Postnatale
Depressionen bei Frauen sind glücklicherweise kein Tabu mehr, auch wenn
sie vielfach immer noch als ‚Baby Blues‘ verharmlost werden. Im
deutschsprachigen Raum ist aber wenig darüber bekannt, wie die Partner
von postpartal depressiv erkrankten Müttern mit der mehrfachen Belastung
umgehen, welche die Geburt eines Kindes und die gleichzeitige
Erkrankung der Partnerin bedeutet. Abhilfe sollte eine von Marco
Schraner und Claudia Meier Magistretti von der Hochschule Luzern
durchgeführte Literaturstudie
schaffen. Ziel der vom Verein Postnatale Depression Schweiz
beauftragten Studie war es, mehr Wissen zu erarbeiten und in Erfahrung
zu bringen, wie Väter diese Situation erleben, welche
Bewältigungsstrategien sie entwickeln und welche Unterstützung ihnen
helfen könnte, ihre Partnerinnen zu unterstützen und dabei selber gesund
zu bleiben.
Die Aufmerksamkeit des medizinischen Personals ist bei der Geburt
ebenso wie bei postnatalen Depressionen vor allem auf die Mütter
gerichtet. Väter haben oft das Gefühl, nicht gehört zu werden und dass
ihre Bedürfnisse übersehen werden. In Geburtskliniken werden Frauen
selten, Männer üblicherweise nicht auf Depressionsrisiken hin
untersucht. Das Problem wird also – wenn überhaupt – erst erkannt, wenn
es auftritt. Dann allerdings, so hat sich gezeigt, fühlt sich das
Pflegepersonal oft schlecht vorbereitet im Umgang mit den Bedürfnissen
der Väter. Eine rechtzeitige Intervention könnte dagegen die psychische
Gesundheit der Väter fördern.
Interventionen des medizinischen Personals, die z.B. Väter im Umgang
mit ihren neugeborenen Babys schulen, sind dabei hilfreich: Väter fühlen
sich dadurch in ihrer Erziehungskompetenz anerkannt, das Gefühl der
wahrgenommenen Elternwirksamkeit und die Kontrollwahrnehmung der Väter
wird gestärkt. Insgesamt wirken derartige Maßnahmen damit
angstreduzierend.
Gestärkte Väter fühlen sich in der Folge vermehrt auch als Teil des
‚Elternbündnisses‘. Selbstverständlich müssen solche Interventionen auf
die jeweiligen Bedürfnisse der Väter abgestimmt sein. Dazu gehört zum
Beispiel das Überwinden der Unsicherheit, wie sie mit ihren Babys
interagieren, wie sie deren Bedürfnisse erkennen und ihnen entsprechen
können.
In der Zeit nach der Geburt eines Kindes sind Väter bzw. ihre Partner
für die Mütter generell die wichtigste Unterstützung. Andererseits
können Väter gerade nach der Geburt des ersten Kindes betreffend ihre
neue Rolle als Kinderbetreuer und Partner stark verunsichert sein. Die
Paare stehen also, wenn es um Unterstützung geht, in einer Art
gegenseitiger Abhängigkeit zu einander. So kann aus der Depression eines
Elternteils eine Abwärtsspirale für beide Partner entstehen. Eine
zweite Wechselwirkung besteht zwischen einer nicht zufriedenstellenden
Paarbeziehung und dem Auftreten einer väterlichen postnatalen
Depression.
In Anbetracht der gravierenden Auswirkungen, die eine Depression auf
das Familienleben, die Partnerschaft und das Kindeswohl haben kann,
schlagen die Autor:innen vor, Maßnahmen der Früherkennung von
depressiven Störungen nach der Geburt eines Kindes in Zukunft vermehrt
auch für Väter zu ergreifen. Dies gilt insbesondere für Paare, in denen
die Mütter von postnataler Depression betroffen sind.
Ein Gespräch mit Gunter Beetz über die Vorbereitung von Vätern auf die Geburt und was danach auf sie zukommt.
In nehme wahr, dass es in den letzten Jahren in immer mehr
Städten in Deutschland Geburtsvorbereitungskurs für werdende Väter gibt.
Bei deinem Angebot kommt das Wort Geburtsvorbereitung aber kaum vor.
Steckt irgendeine Absicht dahinter?
Für mich markiert die Geburt eines eigenen Kindes eines der
wichtigsten Lebensübergänge im Leben eines Mannes. Er übernimmt nicht
nur für sich, sondern auch für sein Kind und seine Familie
Verantwortung. Für mich greift der Begriff der Geburtsvorbereitung
deshalb zu kurz. Ich möchte werdende Väter darauf vorbereiten was auf
sie zukommt über das Wochenbett hinaus. Es soll eine Vorbereitung auf
die Vater-Rolle sein. Und deshalb nenne ich es „In das Vater-Sein
wachsen”.
Aber das Thema Geburt kommt auch vor, oder?
Ja, das ist Teil des Seminars. Gut vorbereitet zu sein auf eine
Geburt, ist sehr wichtig. Aber bei mir geht es mehr darum, dass Väter
ihren eigenen Umgang damit finden. Ich rate Vätern zum Beispiel, nicht
nur am Kopfende zu stehen. Für mich war die Geburt meines eigenen Kindes
einer der magischsten Momente in meinem Leben. Ich möchte, dass es
jeder mit sich selbst ausmacht, wie viel er sehen will oder, noch
wichtiger, dies mit der werdenden Mutter abspricht, was für sie okay
ist. Darum geht es. Eine eigene Haltung entwickeln, bei der Geburt und
darüber hinaus.
Dein Seminar heißt „In das Vater-Sein wachsen” und geht über ein ganzes Wochenende. Braucht es so viel Vorbereitung?
Frei nach dem Spruch: „Es ist noch kein Meister vom Himmel gefallen“
finde ich, dass man auch in die Vater-Rolle hereinwachsen muss. In
meinem Seminar geht es darum, einen intensiven Blick darauf zu werfen,
was man für die Rolle mitbringt. Es geht um Fragen wie: Was für ein
Vater möchte ich sein? Was wurde mir vorgelebt? Welche Vater-Rolle kenne
ich? Was davon möchte ich weiterführen, was aber auch hinter mir
lassen? Die Beantwortung dieser Fragen hilft dabei, eine Haltung zu
entwickeln. Und diese Haltung ist wichtig, um in der Partnerschaft ein
Gegenüber zu sein. Und deswegen ist es so intensiv. Es hilft dabei,
nicht direkt in alte Rollenmuster zu verfallen, sondern ein
gleichwertiges Gegenüber zu sein.
Was unterscheidet deinen Kurs von anderen? Was ist das Besondere daran?
