Vor einem Monat hat die Veröffentlichung von
Umfrageergebnissen der Organisation ‚Plan International‘ großen Wirbel
verursacht. Begriffe wie ‚Retraditionalisierung‘ und ‚Rollback in Sachen
Geschlechtergerechtigkeit‘ waren noch die harmlosesten, die mit den Antworten der
befragten Männer im Alter von 18 bis 35 Jahren in Verbindung gebracht wurden.
Bei den Vorstellungen zur Aufgabenteilung in der Familie sehen
52 Prozent der jungen Männer ihre Rolle darin, im Beruf genug Geld zu
verdienen, die Zuständigkeit für die Carearbeit weisen sie ihrer Partnerin zu.
In seiner Stellungnahme hat der Vorstand der LAG Väterarbeit die Frage
gestellt, ob diese Rollenerwartung wirklich aus der Welt ist. Das Gerangel um
die Familienstartzeit, die als Vaterschaftsfreistellung im Koalitionsvertrag
verankert ist, Kürzungen im Bereich des Elterngeldes und ausbleibende Reformen
im Familienrecht wecken Zweifel am politischen Willen.
„Wir müssen wieder mehr arbeiten“ wird Michael Hüther,
Direktor des arbeitgeberfinanzierten Instituts der deutschen Wirtschaft (IW), im
Spiegel zitiert. Er will dem Fachkräftemangel mit längeren Arbeitszeiten
entgegenwirken. Es brauche eine Ausweitung der individuellen Arbeitszeit im
Jahr, „nicht den unrealistischen Traum der Viertagewoche“. Bereits im Jahr 2023
würden 4,2 Milliarden Arbeitsstunden fehlen.
An anderer Stelle haben sein und andere Wirtschaftsinstitute
vorgerechnet, dass eine Erhöhung der wöchentlichen Arbeitszeit von Müttern mit
Kindern unter 18 Jahren um eine Stunde einen jährlichen Zugewinn von mehr als
100 Millionen Stunden bewirken würde.
Eine aktuelle Veröffentlichung zeigt auf, wie es um die Nutzung dieser ‚Stellschraube‘ für die Volkswirtschaft und die Möglichkeiten für Väter zur Reduzierung ihrer Erwerbsarbeitszeit im Sinne einer geschlechtergerechten Aufteilung von Care- und Erwerbsarbeit bestellt ist.
Die Erwerbsbeteiligung von Müttern in Deutschland ist in den
vergangenen zwei Jahrzehnten zwar angestiegen. 2022 gingen 73 Prozent aller
Mütter mit minderjährigen Kindern in Westdeutschland und 75 Prozent aller
Mütter in Ostdeutschland einer bezahlten Tätigkeit nach, die meisten von ihnen jedoch
in Teilzeit. Bei der Einstellung zur Müttererwerbstätigkeit zeigen sich nach
wie vor erhebliche Unterschiede, wie die neue Studie des Bundesinstituts für
Bevölkerungsforschung (BiB) belegt. Demnach ist die Einstellung gegenüber einer
Erwerbstätigkeit von Müttern stark vom Alter des jüngsten Kindes und der
Herkunft der Eltern abhängig.
Darüber hinaus wurden auch die
Einstellungen zur Erwerbstätigkeit von Vätern erfasst. Die Mehrheit der
befragten Männer und Frauen spricht sich hier für eine Vollzeiterwerbstätigkeit
aus. Ist das jüngste Kind in der fiktiven Konstellation zwei Jahre alt, findet
eine Teilzeiterwerbstätigkeit von Vätern zwar durchaus noch Zustimmung – ab
einem Alter von vier Jahren aber nicht mehr. Frauen befürworten zudem eher als
die Männer selbst eine Teilzeitbeschäftigung von Vätern.
Diese Erwartungen erfüllen Väter vollumfänglich. Väter von kleinen Kindern mit einer Vollzeitstelle arbeiten durchschnittlich 44 Stunden pro Woche. Und die Ausgangsfrage lässt sich momentan leider nur mit ‚NEIN‘ beantworten.
… was Väter können, was sie fürs Vatersein noch benötigen
und was sie gemeinsam lernen können
Diese Fragen werden beim ersten VäterSummit in NRW am 26.
August in Essen thematisiert. Am Vormittag wird Teresa Bücker, Journalistin und
Autorin des Buchs ‚Alle Zeit‘ unter der Überschrift ‚Ist es radikal, wenn Väter
sich mehr Zeit für die Familie nehmen?‘ ihre Gedanken und Vorschläge zu dem
Thema formulieren. Eingerahmt wird ihr Beitrag durch Impulse ‚aus dem
Väter-Leben‘ mit Comedian Florian Hacke. Moderiert wird der Väter von Sascha
Verlan, Mitinitiator des ‚Equal Care Days‘
Inhaltlich geht es dann nach der Mittagspause mit einem
BarCamp weiter. Die Väter können ihre Anliegen vorbringen und in zwei Runden
gemeinsam mit anderen Vätern bearbeiten. Unterstützt werden sie dabei unter
anderem Heiner Fischer (www.vaterwelten.de),
Hans-Georg Nelles (www.lag-vaeterarbeit.nrw)
und Sascha Verlan.
Für die Kinder gibt es den ganzen Tag spannende Spiel und
Bastelangebote.
Der #VaeterSummitNRW wird von der LAG Väterarbeit NRW gemeinsam mit den Gleichstellungsstellen in Bonn, Dortmund, Essen und Münster veranstaltet und richtet sich an Väter mit ihren Kindern sowie an Väterarbeit interessierte Fachkräfte. Weitere Informationen und eine Anmeldemöglichkeit zur Veranstaltung am 26. August finden Sie hier.
Eigentlich wollte die ‚neue‘
Vätergeneration schon vor der Einführung von Elterngeld und Vätermonaten so
richtig am Start sein. Und vielen jungen Vätern ist es auch tatsächlich
wichtig, nicht nur am Wochenende Papa-Zeit zu haben.
Doch Rollenmuster sind hartnäckiger als gedacht. Liegt es auch an den Müttern, die nicht loslassen wollen und sich einen Familienernährer wünschen? ‚Die Ratgeber‘ fragen nach, unter anderen bei Nick und Leon von den ‚Bromance Daddys‘ und Martin Noack, Vätercoach aus Wiesbaden.
