Am Donnerstagnachmittag hatten Heiner Fischer und ich Gelegenheit, im Gespräch mit Dennis Maelzer und Regina Kopp-Herr unsere Vorstellungen von ‚moderner‘ Vaterschaft zu äußern und darüber ins Gespräch zu kommen, was (Landes-) Politik dazu beitragen kann, diese zu stärken. Zum Beispiel im Kontext der #Vaterschaftsfreistellung, eines neuen Unterhaltsrechts oder durch die Öffnung von (kommunalen) Räumen für #Vaeter, die am Wochenende Umgang mit ihren Kindern in einer anderen Stadt haben.
… und Väter gestehen sich häufig eine Krise erst dann ein, wenn sie alleine absolut nicht mehr weiter wissen. Das war schon vor Corona eine ‚Binsenwahrheit‘ und die Pandemie hat auch an dieser Stelle offengelegt, was eh nicht mehr zu verbergen war.
„Väter können permanent in Krisen sein. Die Vereinbarkeit von etwas, was nicht vereinbar ist, kann zu Ernüchterung und Überforderung führen“, führt Vonnoh in seinem Impuls aus, und weiter, „wir haben eine Vorstellung davon, was okay ist und was nicht. Gleichzeitig nehmen wir uns nicht die Zeit, zu hinterfragen, was dahintersteckt. Wir müssen schauen, wie ein typischer Alltag von einem Vater aussieht. Wir meinen, wir haben keine Wahlmöglichkeiten. Aber wenn es mir selber nicht gut geht, funktioniere ich bestenfalls nur und es kommt bei den Kindern nichts wirklich an, sie fühlen sich nicht gehalten und sicher.“
Viele Väter ahnten nicht, welche Potenziale in ihnen stecken. Als Männer haben sie gelernt, Wünsche und Gefühle zu unterdrücken. Es fällt ihnen daher auch schwer, sich in die Partnerin oder die Kinder hineinzuversetzen. Ein Zugang zu den Emotionen ist aber wichtig, um echte Beziehungen zur Partnerin und sichere Bindungen zu den Kindern aufzubauen. Viele Männer haben auch Probleme damit, der Zeit mit den Kindern einen eigenen Wert zuzuschreiben, auch wenn man nur gemeinsam ‚abhängt‘. Es habe aber einen unschätzbaren Wert, sich als Vater ein paar Wochen, Monate oder vielleicht auch Jahre rauszunehmen, um die Kinder bestmöglich zu begleiten. Es muss für Männer spürbar werden, welche Bedeutung es hat, für die Kinder da zu sein.
Vor diesem Hintergrund hat Corona und die mehrfach verhängten Lockdowns, die unfreiwillige Kurzarbeit, das HomeOffice und Homeschooling mit den Kindern alleine zu Hause für viele Väter auf der individuellen Ebene neue Erfahrungen mit sich gebracht und kann auf der gesellschaftlichen als wirkmächtiges soziales ‚Experiment‘ betrachtet und ausgewertet werden. Es lohnt sich, an dieser Stelle genauer hinzuschauen und die Konsequenzen der Lockdowns für väterliches Engagement zu betrachten
Die umfangreichste Untersuchung dazu hat das Fatherhood Institute[i] aus London mit der Studie „Lockdown Fathers: The untold story“[ii] vorgelegt. Die Studie basiert auf einer landesweit repräsentativen Stichprobe von rund 2 000 Vätern, die im Frühjahr 2020 während des Lockdowns im Vereinigten Königreich befragt wurden. Sie zeigte, dass Väter aus Paarfamilien aller sozioökonomischen gesellschaftlichen Gruppen:
mehr Zeit mit ihren Kindern verbrachten (78 %),
mehr Zeit als üblich für die häusliche Erziehung und die Unterstützung bei den Hausaufgaben aufwandten (68 %),
sich nach dieser Erfahrung besser gerüstet fühlten, um das Lernen und die Erziehung ihrer Kinder zu unterstützen (57 %; selbst unter benachteiligten Vätern lag der Anteil bei 50 %),
sowie 59 % mehr Zeit für Putzen, Wäsche waschen und Kochen aufbrachten. Und das, obwohl 27 % weiterhin Vollzeit außer Haus Erwerbsarbeit nachgingen und 86 % derjenigen, die während der Schließung noch arbeiteten, 30 und mehr Stunden pro Woche erwerbstätig arbeiteten. [iii]
Auch in anderen wichtigen Bereichen berichteten die Väter von überwiegend positiven Erfahrungen. Hinsichtlich der Anstiegs von „Väterkompetenzen“ berichteten 65 % von einer besseren Vater-Kind-Beziehung nach dem Lockdown im Frühjahr 2020 (73 % der Väter, die Vollzeit zu Hause sind). 48 % fühlten sich nach dem Lockdown in ihrer Elternrolle als kompetenter, nur 8 % fühlten sich weniger kompetent. 42 % fühlten sich besser in der Lage, Ruhe zu bewahren und ihre Wut auf ihre Kinder zu kontrollieren. Eine kleine, aber signifikante Minderheit (14 %) war dazu weniger in der Lage.
Hinsichtlich des Verständnisses für die Kinder gaben 51 % an, ihre Kinder besser zu verstehen, und 64 % fühlten sich ihnen nach dem Lockdown emotional näher. Fast alle anderen berichteten von keiner Veränderung. Nur 2 bis 3 % berichteten von einer Verschlechterung.
Bezüglich der mentalen Gesundheit, dem sog. „Mental Health“, zeigte sich folgendes Bild. Väter, die von einer besseren Vater-Kind-Beziehung berichteten, äußerten mit größerer Wahrscheinlichkeit auch ein besseren psychischen Wohlbefinden. Die meisten gaben an, dass sich ihr eigenes Wohlbefinden (und das ihrer Partnerin) während der Abriegelung verbessert (20 %) oder nicht verändert hat (40 %). Eine Verschlechterung wurde von 40 % berichtet. Dies steht in Verbindung mit befürchteten oder tatsächlichen Arbeitsplatz- und Einkommensverlusten.
Diese Väter benötigen passende und niedrigschwellige Beratungsangebote, und zwar eine Beratung, so Eberhard Schäfer, „die ihrem Anliegen gerecht wird. Das heißt, bei dem Berater oder bei der Beraterin muss ein Verständnis dafür da sein, dass dieser Mann oder dieser Vater in einer Krise ist. Und dass er entsprechend eine Ansprechpartnerin oder einen Ansprechpartner braucht, der zuhören kann und will. Der ein offenes Ohr hat. Der verständnisbereit ist. Und der schnell aus seiner professionellen Haltung heraus einordnen kann, um was es dem Vater geht und für was er jetzt welche Art von Rat oder Unterstützung oder Gespräch braucht.“
Das klingt banal, in der Realität finden Väter derartige Angebote nicht immer.