Wir verbringen vier Tage in der Natur und leben autark in einem
Waldstück bei Münster. Durch unterschiedliche Natur-Übungen lernen wir
uns selbst und unsere eigene Geschichte kennen. Alles zum Thema
Vaterschaft. Der Fokus liegt dabei auf unterschiedlichen, menschlichen
Qualitäten. Diese zu entwickeln oder zu erforschen, ist ein wichtiger
Punkt. Wir entwickeln eine Art eigene innere Landkarte oder
intrinsisches Orientierungs-Modell. Und dieses Modell hilft dabei, die
unterschiedlichen Vater-Rollen oder unterschiedlichen Qualitäten in sich
wahrzunehmen. Bin ich eher ein intuitiver Vater oder eher ein
strukturierter? Zweifle ich viel oder habe ich ein gesundes Urvertrauen
für diesen Schritt? Wir vergessen häufig, dass wir diese Vater-Rollen
oder Qualitäten alle in uns haben und dass wir auch die Wahl haben, was
für ein Vater wir sein möchten. Was auch sehr spannend und besonders
ist, ist, dass jeder Teilnehmer im Laufe des Prozesses eine Nacht allein
im Wald unter einem Plane verbringt mit Iso-Matte und Schlafsack. Alles
andere lässt man weg. Wer bin ich dann, wenn ich alles weglasse? Diese
Erfahrung, ein Teil der Natur zu sein, das macht etwas mit den
Teilnehmern.
Der Wald spielt also eine wichtige Rolle, oder? Man könnte
das ja auch im Kloster machen, da gibt es auch karg eingerichtete Räume.
Ja, man könnte das auch im Kloster machen. Was für mich auch wichtig
ist, ist, dass wir uns als Teil der Natur verstehen und auch von der
Natur lernen. Es berichten viele Teilnehmer, dass das etwas mit ihnen
gemacht hat, um auch den Geburtsvorgang oder diesen auch als natürlichen
Prozess zu verstehen. Dafür ist die Natur wichtig. Ja.
In deiner Ausschreibung taucht auch der Begriff „transformative Bildung” auf. Was muss ich mir darunter vorstellen?
Transformative Bildung bedeutet, dass wir uns erst einmal selbst
besser kennenlernen. Es geht um die Auseinandersetzung mit den erlernten
Denk-, Fühl- und Handlungsmustern. Wir schauen darauf, was wir für
gewohnte Bewertungen haben oder was uns gesellschaftliche Leitbilder an
Normen und Werten vorgeben. Das hilft dann dabei, ein anderes
Ich-Verständnis zu bekommen, eine Haltung zu entwickeln. Mit dieser
Haltung kann ich dann ein anderes Weltbild vertreten oder mit der Welt
anders in Kontakt treten. In dem Falle mit meiner Partnerin.
Zunächst möchte ich, denke ich, mit meinem Kind in Kontakt
treten unmittelbar nach der Geburt. Das mit der Welt hört sich ein
bisschen spirituell an.
Spirituell ist immer ein schwieriger Begriff. Natur zu erleben hat
etwas Spirituelles, finde ich. Je klarer ich mir meiner Rolle bin oder
dessen, was ich für eine Vater-Rolle einnehmen will, desto besser kann
ich auch mit meinem Kind in Verbindung treten. Und das ist genau das.
Klar, nach der Geburt nimmt man sein Kind einmal auf die Brust. Man
versucht da zu sein, man versucht für die Frau da zu sein. Mir geht es
mehr darum, was man langfristig möchte. Was möchte ich dem Kind bieten?
Ich habe immer eine Leitfrage: Was möchte ich, was mein Kind in 25
Jahren über mich erzählt über meine Vater-Rolle oder wie ich als Vater
war? Das finde ich ein schönes Leitbild, um danach zu gehen und sich
danach zu orientieren.
Nochmal zusammengefasst: Warum ist deiner Meinung nach eine intensive Vorbereitung auf die anstehende Vaterschaft so wichtig?
Was ich, als Vater von zwei Töchtern, gemerkt habe, war, dass wir in
diesem ersten Jahr gar keine Zeit hatten, uns so intensiv damit
auseinanderzusetzen. Das Kind ist dann da. Da gibt es andere
Bedürfnisse. Und deswegen macht eine intensive Vorbereitung sehr viel
Sinn. Im Gegensatz zu den werdenden Müttern. Die werdenden Mütter haben
einen gewissen Vorteil in Anführungsstrichen, da sie sich neun Monate
auf diese Geburt vorbereiten können. Körperlich, seelisch und geistig
bereiten sie sich auf den Übergang in das Mutter-Sein vor. Für uns Väter
ist das ein bisschen komplizierter. Für uns ist die Schwangerschaft
häufig etwas Surreales. Wir werden erst bei der Geburt richtig Vater.
Viele Hebammen haben mir erzählt, dass sie bei der Geburt immer auch in
das Gesicht des Vaters gucken, weil sie dann merken: „Okay, jetzt ist er
Papa geworden.“ Dann kommt aber das Problem im ersten Jahr, was ich
eben beschrieben habe, dass es wenig Zeit gibt, sich mit den
Veränderungen auseinanderzusetzen. Auch die Mütter sind häufig, ich sage
einmal, mit dem Kopf woanders. Einmal völlig wertfrei. Mit dieser
intensiven Auseinandersetzung haben wir die Möglichkeit eine eigene
Haltung, eine eigene Rolle zu vertreten und dann Kompromisse einzugehen.
Wenn man das nicht tut, reagiert man oft und agiert nicht.
Du hast jetzt gerade auch von den Müttern gesprochen, die
sich aufgrund der körperlichen, biologischen Vorgänge ganz anders darauf
vorbereiten können. Haben die Mütter auch etwas von dieser
Vorbereitung, die du speziell für die Väter anbietest?
Ich rege die werdenden Väter dazu an, mit ihren Partnerinnen zu
sprechen. Was hat die Partnerin für ein Vaterbild? Was gibt es für
Erwartungen an die Vaterschaft? Die Auseinandersetzung hilft beiden, um
sich mit den neuen Rollen gut zu identifizieren. Da werden auch die
Weichen gestellt für die spätere Vereinbarkeit von Familie und Beruf.
Was stellen sich die beiden eigentlich vor? Wie soll das Ganze laufen?
Diese Auseinandersetzung schon vor der Geburt zu führen oder zu haben,
hilft für die spätere Partnerschaft.
Ja, das finde ich ein ganz wichtiges Stichwort.
Partnerschaftlichkeit. Viele Umfragen deuten seit mehr als 20 Jahren
darauf hin, dass sich junge Frauen und Männer die Vorstellung haben die
Erwerbsarbeit und die Familienarbeit partnerschaftlich aufzuteilen. Das
ist ein Vorhaben, das sie haben. Da gibt es diese Karikatur, auf der das
moderne Paar in den Kreißsaal hereingeht und als seine Großeltern mit
den traditionellen Vorstellungen und Lebensweisen wieder herauskommt.
Bist du der Überzeugung, dass das Angebot, das du da machst, ein Stück
weit dazu beiträgt, dass die Konzepte, die in den Köpfen sind,
Wirklichkeit werden können?
Ich bin der festen Überzeugung, dass das dabei helfen kann. Natürlich
ist es Arbeit, nicht in alte Rollenmuster zu verfallen. Wir leben das,
was wir von unseren Eltern beigebracht bekommen haben, oft nach und da
braucht es genau diese bewusste Auseinandersetzung, um dagegen zu
steuern oder um von vornherein transparent damit umzugehen, was man für
Wünsche an die Vaterschaft, an die Rolle hat. Was mag man, was mag man
nicht? Dieser ganze Mental Load. Um was kümmere ich mich, um was kümmere
ich mich nicht? Was möchte ich machen? Das hilft schon. Ich bin der
festen Überzeugung, dass diese Auseinandersetzung Paaren hilft.