Interview mit Michaela Kreyenfeld erlätert Frau Prof*in Kreyenfeld unter anderem, welche Rahmenbedingungen ‚gemeinsam getrennt erziehen‘ ermöglicht.
Frau Kreyenfeld, Sie haben an dem Gutachten des Beirats
für Familienfragen der Bundesregierung zum Thema ‚gemeinsam getrennt erziehen
mitgearbeitet. Welche Bedeutung hat das Thema heute schon und wie schätzen sie
die zukünftige Entwicklung ein?
In vielen anderen europäischen Ländern, vor allem in den
Niederlanden, Belgien oder Schweden, ist die geteilte Betreuung nach Trennung
und Scheidung viel verbreiteter als in Deutschland. Wir können aber auch
für Deutschland davon ausgehen, dass geteilte Betreuung in Zukunft an Bedeutung
gewinnen wird. Auch nach Trennung und Scheidung wollen Väter zunehmend im
Leben ihrer Kinder präsent bleiben. Diese sich ändernden Lebensrealitäten
müssen auch im Recht besser abgebildet warden.
Was ist aus der Sicht der Kinder nach dem Scheitern einer
Paarbeziehung am wichtigsten?
Für Kinder ist es vor allem belastend, wenn sie in die
Streitigkeiten ihrer Eltern hineingezogen werden und das Gefühl vermittelt
bekommen, dass sie Partei einnehmen müssen. Eltern müssen in die Lage
versetzt werden — bei allen Streitigkeiten untereinander — das Wohl ihrer
Kinder im Blick zu behalten. Dazu gehört auch, dass Eltern verstehen,
dass zum Wohl des Kindes in der Regel auch gehört, dass beide Eltern im Leben
ihrer Kinder präsent bleiben.
An welchen Stellschrauben muss Familienpolitik
kurzfristig drehen, um die Situationen von getrennt lebenden und erziehenden
Eltern zu verbessern?
Im Gutachten „Gemeinsam Getrennt Erziehen“ haben wir
konkrete Handlungsempfehlungen herausgearbeitet. Die
Familienberatung zu reformieren und Mediationsangebote zu etablieren, das sind
sicherlich naheliegende Stellschrauben. Was die rechtlichen
Rahmenbedingungen betrifft, ist noch sehr viel zu tun. Letztendlich zieht sich
die Idee des Residenzmodells durch alle Rechtsbereiche. Es fängt beim
Melderecht an. Eine Person kann nur einen Hauptwohnsitz in Deutschland haben;
demnach kann das Kind entweder nur beim Vater oder der Mutter gemeldet sein.
Kindergeld kann ebenfalls nicht gesplittet werden. Es geht nur auf das Konto
des Vaters oder der Mutter. Wir haben im Gutachten konkrete Vorschläge zur
Reform des Kindesunterhalts erarbeitet und haben uns hier für ein
„Stufenmodell“ ausgesprochen, das neben dem Residenzmodell die paritätische und
asymmetrische Betreuung im Recht etablieren würde.
Familienministerin Paus hat Sie und sechs weitere
Kolleg*innen Anfang Januar in die Sachverständigenkommission zum 10.
Familienbericht berufen. Die Kommission soll unter anderem Empfehlungen
formulieren, um im Interesse von Trennungsfamilien bestehende politische
Instrumente weiterzuentwickeln sowie neue zu entwickeln. Wo sehen sie dabei
aufgrund Ihrer bisherigen Arbeit Ansatzpunkte im Interesse von Trennungsvätern?
Thema des Familienberichts sind Alleinerziehende und
getrennt erziehende Eltern. Damit sind Trennungsväter automatisch auch im
Blick. Ein stärkeres väterliches Engagement kommt nicht nur Vätern und Kindern
zugute. Es muss in der Debatte auch klarer werden, dass Mütter auch davon
profitieren können, wenn sie Betreuung und Erziehung mit dem Ex-Partner teilen
können. Allerdings können wir die Augen auch nicht vor den gegebenen Realitäten
verschließen. Die Einkommensunterschiede zwischen Männern und Frauen sind
enorm in Deutschland. Nach wie vor sind es eher Mütter als Väter, die
nach der Geburt des Kindes aus dem Arbeitsmarkt ausscheiden und zugunsten der
Familienarbeit im Beruf zurückstecken. In einigen Partnerschaften führt
erst die Scheidung und Trennung von der Partnerin dazu, dass Väter sich ihrer
Väterrolle bewusst werden und Betreuungs- und Erziehungsverantwortung
wahrnehmen und auch einfordern. Das ist auch gut so. Aber eine Politik, die
erst bei Scheidung und Trennung ansetzt, kommt zu spät. Väterliches Engagement
in der bestehenden Partnerschaft sollte genauso selbstverständlich sein, wie
die mütterliche Erwerbsintegration. Unser Ziel ist es aktuelle Strukturen
zu hinterfragen, die es Eltern zum Teil schwierig machen, nach Trennung und
Scheidung geteilte Betreuung für ihre Kinder zu realisieren.
Michaela Kreyenfeld ist Professor of Sociology an der Hertie School. Ihre Forschungsschwerpunkte sind Familiendemographie und Familiensoziologie. Bis 2016 leitete sie die Forschungsgruppe „Lebenslauf, Sozialpolitik und Familie” am Max-Planck-Institut für demografische Forschung in Rostock. Sie ist Mitglied der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, des Kuratoriums des Bundesinstituts für Bevölkerungsforschung (BiB), des wissenschaftlichen Beirats des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) sowie des Beirats für Familienfragen des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend. Sie leitet derzeit die Sachverständigenkommission des 10. Familienberichts.
