Die wirklichen Geheimnisse rund um Sex
Erstellt von Hans-Georg Nelles am Sonntag 31. Juli 2011
Der Tagesspiegel hat am Wochenende ein ausführliches Portrait über die Schweizer Männerzeitung und ihren Macher Ivo Knill veröffentlicht.
Burgdorf im Emmental, Sitz der Redaktion der „Männerzeitung“. Ein Ort mit engen Gassen und alten Häuschen, eingebettet in eine Landschaft aus grünen Hügeln und schroffen Felsen. Das Emmental ist berühmt für seinen Käse und den Dichter Jeremias Gotthelf, der Mitte des 19. Jahrhunderts düstere Geschichten über das Leben hier geschrieben hat. Es geht um Bauern und den Teufel, um eine mordende Spinne, und immer wieder heißt es, die Männer würden von den Frauen „gemeistert“. Die Angst der Männer, von den Frauen unterdrückt zu werden, scheint alt zu sein in Burgdorf im Emmental.
Ivo Knill, Herausgeber der „Männerzeitung“, hat keine Angst vor Frauen. Knill, beiges Kurzarmhemd, verwuscheltes dunkles Haar, öffnet die knarzende Holztür eines alten Häuschens mit grünen Fensterläden, das einmal eine Gerberei war. Oben wohnt Knill mit seiner Frau und den erwachsenen Kindern, wenn sie denn mal zu Hause sind. Im Erdgeschoss produziert er vier Mal im Jahr die Zeitung. Ein Computer steht da, ein Schreibtisch, ein schöner alter Schrank als Archiv, mehr braucht es nicht. Fünf Journalisten arbeiten mit, dazu dreißig Autoren. Ende 2010 feierte man die 40. Ausgabe. …
Der „Männerzeitung“ gehe es „um die Versöhnung mit dem Männlichen“, sagt Knill. Darum, „wie eine positive Männlichkeit ausschauen kann“. Da sind Artikel über Jugendliche und ihre Rollenvorbilder oder über Männer, die Väter werden. Und über Sex im Internet (schöne Überschrift: „On- oder offline mit dem Phallus?“). Jedes Heft ist schwarz-weiß, mit viel Weißraum und einem großen Foto auf dem Cover. Eine Reportage erzählt von Männern, die in Frauenberufen arbeiten, eine andere von einem Mann, der sich als Bikiniverkäufer durchschlägt.
Ein anderes Thema, das Knill unter den Nägeln brennt: Dass männliche Sexualität gerne unter Generalverdacht gestellt werde. „Unser Geschlecht hat den Stempel: potenziell gefährlich, das ist ein totaler Krampf.“ Gerade macht er die Schlussredaktion der September-Nummer: „Die wirklichen Geheimnisse rund um Sex“ lautet sie. …
Männer scheinen ein guter Markt zu sein. Jedenfalls entstehen überall Ableger von Frauenzeitschriften, die um männliche Käufer buhlen, ob „Instyle Men“ oder „Gala Men“. Furchtbar, findet Ivo Knill. „Das Bild, das da vermittelt wird: Ein Mann muss hip sein, potent, viele Freunde haben. Das ist masochistisch, das zu lesen.“ Die „Männerzeitung“ hat eine Auflage von 5000 Stück, das ist viel für die kleine Schweiz. Früher, sagt Knill, hätten sie noch solche Briefe gekriegt: „Eine Männerzeitung, seid ihr schwul, oder was?“ Jetzt nicht mehr. Der typische Leser sei „der ernsthafte Mann mit Familie“. Danach kommt der junge Mann, der sich frage, was es heißt, heute ein Mann zu sein. Und die dritte Gruppe der Männerzeitungsleser, das sind die Frauen.
Wenn man mit dem Herausgeber am Küchentisch sitzt, kommt man irgendwann auf die Geschlechterdebatte zu sprechen. Theoriehefte wie „Alles Gender oder was?“ liefen schlecht, so Knill. Weil es als unmännlich gilt, sich in Genderfragen zu äußern. Oder weil viele „lieber die leichte Muse hätten“, meint Knill. So oder so: „Es reicht nicht zu sagen: Ich bin kein typischer Mann. Man muss eine Idee haben, was man als Mann ist.“
Das Ziel sei eine egalitäre Gesellschaft, eben auch für Männer. Eine Gesellschaft, in der auch Männer bei der Familie sein dürfen, Teilzeit arbeiten. Gerade tüftelt Knill an einer Variante der Elternzeit, mit der die wirtschaftsliberale Schweiz leben könnte. Ein Ansparmodell, ähnlich wie die Altersvorsorge, das den Staat nicht belasten würde.
Knill kommt aus der Männerbewegung der 80er Jahre, aus dieser Zeit stammen auch Projekte wie das Hamburger „Switchboard“, eine Zeitschrift für Männer- und Jungenarbeit, die wiederum aus dem Umfeld der Berliner Männerzeitung „HerrMann“ hervorging. Knill lief damals mit violetten Hosen durch die Gegend, das Ziel: Bloß nicht so werden wie die Schweizer Väter mit ihrem Militärfimmel und „dem Mami“ am Herd. Knill sagt, es sei immer dasselbe: Als junger Mann hat man das Gefühl, dass alles geht, alle gleich sind. Dann hat man eine Familie und merkt plötzlich, wie die alten Rollenbilder ins Spiel kommen. Das sei dann der Punkt, an dem Männer auf das Männerthema stoßen. …