Du hast zu Beginn gesagt, dass dein Kurs nicht
Geburtsvorbereitungs-Kurs heißt, weil die Inhalte, die Themen und die
Bedeutung weit über den eigentlichen Geburtsvorgang hinausgehen. Wäre es
nicht konsequent in Bezug zu dem Thema Partnerschaftlichkeit und
Verwirklichung der Vorstellungen ein Follow-Up zu machen? Also dass die
Väter nach sechs Wochen oder nach sechs Monaten noch einmal eingeladen
werden und man schaut: „In der Zeit als wir uns im Wald getroffen haben,
hattet ihr die und die Vorstellung.“ Das kann man ja auch schriftlich
festhalten. Und dass man dann schaut: „Was ist daraus Wirklichkeit
geworden und was braucht es, um da nachzusteuern?“
Wenn sich da etwas ergibt, bin ich offen dafür. Ich weiß nur aus
eigener Erfahrung, in den ersten Monaten hätte ich da meiner Frau
gesagt: „Ich bin dann nochmal für ein Wochenende weg“, ich weiß nicht,
ob das nicht doch … Man hat wenig Zeit. Das ist das Problem. Vielleicht
ist so etwas online heutzutage einfacher möglich. Da bin ich offen für,
ja. Das ist eine gute Idee.
Vielen Dank für das Gespräch
Informationen über die Arbeit von Gunter Beetz finden Sie hier.
Birk Grüling, Autor von ‚Eltern
als Team – Ideen eines Vaters für gelebte Vereinbarkeit‘ im Gespräch mit der
LAG Väterarbeit in NRW
Was war der Anlass für dich,
den Ratgeber zu schreiben?
Sowohl privat als auch als Journalist habe
ich mich in den letzten Jahren sehr viel mit dem Thema Vereinbarkeit
auseinandergesetzt und damit auch mit der Frage, wie ich eigentlich arbeiten
und wie viel Zeit ich für die Familie haben will. Ein ganz wichtiger Moment in
diesem Zusammenhang war der Tod meines eigenen Vaters in der Schwangerschaft
meiner Frau. Das hat mich sehr zum Grübeln gebracht. Mein Vater hat immer viel
gearbeitet und wenig auf seine Gesundheit geachtet, am Ende hat er dadurch
seinen Enkel verpasst. Und als Journalist habe ich das Privileg, meinen eigenen
Fragen auch noch beruflich nachzugehen. So entstanden aus der privaten Suche
nach meiner eigenen Vater-Rolle viele Texte und irgendwann dieses Buch. In dem
Buch erzähle ich aber nicht nur von mir, sondern stelle Menschen und ihre
tollen Ideen zu den ganz verschiedenen Aspekten von Vereinbarkeit vor. Ein
Patent-Rezept entsteht daraus zwar nicht, aber viele spannende Impulse wie ich
finde.
Zu Beginn des Buchs schreibst
du „Vereinbarkeit ist nicht unmöglich“. Mir kommen da zwei Titel, vor 6 Jahren
auch von Journalist:innen geschrieben, in den Kopf. Nämlich: „Geht alles gar
nicht“ von Marc Brost und Heinrich Wefing und „Die Alles ist möglich-Lüge:
Wieso Familie und Beruf nicht zu vereinbaren sind“ von Susanne Garsoffky und
Britta Sembach. Was entgegnest du Ihnen aus heutiger Perspektive?
Ich habe beide Bücher nicht
gelesen und kann zu ihnen auch wenig sagen. Allerdings bin ich ein großer Fan
von konstruktivem Journalismus. Also Probleme benennen und Lösungen suchen,
statt einfach nur zu jammern und die Flinte in Korn zu werfen. Und ja, es gibt
sehr viele Probleme – von fehlenden Betreuungsplätzen bis zu alles anderes als
familienfreundlichen Arbeitsmodellen. Aber das bedeutet doch nicht, dass ich das
Thema Vereinbarkeit für mich abharken und alles so mache wie unsere
Eltern-Generation. Es muss doch etwas zwischen Hausmann und 60 Stunden Wochen
Karrieremann geben.
Eine große Rolle spielt für dich die Vorbereitung auf das
Elternsein. Du sprichst da von der Entwicklung einer „Familienvision“. Wie
können sich Väter auf das Vatersein vorbereiten und auf welche „Rolemodels“ und
Unterstützung können sie dabei zurückgreifen?
Ich glaube, der wichtigste
Schritt ist die bewusste Auseinandersetzung mit den wichtigen Fragen der
Vaterrolle. Also sehe ich mich eher als Ernährer und „Wochenendpapa“ oder will
ich wirklich in Teilzeit arbeiten und kann ich mir dabei sogar vorstellen auf
bestimmte Symbole zu verzichten. Ich habe das Gefühl, dass selbst vorher
gleichberechtigte Paare ganz schnell in „traditionelle“ Rollenbilder
abrutschen, einfach weil sie diese nie richtig hinterfragt haben. Und daraus
entstehen oft Konflikte. Im Babykurs meiner Frau beschwerten sich zum Beispiel unzählige
Mütter darüber, dass ihre Männer doch gar nicht so engagierte Papas waren, wie
der Generation der „Neuen Väter“ gemeinhin nachgesagt wird. Und ich kann sagen:
Konflikte über unausgesprochene Erwartungen klärt man lieber im Vorfeld, als
völlig übermüdet und genervt mit zahnendem Baby auf dem Arm. Deshalb würde ich
jedem raten, sich mit seiner zukünftigen Rolle auszusetzen und ruhig mal mit
anderen Vätern und natürlich mit der eigenen Partnerin darüber zu sprechen. Und
wenn ich die Rolemodels vielleicht nicht im eigenen Freundeskreis findet, kann
ich sie mir im Internet suchen und mit ihnen in Kontakt treten.
Im Zusammenhang mit der
Elternzeit schreibst du: „Noch nie standen die Chancen besser, mit alten Werten
zu brechen, der Last des alleinigen Ernährers zu entfliehen und die eigene
Vaterrolle neu und anders zu gestalten.“ Die Elternzeit gibt es ja schon seit
14 Jahren, woher rührt dein Optimismus?
Ist das wirklich optimistisch? Im
Vergleich zu allen Väter-Generationen vor uns haben wir fürstliche Möglichkeiten.
Gleichzeitig nutzen wir sie nicht genug und rutschen immer noch viel zu oft in
Rollenbilder aus den 50er Jahren. Deshalb muss es noch mehr Druck zur
Gleichberechtigung geben – zum Beispiel könnten Mütter und Väter, die
gleichberechtigt in Elternzeit gehen, mehr Geld bekommen oder sogar eine
„Pflicht“ zur Gleichberechtigung eingeführt werden, jedenfalls wenn man
Elterngeld bekommen möchte. Ich bin also eher enttäuscht darüber, dass wir
Eltern immer noch zu wenig aus den Chancen machen, bin aber froh, dass es sie überhaupt
gibt – auch wenn bei ihnen durchaus Nachholbedarf besteht.