… lautete vor 10 Jahren der Titel eines Manifests,
mit dem sich 23 Wissenschaftler*innen an die Öffentlichkeit gewandt
haben. Sie sahen den Zusammenhalt der Gesellschaft, der über
wechselseitige Sorge gewährleistet wird, gefährdet. „Care in allen
Facetten ist in einer umfassenden Krise. Hierzu gehören unverzichtbare
Tätigkeiten wie Fürsorge, Erziehung, Pflege und Unterstützung, bezahlt
und unbezahlt, in Einrichtungen und in privaten Lebenszusammenhängen,
bezogen auf Gesundheit, Erziehung, Betreuung u.v.m. – kurz: die Sorge
für andere, für das Gemeinwohl und als Basis die Sorge für sich selbst,
Tag für Tag und in den Wechselfällen des Lebens. Care ist Zuwendung und
Mitgefühl ebenso wie Mühe und Last. Gleichwohl ist Care keine
Privatangelegenheit, sondern eine gesellschaftliche Aufgabe. …“
Ihrer Auffassung nach hat sich die Gesellschaft seit den 1970er
Jahren hin zur flexibilisierten und globalisierten Dienstleistungs- und
Wissensgesellschaft verändert. Die Organisation und Zuweisung von
Care-Aufgaben spiegeln jedoch noch ihre historische Entstehung während
der Industrialisierung im 19. Jahrhundert.
Care wurde Frauen zugewiesen, abgewertet als ihre scheinbar
natürliche Aufgabe, unsichtbar gemacht im privaten Raum der Familie oder
unterfinanziert und semi-professionalisiert im sozialen Bereich
organisiert.
Erschwerend komme hinzu, dass die Care-Krise, die von der aktuellen
neoliberalen Politik verschärft wird, immer nur an einzelnen Stellen
aufscheint: wenn Frauen und Männer versuchen, individuell und oft mit
großer Anstrengung, strukturelle gesellschaftliche Probleme zu
bewältigen.
Die Autorinnen des Manifests forderten dazu auf, alternative
Care-Modelle zu entwickeln und gesellschaftlich-politische
Veränderungsprozesse anzustoßen, die sich an umfassenden Vorstellungen
von Gerechtigkeit und einem guten Leben orientieren: „Hierfür müssen
Politik, Unternehmen und Verbände – auch in transnationaler Perspektive –
anfangen, Care-Bedarfe als grundlegende gesellschaftliche Aufgabe im
Zusammenhang wahrzunehmen, statt Einzellösungen zu entwickeln. Denn über
Care wird zwar vielerorts geredet, aber die Diskussionen nehmen bislang
weder disziplinär noch politisch oder normativ aufeinander Bezug.“
Es ging für sie auch darum, „Fürsorglichkeit und Beziehungsarbeit neu
bewerten, unabhängig von traditionellen Geschlechterbildern. Im Zentrum
einer fürsorglichen Praxis steht privat wie professionell die
Beziehungsqualität. Menschen sind aufeinander angewiesen und brauchen
persönliche Beziehungen. Care stiftet damit individuelle Identität und
schafft gemeinschaftlichen Zusammenhalt.“
Ihr Fazit: „Wir brauchen eine neue gesellschaftliche Kultur, in der
die Sorge für sich und andere einen eigenständigen Stellenwert bekommt,
unabhängig davon, ob eigene Kinder oder Eltern zu versorgen sind. Wir
brauchen neue Wege der Bereitstellung, Anerkennung, Aufwertung und
Bezahlung wie auch der gesellschaftlichen Organisation von Care-Arbeit
auf lokaler, nationaler und transnationaler Ebene.“ Das ist vor 10
Jahren formuliert worden.
Morgen, am 1. März ist der ‚Equal Care Day‘. Dieser wird seit 2020
von dem gemeinnützigen Vereins klische*esc e.V. durchgeführt. Der Tag
soll „kein Anlass für Blumen- und Pralinen-Geschenke, sondern eine
Initiative sein, die den Druck kontinuierlich hochhält und dafür sorgt,
dass das Thema ‘Equal Care’ nicht mehr aus der politischen Debatte
verdrängt werden kann.“
Im Rahmen des ersten ‚Equal-Care-Day‘ am 29. Februar 2020 ist ebenfalls ein Manifest entstanden. Dort heißt es unter anderem:
„Wir alle sind in unserem Lebensverlauf auf die fürsorgliche Zuwendung
und Versorgung anderer angewiesen: Das gilt für Neugeborene ebenso wie
für Kinder im Vor- und Grundschulalter, aber auch als junge Erwachsene,
als Berufstätige, bei Krankheit oder Behinderung und schließlich als
ältere Menschen profitieren wir im Alltag immer wieder von der
Care-Arbeit anderer; Gesundheit, Wohlbefinden, Lebensqualität und
gesellschaftliches Miteinander hängen davon ab.
Diese Care-Arbeiten und die Mental Load werden vor allem von Frauen
und Mädchen getragen – unbezahlt oder unterbezahlt. Dadurch bleibt ihnen
weniger, manchmal gar keine Zeit für Erwerbsarbeit, zur Aus- und
Fortbildung, und sie verfügen deshalb über weniger oder kein eigenes
Einkommen. Weltweit übernehmen Frauen täglich mehr als 12 Milliarden
Stunden unbezahlte Sorgearbeit. … Würden diese auch nur mit dem
Mindestlohn bezahlt, würde … das Bruttoinlandsprodukt Deutschlands um
circa ein Drittel höher ausfallen, als in den bisherigen
Gesamtrechnungen ausgewiesen wird. Aber private Care-Arbeit spielt für
diese ökonomische Kennziffer, die als ‚Wohlstandsmaß’ einer Nation gilt,
keine Rolle, dabei ist sie das Fundament jeglichen Wirtschaftens.“
Im weiteren Verlauf des Manifests geht es um die individuelle
Verteilung der Care-Aufgaben, die Beseitigung des ‚Mental Load‘. Die
Bundesregierung wird im letzten Abschnitt aufgefordert, passende
gesetzliche Rahmenbedingungen herzustellen und „sich weltweit für die
ideelle und finanzielle Anerkennung und eine faire Verteilung von
Sorgearbeit stark zu machen.“
Diese Einengung der 2013 manifestierten umfassenden Care-Krise auf
die traditionelle geschlechtsspezifische Arbeitsteilung wird von dem im
Juli 2020 haben gegründeten zivilgesellschaftliche Bündnis „Sorgearbeit fair teilen“ noch weiter zugespitzt.
