Etwa eine Million Kinder in Deutschland haben keinen Umgang mit ihren Vätern oder Müttern, weil der andere Elternteil dies nicht zulässt. Der Film erzählt vom Schicksal der Eltern, die nach der Trennung von Partnerin oder Partner ihre Kinder gar nicht oder nur sehr selten sehen dürfen. Sie wurden aus dem Leben der Kinder gestoßen – trotz eines gemeinsamen Sorgerechts. Eine existenzielle Lebenskrise, vor der die Betroffenen fassungslos und ohnmächtig stehen. Die Geschichten aus dem Jahr 2012 haben nichts an Aktualität eingebüßt. Die Eltern stehen exemplarisch für viele Tausende heute.
Am Ende kommt des Beitrags kommt eine
Mutter zu Wort, die selbst entfremdet hat und ihren Fehler, der auf verletzten
Gefühlen basierte, einsieht.
Familienpolitik liegt zum größeren Teil in der Verantwortung des Bundes, neben dem Familienministerium ist es vor allem das Ministerium für Justiz, die strukturelle Rahmenbedingungen für Väter und Mütter wie Elternzeit und Elterngeld, Familienstartzeit und Unterhaltsrecht regeln und notwendige Veränderungen in die Wege leiten oder auch nicht.
Als Landesarbeitsgemeinschaft blicken wir daher bei diesen
wichtigen Eckpunkten auch mal nach Berlin. Nach der letzten Bundestagswahl
haben wir dazu sehr optimistisch festgehalten: „Nachdem die
neue Familienministerin angekündigt hat, eine Vaterschaftsfreistellung in den
ersten zwei Wochen nach der Geburt einzuführen und auch Elternzeit und
Elterngeld weiterzuentwickeln, lohnt es sich näher hinzuschauen.“
Dies haben wir beim Werkstattgespräch am 24. Februar 2022 dann auch gemacht. Im Vorfeld hatten wir den Zukunftsvertrag der Ampelkoalition analysiert und viele Ankündigungen zum Punkt ‚Zeit für Familien‘
Wir werden Familien dabei unterstützen, wenn sie
Zeit für Erziehung und Pflege brauchen und dabei Erwerbs- und Sorgearbeit
partnerschaftlich aufteilen wollen.
Wir werden das Elterngeld vereinfachen,
digitalisieren und die gemeinschaftliche elterliche Verantwortung stärken.
Wir werden eine zweiwöchige vergütete
Freistellung für die Partnerin oder den Partner nach der Geburt eines Kindes
einführen.
Die Partnermonate beim Basis-Elterngeld werden
wir um einen Monat erweitern. …
und ‚Wir werden das Familienrecht modernisieren‘
Wir werden die partnerschaftliche Betreuung der
Kinder nach der Trennung fördern, indem wir die umgangs- und
betreuungsbedingten Mehrbelastungen im Sozial- und Steuerrecht besser
berücksichtigen.
Wir wollen allen Familien eine am Kindeswohl
orientierte partnerschaftliche Betreuung minderjähriger Kinder auch nach
Trennung und Scheidung der Eltern ermöglichen und die dafür erforderlichen
Bedingungen schaffen.
Wir wollen im Unterhaltsrecht die
Betreuungsanteile vor und nach der Scheidung besser berücksichtigen, ohne das
Existenzminimum des Kindes zu gefährden. …
gefunden.
Beim MemberMeeting der LAGV am 19. September haben wir die
Frage, ‚was Familienpolitik (noch) bewirken will‘ in den Mittelpunkt gestellt.
ZU der mehrfach aufgeschobene ‚Vaterschaftsfreistellung‘ die
jetzt als ‚Familienstartzeit‘ gelabelt ist, kursiert seit März ein
Referent*innenentwurf, der aber bis heute nicht offiziell veröffentlicht ist.
Die Ankündigung der Familienministerin vom 12. September, das Gesetz komme
zeitnah ist für 2023 nicht mehr zu verwirklichen.
Bei der Elternzeit wird inzwischen über Kürzungen diskutiert.
Paus selber schlug vor die Einkommensgrenzen auf 150.000 € abzusenken, um die
Sparvorgaben zu erreichen. Die FDP hat inzwischen eine Verkürzung der
Elternzeit von 14 auf 12 Monate ins Gespräch gebracht.