Take Aways für Väter
holen Sie sich rechtzeitig Unterstützung und nehmen Beratung in Anspruch. Je länger sie damit warten, umso langwieriger wird der Lösungsweg.
zu einer Beziehungskrise gehören immer zwei Seiten und bei einem Streit vor Gericht gibt es in der Regel mehrere Verlierer. Nehmen Sie gerade in Konfliktsituationen außergerichtliche, mediative Angebote in Anspruch und behalten ihre Verantwortung als Vater für Ihr Kind/ Ihre Kinder im Blick
spezifische Beratungsangebote können Sie in Ihrer Region unter maennerberatungsnetz.de finden
in NRW finden Sie auf der Webseite echte-maenner-reden.de ausgebildete Männerberater, die Sie in den unterschiedlichen Krisensituationen, auch als Opfer von Gewalt beraten
Anregungen für Familien – Beratungsstellen
überprüfen Sie, inwieweit sich Ihr öffentlicher Auftritt, Webseite, Flyer, etc. auch ausdrücklich an Männer und Väter richtet und die Angebote niedrigschwellig zugänglich sind
sind die Mitarbeitenden darauf vorbereitet, Väter in Krisensituationen spezifisch zu beraten?
können Sie ratsuchenden Männern und Vätern die Auswahl eine Beraters bzw. einer Beraterin ermöglichen?
beziehen Sie bei einer Trennungsberatung den jeweiligen Partner bzw. die Partnerin mit ein?
[iii] Burgess, A. & Goldman, R. (2021) Lockdown Fathers: the untold story (executive summary). Contemporary Fathers in the UK series. London: Fatherhood Institute; S. 3f
Innerhalb des Teilprojekts an der LMU München „Sich fair
trennen und weiter gemeinsam erziehen“ wird aktuell eine Studie zum
Alltag in Trennungsfamilien durchgeführt. Hierfür werden getrennte Eltern
zu ihrem Wohlbefinden, und zu ihren täglichen Herausforderungen und
Bewältigungsstrategien, z.B. in der Zusammenarbeit mit dem anderen Elternteil,
befragt.
Es ist den Forscher:innen besonders wichtig, mit der Studie
eine große Bandbreite von Eltern, und insbesondere auch Väter zu erreichen. Die
Vielfalt der Erfahrungen der Studienteilnehmenden soll uns helfen, das
Online-Angebot auf der Website auf den Bedarf von getrennten Vätern und Müttern
zuzuschneiden. Die Eltern erhalten für ihre Teilnahme an der Studie zudem eine Aufwandsentschädigung
von 40 €.
In der Studie geht es um die Situation von Familien, in
denen sich die Eltern getrennt haben. Es ist auch geplant, ein Online-Angebot
zu entwickeln, das Eltern bei der Gestaltung gemeinsamer Elternschaft nach
einer Trennung unterstützt. Um das Angebot hilfreich und passend gestalten zu
können, möchten die Forscher:innen in der Tagebuchstudie mehr darüber erfahren,
welche besonderen Herausforderungen getrennte Eltern im Alltag bewältigen
müssen, was ihnen dabei hilft, Schwierigkeiten zu meistern, und zu welchen
Themen sie Fragen haben oder sich Unterstützung wünschen.
Die Studie wird vom Bundesministerium für Familien, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) gefördert. Weitere Informationen zur Teilnahme finden Sie auf der Webseite des Projekts.
Eberhard Schäfer, Leiter des
Papaladens in Berlin, Systemischer Berater und Therapeut und Diplom Politologe
äußert sich zu Beratungsangeboten für Väter in einer Krisensituation
Welche Beratung brauchen Väter in einer
Krisensituation?
Väter brauchen in einer Krisensituation eine Beratung, sage ich jetzt erst mal so banal, die ihrem Anliegen gerecht wird. Das heißt, bei dem Berater oder bei der Beraterin muss ein Verständnis dafür da sein, dass dieser Mann oder dieser Vater in einer Krise ist. Und dass er entsprechend eine Ansprechpartnerin oder einen Ansprechpartner braucht, der zuhören kann und will. Der ein offenes Ohr hat. Der verständnisbereit ist. Und der schnell aus seiner professionellen Haltung heraus einordnen kann, um was es dem Vater geht und für was er jetzt welche Art von Rat oder Unterstützung oder Gespräch braucht.
Welche Art von Beratung braucht ein Mann oder
Vater? Diese Beratung oder diese Beratungsstelle, diese Beratungseinrichtung
muss für den Beratungssuchenden erreichbar sein, sichtbar sein. Und das sagen
wir ja oft, dass wenn bei Beratungseinrichtungen globale Etiketten dranhängen,
wie Erziehungs- und Familienberatung oder Elternberatung oder Lebensberatung,
dass sich aus irgendwelchen Gründen Männer oder Väter da häufig nicht so
angesprochen fühlen.
Wo Familie draufsteht, denken dann viele, da
sind die Männer nicht so mit drin. Das heißt, ich plädiere seit vielen Jahren
dafür, dass wenn man Männer oder Väter erreichen will, dann soll man das auch
auf den Namen mit draufschreiben. Dann ist es ja eigentlich nicht mehr
missverständlich, wenn da Beratung für Männer oder Beratung für Väter draufsteht,
dass sich dann der Vater da auch hinwenden kann.
Wie sieht die Beratungslandschaft aus, auf die
Väter treffen?
Bei so einer Frage, muss ich mich entscheiden,
spreche ich auf eigene Rechnung oder als Lobbyist. Ja natürlich brauchen wir
mehr Beratungsstellen. Es gibt nicht genug Beratung, das kann man immer sagen.
Und gerade mit neuen oder neuartigen Herausforderungen, in denen Eltern und
Väter sich befinden, wie, nicht verheiratete Paare haben Kinder, wie steht es
da mit der formalen und auch mit der juristischen Situation? Oder, mehr und
mehr Patchwork-Konstellationen. Wie komplex und kompliziert gestalten sich
Familienbeziehungen in Patchwork-Konstellationen? Oder Konzepte von gemeinsam
getrennt erziehen, also ein Elternpaar hat sich getrennt und es gibt auf beiden
Seiten relevant viele Zeitanteile, in denen sich die Eltern um die Kinder
kümmern.
