Gleichstellung in der Sackgasse?
Erstellt von Hans-Georg Nelles am Mittwoch 26. März 2014
Der Titel „Gleichstellung in der Sackgasse?“ von Paul Zulehner und Petra-Steinmair-Pösel möchte kein weiterer Aufreger sein, derlei Veröffentlichungen gebe es in der Geschlechterdebatte genug, äußern die Autoren bereits im ersten Satz. Das Buch erhebt aber nichts weniger als den Anspruch, in eben dieser aufgewühlten Debatte einen „dritten Weg“ aufzuzeigen, der aus dem Patt zwischen den Extremen Radikalbiologismus und Radikalkonstruktivismus herausführen könnte und einen Pfad aufzeigt, der Frauen und Männern, aber vor allem erschöpften Familien, Herausforderungen des Alltags geschlechtergerecht begegnen können.
Der Diskurs in dem vorliegenden Band wird auf der Grundlage von drei im Abstand von jeweils 10 Jahren in Österreich erhobenen Datensätzen geführt. Die Anlage der jeweiligen Befragungen erlaubt sowohl eine Vergleichbarkeit als auch die Darstellung der sich im Zeitverlauf entwickelnden Veränderungen zum Beispiel bei der Frage nach der Bedeutung von Arbeit für Männer. Zusätzlich wurden aber auch neue Themen in die Befragung aufgenommen, zum Beispiel zum Thema „Feminismus und moderne Frau“.
Die Daten aus dem Jahr 2012 bestätigen die auch unter Frauen weit verbreitete Skepsis gegenüber dem Feminismus: 41% der Frauen unter 29 Jahren halten den Feminismus für überholt. Bei den gleichaltrigen Männern sind 38% dieser Überzeugung. Diese Distanzierung vom Feminismus sei aber nicht gleichzusetzen mit einem Desinteresse an einer geschlechtergerechten Gesellschaft, im Gegenteil. Während 1992 lediglich 30% der Männer der Aussage „Frauenemanzipation ist eine gute Entwicklung“ zustimmten waren es 2012 mit 57% fast doppelt so viele.
Dieses gesteigerte Interesse gilt auch für Männerforschung: 49% der modernen Männer halten die strukturelle Trennung von Männer- und Frauenpolitik für überholt. Was die Typologie „modern“ und „traditionell“ und die beiden dazwischenliegenden „pragmatisch“ und „suchend“ betrifft, sind diese nicht nur zahlenmäßig in Bewegung. Die Lage ist von einer „bunten Vielfalt“ geprägt, es gibt „fließende Übergänge“ nicht nur aufgrund der hohen Individualisierung leben Frauen und Männer in unterschiedlichen Kontexten verschiedene Rollen. Eine Wertung sei nicht möglich, alle Rollentypen haben Vor- und Nachteile und gerade um die Wahlfreiheit „tobt heute ein gewaltiger Streit“. Es gibt konkurrierende Modernitätskonzepte.
Einen inhaltlichen Schwerpunkt nimmt bei der Auswertung des umfangreichen Datenmaterials auch das Spannungsverhältnis von Beruflicher und privater Lebenswelt ein. Die auf den ersten Blick vielleicht überraschenden Ergebnisse: die Bedeutung von Arbeit als sinnstiftendes Element für Männer hat sich im Zeitverlauf von 1992 mit 29% über 41% im Jahr 2002 auf 63% in 2012 mehr als verdoppelt und korrespondiert mit einer starken Zunahme des Wunsches nach Vollzeit bei Männern 67% gegenüber 40% der Frauen bei einer Abnahme der Attraktivität von Teilzeit lediglich 20% gegenüber noch 25% im Jahr 2002, „Andere Arbeitszeitmodelle sind Sache einer Minderheit“, werden unter verschiedenster Blickwinkeln von Kindern, alten und zu pflegenden Menschen, betrachtet und auch mit Hilfe anderer Forschungsergebnisse konfrontiert.
Zusätzlich werden insbesondere im Abschnitt „Frauen und Männer im Modernisierungsstress“ Aussagen von Männern und Frauen in verschiedensten Lebenssituationen zitiert, die in einer zusätzlichen Onlinebefragung erhoben worden sind. Diese illustrieren die Spannungen, die sich durch die bereits vielzitierte Ungleichzeitig der Entwicklung von Rollenpotenzialen zwischen Frauen und Männern ergeben: „Sie [moderne Geschlechterrollen] sind anstrengender, weil jede Veränderung Mühe bringt. Besonders für gut gebildete junge Frauen ist es schwerer, einen ‚passenden‘ Mann zu finden. Ich selbst lebe eine Mischung er Typen, mein Mann entwickelte sich etwas langsamer, aber doch, sodass wir jetzt im Altrer (62 und 72) ein recht modernes Ehepaar sind.“
Als „Gewinner“ dieser Entwicklung machen Zulehner und Steinmaier-Pösel die Gruppe der Pragmatischen aus: „Das Pragmatische steht für den Versuch, sich auf beiden Lebensfeldern zu halten. Sie wollen Kinder und Beruf, Familie macht zudem viele zufrieden. Dazu werden moderne Rollenanteile wertgeschätzt, aber mit entlastenden traditionellen Anteilen kombiniert. … Typisch für die Pragmatischen ist der Versuch, einer einseitigen Überbewertung des beruflichen Bereichs und damit einer Ökonomisierung ihres Lebens zu entrinnen.“
Im vorletzten Abschnitt, im letzten geht es um die Ergebnisse einer erstmalig durchführte Befragung von Muslimen und Muslimas, geht es am Ende noch einmal um den dritten Weg, einer möglichen Aussöhnung zwischen „Sex“ und „Gender“. Der dort gemachte Vorschlag offenbart nicht nur die Haltung der beiden Autoren sondern ist auch eine uneingeschränkte Empfehlung für dieses Buch, das zahlreiche Wege aus der Sackgasse aufzeigt: „Das es im Reichtum der Natur neben der überwiegenden Mehrheit von Frauen und Männern auch Mischformen, Andere, Queerige gibt, spricht letztlich nur dafür, auch zukünftig von Frauen und Männern zu reden und sich über eine diskriminierungsfreie Beziehung Gedanken zu machen. Nicht nur die Politik wird davon weiterhin zehren, sondern auch die Liebe zwischen Männern und Frauen.