Die ga-ganz perfekten Väter
Erstellt von Hans-Georg Nelles am Montag 26. Oktober 2009
Mit der ihm eigenen und aus seinem Buch ‚Wickelpedia’ bekannten provozierenden Art, setzt sich Constantin Gillies, selbst Vater von zwei Kindern mit dem Drang nach Perfektion mancher neuen Väter auseinander und plädiert für eine neue Sicht – Weise.
‚ … Es sind eben nicht normale Väter, die da auf dem Gang fachsimpeln, sondern sogenannte Neue Väter – angeblich die letzte Stufe in der Evolution des Mannes. Sie haben sich viel vorgenommen, wollen Windeln wechseln, Zäpfchen abfeuern und sich nicht wie ihre alten Herren auf Dienstreisen absetzen. Immer getreu dem bekannten Lied von Herbert Grönemeyer: „Männer machen alles ga-ganz genau.“ Übrigens steckt nicht zufällig das Wort „ga-ga“ in diesem Satz. Wie ga-ganz genau es der Neue Vater nimmt, lässt sich auf Spielplätzen beobachten.
Bepackt wie auf dem Weg zum Nanga Parbat rücken die Väter Version 2.0 hier jeden Morgen an, im Gepäck die Tupperdose mit Karottensticks, natriumarmes Mineralwasser und natürlich Sonnenschutz. Vor allem Sonnenschutz, denn ein Kind darf heutzutage nur noch so viel Sonne abkriegen wie Darth Vader aus „Star Wars“.
Als Erstes fischt der Neue Vater aus seinem Rucksack die obligatorische UV-Schutzmütze, natürlich mit umlaufendem Nackenlappen. Dann folgt die Sonnenbrille mit Gummizug, die auch für Schweißarbeiten zugelassen ist. Apropos Schweiß: Zum Schluss zwängt der Vater seinen kleinen Sonnenschein in eine Art Taucheranzug, der von Kopf bis Fuß Lichtschutzfaktor 80 verspricht. Und Spaßfaktor Null. …
Aber muss der ganze Zirkus wirklich sein? Sicher nicht. Im Gegenteil: Die meisten neuen Überpapis täten gut daran, sich auf die traditionelle Hauptaufgabe eines Vaters zu besinnen – für ein gesundes Maß an Vernachlässigung sorgen. Auf dem Spielplatz zum Beispiel: Die ganze Achttausender-Ausrüstung kann in Wirklichkeit zu Hause bleiben, tatsächlich gebraucht werden nur eine Windel, eine kleine Packung feuchte Taschentücher und im Sommer Sonnenmilch. Das passt locker in die Innentasche eines Jacketts und trägt nicht auf. Alles andere lässt sich an der Tankstelle beschaffen. …
Selbst beim größten, ja fast heiligen Thema aller Neuen Eltern, der Erziehung, schadet ein bisschen Laisser-faire nicht. Vor allem Väter reiben sich oft völlig auf, um Regeln durchzudrücken, die sie im Fernsehen bei der Supernanny aufgeschnappt haben. Totale Energieverschwendung. Wer als Vater die Elternzeit stressfrei überstehen will, sollte ab und zu die sogenannte Sicht-Erziehung betreiben.
Es gilt das Prinzip: Was der Schiri nicht sieht, muss er auch nicht pfeifen. Taktisches Weggucken ist gefragt, etwa in Situationen wie dieser: Die Kinder essen mit den Händen statt mit dem Löffel. Wie reagiert der erprobte Sicht-Erzieher? Er studiert während der Mahlzeit einfach den Katalog vom Elektronikmarkt. So sieht er den Regelverstoß nicht – und muss ihn auch nicht ahnden.
Und so geht es weiter: Butterkeks sticht Reiswaffeln, Hüpfburg schlägt Baby-Yoga, und die gute alte Autorunde um den Block schläfert Kleinkinder schneller ein als die gleiche Runde im ökologisch-korrekten Fahrradanhänger. Manchmal lohnt es sich eben auch für Neue Väter, die Dinge ein bisschen wie die Alten zu handhaben – und nicht alles ga-ganz genau zu nehmen.