Also dass Väter oder Männer mit all diesen
Hintergründen in Beratungseinrichtungen Ansprechpartner und
Ansprechpartnerinnen finden, die ein Bewusstsein davon haben, dass es diese
Situationen gibt. Und da sage ich, auch mit meinem Erfahrungshintergrund, das
finden viele Väter, die sich allgemein an Beratungseinrichtungen wenden, nicht
immer. Also wenn ich mit Vätern spreche, wenn ich Väter berate, dann höre ich
häufig so im ersten, zweiten, dritten Satz: Naja, als ich das Jugendamt
angerufen habe, da hat man mir gesagt, „mit Ihnen als Vater kann ich gar nicht
sprechen“.
Oder wenn er dann doch mit jemandem sprechen
konnte, dann bekamen Sie zu hören: „Für Sie als Vater kommt es in erster Linie
darauf an, dass Sie pünktlich und verlässlich Ihren Unterhalt zahlen können.“
Aber was mit der Beziehung zu den Kindern ist zweitrangig. Und wenn ein Vater
sowas einmal oder mehrmals gehört hat, dann denkt er eben, ich finde hier nicht
die richtigen Ansprechpartner. Und so geraten dann manche über ein paar Ecken
an uns.
Also das heißt, mit anderen Worten, ich glaube,
in der Beratungslandschaft sollte noch mehr Bewusstsein und Kenntnis vorhanden
sein, wie komplex Eltern- und Trennungssituationen heutzutage sein können. Und
dass Väter ein reales Interesse haben, eine gute Beziehung zu ihren Kindern zu
haben und nach einer Trennung zu erhalten. Das ist nicht immer so präsent wie
es sein sollte. Es ist wichtig dass Väter sich auch ernst genommen fühlen.
Was muss passieren, damit es passende Angebote
für Väter gibt?
Na, auch hier, große Organisationen, die
Beratungen, Beratungseinrichtungen tragen, die sollten mehr Bewusstsein dafür entwickeln,
dass es spezifische Anliegen von Vätern gibt, und viele davon. Politische
Institutionen und Akteure sollten das auch wissen. Ich kann jetzt auch mal
schützend eigentlich sagen, gegenüber großen Organisationen, wie zum Beispiel Paritätischen
Wohlfahrtsverband, da gibt es durchaus ein Bewusstsein dafür, es fehlt noch ein
stückweit an der Umsetzung.
Aber dass die nicht so eine Haltung haben, wie
vor zwanzig, dreißig oder vierzig Jahren. Mütter sind in erster Linie für Kinder
zuständig und Väter haben allenfalls Unterhalt zu bezahlen. Also so schlimm ist
es auch nicht, Was man vielleicht, also so hier einen schnellen Einwurf zu
machen und zu sagen, das und das müsste es geben, das kann ich nicht tun.
Aber ich finde, dass Menschen, die mit
Beratung und Institutionen zu tun haben, sich gründlich mit befassen sollten,
Klammer auf, das wird auf der Ebene der Arbeitsgemeinschaft der
Familienverbände in Deutschland und auf europäischer Ebene ein stückweit getan,
Klammer zu, ist, was können wir eigentlich tun, damit Eltern in
Trennungssituationen nicht gleich an den Rechtsweg denken? Oder nicht gleich
daran denken, dass der Rechtsweg die einzige Möglichkeit ist, hier irgendwas zu
klären oder zu lösen.
Also wir haben uns getrennt, oder wir wollen
uns scheiden lassen und wir wollen unsere Interessen sichern und um die zu
sichern, gehen wir zu einem Anwalt. Also dass diese Schnellschlüsse sozusagen,
nicht mehr ganz so schnell sind. Ich wünsche mir, dass Paare, die sich trennen,
oder Väter oder Mütter, die sich trennen, überlegen, wie können wir denn beide
eine gute Beziehung zu unseren Kindern weiterführen und erhalten und was müssen
wir dafür tun, wo gibt es hier die adäquate Beratung für uns?
Dass dieser Schritt zuerst gemacht wird, bevor man an den Rechtsweg denkt. In so vielen Beratungen, die ich führe, war der Rechtsweg zu einem Ende gekommen, zu einem unguten Ende, zu einem teuren Ende, zu einem für alle unbefriedigenden Ende. Zwei Jahre ist man diese Rechtswegschiene gegangen und hatte ein, zwei Prozesse und man ist mit den Ergebnissen überhaupt nicht zufrieden und dann geht man in die Beratung. Aber dann ist das Kind aber tief, tief in den Brunnen gefallen und dann ist ein Beratungsanfang überhaupt nicht so vielversprechend, wie wenn der ganze Schlamassel vorher nicht gewesen wäre.
In dieser
Aussage eines Vaters kommt die ganze Ambivalenz zum Ausdruck, die Männer
im Kontext einer Geburt erleben. Und genau in diesen Ambivalenzen und
Dissonanzen stecken nach Ansicht von Philip Krüger die größten Chancen
für Veränderungen. Für eine Realisierung des von vielen jungen Vätern
und Müttern geäußerten Wunsches, sich Erwerbs- und Familienarbeit
partnerschaftlich aufzuteilen. Aber damit aus diesen Absichtserklärungen
reale Veränderungen werden, braucht es Unterstützung, unter anderem
spezifische Angebote zur Geburtsvorbereitung für Väter.
Die Zuschreibung von väterlichen Kompetenzen und ihre Beziehung zu
dem ungeborenen Kind haben einen großen Einfluss darauf, in welchem Maße
sie sich an der Erziehung des Kindes beteiligen und Ressourcen für
seine gelingende Entwicklung zur Verfügung stellen.
In der Phase vor und unmittelbar nach der Geburt werden die Weichen
dafür gestellt, ob das gewünschte Lebenskonzept Wirklichkeit werden kann
oder die Partnerschaftszufriedenheit darunter leidet, dass sich Vater
und Mutter in jeweils unterschiedlichen Sphären voneinander entfremden.
Viele Väter wollen die Entwicklung ihrer Kinder von Anfang an aktiv
begleiten und mitgestalten.
„Ich habe dann nur den Schwangerschaftstest gesehen, den sie mir
gezeigt hat, und das war dann erst mal so ein eine Explosion der Gefühle
im Kopf, also von Freude, Glück, aber natürlich auch Respekt und Sorge.
Alles was einem, glaube ich so als Vater auch in den nächsten Jahren so
durch den Kopf geht, war denn auch einfach da“.