„Die ökonomischen und sozialen Folgen dieser traditionellen
Arbeitsteilung sind schwerwiegend: Frauen gehen sehr viel häufiger
Teilzeitbeschäftigungen nach und ihre Einkommen sind oft deutlich
niedriger als die von Männern. Die beruflichen Entwicklungsperspektiven
von Frauen sind entsprechend vielfach begrenzt und bei Trennung oder im
Alter sind sie finanziell nicht ausreichend abgesichert. Männern fällt
noch immer überwiegend die Rolle des Familienernährers zu. So fehlt
ihnen neben der Erwerbstätigkeit oftmals die Zeit, Sorge- und Hausarbeit
zu übernehmen. Diese Arbeitsteilung entspricht allerdings nicht mehr
den Lebensvorstellungen vieler heterosexueller Paare. Viele Frauen und
Männer wollen sowohl Sorgearbeit und Sorgeverantwortung übernehmen als
auch den eigenen Lebensunterhalt verdienen können.“
Das Bündnis befindet sich in Trägerschaft des Deutschen Frauenrats
und die Geschäftsstelle wird vom BMFSFJ finanziert. Das Ziel des
Bündnisses ist es, „dass Geschlechterstereotype abgebaut und
Rahmenbedingungen geschaffen werden, die allen Menschen die gleichen
Verwirklichungschancen und die Vereinbarkeit von Sorge- und
Erwerbsarbeit über den gesamten Lebensverlauf hinweg ermöglichen.“
Die Forderungen wie „Ausweitung der individuellen, nicht
übertragbaren Elterngeldmonate auf mindestens vier Monate“ und „10 Tage
Freistellung für Väter bzw. zweite Elternteile rund um die Geburt mit
vollem Lohnersatz“ gehen zwar schon über die im aktuellen
Koalitionsvertrag formulierten Vorhaben hinaus, sind aber allenfalls ein
erster Schritt dahin, „Care-Bedarfe als grundlegende gesellschaftliche
Aufgabe im Zusammenhang wahrzunehmen, statt Einzellösungen zu
entwickeln“, wie es 2013 gefordert wurde.
Die Corona Pandemie hat die Schwächen der Care Systeme schonungslos
offengelegt. Eine gesellschaftliche Kultur die Sorge für sich und andere
einen angemessenen Stellenwert zuweist, ist dennoch nicht in Sicht. Im
Gegenteil, vor dem Hintergrund, der durch den russischen Überfall
provozierten Energiekrise und der Inflation wird zwar einerseits das
Muster männlicher Vollzeittätigkeit als Haupthemmnis identifiziert, das
Väter an mehr Familienarbeit hindert. Andererseits aber kommuniziert,
dass Wirtschaft mehr ‚Bock auf (Erwerbs-) Arbeit‘ braucht und
diejenigen, die Arbeitszeiten reduzieren möchten, mit dem Vorwurf
konfrontiert, ‚Arbeit sei kein Ponyhof‘.
Care macht mehr Leben ins Männerleben. Aber dafür braucht es mehr strukturelle Veränderungen, vor allem auch bei den Arbeitszeiten. Ohne eine Reduzierung der Arbeitszeit bei vollem Lohnausgleich ist eine geschlechtergerechte Aufteilung von bezahlter und unbezahlter Arbeit nicht möglich. Don’t fix the (Wo)Men!
Unsere Kurzbefragung ist zwar nicht repräsentativ, gibt uns
als LAG-Väterarbeit aber wichtige Anhaltspunkte, wie unsere Mitglieder und ‚Follower*innen
auf den verschiedenen Kanälen ‚ticken‘, wo wir mit unserer Arbeit ansetzen
können und welche Herausforderungen und Stolpersteine noch bewältigt bzw. aus
dem Weg geräumt werden müssen. Vielen Dank, dass Sie sich auch diesmal
beteiligt haben.
Insgesamt haben wir Ihnen diesmal 5 Fragen gestellt. Die
erste ist identisch mit einer, die auch der kürzlich veröffentlichten
Väterstudie der TU Braunschweig und der FH Kiel (VAPRO) gestellt wurde:
Wodurch
zeichnet sich ein ‚guter Vater‘ aus?
LAGV
VAPRO
Zeit mit dem
Kind zu verbringen
56,06 %
27 %
Dem Kind
etwas beibringen
3,03%
12,1 %
Dem Kind
Zuneigung zeigen
39,39%
59,5 %
Dem Kind
(finanzielle) Sicherheit bieten
1,52 %
1,4 %
Bei den Ergebnissen zeigt sich, dass die klassische Vaterrolle des finanziellen Versorgers in beiden Befragungen keine Rolle mehr spielt. Zeit mit dem Kind zu verbringen, wird in unserer Befragung mit 56 % doppelt so häufig als Eigenschaft eines ‚Guten Vaters‘ benannt., Zuneigung zeigen mit 40 % rund 20 % weniger als bei der VAPRO Befragung.
Bei der zweiten Frage ging es um die Einschätzung von
folgenden Behauptungen:
Für ein Kind ist es problematisch, wenn der
Vater die Erziehung allein der Mutter überlässt
Väter sollten für ihre Kinder beruflich
‚kürzertreten‘
Es liegt nicht in der ‚Natur des Mannes‘,
Hausmann zu sein
Ein Mann muss seine Familie ernähren können
Der Vater sollte sich genauso stark an der
Kindererziehung beteiligen wie die Mutter
Bei den Antworten zeigt sich eine große Zustimmung zu der
aktiven Beteiligung von Vätern an der Erziehung ihrer Kinder. Sichtbar werden
aber hier teilweise noch die Widersprüche bei den Erwartungen und
Zuschreibungen bezüglich der ‚Ernährerrolle‘.
Der Behauptung, Väter sollten für ihre Kinder beruflich ‚kürzertreten‘ stimmen lediglich gut 40% zu.
Bei einer Geburt stehen die werdende Mutter und das Kind im Zentrum
des Geschehens. Das ist unbestritten. Ebenso unzweifelhaft ist jedoch,
dass zu diesem Zeitpunkt, vor und in den ersten Wochen nach der Geburt,
die Weichen für die zukünftige Arbeitsteilung in der Familie gestellt
werden.
Die überwiegende Mehrheit der jungen Männer und Frauen wünschen sich
eine partnerschaftliche Aufteilung von bezahlter Erwerbs- und nicht
bezahlter Familienarbeit. In der Realität passiert aber das Gegenteil.
Die werdenden Eltern kommen als fortschrittliches Paar in die
Geburtsklinik und verlassen den Kreißsaal mit einer Rollenaufteilung,
die eher der ihrer Großeltern ähnelt als den eigenen Vorstellungen.