Welche Rolle spielen dabei die letzten 14 Monate mit
Corona?
Corona ist ein komplexes Thema –
einerseits haben wir gespürt, dass zuhause arbeiten deutlich besser
funktioniert und daraus könnte eine deutlich rasantere Flexibilisierung der
Arbeitswelt entstehen. Auch manche Väter haben sich nun stärker in die
Care-Arbeit eingebracht und damit einen Wertewandel durchlaufen. Andererseits
hat die Pandemie auch gezeigt, wie groß die Probleme in diesem Land sind – zum
Beispiel, dass die Belange von Familie politisch nichts wert sind oder das auch
Bildung keine so große Rolle spielte wie die Belange von Industrie und
Wirtschaft. Und wir haben erlebt, dass am Ende in vielen Familien die Mütter
die Last der Pandemie tragen und die Väter selbst im Homeoffice gut auf
Tauchstation gehen können. Am Ende sehe
ich die Pandemie aber durchaus als Chance für Veränderungen. Jedenfalls kann
man jetzt die Probleme und die Versäumnisse nicht mehr klein oder schön reden.
Ein Thema, das sich wie ein roter
Faden durch das Buch zieht, ist die Erwerbsarbeitszeit bzw. die „30 Stunden
Woche“ als neue Vollzeit. Warum ist die Möglichkeit einer Reduzierung der
Erwerbsarbeitszeit für Väter so wichtig?
Ich hole mal
etwas theoretisch aus. Forscher der Oxford University kamen in einer Studie zum
Schluss, dass in den USA 47 Prozent aller Arbeitsplätze in den nächsten ein bis
zwei Jahrzehnten bedroht sind. In
Deutschland sieht es ähnlich aus. Wir müssen uns also schon heute Gedanken
machen, wie wir bald weniger vorhandene Arbeit besser verteilen können. Und ich
halte dabei die 30 Stunden Woche für ein tolles Modell. Die Zeit reicht aus, um
Arbeit zu gestalten und auch „Karriere“ zu machen. Auf der anderen Seite bleibt
so deutlich mehr Platz für die Familie oder das Privatleben. Außerdem ließe
sich die Arbeit besser und gerechter verteilen. Dadurch das auch sehr
hochqualifizierte Mütter oft nur geringen Umfang arbeiten, geht Unternehmen
viel Wissen und Knowhow verloren. Kurzum: Die 30-Stunden Woche wäre geeignet,
um die „Work-Life-Balance“ zu verbessern und mehr Gleichberechtigung zu
schaffen. Allerdings darf das nicht eine Akademiker-Geschichte bleiben. Auch in
der Pflege oder im Einzelhandel muss eine 30 Stunden Woche so gut bezahlt sein,
dass ich davon meinen Lebensunterhalt bestreiten kann. Und davon sind wir
leider oft noch etwas entfernt.
Der Begriff des „Mental Load“
wird ja im Kontext von partnerschaftlicher Arbeitsteilung von vielen angeführt.
Du schreibst in dem Abschnitt „Wir müssen über Geld reden“ von einem „Financial
Load“, sind das zwei Seiten einer Medaille?
Ich glaube, 1 zu 1 übertragbar
sind die beiden Dinge nicht. Aber die (fast) alleinige Last des
Familienernährers ist für mich ein wichtiges Thema, über das zu wenig
besprochen wird. Dieses Modell ist nämlich immens gefährlich und sehr
belastend. Dem Alleinernährer darf nichts passieren, von seinem Gehalt lebt die
Familie. Kommt es doch zu einem Unfall oder einer schweren Erkrankung, wird es
richtig schwer für die Familie – nicht nur emotional, sondern auch finanziell.
Von den negativen Auswirkungen auf die Rentenansprüche der Frau ganz zu
schweigen – Kinder groß zu ziehen, ist ein großes Armutsrisiko im Alter.
Deshalb müssen wir dringend auch die „Last“ der Erwerbsarbeit besser verteilen
und dazu gehört auch die Überwindung des Gender Pay Gaps. Und wir Väter
gewinnen dabei nur: Wir müssen weniger arbeiten, müssen uns weniger Sorgen
machen, ob das Gehalt für alle wohl reicht und haben noch mehr Zeit für die
Kinder. Achja, Paare, die gleichberechtigt arbeiten, haben auch noch ein
deutlich höheres Familieneinkommen als Alleinernährer.
„Vereinbarkeit ist kein Sprint
sondern ein Marathon“ steht auf einer der letzten Seiten deines Buchs. Was
müssen Väter in jedem Fall beachten, damit sie die „Strecke“ durchhalten?
Familienleben ist hoch dynamisch.
Ständig tauchen neue Herausforderungen auf. Geschwister werden geboren,
Arbeitszeiten verändern sich, die Schulzeit beginnt, auch unvorhersehbare Dinge
wie Krankheiten bringen alte Routinen durcheinander. Deshalb muss ich auch in
Sachen Vereinbarkeit ständig nachjustieren und immer wieder neue Wege und
Lösungen suchen. Denn alles was gestern noch reibungslos klappte, kann morgen
schon völlig unpassend sein. Deshalb ist es wichtig, im Gespräch zu bleiben und
sich auch als Eltern-Team regelmäßig zu fragen, ob die vor zwei Monaten oder
zwei Jahren getroffenen Entscheidungen noch heute passen oder ob gegengesteuert
werden muss. Das ist glaube ich das wichtigste Rezept beim Durchhalten. Am Ende
müssen einfach alle Beteiligten zufrieden sein.
Das ist der Titel des ‚konstruktiven Buches‘ von Birk
Grüling, Jahrgang 1985 und selbst Vater eines Sohnes. Konstruktiv in dem Sinne,
dass er Vereinbarkeit für möglich hält und sich vor dem Hintergrund der eigenen
Erfahrungen selbstkritisch mit den Möglichkeiten und Hindernissen
auseinandersetzt. Diese subjektive Perspektive wird ergänzt durch die
Perspektive von 16 Praktiker:innen, Coaches, Therapeut:innen, Trainer:innen und
Personalverantwortlichen sowie zahlreichen Vätern und Müttern, die ihr Ringen
um eine gemeinsame Lösung beschreiben.
„Eltern als Team“, das ist die Übersetzung des seit langem geäußerten
Wunschs junger Mütter und Väter nach einer partnerschaftlichen Aufteilung von
bezahlter Erwerbsarbeit und unbezahlter Familien- bzw. Care-Arbeit.
Vereinbarkeit geht nur gemeinsam, wenn überhaupt.
Es ist noch gar nicht so lange her, dass sich ebenfalls
Journalist:innen, Marc Brost und Heinrich Wefing mit „Geht alles gar nicht“ und
Susanne Garsoffky und Britta Sembach mit „Die Alles ist möglich-Lüge: Wieso
Familie und Beruf nicht zu vereinbaren sind“ ganz anders positioniert haben.