Bei der Geburt selbst dabei sein zu können, ist für Männer die
Möglichkeit, das Vaterwerden, das sich bislang als ‚Kopfgeburt‘
abgespielt hat, unmittelbar zu erleben und eine Beziehung zu ihrem Kind
aufbauen zu können. „Es war unglaublich, atemberaubend, erstaunlich und
erschreckend, die erste Person zu sein, die meine Tochter sah, und
Augenkontakt mit ihr herzustellen, als sie herauskam. Ich habe ein Foto,
etwa drei Minuten nach ihrer Geburt, auf dem ich sie im Arm halte und
wir uns gegenseitig anstarren, und es sieht aus, als würde sie mir die
Zunge herausstrecken.“
Corona hat auch in der Geburtshilfe wie unter einem Brennglas
offengelegt, dass Väter dort noch nicht die Bedeutung haben, die ihnen
zusteht. Zehntausende Männer konnten wegen der Corona-Regeln in den
vergangenen Monaten die Geburt ihres Kindes nicht miterleben. In manchen
Kliniken dürfen Väter den gesamten Verlauf der Geburt begleiten, in
anderen ruft sie das Personal erst zur Endphase der Geburt in den
Kreißsaal – wenn die Presswehen beginnen oder der Muttermund um einige
Zentimeter geöffnet ist. Zu Vorsorgeterminen, zum Ultraschall durften
Väter häufig ebenfalls nicht mitkommen. „Also ich hätte das sehr gerne
gemacht, aber es war uns jetzt leider aufgrund der Situation in der
Klinik oder, so wie es die Frauenarztpraxis, in der sie behandelt wird,
händelt, die ganze Pandemie, war es mir leider nicht möglich, an den
Terminen teilzunehmen.“
Um hier nachhaltige Veränderungen zu erreichen, könnten Veränderungen
bei der Ausbildung von Hebammen und Sozialpädogog:innen bzw.
-arbeiter:innen beitragen. Dazu erklärt Gunter Beetz, der Dialogrunde
und Workshop moderiert hat und selbst seit Jahren Angebote zur
Geburtsvorbereitung für Väter durchführt:
„Das Rollenverständnis hat sich bei so vielen Männern zum Positiven
gewandelt, aber die Rahmenbedingungen haben sind leider nicht
dementsprechend mit verändert. Die Bedürfnisse und Sichtweisen von
Vätern sollten viel mehr mitgedacht und berücksichtigt werden. Dies
sollte in der Ausbildung von Sozialpädagog:innen und Hebammen eine
größere Rolle spielen. Beide Berufsgruppen sind eine so große Stütze,
besonders am Anfang einer Familie, aber auch später in den Ambulanten
Hilfen, wenn es mal zu Schwierigkeiten kommt. Vielen Vätern fehlt es an
Rollenvorbildern und deshalb ist eine Unterstützung durch diese
Berufsgruppen so wichtig.“
Dementsprechend wurden in dem Workshop unter anderem folgende Gedanken formuliert:
Sprache: partnerschaftlichere, differenziertere und flexiblere Rollenbilder kommunizieren
Finanzierung: die Möglichkeit der Präventionskurse der gesetzlichen
Krankenversicherung und die Vernetzung mit bestehenden und zukünftig zu
etablierenden emotionalen Beratungen im Sinne einer Netzwerkbildung:
Hier können Nachtreffen genutzt werden, um weiter in Kontakt zu bleiben
Väterberatung: flächendeckender anbieten, auch auf Betriebe und Behörden ausweiten
Wissenschaft: Studierende bereits im Studium mit der
Väterperspektive vertraut zu machen mit dem Schwerpunkt auf einer
gesunden Entwicklung der Kinder/Familie/ Balance
Fragen für (werdende) Väter
Was für eine Vater- bzw. Mutterrolle wurde mir vorgelebt? Welche
Gesprächs- und Konfliktkultur hat mich geprägt? Die Biografie der Eltern
spielt eine wichtige Rolle, denn dein eigenes „inneres Kind“
beeinflusst die Erziehung und das Selbstverständnis deiner neuen
Familie.
Was sind meine Wünsche und Vorstellungen an mich, die Familie und an
meine Karriere. Was soll dein Kind in 25Jahren über dich erzählen?
Stimmen deine Vorstellungen mit denen deiner Partnerin überein?
Welche alltäglichen Aufgaben stehen an und welche übernimmst du? Was
braucht ihr an Struktur, damit sich alle wohlfühlen? Wieviel möchtest
du/‘musst‘ du Arbeiten? Diese und viele weitere Fragen kannst du
zunächst für dich und dann gemeinsam mit deiner Partnerin lange vor der
Geburt beantworten. Auch wenn danach alles anders kommt als gedacht, wer
A gesagt hat kann auch B viel leichter planen.
Anregungen für Hebammen
Es ist selbstverständlich, dass bei der Geburtsvorbereitung der
Fokus auf die werdende Mutter und die Geburt gerichtet ist. Aber schon
vor der Geburt werden die Weichen dafür gestellt, ob die neuen Familien
sich anfallende Aufgaben partnerschaftlich aufteilen oder in alte
Rollenmuster zurückfallen. Auch bei diesem Entscheidungsprozess können
Sie die werdenden Eltern unterstützen.
Die Unterstützung durch Väter im Geburtsprozess hat positive
Auswirkungen auf die werdenden Mütter. Beziehen sie Väter daher von
Anfang an systematisch ein und ermöglichen ihnen sich zu beteiligen. So
können Väter ihre Partnerinnen unterstützen, eine eigene Identität als
Vater entwickeln und eine aktive Rolle in der Versorgung der Säuglinge
übernehmen.
Im Rahmen der Vorbereitung auf die Geburt haben Väter das Interesse,
sich mit anderen Vätern in einem geschützten Raum über ihre Sorgen,
Gedanken und Hoffnungen auszutauschen. Ermutigen Sie die Partner ‚Ihrer‘
Mütter, den Rahmen Ihres Kurses zu nutzen.
In einer neuen Studie der Universität Cambridge (Vereinigtes Königreich) wurden Väter, die sich hauptsächlich um das Kind kümmern, mit Müttern, die sich hauptsächlich um das Kind kümmern, und mit Doppelverdiener-Paaren aus Mutter und Vater verglichen. Die Forscher fanden keine statistisch signifikanten Unterschiede in Bezug auf die Qualität der Elternschaft, Depressionen, Ängste, Stress, das Gefühl der sozialen Unterstützung, die Qualität der Ehe, Konflikte mit dem Kind oder das Verhalten des Kindes selbst.