Hans-Georg Nelles zeigt in diesem Beitrag auf, was das mit den Strukturen der Geburtshilfe zu tun haben könnte.
Gute Vorbereitung wäre angebracht
Die Entscheidung Vater zu werden, ist heute in den meisten Fällen
eine bewusste, auch wenn der Zeitpunkt nicht genau festgelegt werden
kann und von vielen Männern und Frauen weit in die 30er Jahre
hinausgeschoben wird, das heißt Mütter und Väter mit einer
Hochschulausbildung erst im Alter von 35 Jahren Eltern werden.
Berufliche Entwicklung und materielle Absicherung sind wichtig und die
‚richtige‘ Partner*in muss ja auch noch gefunden werden.
In Anbetracht dieser Vorlaufzeit ist es verwunderlich, dass der
Vorbereitung auf das Vaterwerden und -sein so wenig Bedeutung zugemessen
wird. Sobald eine Frau schwanger wird, greift ein engmaschiges Netz von
Schutzvorschriften im beruflichen Umfeld und Angebote zur
Geburtsvorbereitung sind selbstverständlich und werden von Krankenkassen
finanziert.
Bei den werdenden Vätern sucht Mann vergleichbares vergeblich. Viele
Arbeitgebende erfahren erst bei der Änderung von steuerlichen Eckdaten,
dass jemand Vater geworden ist und da Kinder zunehmend außerhalb einer
Ehe geboren werden noch nicht einmal dadurch.
Auch die Angebote für Väter, sich auf die Geburt ihres Kindes
vorzubereiten, sind eher die Ausnahme. Gewiss, Mann kann gemeinsam mit
seiner Partner*in zum ‚Hechelkurs‘ gehen und erhält wertvolle Infos zu
medizinischen Abläufen und dem Geburtsgeschehen, aber die eigenen
Gedanken und Befürchtungen zur Sprache bringen und sich mit anderen
Vätern auszutauschen ist in diesem Rahmen nicht möglich.
In dem Beitrag ‚Was bringen Geburtsvorbereitungskurse für Männer‘[ii]
werden bundesweit 18 Angebote gelistet. Selbst wenn sich die Angebote
in den vergangenen 6 Jahren verdreifacht hätten, wären es immer noch
Ausnahmeerscheinungen. (Werdende) Väter brauchen ein flächendeckendes
Angebot, das von Krankenkassen finanziert wird.
He for She?
Auf der Grundlage internationaler Forschungsergebnisse, die die
Zusammenhänge zwischen dem Verhalten, den Erfahrungen, Einstellungen und
Merkmalen von werdenden und neuen Vätern und der Gesundheit und
Wohlbefinden von Mutter und Kind aufzeigen, hat die
Weltgesundheits-organisation (WHO) eine der zehn Empfehlungen zu
Maßnahmen der Gesundheitsförderung von Müttern und Neugeborenen zur
Einbeziehung von Vätern formuliert.[iii]
Die WHO empfiehlt, die Beteiligung von Männern während der
Schwangerschaft, der Geburt und nach der Geburt zu fördern, um die
Selbstsorge von Frauen und die häuslichen Pflegepraktiken für Frauen und
Neugeborene zu verbessern, den Einsatz qualifizierter Vorsorge für
Frauen und Neugeborene während der Schwangerschaft, der Entbindung sowie
in der postnatalen Periode zu erleichtern.
Das ist gut und wichtig, beschreibt die Rolle der Väter und ihre
Kompetenzen insbesondere mit Blick auf die Vater-Kind-Bindung aber nur
unzureichend.
Da fehlt doch einer
‚Mutter, Kind und Hebamme bzw. Ärzt*in‘ mit dieser Triade wird das
Geburtsgeschehen beschrieben. Das die werdende Mutter und das Kind im
Mittelpunkt der Betrachtung und des Geburtsgeschehens stehen, ist
selbstverständlich, aber ohne den Vater ist das System unvollständig.
Diese ‚Ausgrenzung‘ setzt sich vielfach in der nachgeburtlichen Betreuung fort:
„Deutlich wird, dass Familienhebammen weniger Familie im Sinne der
Konzeption, sondern vielmehr spezifische Formen von Mutterschaft
herstellen, die sich als „Mother in the Making“ also als unfertige
Mutterschaften beschreiben lassen und die durch die Familienhebamme in
ihrer Mutterwerdung unterstützt werden. Familie wird so zu einer
weiblichen Sorgebeziehung, die sich sowohl über Mutterschaft als auch
über Großmutterschaft nachzeichnen lässt: Familienhebammen werden zu
Mütterhebammen.“[iv]
Vor diesem Hintergrund ist es wenig verwunderlich, wenn Paare, die
mit der Vorstellung einer partnerschaftlichen Arbeitsteilung in den
Kreißsaal gehen, diesen mit traditionellen Rollenzuschreibungen wieder
verlassen.
Eine gute Vorbereitung auf diese Situation und der Austausch unter
Väter kann dazu beitragen, die Wirkungen dieser ‚Ernährerfalle‘ zu
minimieren.
Weder Assistent noch Beifahrer
In dem 2016 auf 136 Seiten ausformuliertem ‚Nationalen Gesundheitsziel Gesunde Geburt‘[v]
wird die Einbeziehung von Vätern an verschiedenen Stellen erwähnt.
Unter anderem heißt es dort ‚Väter bzw. Partnerinnen und Partner sollen
dazu ermutigt werden, sich von Anfang an in der Babyversorgung zu
engagieren und einen eigenen positiven Stil im Umgang mit dem
Neugeborenen zu finden‘.
Obwohl also Alles dafürspricht, (werdende) Väter rechtzeitig
einzubeziehen und als aktive Subjekte im Geburtsgeschehen zu betrachten,
werden sie hierzulande häufig immer noch als ‚Assistenten‘ oder
‚Beifahrer‘ betrachtet.