Aber auch Grüling macht an dieser Stelle keine falschen
Versprechungen. Vereinbarkeit ist kein Sprint, den Mann oder Frau mal eben
abläuft, sondern ein Marathon, der den permanenten Austausch zwischen Vater und
Mutter erfordert. Und damit beginnen die werdenden Eltern am besten vor der
Geburt.
Damit meint der Autor nicht nur die ‚Geburtsvorbereitung und
den „Nestbau“, er skizziert quasi als Vorbereitung auf die Vereinbarkeit für
eine gemeinsame ‚Familienvision‘ die natürlich voraussetzt, dass auch der
werdende Vater eine Vorstellung davon entwickelt, welcher Vater er sein möchte.
Wie dieser Visionsentwicklungsprozess aussehen kann, beschreibt er sehr
anschaulich. „Die erste Frage für dich wäre also: Welches Bild von mir als
Vater … habe ich selbst?“ und dabei geht es natürlich auch um die
Auseinandersetzung mit den Erfahrungen mit dem eigenen Vater bzw. der eigenen Mutter.
Die Hinweise und Fragestellungen die Grüling an dieser, aber
auch an vielen anderen Stellen formuliert, sind ein passendes Angebot und
verleiten wirklich dazu, sich auf die entsprechenden Situationen und
Herausforderungen einzulassen und im Anschluss daran, das Gespräch mit der
Partnerin zu suchen.
Apropos Partnerschaft, dass es nicht nur um eine möglichst
optimale und gleichberechtigte Aufgabenteilung geht, sondern um die Pflege
einer Beziehung und die Selbstsorge, macht er in einem eigenen Abschnitt
deutlich. Wie wichtig dies ist, macht das Zitat zu Beginn dieses Abschnitts
deutlich, dass Jeder und Jede kennt, die schon einmal geflogen ist: „Im
unwahrscheinlichsten Fall eines Druckverlusts falle automatisch
Sauerstoffmasken aus der Kabinendecke … Atmen Sie normal weiter. Helfen Sie
danach Kindern und hilfsbedürftigen Menschen.“ Nur in dieser Reihenfolge
gelingen Beziehungen, Vereinbarkeit und Erziehung von Kindern.
Weitere Themen sind Elternzeit, Bedeutung und Auswahl von
Kinderbetreuungseinrichtungen und die Routine, die sich irgendwann einstellt.
Grüling spricht in diesem Zusammenhang auch von den „Drei Säulen der
Vereinbarkeit“ und macht deutlich, dass sich zwar jedes werdende und gewordene
Elternpaar für ihren Weg entscheidet, dass die Gestaltung der Rahmenbedingungen
keineswegs nur Privatsache ist.
Diese eröffnen Möglichkeiten oder engen sie ein. Das fängt
bei Regelungen im Steuer- und Sozialversicherungsrecht an, geht über die
Kinderbetreuung und hört bei Regelungen zur Arbeitszeit noch lange nicht auf.
Die „30 Stunden Woche“ taucht an vielen Stellen als Option auf und es wird
deutlich, dass diese in der Lebensphase mit kleinen Kindern, der Weg sein kann,
„Mental- und Financial Load“ gerecht zu verteilen und Väter und Mütter in die
Lage zu versetzen, als Team zu agieren.
„Noch nie standen die Chancen besser, mit alten Werten zu
brechen, der Last des alleinigen Ernährers zu entfliehen und die eigene
Vaterrolle neu und anders zu gestalten.“ Lautet eine der Kernaussagen des
Buchs, dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund der Erfahrungen, die Familien
in den vergangenen 14 Monaten gemacht haben. Der Ratgeber von Birk Grüling ist
bestens dazu geeignet, die richtigen Lehren aus dieser Zeit zu ziehen und sich
als werdende oder gewordene Väter und Mütter mit der eigenen Zukunft als Eltern
und Paar auseinanderzusetzen.
Care.com und die Väter gGmbh haben heute ihre Studie bzw. ihr
‚Stimmungsbild‘ „Paare und Familien in Zeiten von Corona” vorgestellt.
Welche Punkte daraus sind für Sie besonders bedeutsam?
Für mich war es vor allem nochmal eine Bestätigung dessen, was ich im
Moment subjektiv wahrnehme und was ich von vielen Seiten höre. Das ist
durch die Studie mit Zahlen unterlegt worden. Gerade diese Anspannung
und auch diese Coronamüdigkeit, die von allen Seiten kommt, die
innerhalb der Paare und innerhalb der Familien existiert. Und der Druck
sowie die hohe Nähe, die man mit der Familie immerzu hat. Die Ängste,
Sorgen und Nöte, die nach wie vor da sind, also all das was auf die
Psyche wirkt. Das ist jetzt auch messbar.
Sie beraten ja gemeinsam mit ihrer Partnerin unter dem Label ‚2PAARSchultern‘
schon länger Paare und Väter im Hinblick auf die Vereinbarkeit von
Beruf und Familie. Was hat sich in den vergangenen 14 Monaten im
Vergleich zu den Zeiten vor Corona verändert?
Robert Frischbier
Was ich toll finde, also gerade aus der Sicht der Väter, das durch
diesen „Zwang“, mehr mit der Familie machen zu müssen, mehr zu Hause zu
sein, mehr sich um die Kinder zu kümmern, viele Menschen die
Möglichkeiten, die sich daraus ergeben, einfach erkannt haben und auch
nutzen. Also, dass man einfach sagt okay, ich bring mich anders mit ein.
Ich mache das jetzt. Ich brauche mich nicht mehr mit meinem Arbeitgeber
auseinanderzusetzen, ob ich Homeoffice machen darf, sondern ich muss ja
sowieso Homeoffice machen. Ich bin zu Hause, kann mich um die Kinder
kümmern, sehe auch, was zu Hause so anfällt. Das habe ich bei vielen
Gesprächen jetzt schon gemerkt, da gibt es einen ‚Aha Moment‘
irgendwann. Ja, da passiert ja ganz schön viel. Da ist ja ganz schön
Trubel. Und jetzt bin ich mittendrin. Und dann kann ich auch gleich
richtig mitmachen.
Sind durch Corona noch neue Herausforderungen dazu gekommen?
Die größte Herausforderung ist für mich nach wie vor, dass man sich
nicht mehr aus dem Weg gehen kann, dass es keine Trennung zwischen
Arbeit, Familie, Freizeit, Partnerschaft gibt. Das findet alles in
unmittelbarer räumlicher Nähe statt. Man kann nicht mal eben eine Tür zu
machen und dann hat man seine Ruhe. Diese Ruhe gibt es nicht und das
ist eine unheimlich große Herausforderung, der viele Familien, auch
Alleinerziehende natürlich, im Moment gerade gegenüberstehen.
Sind durch die Krise auch grundsätzliche, schon länger bestehende Hindernisse sichtbar geworden?
Ich habe zu Beginn von Corona häufig beobachtet, dass es bei vielen
tatsächlich so eine Art Automatismus gab, in das klassische Rollenbild
reinzufallen. Also der Mann wurde sofort irgendwie zum Ernährer, und die
Frau wurde irgendwie sofort zur „Kümmerin“ in einer Familie.