Die Einschätzung des Bundesforums Männer, dass dies ein
rückwärtsgewandter Vorschlag ist, der vor allem für Väter ein
gleichstellungspolitischer Rückschritt wäre, teilen wir uneingeschränkt.
Über die im 9. Familienbericht angemahnte Anpassung der Elterngeldbeitrage, die
seit 15 Jahren unverändert sind, wird gar nicht gesprochen.
Zur ‚Modernisierung des Familienrechts‘ hat Justizminister
Buschmann am 24. August das Eckpunktepapier ‚Ein faires Unterhaltsrecht für
Trennungsfamilien‘ vorgelegt, das sich an den Vorschlägen des vom ‚Wissenschaftlichen
Beirats für Familienfragen des BMFSFJ‘ vorgelegten Gutachtens ‚Gemeinsam
getrennt erziehen‘ orientiert.
Die Diskussion um diesen Vorschlag zielt aber nicht darauf
ab, wie wir von der traditionellen Vorstellung ‚einer betreut, einer zahlt‘
wegkommen, Kindern nach einer Trennung eine gute Beziehung zu beiden Eltern
ermöglichen und Vätern von Anfang an und auch nach einer gescheiterten
Paarbeziehung ermöglichen, die Bedeutung, die sie für ihre Kinder haben auch
wahrzunehmen.
Vielmehr ging und geht es darum wer Gewinner*in oder
Verlierer*in der Vorschläge sein wird. Dies gipfelte in der abstrusen
Behauptung, Väterrechtler hätten ihre Interessen durchgesetzt. Das
Familienministerium, das unter anderem die Professorinnen Walper und Kreyenfeld
mit der Entwicklung des Stufenmodells beauftragt hat, schweigt zu dem
Spektakel.
Die Bilanz des Treffens, die Perspektiven für eine geschlechtergerechte Familienpolitik, die die strukturellen Rahmenbedingungen dafür schafft, dass Väter und Mütter in allen Lebenslagen, auch in Krisen, Erwerbs- und Familienarbeit partnerschaftlich aufteilen können, sehen momentan nicht gut aus. Und das liegt nicht alleine an der durch Corona und Energiekrise angespannten Finanzlage.
Wenn ein Paar mit Kindern sich trennt ist dies eine enorme
Herausforderung zur Neuorganisation für alle Familienmitglieder. In der Regel
fehlen den Eltern Erfahrungen wie sie ihre Kinder dabei am besten begleiten
können, meist sind sie akut und lange danach damit beschäftigt, ihre eigene
Situation neu einzurichten.
Auch wenn in den letzten Jahren immer mehr Eltern für ihre
Kinder eine gute Regelung suchen und dabei Rat und Hilfe suchen, erleben immer
noch zu viele Kinder unsichere und schlimmstenfalls hochstreitende
Eltern.
Der Familienkongress des Väteraufbruch für Kinder beschäftigt
sich deshalb nach einer Bestandsaufnahme der Lage von Trennungskindern und
ihren Familien mit Konzepten, wie Familien vor, während und nach einer Trennung
unterstützt und wie sie das für sich und ihre Kinder geeignete Betreuungsmodell
finden können.
Der Familienkongress findet von Freitag, den 24. November, 19:00 Uhr bis Sonntag, 26. November, 15:00 Uhr, im Stephanstift, in 30625 Hannover statt.
Referent:innen
Dr. Stefan Rücker, Leitung Forschungsgruppe PETRA u.a.
Prof. Dr. Nina Weimann-Sandig, Professur für Soziologie und Empirische Sozialforschung, EFS Dresden
RA Sabine Hufschmidt, Mediatorin/Anwältin
n.n.
Themen
Von der Bindungsfürsorge bis Eltern-Kind-Entfremdung – wie Erziehungsverhalten getrennter Eltern auf Kinder wirkt (Dr. Stefan Rücker, Leitung Forschungsgruppe PETRA u.a)
Kinder brauchen beide Eltern (Prof. Dr. Nina Weimann-Sandig, Professur für Soziologie und Empirische Sozialforschung, EFS Dresden)
Chancen der Familienmediation – auch bei hochstrittigen Trennungseltern? (RA Sabine Hufschmidt, Mediatorin/Anwältin)
Mutter, Mutter Kind – Regenbogenfamilien und mögliche Eltern-Kind-Beziehungen mit anschließender Diskussion (Film am Vorabend)
Teilnahmebeitrag
In den Kosten ist auch die Verpflegung Mittag-, Kaffee und
Abendessen enthalten.