„Die vorliegende Studie stellt die Annahme in Frage, dass
Frauen für die primäre Kinderbetreuung besser geeignet sind als Männer …
Väter und Mütter sind in der primären Betreuungsrolle gleichermaßen
kompetent.“
Auf der Grundlage dieses Ergebnisses empfehlen die
Forscher:innen: „Die hohe Qualität der Elternschaft, die von den Vätern in der
Hauptbetreuungsrolle gezeigt wird, legt nahe, dass mehr Väter ermutigt werden
sollten, sich in der Kindererziehung zu engagieren. Um dies zu erreichen,
müssen politische Maßnahmen, die dies erleichtern, wie geteilter Elternurlaub
und flexible Arbeit, einschließlich mehr Teilzeitbeschäftigungsmöglichkeiten,
sowohl von den Regierungen als auch von einzelnen Unternehmen umfassend
gefördert werden.“
Frühere Forschungen zu Vätern, die die Hauptpflege
übernehmen, konzentrierten sich häufig auf schwule Väter, die durch Adoption
oder Leihmutterschaft Eltern wurden. In diesen Studien wurde auch festgestellt,
dass die Anpassung der Kinder positiv war. Die vorliegende Studie erweitert die
Untersuchungen auf heterosexuelle Elternpaare.
An der Studie, die zwischen 2017 und 2019 im Vereinigten
Königreich durchgeführt wurde, nahmen 41 Väter als Hauptbezugspersonen, 45
Mütter als Hauptbezugspersonen und 41 Doppelverdienerpaare (sowohl Mutter als
auch Vater) teil. Die Mütter und Väter waren seit mindestens sechs Monaten die
Hauptbetreuer ihrer Kinder im Alter von 3 bis 6 Jahren. Ihr:e Partner:in war
der bzw. die Hauptverdiener:in; einige Hauptbetreuer (Väter mehr als Mütter)
waren auch teilzeitbeschäftigt oder arbeiteten flexibel von zu Hause aus,
verbrachten aber mehr Zeit mit der Betreuung als mit der Arbeit.
In den Doppelverdiener-Familien waren beide Elternteile
erwerbstätig und viele arbeiteten Vollzeit. Die Familien waren überwiegend
weiß, hatten ein hohes Bildungsniveau und keine ernsthaften finanziellen
Schwierigkeiten.
Anhand von Fragebögen und Interviews bewerteten die Forscher
mit zuvor getesteten Messinstrumenten Depressionen, Ängste, Stress, soziale
Unterstützung, die Qualität der Ehe, die Beziehung zwischen den Eltern, die
Akzeptanz/Ablehnung des Kindes durch die Eltern, die Qualität der Elternschaft
und das Verhalten der Kinder. Bei der Bewertung des Verhaltens der Kinder
füllten die Vorschul- oder Schullehrer der Kinder ebenfalls einen Fragebogen
aus.
Diese Studie bestätigt zahlreiche frühere
Forschungsergebnisse, die zeigen, dass das Erziehungsverhalten von Vätern und
Müttern ähnlich ist und dass sie einen ähnlichen Einfluss auf die Entwicklung
der Kinder haben. Väter, die als Hauptbezugspersonen fungieren, beschreiben
ihre Rolle in der Regel so, dass sie eine enge Bindung zu ihrem Kind aufbauen.
Gunter, du hast bei der Fachtagung der LAG Väterarbeit in NRW im November die Dialogrunde und den Workshop im Themenfeld ‚Geburt & Gesundheit‘ moderiert. Eine der dort formulierten Visionen lautet ‚Angebote und Maßnahmen sichtbarer machen und auf die Bedürfnisse von Vätern ausrichten‘ Warum können die bisherigen Angebote zur Geburtsvorbereitung nicht einfach auf die Väter übertragen werden?
Die Bedürfnisse von werdenden Vätern unterscheiden sich
meiner Meinung nach grundlegend von denen der werdenden Mütter. Der
Lebensübergang ins „Mutter-Sein“ ist für sie ganzheitlich erlebbar durch die körperlichen,
aber auch seelischen Veränderungen der Schwangerschaft. Die Geburt steht
deshalb verständlicherweise im Vordergrund. Für Männer bleit diese Zeit jedoch ein
größtenteils nur im Kopf stattfindendes Erlebnis. Männer werden erst bei Geburt
Vater.
Bei den meisten Angeboten der Geburtsvorbereitung liegt der
Fokus deshalb überwiegend auf der Frau und der Geburt. Vätern ist auch wichtig,
wie sie sich bei der Geburt verhalten sollen und wie sie am besten ihre Frauen unterstützen
können. Aber wie sie sich als Mann auf das „Vater-Sein“ vorbereiten können,
nimmt wenig Platz ein, obwohl es zu den einschneidendsten Veränderungen im
Leben eines Mannes gehört. Deshalb ist ihnen ein ehrlicher Austausch unter Männern
wichtig, um mehr Sicherheit in diese Zeit des Wandels zu bekommen und
Vorbereitungen für die Zeit danach zu treffen.
Zu welchem Zeitpunkt und wie können werdende Väter
angesprochen und erreicht werden?
Wir Männer spielen erst seit ein paar Jahrzenten eine Rolle
bei der Geburt und so ist das Bewusstsein, sich aktiv darauf vorzubereiten,
noch nicht sehr verbreitet. Es wächst parallel zum Bauchumfang der Frau. Deshalb
sollten Väter so früh wie möglich und von unterschiedlichen Seiten von
Angeboten erfahren. Die eine Seite sind die Frauenärzte und Hebammen, die beim
Erstkontakt oder beim Besuch in den Geburtskliniken von Angeboten berichten
könnten. Eine andere Seite sind Arbeitgeber, denn sie haben einen großen Nutzen
davon, wenn sich werdende Väter auf ihre Vaterrolle vorbereiten. Sie sollten ihre
Angestellten dazu animieren und/oder sich finanziell beteiligen Angebote für
Väter zu belegen oder selbst welche anbieten. Die Weichen für die Vereinbarkeit
von Familie und Beruf und für eine gleichberechtigte Rollenverteilung werden
vor der Geburt gestellt. Und wir können die werdenden Väter über andere Väter
erreichen. Es fehlt immer noch an sicheren Räumen für einen Austausch.
Was muss sich an den Rahmenbedingungen verändern, damit
werdende Väter gut in ihre neue Rolle hineinkommen?
Der Vorschlag der neuen Familienministerin Frau Spiegel,
Vätern zwei Wochen bezahlten Urlaub zu ermöglichen, geht in die richtige
Richtung. Väter spielen in den heutigen Familien eine viel größere Rolle, als
nur der „Ernährer“ zu sein. Väter haben heute ein anderes Rollenverständnis, sie
wollen bei der Erziehung der Kinder gleichberechtigt Verantwortung übernehmen,
kümmern sich bei der täglich anfallenden Care-Arbeit, bieten ihren Kindern verlässliche
Beziehungen an. Und für diese Rolle sollten sie viel mehr in den Blick genommen
und unterstütz werden. Durch eine (auch monetär unterstützte) Vorbereitung auf
die Vaterrolle vor der Geburt, durch eine längere Elternzeit um gemeinsam als
Familie anzukommen, aber auch durch flexiblere Arbeitszeitmodelle. Viele Väter
befürchten leider immer noch einen Karriereknick, wenn sie länger in Elternzeit
gehen oder Teilzeit arbeiten und das leider nicht unbegründet. Dabei gibt es
fantastische Teilzeitmodelle wie Jobsharing, was auch Müttern sehr zugutekommen
würde. Beim heutigen Fachkräftemangel, aber auch durch hohe
Lebenserhaltungskosten, müssen wir die Familie viel mehr in den Fokus nehmen
und das von Anfang an. Unser Sozialstaat, aber auch Unternehmen könnten dabei
einen wichtigen Beitrag leisten.