Die Rolle, die sie während der Geburt wahrnehmen können, ist für ihre
Partnerin da zu sein, den neuen Lebensabschnitt gemeinsam zu beginnen
und von Anfang an als Vater präsent zu sein. Dabei erleben sie sich
vielfach in einer völlig ungewohnten Situation: Sie haben keine
Kontrolle über das Geschehen und die Mächtigkeit der Gefühle führt sie
vielfach nicht nur emotional an ihre Grenzen, sondern manchmal sogar
darüber hinaus. Das Vertrauen in die Kompetenzen des geburtshilflichen
Teams und ihr Wissen um die natürlichen Abläufe sind in diesen Momenten
gute Stützen.
Außerdem unterstützen Väter, auch wenn sie nicht aktiv werden, ihre
Frauen bei der Geburt und haben eine wichtige ‚Bodyguard‘ Funktion im
Hinblick auf Gewalt und Respektlosigkeit.
Bedeutung zuschreiben und erfahrbar machen
Väter sind wichtig, und zwar von Anfang an. Und zwar von dem Moment
an, an dem ein Paar Eltern werden möchte. Die partnerschaftliche
Zuwendung der Väter während der Schwangerschaft einerseits und die
Zuschreibung väterlicher Bedeutung und Kompetenzen andererseits, lange
vor der Geburt, sind mitentscheidend für väterliches Engagement.
Wenn Väter diese Bedeutung dann während der Geburt und unmittelbar
danach gerade auch im Kontakt mit ihrem Kind erfahren können, sind
weitere wichtige Weichenstellungen erfolgt.
Wie Väter auf diese Situation vorbereitet werden können und welche
Rolle die verschiedenen Professionen dabei spielen, ist schon 2014 in
einer von der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung
veröffentlichten Broschüre[vi] benannt worden.
Ein entscheidender Faktor dabei ist die Haltung des geburtshilflichen
Teams gegenüber der Rolle sowie der aktiven Einbeziehung von Vätern.
Ihre gute Vorbereitung auf die Geburt kommt auch der werdenden Mutter
zugute. Studien zeigen, dass Väter, die ihre Rolle während der Geburt
kennen und verstehen, was dort geschieht, selbst besser vor übermäßigem
Stress geschützt sind und seltener Gefahr laufen, den Ablauf der Geburt
negativ zu beeinflussen. Das gilt insbesondere in den Momenten, in dem
es mal nicht „nach Plan läuft“, was aber auch völlig normal ist.
… und zum Schluss noch passende Rahmenbedingungen
Als Vision und Wunsch abschließend formuliert: um werdenden und
gewordenen Väter und Müttern die Verwirklichung ihres Wunsches nach
einer gleichberechtigten Aufgabenteilung zu ermöglichen braucht es,
neben den äußeren, passenden Rahmenbedingungen wie der
Vaterschaftsfreistellung[vii],
ein Angebot sich vor und nach der Geburt mit den oben genannten Themen
auseinanderzusetzen. Und zwar an den Orten und zu den Anlässen, die
Väter und Mütter sowieso gemeinsam oder getrennt aufsuchen und nutzen.
Die Geburtsvorbereitung gehört in jedem Fall dazu. Es braucht aber neben
den Hebammen weitere (männliche) Akteure und Angebote für Väter, vor
allem für die Zeit nach der Geburt.
Damit dies Wirklichkeit werden kann, kommt es aber auch darauf an,
(werdende) Väter so zu empowern, dass sie ihre Bedürfnisse artikulieren
und entsprechende Angebote einfordern.
Eine 14-tägige Vater- bzw. Partner*schaftsfreistellung ist
Bestandteil der 2019 verabschiedeten Vereinbarkeitsrichtlinie der EU, stand bei
allen Ampelparteien in den Wahlprogrammen und ist Bestandteil des
Koalitionsvertrags. Das in der EU-Richtlinie verbindlich festgelegte Datum für
die Umsetzung war August 2022. Dies hat die Bundesfamilienministerin Lisa Paus
verstreichen lassen. Ende November erklärte sie: Die zweiwöchige Freistellung
nach der Geburt komme nicht mehr in diesem Jahr, aber 2024. Die wirtschaftliche
Lage sei derzeit schwierig, vor allem für kleine und mittlere Unternehmen. „Deshalb
möchte ich dieses wichtige Vorhaben im nächsten Jahr aufs Gleis setzen.“
Anfang Januar ist zu lesen, die Familienministerin rechne
mit Blick auf die Einführung einer zweiwöchigen, bezahlten Väterauszeit mit
Akzeptanz aufseiten der Arbeitgeber. „Ich gehe davon aus, dass die
Partnerfreistellung von den Unternehmen angenommen wird“, sagte Paus der
Deutschen Presse-Agentur. Die Unternehmen würden sich jetzt schon „große
Gedanken“ um die Vereinbarkeit von Familie und Beruf machen – gerade auch „in
einer Zeit des Fachkräftemangels.“
Diese Erwartung hat sie auch vor dem Hintergrund einer vom
BMFSJ in Auftrag gegebenen und kurz vor Weihnachten veröffentlichten Studie
geäußert. Dort heißt es unter anderem: Für Väter ist eine gelingende
Vereinbarkeit von Familie und Beruf ein sehr wichtiges Anliegen. Deutlich wird
das durch die Bereitschaft der Väter, ihre Arbeitsstelle zu wechseln. Rund
450.000 Väter in Deutschland haben schon einmal den Arbeitgeber zugunsten einer
besseren Vereinbarkeit gewechselt. Und mehr als 1,7 Millionen Väter denken
darüber häufig oder zumindest manchmal nach. Diese hohe Wechselbereitschaft ist
gerade in den aktuellen Zeiten des Fachkräftemangels ein großes
Unternehmensrisiko.
Da müssten doch eigentlich bei Unternehmen die Alarmglocken
läuten und die Vaterschaftsfreistellung, schon vorab auf freiwilliger Basis als
Instrument zur Steigerung der Arbeitgeber*attraktivität, ein Mittel der Wahl
sein. Aber denkste …
Quasi als Antwort auf die Äußerungen der Ministerin
gegenüber dpa veröffentlicht die FAZ einen Kommentar von Heike Göbel in dem sie
das Engagement von Vätern als ‚Freizeit‘ diffamiert. „Paus beruft sich auf eine
EU-Vorgabe, doch diese würde Deutschland mit seinen ohnehin reichlichen
Urlaubs- und Freistellungsregeln so wieder mal übererfüllen. Die Kritik der
Wirtschaft perlt an Paus ab. Sie gehe davon aus, dass die „Partnerfreistellung
von den Unternehmen angenommen werde“, ließ sie jetzt wissen. Zynischer geht es
kaum.