Und ich sehe das auch jetzt noch. Nach über einem Jahr, ist das bei
vielen immer noch so, dass man zumindest in den Köpfen diese Denke drin
hat. Viele Väter bringen sich immer stärker ein und wollen das auch. Sie
scheuen aber nach wie vor auch das Gespräch mit dem Arbeitgeber um zu
sagen, „ich möchte das auch über Corona hinaus und jetzt nicht nur aus
der Drucksituation heraus so machen“. Ich sehe eigentlich die Gefahr,
dass es, wenn sich die Lage wieder normalisiert und man wieder die freie
Entscheidung hat, dass sich diese aktuell praktizierten,
partnerschaftlichen Rollenmodelle möglicherweise auch wieder
zurückentwickeln.
Was bräuchten denn dann Mütter Väter, damit Sie denn, dass die sich eigentlich partnerschaftliche Aufgabenstellung wünschen?
Klarheit und Planungssicherheit, dass man halt so weitermachen kann.
Also zum Beispiel das Thema Homeoffice. Wenn ich weiß, auch nach Corona
kann ich weiterhin Homeoffice als feste Komponente in meinem Alltag mit
nutzen. Nicht fünf Tage die Woche, das will ja gar keiner. Aber zum
Beispiel an zwei Tagen pro Woche spare ich mir die Wegezeiten und kann
von zu Hause ausarbeiten, kann mich für bestimmte Sachen mit den Kindern
oder im Haushalt durch diese hinzugewonnene Zeit einbringen. Ich bin
auch mal zu Hause, wenn die Kita geschlossen ist oder sonst irgendetwas,
kann also auch solche Phasen abdecken. Und wenn ich diese
Planungssicherheit habe in der Partnerschaft, dann kann ich mein Modell
darauf aufbauen. Ich kann sagen, beide Partner haben ein oder zwei
Homeoffice-Tage. Wir hatten mehrere Fälle gerade in der Veranstaltung,
wo es hieß, wir sind beide auf 80 Prozent, das heißt also nicht einer
100 und der andere 60 Prozent, sondern wir haben beide 80 Prozent. Das
bedeutet natürlich auch, das Familieneinkommen muss man sich ganz genau
anschauen, ist das wirtschaftlich machbar? Aber wenn es möglich ist,
dann muss man wirklich sagen, wir haben uns dafür entschieden. Unsere
Arbeitgeber stehen dahinter. Wir haben diese Möglichkeiten auch
langfristig, und das ist jetzt unser Lebensmodell.
Homeoffice ist ja vor allem auch eine äußere Rahmenbedingung.
Wie können wir die Dynamik oder die Unruhe, die im Moment in
traditionelle Rollenaufteilungen hineingekommen ist nutzen, um die
Veränderungen nachhaltiger gestalten zu können?
Da braucht es vor allen Dingen Fantasie. Das, was wir jetzt gerade
erleben, was wir im letzten Jahr erlebt haben, das ist ja kein richtiges
Homeoffice. Das heißt, jetzt müssen wir Kinder betreuen und
Homeschooling machen und nebenbei irgendwie arbeiten. Wir arbeiten ja
auch komplett geclustert im Moment. Der eine arbeitet früh, dann wird
eine Pause gemacht, um sich um die Kinder zu kümmern, dann nachmittags
wieder oder in den Abendstunden. Das hat mit Homeoffice eigentlich
nichts tun. Das bedeutet, jetzt die Fantasie zu haben. Wie kann aus dem,
was ich gerade alles gelernt habe, digitales Arbeiten, dezentral
arbeiten, von zu Hause aus arbeiten können, wie kann das in einem
geregelten Alltag ohne Corona aussehen?
Wenn Corona nicht mehr da ist und alle Betreuungsangebote wieder normal
geöffnet haben. Die Kinder gehen zur Schule in die Kita, und ich habe
alle Möglichkeiten, die mir vor Corona zur Verfügung standen und
zusätzlich das, was ich jetzt gelernt habe. Wie kann diese Vision für
unsere Familie aussehen? Schaut euch mal an, was Corona euch an
Möglichkeiten eröffnet hat. Und wie kann das in den künftigen Alltag
einfließen? Dass ist das, was ich den Leuten gerade häufig im Gespräch
mitgebe.
Kann man diese Prozesse, diese Phantasie, die dann noch
entwickelt und geordnet werden müssen, kann das gerade auch für die
Väter ein Stück weit durch Beratung oder andere Angebote unterstützt
werden?
Ja, es ist ganz wichtig, dass man jemanden hat, mit dem man sprechen
kann, weil man nimmt sich im Moment in der Partnerschaft, so erlebe ich
das jedenfalls, man nimmt sich gar nicht die Zeit, um über so etwas
entspannt zu reden. Eigentlich müsste man sich ganz in Ruhe hinsetzen,
ohne die Kinder, ohne alles und einfach mal so in der Partnerschaft
darüber sprechen. Wie kann denn unser künftiger Alltag aussehen? Dafür
ist im Moment überhaupt nicht die Luft da, dafür ist nicht der Raum da.
Und wenn man mal ein paar Minuten hat, dann ist man froh, dass man auch
mal Ruhe für sich hat. Ich erlebe es aber, dass solche Gesprächsangebote
unheimlich dankbar angenommen werden. Man ist dann schnell in einer
vertrauensvollen Atmosphäre. Man spricht darüber, man stellt auch
Fragen. Es ist dann auch die Aufgabe des Beratenden, die richtigen
Fragen zu stellen und auch Impulse zu geben. Jetzt hast du, Vater XY, du
hast jetzt erlebt, dass Homeoffice machen kannst. Jetzt stell dir mal
vor, die Kinder sind jetzt nicht da. Die sind geregelt im Schulbetrieb,
im Schulalltag und so. Du hast jetzt Homeoffice, wie kann denn der
Alltag Drumherum jetzt aussehen? Wieviel Zeit sparst du? Schau dir mal
die Zeit vor Corona an. Wieviel Fahrtweg hattest du? Wie viele
Dienstreisen hattest du vielleicht und wie kann das jetzt nach Corona
aussehen? Da gemeinsam durch einen geführten Prozess diese Vision des
neuen Alltags zu finden und zu entwickeln, das finde ich, ist jetzt die
Aufgabe der Unterstützer und Berater.
Was wünschen Sie sich für die Zeit nach Corona?
Vieles von dem, was ich sage ist ja immer aus meiner eigenen
Situation heraus und auch aus Gesprächen mit anderen Vätern und Müttern,
mit denen ich jetzt gerade zu tun habe. Ich wünsche mir einfach, dass
das, was gerade in den Familie passieren kann, dass wir das auch auf der
gesellschaftlichen Ebene hinbekommen. Das wir also wirklich schauen,
was hat jetzt vielleicht gut funktioniert? Welche neuen Möglichkeiten
haben wir kennengelernt? Ganz viele Leute können jetzt digital
miteinander kommunizieren. Ganz viele Leute wissen wie das Homeoffice
funktionieren kann. Führungskräfte wissen, dass Mitarbeiter auch aus der
Ferne arbeiten können und nicht immer alle in einem Raum sein müssen.