Welche Veränderungsbedarfe siehst du bei der Ausbildung von
Hebammen und Sozialpädogog*innen bzw. -arbeiter*innen?
Das Rollenverständnis hat sich bei so vielen Männern zum
Positiven gewandelt, aber die Rahmenbedingungen haben sind leider nicht
dementsprechend mit verändert. Die Bedürfnisse und Sichtweisen von Vätern
sollten viel mehr mitgedacht und berücksichtigt werden. Dies sollte in der
Ausbildung von Sozialpädagog*innen und Hebammen eine größere Rolle spielen.
Beide Berufsgruppen sind eine so große Stütze, besonders am Anfang einer
Familie, aber auch später in den Ambulanten Hilfen, wenn es mal zu
Schwierigkeiten kommt. Vielen Vätern fehlt es an Rollenvorbildern und deshalb
ist eine Unterstützung durch diese Berufsgruppen so wichtig.
Was sind deiner Meinung nach die wichtigsten drei Elemente
einer Geburtsvorbereitung, die Männer und Frauen auf eine partnerschaftliche
Aufteilung von Erwerbs- und Fürsorge vorbereitet?
Ich nutze gerne das Bild eines „Familienunternehmens“. Das
ist vielleicht ein wenig unromantisch, aber die Sichtweise hat sich als sehr
hilfreich herausgestellt, um alte Rollenmuster zu durchbrechen.
Als Erstes ist es wichtig zu wissen, was jeder an Geschichte
für die Gründung mitbringt: Zum Beispiel was für eine Vater- bzw. Mutterrolle
wurde mir vorgelebt? Welche Gesprächs- und Konfliktkultur hat mich geprägt? Die
Biografie beider Eltern sollte in der Vorbereitung eine wichtige Rolle spielen,
denn unser eigenes „inneres Kind“ beeinflusst die Erziehung und das
Selbstverständnis der neuen Familie.
Als Zweites geht es um die „strategische Ausrichtig“, eine
Art Zukunftsplanung. Was sind meine Wünsche und Vorstellungen an mich und die
Familie UND an meine Karriere. Eine Leitfrage, die ich werdenden Eltern gerne mitgebe,
ist: Was soll euer Kind in 25Jahren über euch erzählen? Sind diese
Vorstellungen kompatibel mit denen meiner Partnerin?
Daraus ergibt und wächst das „operationale Geschäft“. Welche
alltäglichen Aufgaben stehen an und wer übernimmt sie? Was brauchen wir an
Struktur, damit sich alle wohlfühlen? Wer möchte/muss wieviel Arbeiten? Was
kann ich heute schon für ein sicheres Fundament tun?
Sein Angebot umfasst Wochenendkurse für werdende Väter in
der Natur und wird momentan um wöchentliche Präsenz- und Onlineseminare
erweitert. Ich biete zur Vorbereitung auf das „Abenteuer Familienunternehmen“ und
in Familienkrisen Einzel- und Paarberatung an.
Seine jahrelange Erfahrung hat gezeigt, dass für die Zukunft
moderne „Arbeitszeitmodelle“ für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf immer
wichtiger werden. Deshalb absolviere ich eine Fortbildung zum Tandem-Coach, um
das Thema „Jobsharing“ voranzubringen.
In
GOOD ENOUGH PARENTS nimmt der Regisseur Domenik Schuster seine eigene
Vaterschaft als Anlass, um sich mit alten Mythen und Erziehungsweisheiten
auseinander zu setzen, die ihn im Leben mit seinen Kindern begleiten.
Denn auf die Frage: „Was brauchen Kinder?“ hat jede Elterngeneration ihre eigenen Antworten gefunden. Welche davon sind es wert, sie zu behalten? Und von welchen müssen wir uns dringend verabschieden? Die Geschichte unserer Glaubenssätze darüber, was Kinder stark macht, ist auch eine Geschichte der Gewalt gegen Kinder. „Du sollst dein Kind nicht verwöhnen!“, „So wird dein Kind doch nie selbstständig!“ und „Man muss ein Baby doch auch mal schreien lassen!“ – diese Sätze sind keine Lappalien.
Die
Bindungstheorie zeigt ganz deutlich, dass Nähe ein Grundbedürfnis unserer
Kinder ist – und der Entzug selbiger gefährlich. Doch genau das passiert immer
noch. Sowohl im Elternhaus – als auch in Einrichtungen, die strukturell nach
aktuellen Studien zum Großteil nicht in der Lage sind, Kinder bedürfnisgerecht
zu betreuen und sich zunehmend auf kognitive Frühforderung fokussieren – schon
bei den jüngsten. Man sagt, es brauche ein Dorf, um ein Kind großzuziehen. Wie
wollen wir dieses Dorf gestalten?
Man sagt, es brauche ein Dorf, um ein Kind großzuziehen. Wie wollen wir dieses Dorf gestalten?
… aber die Last
trugen und tragen die Familien, ist Birk Grüling überzeugt: Wenn die
Betreuung wegbricht, springen die Eltern ein. Das ist erstmal gut und
richtig. Allerdings brauchen sie dafür Unterstützung – Corona-
Krankentage, mehr Kindergeld, etc. Und im Moment wird die Last der
Pandemie ohne Schutz in Schulen und Kita wieder auf die Eltern und
Kinder abgewälzt.
Die Zahlen sehen auf den ersten Blick gut aus, sowohl bei Vätern und
Müttern hat die Carearbeit mit 2,6 bzw. 3,1 Stunden täglich zugenommen.
Bei Familien mit traditioneller Rollenverteilung hat sich weniger
verändert als bei denen, die auch schon vor der Pandemie versucht haben,
Erwerbs- und Familienarbeit partnerschaftlich aufzuteilen.
