Die Bundesregierung hat jetzt ein Interview veröffentlicht, das Bundesfamilienmisterin Ursula von der Leyen am 29. September der Berliner Zeitung gegeben hat. Dort hat sie sich unter anderem für eine Väterbewegung in Deutschland ausgesprochen, die eine Emanzipation der Männer von alten Rollenklischees beschleunigen soll und auch angeregt, aktive Vaterschaft als männliches Statussymbol anzuerkennen, wie dies in Schweden längst der Fall sei.
Auszüge aus dem Interview:
Berliner Zeitung: Frau von der Leyen, es wird zurzeit viel darüber diskutiert, ob der Feminismus am Ende ist und Frauen sich wieder auf die Mutterrolle beschränken sollten. Was sagen Sie dazu?
Ursula von der Leyen: Wir haben nicht zu viel Emanzipation, sondern zu wenig. Die gläserne Decke, die Frauen am beruflichen Aufstieg hindert, existiert nach wie vor. Frauen haben zwar viel mehr Chancen als früher, aber die Frage ist jetzt: Wer hat beruflich die Folgen zu tragen, wenn Kinder geboren werden?
Berliner Zeitung: Die Antwort dürfte klar sein.
von der Leyen: Lassen sie es mich so sagen: Mit der Emanzipation der Männer sind wir noch weit zurück. Deutschland braucht eine Väterbewegung.
Berliner Zeitung: Wie meinen Sie das?
von der Leyen: Emanzipation heißt doch, dass man seine eigene Rolle entwickelt und erweitert. In Deutschland ist ein Mann nach wie vor nur dann ein echter Mann, wenn er erfolgreich im Beruf ist. Die Rolle als Vater ist noch recht unterentwickelt. In Skandinavien gehört aktive Vaterschaft zum Erfolg in Beruf und Gesellschaft dazu, sie ist ein männliches Statussymbol.
Berliner Zeitung: Bei uns wird neuerdings beklagt, dass Jungs von den Mädchen abgehängt werden. Teilen Sie die Sorge?
von der Leyen: Ich finde es nicht schlimm, dass Mädchen in Sachen Bildung an den Jungen vorbeiziehen. Wären die Zahlen anders herum, würde kein Hahn danach krähen. Man würde es als Gott gegeben betrachten. Dennoch müssen wir genauer hingucken, was mit den Jungs los ist.
Berliner Zeitung: Und was ist mit ihnen los?
von der Leyen: In der Gruppe der Jugendlichen ohne Schulabschluss und ohne berufliche Qualifikation sind überwiegend Jungen, viele mit Migrationshintergrund. Sie fühlen sich abgehängt und klammern sich umso stärker an tradierte Rollenmuster. Aus Angst, komplett die Orientierung zu verlieren. Diese Jungs sind in den ersten Lebens- und Schuljahren zu wenig integriert worden, sie haben kaum männliche Vorbilder im Alltag erlebt, die sie für Bildung und Verantwortung für andere als Wert an sich begeistert haben. Das Drama der bildungsarmen Kinder ist doch, dass sie isoliert sind …
Berliner Zeitung: …und Dass diese Jungen keine Partnerin mehr finden.
von der Leyen: Das ist kein deutsches Phänomen, das konnte man bereits vor 15, 20 Jahren etwa in Schweden beobachten. Dort haben sich daraufhin Werte und Ziele für Männer verändert. Ein akzeptierter Mann ist nicht mehr der Boss, sondern der, der Partnerschaft ernst nimmt. Er schätzt die Bildung der Frau und betrachtet sich im Bezug auf Kinder nicht als zweitklassige Mutter, sondern als erstklassiger Vater. Das hat die Gesellschaft enorm verändert und das Gleichgewicht auf dem Ehemarkt wieder hergestellt.
Berliner Zeitung: Wie reagieren eigentlich die Herren in Ihrer Partei, wenn Sie so reden?
von der Leyen: Bei den über 60-Jährigen hat sich eine gewisse Wachheit entwickelt.
Berliner Zeitung: Bezogen worauf?
von der Leyen: Bezogen auf ihre erwachsenen Töchter. Die Männer sind stolz auf deren berufliche Erfolge, aber bedauern, dass die Enkelkinder ausbleiben. Und weil sie ihre Töchter lieben, realisieren sie, dass Kinderlosigkeit eben nicht das Ergebnis einer selbstsüchtigen Generation ist.
Berliner Zeitung: Verraten Sie uns, wer von den Unionsmännern das erkannt hat?
von der Leyen: Es wäre nicht fair, nur einen zu nennen. Aber ich kann Ihnen sagen, dass Edmund Stoiber mich sehr unterstützt hat, als es in den Koalitionsverhandlungen um Vereinbarkeit von Beruf und Familie ging.
Berliner Zeitung: Aha. Und was ist mit den Jüngeren?
von der Leyen: Ein wachsender Anteil erkennt, dass wir den jungen Menschen Antworten auf ihre ganz realen Probleme geben müssen. Wir können nicht mit Rezepten kommen, die vielleicht noch vor 30 Jahren galten. Eines der realen Probleme ist, dass Männer unsicherer werden, ob sie eine Familie ernähren könnten. Berechtigt. Deshalb müssen wir konsequent daran arbeiten, dass Partner gleichermaßen Verantwortung für Einkommen und Erziehung übernehmen. Nur so lässt sich auch die Kinderarmut reduzieren.