Das Schwerpunktthema der aktuellen Hebammenzeitschrift (DHZ
3-2022) lautet ‚Elternwerden aus feministischer Sicht‘. Das es dabei auch auf ‚aktive
Vaterschaft von Anfang an‘ ankommt haben Karsten Kassner, Hans-Georg Nelles,
Holger Strenz und Carsten Vonnoh in ihrem Beitrag dargelegt.
Neben einer auf ihre Bedürfnisse zugeschnittenen
Geburtsvorbereitung und dem Austausch mit anderen Vätern spielen passende
gesellschaftliche Rahmenbedingungen eine entscheidende Rolle. Dazu heißt es im
Beitrag unter anderem:
Darüber hinaus setzen familienpolitische Regelungen – aber
auch betriebliche Kontexte – den Rahmen, in dem Männer ihre Vaterschaft gestalten
können. Mit dem Elterngeld ist seit 2007 ein Weg eingeschlagen worden, der eine
»leise Revolution« nach schwedischem Vorbild einleiten sollte. Seitdem ist
einiges in Bewegung geraten, die geltende Regelung mit zwei zusätzlichen Partnermonaten
und die seit Einführung unangetastete finanzielle Ausgestaltung sind jedoch
nicht ausreichend.
Viele Arbeitgeber:innen stehen beruflichen Auszeiten von
Männern aufgrund von Sorgeverantwortung weiterhin skeptisch gegenüber. Das
zeigt aktuell auch die Diskussion um die bezahlte Vaterschaftsfreistellung nach
Geburt, also die Möglichkeit für Väter und andere zweite Elternteile, 14 Tage
nach der Geburt bei vollem Gehalt die Partnerin im Wochenbett zu unterstützen
und selbst in die neue Rolle hineinzuwachsen.
Insofern ist es sehr zu begrüßen, dass es in Deutschland mit
der geplanten Einführung einer Vaterschaftsfreistellung perspektivisch eine
solche familien- und gleichstellungspolitische Leistung als gesetzlichen Anspruch
geben wird. Die Diskussionen um entsprechende Regelungen machen die
gesellschaftlichen Normen und Erwartungen an Väter und Mütter sichtbar, die es
Vätern erschweren, sich von Anfang an gleichberechtigt zu beteiligen.
Statt zu monieren, dass Väter in der Regel lediglich die
zwei zusätzlichen Partnermonate beim Elterngeld in Anspruch nehmen, bräuchte es
viele weitere mutige Schritte und strukturelle Rahmensetzungen, um Sorgearbeit gleichberechtigter
zwischen den Geschlechtern aufzuteilen. Beispielsweise eine deutliche
Ausweitung der Partnermonate beim Elterngeld und mehr monetäre Anreize, sich
das Elterngeld gleichmäßiger aufzuteilen, etwa durch die Einführung einer
Dynamisierung, wie im 9. Familienbericht der Bundesregierung vorgeschlagen
Darüber hinaus wäre die Einführung einer Familienarbeitszeit
ein wichtiger Schritt, um eine lebenslaufbezogene Arbeitszeitpolitik zu
etablieren, die für beide Eltern Arbeitszeitreduktion oder vollzeitnahe Teilzeit
für Phasen mit erhöhter Verantwortung für Sorgearbeit vorsieht
Darüber hinaus wäre die Einführung einer Familienarbeitszeit ein wichtiger Schritt, um eine lebenslaufbezogene Arbeitszeitpolitik zu etablieren, die für beide Eltern Arbeitszeitreduktion oder vollzeitnahe Teilzeit für Phasen mit erhöhter Verantwortung für Sorgearbeit vorsieht.
Beim Werkstattgespräch der LAG-Väterarbeit am 24. Februar ging es um aktuelle politische Weichenstellungen für Väter: Unterhalts- und Umgangsregelungen, Abstammungsrecht, Vaterschaftsfreistellung, Vereinbarkeit und partnerschaftliche Arbeitsteilung … Die Liste der erforderlichen Reformen im Familienrecht ist lang.