Corona wirkt auch an dieser Stelle wie ein Brennglas: Es gibt keinen
Rückschritt, sondern eher die Erkenntnis, dass wir auch vorher nicht
weit genug waren. Damit sich dauerhaft etwas verändert ist es notwendig,
dass
Unternehmen und Politik den Wert von Familienarbeit und
Gleichberechtigung erkennen und Kinderbetreuung, Elternzeit und aktive
Vaterschaft fördern
Väter ihre ‚Privilegien‘ als Bezugspersonen dauerhaft verteidigen und ihre Erwerbsarbeitszeiten reduzieren
Eltern laut und unbequem werden und stärker für ihre Rechte kämpfen
Eine der Visionen die in der Dialogrunde formuliert wurde lautet:
‚Familienarbeit aus der Tabuzone holen‘. Was damit gemeint ist erläutert
Holger Strenz, Moderator de Nachmittags: „Im gesellschaftlichen Kontext
gehen wir vom Idealbild der heilen Familie aus, ein Ort von Liebe und
Geborgenheit. Treten Probleme und Herausforderungen auf, werden diese
schnell individualisiert und stehen in Verantwortung der Eltern. … Nicht
zuletzt gehört Familien- und Care-Arbeit nach wie vor zu den
unentgeltlichen Leistungen, die für eine Gesellschaft zwar unabdingbar
sind, aber eben nicht finanziert und entsprechend anerkannt werden.
Nicht zuletzt sehen wir im Umgang mit Familien während der Pandemie,
dass zwar Trostpflaster verabreicht werden, wie einmalige Zahlungen,
aber dass wir viel mehr über Wirtschaft und Finanzen berichten, als dass
die herausfordernde Familien- und Sorgearbeit in den Mittelpunkt
gerückt werden.“
Damit alle anfallenden Aufgaben und Arbeiten in Familie
gleichberechtigt aufgeteilt werden, ist es erforderlich, Männer und
werdende Väter nicht nur als gleichberechtigte Subjekte von Anfang an
einzubeziehen sondern ihnen auch die entsprechenden Kompetenzen
zuzuschreiben. Dieser Prozess beginnt schon bei der frühkindlichen
Bildung:
„Wenn wir {…] etwas ändern wollen, dann müssen wir an individuellen
Einstellungen etwas verändern und bei den frühen Sozialisationsinstanzen
starten. Kinder müssen erleben können, dass Väter im Alltag anwesend
sind und sich ebenso um Kinder kümmern, wie sie ihre bezahlte Arbeit
meistern. So braucht es in allen Lebensbereichen männliche Vorbilder,
die ein gleichberechtigtes Leben ohne Rollenzuschreibungen anstreben
oder bereits realisiert haben. Und hierfür braucht es Männer und Väter
die dies auch leben wollen, also davon überzeugt sind, dass dies für sie
und für die nachfolgende Generation ein guter Weg ist, Gesellschaft zu
gestalten.“ so Strenz.
Damit die Vision Wirklichkeit werden kann, kommt es darauf,
Rahmenbedingungen dafür zu schaffen, dass Männer nicht mit dem ‚Stempel‘
eines Familienernährers aufwachsen und sich als hauptverantwortlich für
die finanzielle Absicherung der Familie erleben. Jungen und (werdenden)
Vätern brauchen Ermutigung, sich auszuprobieren, den Bereich von
Sorgearbeit zu entdecken und sich auch dort zu engagieren.
Take Aways für Väter (und Mütter)
nehmen sie sich auch in ‚Pandemiezeiten‘ Raum und Zeit für Partnerschaft
tauschen Sie sich regelmäßig über ihre Erwartungen und (Un-)Zufriedenheit aus
thematisieren Sie ihre Familiensituation am Arbeitsplatz
nehmen Sie rechtzeitig Unterstützung und Beratungsangebote in Anspruch
Anregungen für Kita’s und Familienzentren
thematisieren Sie schon in den Familienzentren geschlechtsspezifische Arbeitsteilung
überprüfen sie, welche Haltungen und Vorstellungen in Ihrem Team zu dem Thema vorhanden sind
ermutigen Sie Väter mehr Verantwortung bei der Sorgearbeit zu übernehmen
Hinweise für Gleichstellungsstellen
betrachten Sie Männer und Väter als handelnde Subjekte, die gleichermaßen Gleichberechtigung wollen und auch davon profitieren
weisen Sie bei Ihren Angeboten auf die Bedeutung von Männern und Vätern für die Erreichung der Geschlechtergerechtigkeit hin
unterstützen Sie Männer und Väter dabei, ihre Haltungen zu
hinterfragen und gemeinsam mit ihren Partner:innen neue Modelle
auszuhandeln
Holger, du hast bei der Fachtagung der LAG Väterarbeit in
NRW im November die Dialogrunde und den Workshop im Themenfeld
‚Gleichberechtigung und Beteiligung‘ moderiert. Eine der Visionen die in der Dialogrunde
formuliert wurde lautet: ‚Familienarbeit aus der Tabuzone holen‘. Was ist damit
gemeint?
Im gesellschaftlichen Kontext gehen wir vom Idealbild der
heilen Familie aus, ein Ort von Liebe und Geborgenheit. Treten Probleme und
Herausforderungen auf, werden diese schnell individualisiert und stehen in
Verantwortung der Eltern. Dann gibt es Aussagen wie: „Die Eltern sind
überfordert sie sollen sich doch Hilfe holen.“ Im unternehmerischen Kontext
soll Familienarbeit idealerweise funktionieren und nicht den Arbeitsprozess
stören.
Schlaflose Nächte bei zahnenden Kindern, Erkrankungen, neue
Lebensabschnitte oder auch die Zeit der Pubertät sind jedoch ganz normale
Familienthemen, die in der Regel viel Kraft und elterliche Aufmerksamkeit
benötigen. Konkret geht es darum, dass Kolleginnen nicht ausgegrenzt und
belächelt werden, wenn sie aufgrund von Aufgaben mit und für die Kinder eher
gehen müssen oder die familiären Themen über berufliche Aufgaben stellen.
Ebenso sind Themen wie Allein- bzw. Getrennterziehende oder
Trennung keine, mit denen man im Arbeitsalltag oder auch im Freundeskreis
punkten kann, wenn Familie und Familienarbeit zur besonderen Herausforderung
wird. Unsere Gesellschaft verweist lieber an individuelle
Unterstützungsangebote, als dass strukturelle Veränderungen angedacht und auf
den Weg gebracht werden.
Nicht zuletzt gehört Familien- und Care-Arbeit nach wie vor
zu den unentgeltlichen Leistungen, die für eine Gesellschaft zwar unabdingbar
sind, aber eben nicht finanziert und entsprechend anerkannt werden. Nicht
zuletzt sehen wir im Umgang mit Familien während der Pandemie, dass zwar
Trostpflaster verabreicht werden, wie einmalige Zahlungen, aber dass wir viel
mehr über Wirtschaft und Finanzen berichten, als dass die herausfordernde
Familien- und Sorgearbeit in den Mittelpunkt gerückt werden. Ebenso ist das
Lohngefälle ein Ausdruck dafür, welchen Wert Sorgearbeit in unserer
Gesellschaft hat und wie selbstverständlich sie in diesem Lohngefälle gegenüber
produzierendem Gewerbe gehalten wird.