80,00 € Mitglieder und Kooperationsvereinbarungen mit anderen Verbänden
60,00 € Studierende
110,00 € sonstige Teilnehmende bei Anmeldung bis zum 31.10.2023
140,00 € ab dem 01.11.2023 (soweit noch Plätze verfügbar)
Nähere Informationen zum Programm werden auf der Kongress-Seite veröffentlicht und fortlaufend aktualisiert. Dort ist ab sofort auch eine Voranmeldung möglich.
Neben Coaching und Mediation bietest du verschiedene Kurse für Eltern, unter anderem „Starke Eltern, starke Kinder an“, was ist für dich der ‚rote Faden‘ deiner Arbeit?
Eltern zu stärken, weil
verunsicherte, belastete, beschimpfte und verurteilte Eltern wenig Kapazitäten
haben, ihre Kinder gelassen und präsent zu begleiten. Und Eltern bekommen von
allen Seiten Kritik, was sie tun und lassen sollen und was sie alles falsch
machen! Im Elternkurs arbeiten wir ressourcenorientiert und
lebensweltorientiert und helfen den Eltern dabei, ihre eigenen Lösungen für ihre
Herausforderungen zu entwickeln.
Seit einigen Jahren bietest du auch einen Kurs ‚Starke Väter, starke Kinder‘ an. Was ist das Besondere an diesem Angebot?
Die Kurse heißen „Wir Väter“
oder „Väter Solo“. In den Kursen arbeiten wir daran, die Vaterrolle unabhängig
vom tradierten Vaterbild, für jeden individuell zu entwickeln. In einer
Zukunftswerkstatt (Robert Jungk) wird, von der Kritik an der augenblicklichen
Situation ausgehend, über die Phantasie, wie es idealerweise wünschenswert sei,
an einem Weg zur Realisation einer eigenverantwortlichen Vaterrolle gearbeitet.
Nach dem Modell „neue Autorität
durch Präsenz“ (Haim Omer, Arist von Schlippe) können wir gemeinsam erkunden,
was es heißt, ein präsenter Vater zu sein.
Warum ist es wichtig, Väter gezielt anzusprechen?
Um ihnen einen Ort und Zeit zu
geben, über ihre Situation als Vater zu reden und sie zu ermutigen z.B. an
Starke Eltern Kursen teilzunehmen, um sich mit anderen Eltern – Vätern und
Müttern – über herausfordernde Situationen in der Familie auszutauschen und
neue Handlungsoptionen zu entwickeln. (Kooperative Elternschaft)
Ein Schwerpunkt deiner Arbeit ist die Arbeit mit Eltern in Trennungssituationen. Welche Entwicklungen, z.B. was das Engagement von Vätern angeht, konntest du in den letzten 10 Jahren beobachten?
In den KiB Kursen sind oft Väter
und Mütter, die ihre Kinder selten, wenig bzw. zu wenig sehen. Oft ist der Kurs
eine Auflage/Empfehlung des Gerichts. Die Lebenssituationen dieser Eltern sind
geprägt vom Gefühl, ungerecht behandelt zu werden. Dabei ist es schwer, die
Kinder im Blick zu behalten. Das hat sich in den letzten 10 Jahren nicht
geändert.
Kinder im Blick ist auch der Titel eines Programms für Eltern in strittigen Trennungssituationen. Du bietest dazu regelmäßig Kurse an, warum ist dieses Angebot für dich besonders wirksam
Der Kurs bietet die Möglichkeit
sich mit Betroffenen auszutauschen. Oft verstehen die Teilnehmenden die
Gegenposition besser, wenn sie nicht persönlich betroffen sind. Väter können
einen Perspektivwechsel erleben und ebenso die beteiligten Mütter. Der Kurs
bietet die Möglichkeit, Anteile an Eigenverantwortlichkeit für die
Trennungssituation zu sehen und dem Kind zu ermöglichen beide Eltern weiter
lieben zu dürfen. Eine besondere Herausforderung für Eltern ist es, die
belastenden und schwierigen Gefühle ihrer Kinder zu akzeptieren und ihnen zu
helfen, damit leben zu können.