Der Vorsitzende Hans-Georg Nelles, hat auf der Grundlage der Ergebnisse der Fachtagung im November die Vorhaben der neuen Bundesregierung dahingehend überprüft, welche Weichen für mehr väterliches Engagement bereits gestellt, welche geplant und wo noch Umleitungen eingerichtet sind.
Bevor er auf die im
Koalitionsvertrag beschriebenen und teilweise von den zuständigen Minister*innen
bereits angekündigten Vorhaben einging, skizierte er die Handlungsfelder einer
ganzheitlichen Väterpolitik, die sich nicht auf einzelne Lebensabschnitte
beschränken dürfen, auch wenn diese, wie die zum Beispiel Geburt(svorbereitung)
oder Elternzeit, zentrale Bedeutung haben.
Vor dem Hintergrund der drei
Säulen, die der Familienpolitik zugrunde liegen, Geld, Zeit und Infrastruktur, geht
vor allem darum, Vätern in allen Lebensabschnitten mehr Zeit mit der Familie
und für die Übernahme von Care-Arbeiten zu ermöglichen.
‚Mehr Fortschritt wagen‘ lautet
der Titel des Koalitionsvertrags und in zwei Abschnitten geht es um für Väter
relevante Politikfelder. ‚Zeit für Familie‘ ist das erste überschrieben und an
erster Stelle steht „Wir werden Familien dabei unterstützen, wenn sie Zeit für
Erziehung und Pflege brauchen und dabei Erwerbs- und Sorgearbeit
partnerschaftlich aufteilen wollen.“ Das klingt gut, die beschriebenen Vorhaben
beziehen sich in erster Linie auf Elternzeit und Elterngeld, also die ersten
drei Lebensjahre eines Kindes. Die von der ehemaligen Familienministerin
Manuela Schwesig 2015 vorgeschlagene ‚Familienarbeitszeit‘, also die
Möglichkeit für Väter und Mütter nach der Elternzeit Arbeitszeiten
partnerschaftlich zu reduzieren, ist nicht auf der To Do Liste.
Die von der LAG-V unterstützte
Forderung nach der Einführung einer Vaterschaftsfreistellung unmittelbar nach
der Geburt, ist jedoch dabei und wurde bereits von der Ministerin in Interviews
angekündigt.
Der Abschnitt ‚Familienrecht‘
ist mit dem Leitgedanken „Wir werden das Familienrecht modernisieren.“ überschrieben
und insbesondere die Punkte
Wir werden die partnerschaftliche Betreuung der
Kinder nach der Trennung fördern, indem wir die umgangs- und
betreuungsbedingten Mehrbelastungen im Sozial- und Steuerrecht besser
berücksichtigen.
Wir wollen allen Familien eine am Kindeswohl
orientierte partnerschaftliche Betreuung minderjähriger Kinder auch nach
Trennung und Scheidung der Eltern ermöglichen und die dafür erforderlichen
Bedingungen schaffen.
Wir wollen im Unterhaltsrecht die
Betreuungsanteile vor und nach der Scheidung besser berücksichtigen, ohne das
Existenzminimum des Kindes zu gefährden.
wecken die Erwartung, dass der
Reformstau der letzten 8 Jahre endlich aufgehoben wird.
Der zuständige Minister
Buschmann hat als erste Maßnahme, die er umsetzen möchte, die Änderung der
Rechtslage für lesbische Mütter angekündigt. Hier gilt es aus Väterperspektive
darauf zu achten, dass das Recht der Kinder auf Kenntnis der Abstammung und der
Beziehung zu ihren leiblichen Vätern beachtet wird.
Nach einer kurzen Diskussion
über die bundespolitischen Vorhaben ging es im Hinblick auf die am 15. Mai in
NRW stattfindenden Landtagswahlen um väterpolitische Anliegen und Forderungen
hierzulande.