Und wer gedacht hat, diese Missachtung von Vätern und
Müttern lasse sich nicht steigern wird von Anke Heinrich eines Besseren
belehrt. In ihrem Beitrag für ‚Markt und Mittelstand‘ schreibt sie drei Tage
später: „Stellen Sie sich vor, man gibt der Bundesfamilienministerin eine Aufgabe:
Deutschlands Betrieben acht Millionen Arbeitstage im Wert von 1,8 Milliarden
Euro zu stehlen, Jahr für Jahr. Und zwar ohne, dass es irgendetwas bringt. Im
Gegenteil, es soll sogar mehr Schaden als Nutzen anrichten als nutzen. Das
klingt schwierig? Nicht für Lisa Paus. Wer wie die Grüne 22 Semester studiert
hat, um danach direkt Berufspolitikerin zu werden, dem fällt das schon etwas
ein: Jeder Vater soll nach der Geburt zwei Wochen Extra-Urlaub bekommen –
natürlich bezahlt vom Unternehmen.“
Sie verpackt ihre menschenverachtende Polemik geschickt in
Fragen, die zweite lautet: „Helfen die Väterwochen der Gesellschaft,
familienfreundlicher zu werden? In der Antwort wird jetzt gegen Väter
‚gekeilt‘: „Nein, denn wenn ein Vater keine zehn Urlaubstage mehr übrig hat für
die Phase nach der Geburt seines Kindes, wird er auch mit zehn zusätzlichen
Tagen wohl eher eine Kegeltour zum Ballermann unternehmen, als seiner Frau zu
helfen.“
Unternehmen und ihre vermeintlichen Helfer*innen, die auf einem derartigen Niveau polemisieren ist eigentlich nicht zu helfen. Norbert Walter, der ehemalige ‚Chefvolkswirt’ der Deutschen Bank, hat dazu beim ersten Netzwerktreffen des Unternehmensnetzwerks ‚Erfolgsfaktor Familie’ am 1. April 2008 in seiner Keynote zum Thema nachhaltige Familienpolitik in Unternehmen unter anderem angeregt, nicht ständig im Gegenwind zu arbeiten und zu predigen, sondern den Unternehmen, die der Überzeugung sind, Familienfreundlichkeit rechne sich nicht einen glücklichen Untergang zu wünschen. ‚Wir brauchen ja schließlich auch Verlierer im Wettbewerb’. Das gilt heute mehr als vor 15 Jahren.
‚Experten zufolge könnte die Pandemie zu einer tiefgreifenden Veränderung der Väterrolle führen‘ lautete eine Vermutung, die in einem Beitrag des Guardian über die Auswirkungen der ersten sechs Monate der Corona Pandemie geäußert wurde. Die Zahl der Stunden, die Männer mit ihren Kindern verbringen, ist in diesem Zeitraum sprunghaft angestiegen und könnte zu einer dauerhaften Neubewertung des Wertes der Vaterschaft und zu einer Veränderung der Arbeitsmuster führen.
„Das Jahr 2020 hat das Bild der Gesellschaft von der
Vaterschaft verändert und könnte nach Ansicht von Forschern, Wirtschaftsführern
und Aktivisten den tiefgreifendsten Wandel bei den Betreuungsaufgaben seit dem
Zweiten Weltkrieg bewirken.“
Führungskräfte haben aus erster Hand erfahren, was es
bedeutet, Beruf und Familie unter einen Hut zu bringen, und dass beide
Elternteile dazu in der Lage sein müssen, wird Ann Francke, Geschäftsführerin
des Chartered Management Institute, in dem Beitrag zitiert, und „Väter sind von
entscheidender Bedeutung, um die Gleichstellung von Müttern voranzubringen, ohne
Fortschritte für Väter zu Hause kann es keine Fortschritte für Mütter am
Arbeitsplatz geben, das sind zwei Seiten derselben Medaille.
Drei Monate später wurde erneut die Frage aufgeworfen, ob die Erfahrungen, die Väter während des Lockdowns gemacht haben, zu einer dauerhaften Veränderung führen könnten. In dem Artikel kommt auch Michael Lamb, Psychologieprofessor in Cambridge und Autor mehrerer wissenschaftlicher Texte über Vaterschaft und die Aufteilung der elterlichen Arbeit zu Wort:
„… die Erfahrungen der Väter werden sehr unterschiedlich
sein, denn einige haben die Möglichkeit, von zu Hause aus zu arbeiten, andere
nicht, und wieder andere haben ihren Arbeitsplatz vielleicht ganz verloren. „Dennoch
sehen wir jetzt, dass viele Männer sich engagieren und erkannt haben, dass es
ziemlich schwierig ist, gleichzeitig ein Haus zu führen, ein guter Vater zu
sein und den beruflichen Anforderungen gerecht zu werden.“
Lamb sieht dies als große Chance: „Für viele Väter wird
dieses Jahr eine Chance gewesen sein, Beziehungen aufzubauen, die tiefer und
breiter sind, als es sonst der Fall gewesen wäre. Es wird Väter geben, die
einige der Freuden und Vorteile der Vaterschaft auf eine Art und Weise
erkennen, wie es ihnen in der Vergangenheit nicht möglich war.“
Ende Dezember, also knapp drei Jahre nach dem Beginn der Pandemie liegen nun Zahlen vor, die nahelegen, dass die Pandemie tatsächlich als „Katalysator für Veränderungen“ gewirkt hat: Die Covid-Beschränkungen waren ein außerordentlicher Katalysator für Veränderungen im Leben der berufstätigen Väter, sagte Adrienne Burgess, Mitgeschäftsführerin des Fatherhood Institute. Ihre Analyse zeigt, dass die Zeit, die alle Väter in Großbritannien mit der Betreuung ihrer Kinder verbringen, seit 2015 um fast ein Fünftel (18 %) gestiegen ist, von durchschnittlich 47 Minuten pro Tag auf 55 im Jahr 2022.
„Mütter arbeiten mehr und Väter übernehmen mehr
Kinderbetreuung und Hausarbeit. Wenn es darum geht, wie wir die Gleichstellung
der Geschlechter messen, haben sich in diesen beiden Bereichen gewaltige
Verschiebungen ergeben“, sagte Burgess.