… und was können Väter in Trennungssituationen durch eine Teilnahme für sich und die Beziehung zu ihrem Kind gewinnen?
Väter können die Opferrolle überwinden, Vertrauen in ihre Beziehung zum Kind festigen und geduldig an der Beziehung zum Kind arbeiten, ohne am Kind zu zerren. (Kaukasischer Kreidekreis)
Um herauszufinden, wie Kinder mit getrennten Eltern gut
aufwachsen können hat das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und
Jugend im Jahr 2015 die Studie „Kindeswohl und Umgangsrecht“ in Auftrag gegeben.
Zu einer
Veröffentlichung der Studienergebnisse kam es bislang nicht. Auf Nachfrage
teilte die Bundesregierung im Dezember 2020 mit, dass die abschließenden
Arbeiten an der Studie noch immer ausgeführt würden. Nach dem Tod des Studienleiters Herrn Prof. Dr.
Petermann sei die Forschungsdirektorin des Deutschen Jugendinstituts, Frau
Prof. Dr. Walper, zur Auswertung und Finalisierung der Studie hinzugezogen
worden. Auch die mit der Corona-Pandemie verbundenen Einschränkungen hätten zu
weiteren Verzögerungen geführt, sodass eine Veröffentlichung erst im Jahr 2021
möglich sei.
Aus dem
Jahresbericht 2019 der mit der Studie beauftragten Forschungsgruppe Petra geht
hervor, dass entgegen den Erwartungen weiterhin an der Studie „Kindeswohl und
Umgangsrecht“ gearbeitet werden musste, weil es „Modifikationswünsche“ des
Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend umzusetzen galt.
Zudem wurde bekannt, dass das Bundesministerium für Familie,
Senioren, Frauen und Jugend im Verlauf der Studie Vorgaben änderte, obwohl das
Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz in einer Stellungnahme
eine Verfahrensänderung als nicht erforderlich erachtete. Damit ein Kind an der
Studie teilnehmen durfte, mussten fortan beide Eltern der Befragung des Kindes
zustimmen. Zu Beginn der Studie reichte noch die Zustimmung eines Elternteils
aus.
Auch wurde die Studie anfangs von einem wissenschaftlichen
Beirat begleitet, der insgesamt viermal getagt haben soll. Die letzte
Beiratssitzung fand bereits im April 2017 und somit vor Abschluss der Studie statt.
Mitgliedern des Beirates zufolge wurden bereits am 30. April 2019 dem
Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend eine „weit
entwickelte Fassung der Studie“ übergeben. Die Frage, was abgegeben wurde,
beschäftigte auch das Verwaltungsgericht Berlin. Laut den Rechtsanwälten der
Auftraggeberin entsprechen die vorgelegten Unterlagen noch keinen
wissenschaftlichen und fachlichen Standards.
Zuletzt wurde bekannt, dass der Bundesbeauftragte für den
Datenschutz und die Informationsfreiheit die weitere Auswertung der Studie
aufgrund von erheblichen datenschutzrechtlichen Bedenken untersagt hat. In dem
entsprechenden Bescheid vom Februar 2021 werden die Einwilligungen der
Studienteilnehmer bemängelt. Bereits im Frühjahr 2017 soll der
Bundesbeauftragte gegenüber dem Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen
und Jugend erstmals entsprechende Bedenken ge-äußert haben. Laut
Bundesministerium stünden die Behörden seither im Austausch, um offene Fragen
und Beanstandungen zur Studie zu klären. Das Bundesministerium prüft derzeit
die Kritik und ob die Untersagungsverfügung einer verwaltungsgerichtlichen
Überprüfung unterzogen werden soll.