Vor dem Hintergrund, dass
insbesondere im ländlichen Raum kaum Angebote für Väter existieren und
abgesehen von einigen Leuchttürmen wie ‚Väter in Köln‘ auch in größeren
Kommunen diese Arbeit überwiegend ehrenamtlich gestemmt wird, ist die Forderung
nach finanziellen Mitteln für die Väterarbeit gut nachvollziehbar.
Es geht, so waren sich die
Teilnehmenden einig, um eine Strukturbildung für Väterarbeit in NRW, die ohne
zusätzliche finanzielle Ausstattung nicht erreicht werden kann. Dass
Handlungsbedarfe auch in den bereits existierenden Strukturen ‚Familienbildung‘
und Familienberatung‘ bestehen, hat die von der Landesregierung beauftragte
Evaluation der familienpolitischen Leistungen ja bereits offengelegt.
Aufgabe der LAG Väterarbeit wird es sein, auch nach den Wahlen im Mai bestehende Gesprächskanäle und Vernetzungen weiter auszubauen und gemeinsam mit den anderen Playern im Feld die Bedeutung fürsorgliches Väterarbeit, gerade auch für die nachhaltige Veränderung von tradierten Rollenbildern und eine geschlechtergerechte Gesellschaft, hervorzuheben.
Noch immer nehmen Mütter mehr
Elternzeit als Väter in Anspruch. Warum ist das so? Liegt es an fehlenden
Vorbildern, an der Vermutung, dass man nicht ersetzbar ist oder an den
Rahmenbedingungen?
Im ersten Job-Talk 2022 der
Badischen Zeitung interviewt Moderator Andreas Seltmann die beiden Väter Martin
Horn, Oberbürgermeister der Stadt Freiburg und Roland Meder, Leiter des Haupt-
und Personalamtes der Stadt Freiburg. Eine kurzweilige halbe Stunde, die ganz
unterschiedliche Sichtweisen auf die Elternzeit bietet.
Am Donnerstagnachmittag hatten Heiner Fischer und ich Gelegenheit, im Gespräch mit Dennis Maelzer und Regina Kopp-Herr unsere Vorstellungen von ‚moderner‘ Vaterschaft zu äußern und darüber ins Gespräch zu kommen, was (Landes-) Politik dazu beitragen kann, diese zu stärken. Zum Beispiel im Kontext der #Vaterschaftsfreistellung, eines neuen Unterhaltsrechts oder durch die Öffnung von (kommunalen) Räumen für #Vaeter, die am Wochenende Umgang mit ihren Kindern in einer anderen Stadt haben.
Im Interview mit der WELT äußert
sich die neue Familienministerin Anne Spiegel zu ihren Plänen für die kommenden
vier Jahre. Auf der Agenda stehen einige der Punkte, die auch die LAG
Väterarbeit in NRW seit langem anmahnt. Dies sind zum Beispiel die
Vaterschaftsfreistellung, die Weiterentwicklung der Elternzeit und Reformen im
Unterhalts- und Umgangsrecht.
WELT: Um mehr
Partnerschaftlichkeit in der Kindererziehung zu erreichen, plant die
Ampel-Koalition einen Monat mehr Väterzeit in der Elternzeit. Ist das nicht zu
kurz gesprungen?
Spiegel: Es ist zunächst
mal ein überfälliger und guter Schritt nach vorne, dass wir die Partnermonate
um einen Monat erweitern wollen. Man kann jetzt bedauern, dass wir nicht mehr
tun. Ich tendiere zu einer anderen Sicht. Wir haben uns mit dem
Koalitionsvertrag wirklich viel vorgenommen, und ich kann es kaum erwarten,
jetzt loszulegen.