Die Pandemie scheint auch Auswirkungen auf die
Betreuungsarbeit von berufstätigen Vätern zu haben. In den Jahren 2014-15
verbrachten Mütter in Großbritannien 86 % mehr Zeit mit der Betreuung von
Kindern als Männer, was im Zeitraum März-April 2020 auf 13 % zurückging.
Seitdem hat sich die Kluft zwar vergrößert, ist aber immer
noch geringer als zuvor. Im März 2022 verbrachten Mütter 53 % mehr Zeit mit der
Betreuung ihrer Kinder als Männer – ein Rückgang der Betreuungslücke um 33
Prozentpunkte.
Vielleicht handelt es sich um eine Momentaufnahme, aber immer mehr Forschungsergebnisse deuten darauf hin, dass sich die Aufteilung von Erwerbs- und Familienarbeit tatsächlich verändert: Mütter arbeiten mehr und Väter kümmern sich mehr. Das wirkt nachhaltig jüngste Forschungen über die Einstellung zur Geschlechterrolle legen nahe, dass diese ‚neuen Väter‘ ein „exponentielles Wachstum der Geschlechtergleichheit über Generationen hinweg“ bewirken können.
Diese Beschreibung und die Zahlen beziehen sich auf
Großbritannien, ich bin aber der Überzeugung, dass die Effekte, die Michael
Lamb beschrieben hat, auch auf Väter in Deutschland und andere Ländern
übertragen lassen.
Wie väterfreundlich ist die deutsche Wirtschaft wirklich?
Dieser Frage ist die Prognos AG im Rahmen einer Studie
für das „Unternehmensnetzwerk „Erfolgsfaktor Familie“ der DIHK Service
GmbH Familie“ nachgegangen. Dazu wurden im Sommer 2022 zwei
repräsentative Befragungen durchgeführt und einander gegenübergestellt:
eine Telefonbefragung unter 600 Personalverantwortlichen/Geschäftsführungen von Unternehmen in Deutschland
eine Online- bzw. Telefonbefragung unter 1.000 Vätern, die in
Betrieben mit mindestens 10 Beschäftigten arbeiten und minderjährige
Kinder haben
Im Fazit heißt es unter anderem:
Die Väterfreundlichkeit der deutschen Wirtschaft ist
ausbaufähig und Unternehmen in Deutschland überschätzen ihre
Väterfreundlichkeit. Väter bewerten die Väterfreundlichkeit
deutlich verhaltener als Geschäftsführungen und Personalverantwortliche.
Die Unternehmen wurden in der Untersuchung in vier Kategorien
eingeteilt: Vorreiterunternehmen bei der Väterfreundlichkeit machen 27
Prozent aus. Ein breites Mittelfeld hat unterschiedliche
Herausforderungen und Potenziale; 15 Prozent der Unternehmen in
Deutschland haben als Nachzügler deutlichen Nachholbedarf auf dem Weg
zur Väterfreundlichkeit.
Auf dem Weg zu mehr Väterfreundlichkeit kommt es insbesondere auf die Führungskräfte an.
Väterfreundlichkeit umfasst verschiedene Facetten. Diese sind
unterschiedlich weit entwickelt. Es mangelt weniger an
vereinbarkeitsfördernden Personalmaßnahmen. Vielmehr sind Information
und Kommunikation sowie die Unternehmenskultur stärker als bisher auf
die Väter auszurichten. Dabei haben die Führungskräfte eine
Schlüsselfunktion, da sie die Kultur prägen, als Vorbilder fungieren und
ganz konkret über Vereinbarkeitsbedingungen von Vätern entscheiden
können.
Verbesserungen, die mit der Corona-Pandemie einhergingen, wirken nachhaltig.
Die betriebliche Unterstützung für die Vereinbarkeit von Familie und
Beruf während der Corona-Pandemie erweist sich im Zeitverlauf in vielen
Unternehmen als nachhaltig. Dabei ist besonders positiv, dass nicht nur
Personalmaßnahmen – und hier insbesondere Homeoffice/mobiles Arbeiten –
ausgeweitet wurden. Auch die Akzeptanz für Väter, die diese Maßnahmen
nutzen, und der Dialog über die Vereinbarkeitsbedürfnisse der Väter
haben sich zum Teil langfristig verbessert.
Väterfreundlichkeit sichert die Zukunftsfähigkeit der Unternehmen.
Die Unternehmen haben die Bedeutung des betrieblichen
Familienbewusstseins für ihre Arbeitgeberattraktivität erkannt. Sie sind
jedoch gut beraten, nicht beim erreichten Status stehen zu bleiben. Um
ihre Zukunftsfähigkeit mit Blick auf den gesellschaftlichen und
demografischen Wandel zu sichern und um Wettbewerbsvorteile auf dem
Arbeitsmarkt realisieren zu können, sollten sich die Unternehmen in
Deutschland engagiert auf den Weg machen, die betriebliche
Väterfreundlichkeit zu stärken.
In diesem Kontext weist die Studie auch auf die hohe Bereitschaft von Vätern, ihren Arbeitgebenden zu wechseln hin.
Was die ‚Freundlichkeit‘ betrifft gibt es noch Entwicklungspotenziale
hin zu einem Bewusstsein. Das Bewusstsein über die Bedeutung von Vätern
für die Entwicklung ihrer Kinder, eine partnerschaftliche Aufteilung
von Erwerbs- und Carearbeiten und vor allem darüber, dass es die neue
Vätergeneration ernst mein mit dem Vatersein und tatsächlich
Erwerbsarbeitszeiten reduzieren möchte bzw. sich erst gar nicht auf in
Vollzeit ausgeschriebene Stellen bewirbt.
Das sind Entwicklungen, die auch durch unzulängliche gesetzliche
Rahmenbedingungen bei der Elternzeit oder einer Verschiebung der
‚Vaterschaftsfreistellung‘ nicht aufgehalten werden können. Eine
‚Zumutung für die Wirtschaft‘ ergibt sich höchstens daraus, dass sie die
Signale, auch aus dieser Studie nicht ernst nehmen und weiter so tun,
als stünden Väter zeitlich unbegrenzt als Erwerbsarbeitskräfte zur
Verfügung.