Das ist ein kurzer Abriss der ‚offiziellen Lesart‘ des
Schicksals der „Petra Studie“, soweit es aus Anfragen der Parteien im Bundestag
nachzuvollziehen ist. Auf der Internetseite www.fragdenstaat.de
ist dazu zu lesen: „Die Ergebnisse liegen schon lange vor und wurden bisher
nicht veröffentlicht. Die Studie wurde mit Steuergeldern finanziert und die
Öffentlichkeit hat ein Recht auf die Ergebnisse. Der Hinweis des Ministeriums
auf „laufende Gerichtsverfahren“ erschien damals schon vorgeschoben und
lässt sich nach weiteren Monaten des Abwartens nicht mehr aufrecht erhalten.“
In einem Spiegel Beitrag vom 11. Februar 2022 wird über die
Entscheidung des Berliner Verwaltungsgerichts vom August 2021 berichtet: „Familienministerium
muss Studie zu Trennungskindern herausgeben“
„Die Studie entspricht absolut den wissenschaftlichen
Gütekriterien, das bestätigen uns auch unabhängige Fachleute. Wir haben die
Vorgaben des Ministeriums, wie besprochen, umgesetzt“, wird Stefan Rücker, Leiter
der Forschungsgruppe Petra dort zitiert.
Gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin legte das
Familienministerium Berufung ein: Es ist nicht der Auffassung, dass es einen
Anspruch auf Zugang zu Entwurfsfassungen gibt. Eine Sprecherin des Ministeriums
teilte jetzt mit, die Studie solle fertiggestellt werden. Die neue
Familienministerin Anne Spiegel (Grüne) messe ihr eine „hohe Bedeutung“ zu.
Da inzwischen weitere zwei Jahre vergangen sind ist davon
auszugehen, dass den politisch Verantwortlichen im Familienministerium, und
seit der Vergabe im Jahr 2015 sind es sechs Ministerinnen: Schwesig, Barley, Giffey,
Lambrecht, Spiegel und Paus, die Ergebnisse der Studie nicht passen und die wichtigste
Zielsetzungen der „PETRA-Studie“, eine empirische Grundlage dafür zu schaffen,
Umgangsregelungen nach einer Trennung der Eltern stärker am Wohl und an den
Bedürfnissen von Kindern anzupassen und Belastungen zu vermindern, nicht zu den
prioritären Zielen gehört. Das erklärt auch, warum wichtige Reformvorhaben im
Familienrecht seit Jahren nicht in die Wege geleitet werden.
Zum Schluss eine kurze Anekdote: der Autor dieses Beitrags war in seiner Eigenschaft als Mitglied im Vorstand des Bundesforum Männer im Juni 2014 bei einem Gespräch im Familienausschuss des Bundestages. Der damalige Vorsitzende Paul Lehrieder nahm bei seiner Begrüßung das gerade erschienene Buch von Frau Sünderhauf: „Wechselmodell: Psychologie-Recht-Praxis; Abwechselnde Kinderbetreuung durch Eltern nach Trennung und Scheidung“ in die Hand und erklärte sinngemäß: Mit dem Thema werden wir uns jetzt auch befassen, aber bevor wir etwas entscheiden, wird es dazu erst einmal eine Studie geben.
Interview mit Michaela Kreyenfeld erlätert Frau Prof*in Kreyenfeld unter anderem, welche Rahmenbedingungen ‚gemeinsam getrennt erziehen‘ ermöglicht.
Frau Kreyenfeld, Sie haben an dem Gutachten des Beirats
für Familienfragen der Bundesregierung zum Thema ‚gemeinsam getrennt erziehen
mitgearbeitet. Welche Bedeutung hat das Thema heute schon und wie schätzen sie
die zukünftige Entwicklung ein?
In vielen anderen europäischen Ländern, vor allem in den
Niederlanden, Belgien oder Schweden, ist die geteilte Betreuung nach Trennung
und Scheidung viel verbreiteter als in Deutschland. Wir können aber auch
für Deutschland davon ausgehen, dass geteilte Betreuung in Zukunft an Bedeutung
gewinnen wird. Auch nach Trennung und Scheidung wollen Väter zunehmend im
Leben ihrer Kinder präsent bleiben. Diese sich ändernden Lebensrealitäten
müssen auch im Recht besser abgebildet warden.
Was ist aus der Sicht der Kinder nach dem Scheitern einer
Paarbeziehung am wichtigsten?
Für Kinder ist es vor allem belastend, wenn sie in die
Streitigkeiten ihrer Eltern hineingezogen werden und das Gefühl vermittelt
bekommen, dass sie Partei einnehmen müssen. Eltern müssen in die Lage
versetzt werden — bei allen Streitigkeiten untereinander — das Wohl ihrer
Kinder im Blick zu behalten. Dazu gehört auch, dass Eltern verstehen,
dass zum Wohl des Kindes in der Regel auch gehört, dass beide Eltern im Leben
ihrer Kinder präsent bleiben.