Warum ist es wichtig, Männer und Väter von Anfang an als
Akteure im Gleichstellungsprozess zu adressieren und einzubeziehen?
Weil Gleichstellung nur im Miteinander und im für einander
Einstehen gelingen kann. Equal Pay und Equal Care sind Aufgaben, die längerfristig
Müttern wie Vätern zugutekommen. Rollenklischees entwickeln sich, sobald wir
auf die Welt kommen und prägen unsere Gesellschaft nachhaltig. Wenn wir daran
etwas ändern wollen, dann müssen wir an individuellen Einstellungen etwas
verändern und bei den frühen Sozialisationsinstanzen starten. Kinder müssen
erleben können, dass Väter im Alltag anwesend sind und sich ebenso um Kinder
kümmern, wie sie ihre bezahlte Arbeit meistern. So braucht es in allen
Lebensbereichen männliche Vorbilder, die ein gleichberechtigtes Leben ohne
Rollenzuschreibungen anstreben oder bereits realisiert haben. Und hierfür
braucht es Männer und Väter die dies auch leben wollen, also davon überzeugt
sind, dass dies für sie und für die nachfolgende Generation ein guter Weg ist,
Gesellschaft zu gestalten. Oft erleben heute Männer Gleichstellung als
Beschneidung von Möglichkeiten, als Zurechtweisen und defizitär. Dabei gilt es
das Augenmerk darauf zu legen, was Männer und Väter von diesem Prozess ganz
individuell und im Zusammenleben mit Frauen und Müttern davon haben.
Welche Vorteile bringt das für Väter und die Beziehung zu
ihren Kindern?
Es bringt Stabilität für die Beziehung, wenn Väter nicht nur
im Spaßbereich erlebt werden, sondern auch zeigen dass sie im Carebereich fit
sind. Viele Väter, die Elternzeit genommen haben, berichten davon, dass sie
später eine gute Beziehung zu ihren Kindern haben. Zum einen ist dies natürlich
in der Begleitung im Aufwachsen der Kinder eine wichtige Ressource. Aber ich
denke zudem ist es eine wichtige Energiequelle für Väter selbst, wenn sie am
Werden ihrer Kinder beteiligt sind und durch Beziehung zu ihnen gestärkt und
getragen werden. Nicht zuletzt verhindert es soziale Isolation, insbesondere in
Krisen & Konfliktsituationen.
Welche Stolpersteine und Widerstände gilt es dabei
unbedingt zu beachten?
Väter sind, wenn es um Familien- und Carearbeit geht, in
einem für sie noch relativ neuen Lebensbereich unterwegs. Es fehlt an
Erfahrungen und Angeboten. Häufig bekommen sie direkt oder durch die Blume
gesagt, dass die Mütter hier die bessere Arbeit leisten. Als Beispiel sei ein
Vater genannt, der in der Familienberatung bei der Umgangsgestaltung danach
gefragt wurde, ob er für seine Kinder sorgen könne. Dieser Vater hatte ein Jahr
Elternzeit genommen. Als er die Frage bejahte, kam die nächste Rückfrage, was
er denn für seine Kinder koche? Diese subtilen Kontrollfragen sind verunsichern
Väter zusätzlich und zeigen ein fehlendes Zutrauen. Väter brauchen jedoch
offene und vertrauensvolle Rahmenbedingungen, um sich noch mehr in den Care-
und Sorgebereich einzubringen.
Wahrscheinlich stehen sich jedoch die Männer im
Gleichstellungsprozess am meisten selbst im Weg, wird das Thema
Gleichberechtigung mit „schwach sein“ verknüpft und innerlich abgewertet. Auf
der anderen Seite braucht es natürlich auch Mütter und Frauen, die
Veränderungen aushalten, insbesondere, wenn sie nicht nach ihren Ideen
umgesetzt werden. Wichtig ist dabei, dass ein Austausch miteinander stattfindet
und mögliche Stolpersteine gemeinsam aus dem Weg geräumt werden können.
Nicht zuletzt ist es Aufgabe der Politik, den
gesellschaftlichen Umdenkprozess zu forcieren und zu unterstützen. Väter und
Männer aktiv hierzu einzuladen und dafür strukturelle Rahmenbedingungen zu
schaffen.
Was sind deiner Meinung nach die ersten drei Schritte auf
dem Weg hin zu einer ‚echten‘ Gleichberechtigung in den Sphären Erwerbs- und
Carearbeit?
Die Rahmenbedingungen dafür zu schaffen, dass Männer nicht
mit dem Gedanken des Familienernährers aufwachsen, also als hauptverantwortlich
in die Erwerbsarbeit gedrängt werden und dass Vereinbarkeit von Familie und
Beruf aktiv von Unternehmen angesprochen und Vätern Mut gemacht wird, sich
auszuprobieren, den Bereich von Sorgearbeit zu entdecken und sich selbst zu
zeigen.
Themen, wie Vereinbarkeit von Familie und Beruf müssen auf
Männer und Väter direkt zugeschnitten werden, auch wenn es dieselben Inhalte
betrifft. Solange wir in traditionellen Rollenvorstellungen verhaftet sind,
braucht es aktive und manchmal provokative Anstöße zum Umdenken.
Role-Model-Kampagnen können dabei positive Denkanstöße liefern und eine
Vielfalt aufzeigen, die ganz unterschiedliche Väter anspricht.
Frauen in den Vorstandsetagen sind dabei ebenso wichtig, wie
Väter in einer Elternzeit von sieben Monaten und mehr. Die Elternzeit- und
Elterngeldreform 2007 hat gezeigt, dass strukturelle Anreize Veränderungen
wunderbar beschleunigen können. Hier kann Politik entsprechend unterstützend
wirken.
Holger
Strenz ist Vater von 2 Töchtern, Sozialpädagoge, Systemischer Paar- und
Familientherapeut. Er ergründet, untersucht und beforscht das männliche
Geschlecht seit über 25 Jahren und versteht sich als Netzwerker, der mit
Papaseiten.de Väterarbeit in Dresden und in Sachsen einen Weg bahnt. Seit über
15 Jahren geschieht dies innerhalb der Gleichstellungsarbeit. Er ist Mitglied
der Fachgruppe Väter im Bundesforum Männer und im Väterexpertennetz Deutschland
e.V. Aktuell koordiniert er die Kampagne zur Petition „10 Tage
Vaterschaftsfreistellung* zur Geburt“.