Väter müssen ihren Lebensverlauf auch ganz anders organisieren können
Erstellt von Hans-Georg Nelles am Sonntag 25. Dezember 2011
Im Interview mit dem Magazin Cicero kritisiert der Familienforscher Hans Bertram was Politik aus den Vorschlägen des siebten Familienberichts gemacht hat:
‚… Sie haben am siebten Familienbericht der Bundesregierung mitgearbeitet. Jetzt ist der achte Bericht erschienen. Hatten Ihre Vorschläge und die der anderen Familienforscher irgendwelche Folgen?
Ja. Die Familienpolitik hat das einkommensabhängige Elterngeld eingeführt und umgesetzt. Insofern gab es da sicherlich einen direkten Einfluss. Aber all die anderen Dinge, die wir angeregt haben, sind in der Politik nicht angekommen. Wir hatten vorgeschlagen, die typische männliche Berufsbiografie zugunsten der eher diskontinuierlichen weiblichen Lebensverläufe durch gesetzliche Maßnahmen zu verändern. Jetzt läuft es genau in die andere Richtung. Die Bundesregierung versucht, die weiblichen Lebensverläufe den männlichen anzupassen, und das war nicht die Botschaft unseres Familienberichts.
Wie meinen Sie das?
Die männliche Berufsbiografie folgt der klassischen Dreiteilung, die seit Bismarck gilt: In der Jugend wird gelernt, im Erwachsenenalter arbeitet man, und dann darf man sich erholen. In diesem Lebenslauf gibt es keine Zeit für Fürsorge. Wir haben uns gefragt: Wie kann ich eigentlich in diesen typischen Lebenslauf mehr Zeit für Fürsorge einbauen? Unser Vorschlag eines einkommensabhängigen Elterngelds verkörperte die Idee, dass Fürsorge genauso wichtig ist wie der Beruf. Es ging darum, den Lebensverlauf so zu organisieren, dass man immer wieder Zeiten für Fürsorge oder Zeiten für Bildung einbauen kann.
Es gibt eine Berufsgruppe in Deutschland, die ist ein wunderbares Beispiel, nämlich die jungen Offiziere. Die dürfen das. Sie machen zunächst eine akademische, dann eine militärtechnische Ausbildung, darauf folgen sieben Jahre Dienst und danach noch einmal zwei Jahre einer Ausbildung nach eigenem Wunsch – und zuletzt gehen sie ganz woanders hin. Anders gesagt: Es gibt in der Bundesrepublik durchaus Muster, wie man Lebensverläufe anders organisieren kann.
Haben die Offiziersehen dann, statistisch gesehen, auch mehr Kinder als der Durchschnitt?
Ja, aber das hängt möglicherweise auch damit zusammen, dass sie eine sehr sichere Lebensperspektive haben. Für den Rest gilt das Gegenteil, vor allem für die Frauen, aber auch für die jungen Männer. Von ihnen erwarten wir ein extrem hohes Maß an Flexibilität. Wir fordern förmlich von der nachwachsenden Generation, dass sie mit höchster Qualifikation und höchstem Einsatz beruflich tätig wird. Aber dieses Berufsmuster folgt eigentlich dem klassischen männlichen Modell. Und das war nicht die Botschaft des siebten Familienberichts. Wir haben offenbar die klassische, über hundert Jahre alte Vorstellung des männlichen Lebenslaufs kollektiv verinnerlicht und können uns gar nicht vorstellen, dass man das Leben ja auch anders nutzen könnte. Es ist ein Kernproblem der gegenwärtigen Politik, dass man sich da nicht wirklich herantraut. …
Aber glauben Sie denn wirklich, dass gesetzliche Maßnahmen, inklusive arbeitsrechtliche Regulierungen, ein offenkundig jahrhundertealtes, tradiertes, kulturelles Familienbild verändern können?
Das kann nicht allein durch die Politik geschehen. Es ist völlig klar, dass auch die Gesellschaftswissenschaften versuchen müssen, neue Modelle zu konstruieren. Wir müssen uns zum Beispiel die Frage stellen, wie ein unterbrochener Lebenslauf auch finanziell gestaltet werden kann. Das betrifft auch die Renten. In Holland zum Beispiel bezieht man nicht die Rente am Lebensende, sondern zwischendurch, wenn man sich fortbildet oder sich um Kinder kümmern will. …‘