An welchen Stellschrauben muss Familienpolitik
kurzfristig drehen, um die Situationen von getrennt lebenden und erziehenden
Eltern zu verbessern?
Im Gutachten „Gemeinsam Getrennt Erziehen“ haben wir
konkrete Handlungsempfehlungen herausgearbeitet. Die
Familienberatung zu reformieren und Mediationsangebote zu etablieren, das sind
sicherlich naheliegende Stellschrauben. Was die rechtlichen
Rahmenbedingungen betrifft, ist noch sehr viel zu tun. Letztendlich zieht sich
die Idee des Residenzmodells durch alle Rechtsbereiche. Es fängt beim
Melderecht an. Eine Person kann nur einen Hauptwohnsitz in Deutschland haben;
demnach kann das Kind entweder nur beim Vater oder der Mutter gemeldet sein.
Kindergeld kann ebenfalls nicht gesplittet werden. Es geht nur auf das Konto
des Vaters oder der Mutter. Wir haben im Gutachten konkrete Vorschläge zur
Reform des Kindesunterhalts erarbeitet und haben uns hier für ein
„Stufenmodell“ ausgesprochen, das neben dem Residenzmodell die paritätische und
asymmetrische Betreuung im Recht etablieren würde.
Familienministerin Paus hat Sie und sechs weitere
Kolleg*innen Anfang Januar in die Sachverständigenkommission zum 10.
Familienbericht berufen. Die Kommission soll unter anderem Empfehlungen
formulieren, um im Interesse von Trennungsfamilien bestehende politische
Instrumente weiterzuentwickeln sowie neue zu entwickeln. Wo sehen sie dabei
aufgrund Ihrer bisherigen Arbeit Ansatzpunkte im Interesse von Trennungsvätern?
Thema des Familienberichts sind Alleinerziehende und
getrennt erziehende Eltern. Damit sind Trennungsväter automatisch auch im
Blick. Ein stärkeres väterliches Engagement kommt nicht nur Vätern und Kindern
zugute. Es muss in der Debatte auch klarer werden, dass Mütter auch davon
profitieren können, wenn sie Betreuung und Erziehung mit dem Ex-Partner teilen
können. Allerdings können wir die Augen auch nicht vor den gegebenen Realitäten
verschließen. Die Einkommensunterschiede zwischen Männern und Frauen sind
enorm in Deutschland. Nach wie vor sind es eher Mütter als Väter, die
nach der Geburt des Kindes aus dem Arbeitsmarkt ausscheiden und zugunsten der
Familienarbeit im Beruf zurückstecken. In einigen Partnerschaften führt
erst die Scheidung und Trennung von der Partnerin dazu, dass Väter sich ihrer
Väterrolle bewusst werden und Betreuungs- und Erziehungsverantwortung
wahrnehmen und auch einfordern. Das ist auch gut so. Aber eine Politik, die
erst bei Scheidung und Trennung ansetzt, kommt zu spät. Väterliches Engagement
in der bestehenden Partnerschaft sollte genauso selbstverständlich sein, wie
die mütterliche Erwerbsintegration. Unser Ziel ist es aktuelle Strukturen
zu hinterfragen, die es Eltern zum Teil schwierig machen, nach Trennung und
Scheidung geteilte Betreuung für ihre Kinder zu realisieren.
Michaela Kreyenfeld ist Professor of Sociology an der Hertie School. Ihre Forschungsschwerpunkte sind Familiendemographie und Familiensoziologie. Bis 2016 leitete sie die Forschungsgruppe „Lebenslauf, Sozialpolitik und Familie” am Max-Planck-Institut für demografische Forschung in Rostock. Sie ist Mitglied der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, des Kuratoriums des Bundesinstituts für Bevölkerungsforschung (BiB), des wissenschaftlichen Beirats des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) sowie des Beirats für Familienfragen des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend. Sie leitet derzeit die Sachverständigenkommission des 10. Familienberichts.
