangelischen (Online-) Magazin, ist ein spannender Dialog zwischen dem Philosophen Dieter Thomä und der Theologin Claudia Janssen abgedruckt. Es geht um Väter, als ‚moderne Helden’ aber auch um Fragen wie ‚ Was kann ein Vater, was eine Mutter nicht kann?’ und ‚ Können wir uns das Luxusgeschlecht Mann bald ganz sparen?’.
‚… chrismon: Ist der Vater der erste Fremde?
Thomä: Der erste andere, er ist dieser Dritte. Ein Vater muss der Meister der Kniebeuge sein. Er muss groß und stark sein, er muss dem Kind einen Rückhalt bieten und ihm ein Vorbild sein. Und dann kommt die Kniebeuge: Er muss sich auch auf Augenhöhe begeben, er muss hemmungslos spielen können. Wenn er diese Kniebeuge nicht macht, bekommt seine Größe etwas Angsteinflößendes und Brutales. Bliebe er aber nur auf Augenhöhe, würde er den Fehler begehen, der beste Kumpel seines Kindes zu sein.
Janssen: Diese Rollen müssen beide wahrnehmen, Vater und Mutter. Wichtig ist die Frage nach den gesellschaftlichen Bedingungen fürs Vatersein. In Umfragen sagen 90 Prozent der Väter, dass für sie die Familie das Wichtigste ist. In der Realität verlangt die Arbeitswelt von jungen Männern, überdurchschnittlich viel zu arbeiten. Nur drei bis vier Prozent der Männer sind Hauptbetreuer ihrer Kinder. Und nur ein Drittel der Mütter mit Kindern unter drei Jahren ist berufstätig, meistens in Teilzeit. Der Wunsch nach Veränderung ist da, und doch rutschen Eltern in die alten Rollen: Der Vater ist für den Familienunterhalt zuständig, die Mutter ist zu Hause und versorgt die Kinder.
Bringt das Elterngeld nicht mehr Männer dazu, sich in der Kindererziehung zu engagieren?
Janssen: Nur zwölf Prozent der Männer nutzen die Elternzeit, die meisten nehmen nur die zwei Pflichtmonate mit. Ich kenne viele Väter, die eine gleichberechtigte Rolle übernehmen wollen, aber dann stoßen sie auf dieselben Barrieren wie Frauen. Die Sonntagsreden über den neuen Vater passen nicht zur Realität: Der Beruf fordert Flexibilität, Effektivität, Mobilität. Wenn die Kinder klein sind, wird Karriere gemacht. Und 20 Prozent der Männer verweigern sich, eine Familie zu gründen. Aus gutem Grund: Kinderkriegen ist ein Armutsrisiko und Karrierehindernis.
Thomä: Man sieht einen enormen Wunsch nach Familie. Es gibt etwas, das diesen Wunsch zum Stolpern bringt.
Janssen: Ja, der Alltag: Wo bringt man das Kind tagsüber unter? Wer betreut die Hausaufgaben? Wo gibt es Krippenplätze?
Thomä: Das Faszinierende am Thema Vater und Familie ist, dass sich das Persönliche und das Politische auf dramatische Weise überschneiden. Ein Kind berührt die intimsten Wünsche eines Menschen, aber immer spielen auch Familienpolitik und Rentenversicherung eine Rolle. Es gibt einen Zielkonflikt: Die Wirtschaft will konkurrenzfähig bleiben – aber die Gesellschaft braucht die Familie für den sozialen Zusammenhalt. Das betrifft Frauen und Männer gleichermaßen. Die Sorge, ob man das Wagnis Familie eingeht, sucht auch die Frauen heim. …’
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