Dass sie auch zeitversetzt arbeiten können. Wenn uns das
gesellschaftlich gelingt, dieses Verständnis zu schüren, die positiven
Sachen mitzunehmen, die negativen Sachen abzustreifen und auch mal zu
schauen, was war vor Corona nicht gut. Wollen wir da wirklich wieder
hinzurück? Ist es unser größtes Bestreben, hundertprozentig wieder in
den Januar 2020, zurück zu wechseln? Oder haben wir jetzt nicht
eigentlich auch ein wenig an einem Honigtopf geschnuppert?
So das wir jetzt gerne auch ein bisschen positiv in die Zukunft schauen
wollen um einen tollen Mix zu finden. Als Gesellschaft die Zeit zu
haben, die Muße zu haben und die Kreativität zu haben, einen neuen
Alltag zu schaffen, der uns idealerweise nicht wieder in alte
Rollenbilder zurückdrängt, sondern uns ermöglicht, dass wir alle,
unseren Familienalltag so leben können, wie wir es möchten oder wir
zumindest einen gewissen Gestaltungsspielraum daran behalten.
Traditionelle
Vorstellungen typischer Erwerbsbiografien von Männern und Frauen,
klassische Rollenaufteilungen innerhalb von Familien zwischen Müttern
und Vätern sowie unzureichende Betreuungsangebote sorgen nach wie vor
für fortdauernde Ungleichheiten bei der Entlohnung. Daran wird nicht nur
am heutigen ‚Equal Pay Day‘ hingewiesen.
Ziel der Landesarbeitsgemeinschaft Väterarbeit ist es, eine gleiche
und faire Bezahlung für alle beruflichen Tätigkeiten und eine gerechte
Aufteilung der unbezahlten Arbeit in Familien zu erreichen. Dafür
braucht es wirksame Rahmenbedingungen, die die Vereinbarkeit von Familie
und Beruf vereinfachen und Anreize für eine gleichberechtigte
Aufteilung der Familienarbeit setzen.
Ebenso wichtig sind, so der Vorsitzende der LAG Hans-Georg Nelles
„sind jedoch Erlebnisräume für Väter, in denen sie sich als pflegende
Männer erleben und geschlechterstereotype Zuschreibungen überwinden
können. Und zwar vom ersten Tag an, die Freistellung für Väter in den
ersten 14 Tagen nach der Geburt, wie sie von der EU in der
‚Vereinbarkeitsrichtlinie gefordert wird, ist da eine sehr wirksame
Maßnahme.“
Die vergangenen 12 Monate Corona-Pandemie haben gezeigt, dass Väter
ihre Erwerbsarbeitszeiten reduziert haben und sich in einem bislang nie
beobachteten Maße an Kinderbetreuung, Homeschooling und anderen
familiären Aufgaben beteiligt haben. „Die Väter“, so Nelles „haben
Erfahrungen gemacht und Beziehungen zu ihren Kindern ausgebaut. Diese
Erlebnisse haben das Potenzial, Einstellungen und Wünsche in Bezug auf
die weitere Gestaltung des Lebens und die Aufteilung von Erwerbs- und
Care-Arbeit nachhaltig zu verändern.“
Es wird also darauf ankommen, nach dem Ende der Pandemie nicht
einfach zur ‚alten‘ Normalität zurückzukehren, so sehr wir uns danach
sehnen, sondern politische Konsequenzen zu ziehen und auch den
Gestaltungsrahmen von Erwerbsarbeit zu verändern.
Digitalisierung und Flexibilisierung von Arbeit können zu einer
entscheidenden Stellschraube dafür werden, Rollenbilder und
Erwerbsbiografien flexibler zu gestalten und stereotype Zuschreibungen
zu verflüssigen.
Anlässlich
des Equal Care Days am 1. März 2021 lädt die Katholische
Frauengemeinschaft Deutsch-lands (kfd) und die Gemeinschaft der katholischen
Männer Deutschlands (GKMD) zu einer Online Gesprächsreihe unter dem Motto Care
gerecht gestalten ein.
Freitags von 18.00 bis 19.00 Uhr stellen sich
Praktiker*innen, Wissenschaftler*innen und Politiker*in-nen dem Gespräch rund
um Equal Care.
Anmeldung: Die Teilnahme ist kostenfrei. Eine Anmeldung zu
den einzelnen Abenden ist möglich unter: cornelia.goette@kfd.de. Der
Einwahllink ist für alle vier Gesprächsabende gültig und wird jeweils am
Veranstaltungstag bis 11.00 Uhr verschickt. Weitere Informationen finden Sie
unter: r: https://www.kfd-bundesverband.de/equal-care-day/
Themen und Termine
26.02. Equal Care Day: Füreinander sorgen, aber wie
gerecht verteilen?
kfd im Gespräch mit:
Sascha Verlan, Initiator des Equal Care Days
Thomas Altgeld, Vorsitzender des Bundesforums Männer
Prof`in em. Dr. Margrit Brückner, Frankfurt University of
Applied Sciences, Soziale Arbeit und Gesundheit
5.03. Pflege: Eine gemeinsame Gestaltungsaufgabe aller?
GKMD im Gespräch mit:
Prof. Dr. Andreas Wittrahm, Theologe und Psychologe,
DICV-Aachen
Birgit Hullermann, Pflegewirtin, 2. Vorsitzende des
Katholischen Pflegeverbandes e. V., Emsdetten
Anna Wischnewski, Sprecherin des Netzwerkes PflegeBegleitung
NRW
12.03. Lebenspraxis: Für sich und andere sorgen – Wie
werden wir kompetent?
kfd im Gespräch mit:
Prof`in em. Uta Meier-Gräwe, Unterzeichnerin des
Care-Manifestes, ehemals Lehrstuhl Sozioökonomie des Privathaushaltes an der
Justus-Liebig Universität Gießen
Kristin Weber berichtet in der Werra Rundschau über meinen Beitrag zum Internationalen Männertag
“Viele Männer möchten gerne aktive Väter sein. Das heißt, sich Zeit für ihre Familie und die Kindererziehung nehmen, ihre Sozialkompetenz als Familienmanager erweitern, eine liebende und verständnisvolle Partnerschaft führen und zugleich aber auch beruflich erfolgreich sein, erklärt Hans-Georg Nelles, Gründungsmitglied im Väter-Experten-Netz Deutschland und seit der Vereinsgründung 2005 ehrenamtliches Vorstandsmitglied.
Am Internationalen Männertag hatte die
Gleichstellungsbeauftragte des Werra-Meißner-Kreises, Thekla Rotermund-Capar,
zur Konferenz per Video-Stream eingeladen, und Nelles referierte zum Thema
„Aktive Väter– ein Gewinn für Unternehmen und Partnerschaft“.
Der oben genannte Wunschkatalog stelle Herausforderungen an
das Zeitmanagement der Väter –heißt, für all das muss sich ein Vater viel Zeit
nehmen, was viele Männer im Alltag überfordere, erklärte Nelles. Vor allem, da
der Wunsch, sich Zeit für die Familie zu nehmen, mit der Aussicht auf eine berufliche
Karriere immer noch kollidiere.