Leben die Eltern nicht mehr zusammen, sind Väter unzufriedener mit den Familienarrangements. Diese und weitere Erkenntnisse liefert eine aktuelle Studie der Eidgenössischen Kommission für Familienfragen (EKFF).
Zwei von fünf Ehen werden in der Schweiz geschieden. Bei
etwas weniger als der Hälfte der Scheidungen (46%) sind minderjährige Kinder
involviert. Doch über den Alltag und die Lebensumstände von Kindern, deren
Eltern nicht mehr zusammenwohnen, ist wenig bekannt.
Diese Lücke schließt eine Anfang Dezember publizierte Studie,
die von der Eidgenössischen Kommission für Familienfragen (EKFF) in Auftrag
gegeben wurde. Diese basiert auf einer repräsentative Onlinebefragung, an der
fast 3000 getrenntlebende Eltern und 244 Jugendliche teilgenommen haben.
Demnach sind fast drei Viertel der Kinder regelmäßig bei
beiden Eltern sind und übernachten auch dort. Allerdings verbringt die Hälfte
der Kinder im Alltag mindestens zwei Drittel der Nächte bei der Mutter.
Weiter legt die Studie dar, dass die Betreuungsanteile von
Mutter und Vater vor der Trennung das Familienarrangement nach der Trennung
beeinflussen. So sei es wahrscheinlicher, dass die Kinder später beim
überwiegend betreuenden Elternteil wohnen, wenn bereits vor der Trennung eine
ungleiche Aufteilung herrschte.
Das gelebte Familienarrangement hängt eng mit dem
Ausbildungsniveau der Eltern – und somit ihren Verdienstmöglichkeiten – zusammen.
So ist der Anteil der Kinder, die in beiden Haushalten wohnen, bei Eltern ohne
Berufsabschluss deutlich tiefer (33%) als bei jenen mit Hochschulabschluss (62%).
Solche Arrangements sind der Studie zufolge in erheblichem Maß eine Frage der
finanziellen Ressourcen.
Drei Viertel der Mütter und zwei Drittel der Väter haben in
der Studie angegeben, dass die aktuelle Lösung für ihre Situation die beste
sei. Bei näherem Hinschauen zeigt sich aber, dass die Väter in allen
Familienarrangements weniger zufrieden sind als die Mütter. ‚Die
Unzufriedenheit der Väter richtet sich insbesondere auch gegen die Aufteilung
der finanziellen Lasten zwischen ihnen und den Müttern‘, schreiben die
Forschenden. …
Eine weitere Erkenntnis, welche die Studie liefert: Eltern
beteiligen die Kinder nach der Trennung häufig nicht an Entscheidungen zum Betreuungsmodell.
‚War ein Kind bei der Trennung zwischen 8 und 17 Jahre alt, so hat ca. die
Hälfte der Eltern es beim Aushandeln des Familienarrangements nach seinen
Wünschen gefragt‘, schreiben die Autor*innen. War das Kind jünger, sinkt der
Anteil auf knapp einen Viertel.
Knapp ein Viertel aller Eltern in Deutschland trennen sich –
jedes Jahr sind davon etwa 200.000 Minderjährige betroffen. Mehr als drei
Millionen Trennungskinder gibt es insgesamt.
Wie erleben Familien die Trennung und wie können Eltern und
Kinder sie gut bewältigen? Was können Eltern beachten, um das Wohl ihrer Kinder
im Blick zu behalten? Vier getrennte Familien zeigen, welche unterschiedlichen
Lösungen sie gefunden haben.
Der erste Teil der Doppelfolge widmet sich der Anfangsphase.
Wie sagt man den Kindern, dass die Eltern sich nicht mehr lieben? Wie gibt man
ihnen Halt, wenn die Familie zerbricht? Über mehrere Monate gewähren
Trennungsfamilien Einblicke in ihr Leben.
Jenny und Alex haben es drei Monate herausgezögert und ihren
vier Kindern dann im Sommerurlaub erzählt, dass sie sich trennen. Bea und
Benedikt wählten das gemeinsame Frühstück. Claudia und Safet stritten sich so
oft und so heftig, dass ihre beiden Söhne die Trennung quasi miterlebt haben.
Ähnlich lief es auch bei Michaela und ihrem Ex-Partner.