WELT: Überfällig ist auch
die Umsetzung der EU-Richtlinie für einen zweiwöchigen Vaterschaftsurlaub nach
der Geburt. Warum kommt Deutschland damit so spät?
Spiegel: Das müssen Sie
die Vorgängerregierung fragen. Ich habe mich schon als Landesfamilienministerin
in Rheinland-Pfalz dafür eingesetzt. Die Zeit nach der Geburt ist so
entscheidend und wichtig, dass es selbstverständlich sein sollte, wenn beide
Eltern beim Baby sein können.
WELT: Kinder wachsen in
verschiedenen Familienkonstellationen auf. Vor allem Patchwork- und
Stieffamilien sind auf dem Vormarsch – ohne dass die sozialen Eltern
irgendwelche Rechte haben. Wie wollen Sie das ändern?
Spiegel: Das ist für mich
ein absolutes Herzensthema. Es ist dringend erforderlich, dass wir die
rechtlichen Rahmenbedingungen an die gesellschaftliche Realität anpassen. In
Patchwork-Familien wird oft selbstverständlich Verantwortung füreinander
übernommen. Das muss rechtlich abgesichert werden. Wir brauchen ein kleines
Sorgerecht für „Bonuseltern“, wie ich sie gerne nenne.
Wir müssen auch endlich dafür
sorgen, dass lesbische Mütter, die zusammen ein Kind bekommen, von Anfang an
die rechtliche Anerkennung als Eltern bekommen. Und wenn der biologische Vater
zum Beispiel aus dem Freundeskreis kommt, sollte auch er die Möglichkeit
bekommen, aktiv seine Vaterrolle wahrzunehmen. …
WELT: Auch die bereits
existierenden Familienformen sind schon anfällig für Brüche. Ein Großteil der
Kinder erlebt die Trennung der Eltern – Streit um Unterhalt und Betreuung
inklusive. Was wollen Sie für diese Trennungskinder tun?
Spiegel: Vor allem wollen
wir die Trennungs- und Konfliktberatung verbessern und Eltern dabei helfen, das
für sie richtige Betreuungsmodell zu finden, zum Beispiel das Wechselmodell.
Denn auch nach einer Trennung gibt es viele Möglichkeiten, sich die Betreuung
für die Kinder partnerschaftlich aufzuteilen.
Eine Trennung ist eine
emotionale Ausnahmesituation, da kann es helfen, sich von Profis beraten zu
lassen. Idealerweise einigt man sich danach außergerichtlich auf ein Modell der
Betreuung, das dem Kindeswohl am besten entspricht. Wir wollen
Partnerschaftlichkeit und die geteilte Verantwortung für Erwerbs- und
Sorgearbeit auch in Trennungsfamilien unterstützen.
WELT: Ein solcher
Paradigmenwechsel würde große Reformen erfordern. Lässt sich das in dieser
Legislaturperiode auf die Beine stellen?
Spiegel: Das ist auf
jeden Fall der Plan. Es ist ein sehr komplexes Vorhaben, da vom Umgangsrecht
über Unterhaltsregelungen bis zum Steuer- und Melderecht viele Bereiche
tangiert sind. Aber der Wille ist da. Wir wollen das jetzt anpacken.
Hoffentlich schaffen wir es parallel, die Kinderrechte im Grundgesetz zu
verankern. Das wäre eine gute Grundlage, solche Prozesse im Sinne der Kinder zu
gestalten. …
Nur wenige Väter gehen länger als zwei Monate in Elternzeit.
Das liegt an strukturellen Ungleichheiten, an Arbeitgebern – und auch an den
Vätern selbst. Doch es gibt Ideen, wie sich das ändern ließe.