Im Hinblick auf ein verändertes Rollenbild habe sich heute
zwar schon viel in den Köpfen getan, aber noch nicht genug. Die Grundfrage
laute nach wie vor, wer in der Familie arbeite Teilzeit, wer Vollzeit und wer kümmere
sich um Haushalt und Kinder? Könnten diese Aufgaben partnerschaftlich
aufgeteilt werden?
Nelles beobachtet, dass viele junge Väter heutzutage zwar
bekunden, dass sie aufgeschlossen sind für eine neue Rollenverteilung, sie
wünschten sich eine 35-Stunden-Woche, sie würden gerne mehr als drei Monate
Elternzeit nehmen. Dennoch änderte sich wenig am Verhalten. „Aber das Thema
Vereinbarkeit von Beruf und Familie ist in den Unternehmen angekommen, und es
gilt zunehmend auch für Männer“, sagte Nelles.
Er setzt auf Vorbildfunktion der Unternehmensführung und
versucht Unternehmen nahezubringen, welche Vorteile aktive Väter für ihre
Unternehmenskultur hätten: So könnten im ländlichen Raum Fachkräfte angelockt
werden, indem ihnen gute Bedingungen für die Vereinbarkeit von Beruf und
Familie geboten würden.
Männer, die Väter sind, verfügten außerdem über viel
Sozialkompetenz, da sie Erfahrungen damit hätten, Konflikte zu lösen. Der
Väter-Experte wünschte sich, dass Unternehmen bereits in Stellenanzeigen und
Bewerbungsgesprächen signalisierten, dass diese Kompetenzen erwünscht seien. So
werde das Rollenbild des aktiven Vaters in der Gesellschaft aufgewertet.
Hans-Georg Nelles führt als Beispiel an, dass in der Schweiz
schon jeder sechste Mann in einem Teilzeitjob arbeite. Und dass im weltweiten
Vergleich Unternehmen, bei denen Vaterschaftsurlaub möglich sei, auch
durchschnittlich mehr weibliche Führungskräfte hätten. Allerdings kann man
fragen, an welcher Stelle hier Ursache und Wirkung liegen. „Wir brauchen eine väterbewusste
Familienpolitik und Unternehmenskultur“, forderte der Experte.
Auch Thekla Rotermund-Capar hält fest: „Wenn wir mit den Frauen weiterkommen wollen, müssen wir mehr an den Vätern arbeiten.“ Aber sie zeigte sich nicht grenzenlos optimistisch. „Solange die Erwerbsarbeit im Zentrum unseres Lebens steht, wird sich nicht viel ändern“, sagte sie und plädierte für ein bedingungsloses Grundeinkommen.”
In einer gemeinsame Pressemitteilung des FrauenRat NRW, der Landesarbeitsgemeinschaft Familienverbände NRW, des Fachforums Familienselbsthilfe im Paritätischen Wohlfahrtsverband NRW und der Landesarbeitsgemeinschaft Väterarbeit NRW, wird eine nachhaltige Unterstützung von Familien eingefordert:
“In der Ausnahmesituation der Pandemie muss den unterschiedlichsten Bedürfnissen der Familien Rechnung getragen werden. Während der Corona-Krise verschärfen sich längst bekannte strukturelle Probleme.
„Wir wollen gestärkt aus der Krise hervorgehen, daher müssen
wir uns jetzt um grundsätzliche Lösungen bemühen“, sagt Hans-Georg Nelles,
Vorsitzender der Landesarbeitsgemeinschaft Väterarbeit NRW.
Mütter und Väter müssen in der aktuellen Situation
gleichzeitig Erwerbsarbeit, Erziehung, Betreuung, Beschulung und Pflege
stemmen. Sie sind am Rande ihrer Leistungsfähigkeit angelangt. Bestehende
strukturelle Diskriminierungen in Bezug auf Sexismus, soziale Lage,
Heteronormativität und Rassismus u.a. werden in dieser Situation noch
verschärft. Alleinerziehende können sich diese Belastungen mit niemandem
teilen.
Der komplette Ausfall der gesellschaftlichen Infrastruktur
muss durch die Familien im Privaten aufgefangen werden. Auch Homeoffice wird
für Eltern leicht zu einer Falle. Familien- und Berufsarbeit können nicht
gleichzeitig ausgeführt werden. Es sind eigenständige Tätigkeiten, mit jeweils
eigenem Zeitbedarf.
Eine alleinige verbale Würdigung dieser Leistungen von
Familien reicht bei weitem nicht aus. Auch die finanziellen Auswirkungen und
die Unsicherheit der zukünftigen Entwicklung führen zu Ängsten, zu
Existenznöten und zu noch mehr Kinderarmut. Familien, deren Mitglieder in
verschiedenen Ländern leben, wurden durch die strikten Grenzschließungen
zerrissen.
Fast immer sind es die Mütter, die bis zur Erschöpfung
arbeiten, um den Anforderungen in Beruf und Familie zu genügen. Dort, wo keine
partnerschaftliche Aufteilung zwischen Berufs- und Familienarbeit gelebt wird,
droht eine Überlastung der Mütter. Equal-Pay und Equal-Care werden zwar seit
Langem diskutiert, werden aber nicht ausreichend umgesetzt.
„Wir müssen verhindern, dass Mütter und Väter in das
traditionelle Rollenbild zurückgedrängt werden, das wir schon längst überwunden
geglaubt haben“, sagt Dr. Patricia Aden. „Im Gegenteil, wir müssen die
strukturellen Hindernisse beseitigen, die gleichberechtigten Lebensmodellen
entgegenstehen“, so die Vorsitzende des FrauenRat NRW.
„In der öffentlichen Diskussion der letzten Wochen kamen
Kinder mit ihren Rechten und besonderen Bedürfnissen nicht vor“, sagt Sabine
Nagl vom Kinderschutzbund LV NRW e.V.. „Die Schließung von Schulen, Kitas und
sogar von Spielplätzen sowie das Kontaktverbot beeinträchtigen die Kinder in
ihrer geistigen und sozialen Entwicklung“ so die Familienfachberaterin. Kinder
haben auch in Zeiten von Corona ein Recht auf Bildung. Die Schließung von
Bildungs- und Freizeiteinrichtungen diskriminiert vor allem Kinder aus
wirtschaftlich benachteiligten Familien sowie Kinder mit besonderem Förder- und
Pflegebedarf.
Finanzielle Entlastung wie ein einmaliger Kinderbonus und
eine befristete Senkung der Mehrwertsteuer sind zwar besser als eine rein
verbale Würdigung der Leistungen der Familien, aber sie genügen bei weitem
nicht, um die coronabedingten Ängste, Existenznöte und die wachsenden
Kinderarmut langfristig abzumildern.
„Familien sind systemrelevant. Sie sind das Rückgrat einer stabilen Gesellschaft. Wir, der FrauenRat NRW und die Landesarbeitsgemeinschaft der Familienverbände NRW, stärken dieses Rückgrat, machen es krisentauglich und fordern eine breite öffentliche Debatte über Familie und gute Rahmenbedingungen.“ sagt André Hartjes, Sprecher der Landesarbeitsgemeinschaft der Familienverbände NRW.”