Wie wählt man den richtigen Zeitpunkt, es den Kindern zu
sagen und wie geht es danach weiter? Moderatorin Collien Ulmen-Fernandes
ergründet, was Eltern beachten können. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler
aus verschiedenen Fachbereichen geben konkrete Hilfestellungen, wie eine
Trennung zum Wohle aller und insbesondere mit Rücksicht auf die Kinder gelingen
kann.
Welche langfristigen Folgen die Trennung der Eltern auf das
zukünftige Leben der Kinder hat, erforschen Experten der Kinder- und
Jugendpsychiatrie an der Universität Leipzig. Verändert sich das Verhalten von
Kindern, die eine Trennung erleben? Unsere Trennungskinder machen den Test.
Ein Thema – zwei Formate: Während ZDFneo die Perspektive
aller Familienmitglieder beleuchtet, kommen in dem „PUR+ spezial: Meine
Eltern trennen sich“ vor allem die Kinder der Familien zu Wort. Das Format
von ZDFtivi für den KiKA bietet Reportagen und konkrete Tipps für Trennungskinder.
Innerhalb des Teilprojekts an der LMU München „Sich fair
trennen und weiter gemeinsam erziehen“ wird aktuell eine Studie zum
Alltag in Trennungsfamilien durchgeführt. Hierfür werden getrennte Eltern
zu ihrem Wohlbefinden, und zu ihren täglichen Herausforderungen und
Bewältigungsstrategien, z.B. in der Zusammenarbeit mit dem anderen Elternteil,
befragt.
Es ist den Forscher:innen besonders wichtig, mit der Studie
eine große Bandbreite von Eltern, und insbesondere auch Väter zu erreichen. Die
Vielfalt der Erfahrungen der Studienteilnehmenden soll uns helfen, das
Online-Angebot auf der Website auf den Bedarf von getrennten Vätern und Müttern
zuzuschneiden. Die Eltern erhalten für ihre Teilnahme an der Studie zudem eine Aufwandsentschädigung
von 40 €.
In der Studie geht es um die Situation von Familien, in
denen sich die Eltern getrennt haben. Es ist auch geplant, ein Online-Angebot
zu entwickeln, das Eltern bei der Gestaltung gemeinsamer Elternschaft nach
einer Trennung unterstützt. Um das Angebot hilfreich und passend gestalten zu
können, möchten die Forscher:innen in der Tagebuchstudie mehr darüber erfahren,
welche besonderen Herausforderungen getrennte Eltern im Alltag bewältigen
müssen, was ihnen dabei hilft, Schwierigkeiten zu meistern, und zu welchen
Themen sie Fragen haben oder sich Unterstützung wünschen.
Die Studie wird vom Bundesministerium für Familien, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) gefördert. Weitere Informationen zur Teilnahme finden Sie auf der Webseite des Projekts.
In der
Schriftenreihe „ehs-Forschung“ der Evangelischen Hochschule Dresden
(ehs) hat Nina Weimann-Sandig, Professorin für Soziologie und Empirische
Sozialforschung an der ehs, die Ergebnisse ihrer explorativen Untersuchung zu Perspektiven von Familienmitgliedern auf das Wechselmodell veröffentlicht.
Das Wechselmodell gehört in Deutschland zu denjenigen
Betreuungsmodellen, die als Alternative zum traditionellen
Residenzmodell diskutiert werden. Während das Wechselmodell in anderen
Ländern bereits rechtlich abgesichert wurde als zu präferierendes Modell
nach der Trennung von Eltern, konnte sich Deutschland bislang dazu
nicht durchringen. Die Diskussion über das Wechselmodell ist in
Deutschland emotional stark aufgeladen und geprägt von den
unterschiedlichen Interessen der Lobbyverbände getrenntlebender Väter
und Mütter. Um eine Diskussion über elterliche Nachtrennungsfamilien
objektiv führen zu können, braucht es deswegen empirisches
Datenmaterial. Die vorliegende Studie analysiert die Perspektiven von
betroffenen Müttern, Vätern und Kindern auf das Wechselmodell.
Im Koalitionsvertrag der ‚Ampel‘ ist zu diesem Thema zu lesen: „Wir
wollen gemeinsam mit den Ländern die Erziehungs-, sowie Trennungs- und
Konfliktberatung verbessern und dabei insbesondere das Wechselmodell in
den Mittelpunkt stellen.“