Als Hans-Georg Nelles vor 25 Jahren mit seiner Arbeit begann,
hieß die Elternzeit noch Erziehungsurlaub. Nur
ungefähr ein Prozent der Väter machten damals die Erfahrung, dass es eher
Arbeit als All-inclusive-Ferien gleichkommt, ein Baby zu wickeln, zu füttern
und herumzutragen, bis es einschlummert. Denn all das erledigten fast immer die
Mütter. Wenn in politischen Willenserklärungen und bunten
Arbeitgeber-Broschüren von „Vereinbarkeit von Beruf und Familie“ die
Rede war, dann ging es meist um Mütter, fast nie um Väter. „Das wollte ich
ändern“, sagt Nelles, der selbst drei erwachsene Kinder hat. Heute leitet
er die Landesarbeitsgemeinschaft Väterarbeit in NRW und berät Unternehmen, wie
sie „väterbewusste Personalpolitik“ machen können.
Auch wenn sich in den vergangenen 25 Jahren viel getan hat:
Die Arbeit dürfte ihm so schnell nicht ausgehen.
Spricht man mit Aktivisten wie Nelles, mit Juristinnen und
Juristen oder Wissenschaftlern, dann wird klar: Ähnlich wie Mütter machen auch
Väter im Beruf diskriminierende Erfahrungen. Es fällt nur seltener auf, weil
Männer generell seltener und kürzer in Elternzeit gehen. Da ist der
Arbeitgeber, der den werdenden Vater sicherheitshalber noch mal fragt, ob er
sich das mit der Elternzeit denn gut überlegt habe. Oder der Angestellte,
dessen Leistungsbeurteilung nach der beruflichen Auszeit schlechter ausfällt
als zuvor. Oder aber, im Extremfall, der Mitarbeiter, dem direkt nach seiner
Elternzeit die Kündigung ins Haus flattert. Andererseits gibt es auch
Beispiele, die Väter ermutigen könnten, länger im Job auszusetzen.
Bis zu drei Jahre lang können Eltern hierzulande pro Kind in Elternzeit gehen, egal ob Vater oder Mutter. Das Elterngeld, das die damalige Bundesfamilienministerin Ursula von der Leyen im Jahr 2007 auf den Weg brachte, wird in der Basis-Version bis zu 14 Monate an die Eltern ausgezahlt, wobei maximal zwölf Monate von einem Elternteil genommen werden dürfen. In der Praxis beantragt ein Elternteil, meist die Mutter, das Elterngeld in knapp drei Viertel aller Fälle für zwölf Monate, der andere Elternteil, meist der Vater, für zwei. Auch deshalb gelten sie umgangssprachlich als „Vätermonate“. Das kann schon mal zu Missverständnissen führen: „Teilweise fragen Vorgesetzte werdende Väter, ob sie das denn überhaupt dürften – mehr als zwei Monate in Elternzeit gehen“, berichtet Nelles. Er lacht dabei ein wenig verzweifelt. …
„Es bedarf einer mutigen Reform“ – Interview mit PD Dr.
Martin Bujard (Präsident der Evangelischen Arbeitsgemeinschaft Familie, eaf)
über die Rolle der Väter in Vereinbarkeitsmodellen von Familie und Beruf
Herr Bujard, die eaf bündelt die vielen evangelischen
Institutionen im Bereich Familie und gibt ihnen eine Stimme gegenüber der
Politik. Dabei geht es um Kinderrechte und Kinderschutz, um Unterstützung für
Familien und um Elternschaft mit all ihren Anforderungen und Bedürfnissen. Was
macht die Tagung „Männer Leben Beruf“ für Sie als Präsident der eaf interessant
und wo sehen Sie die Berührungspunkte?
Martin Bujard: Die Debatten um die Vereinbarkeit von Familie
und Beruf werden vielfach auf Frauen, auf Mütter reduziert. Dabei sind Väter
ein Schlüssel, damit Vereinbarkeitsmodelle gelingen. Das ist lange unterschätzt
worden, auch die Politik hinkt hier teilweise hinterher. Wir dürfen Männer nicht
als „Bystanders“ in diesem Diskurs betrachten, der sie eigentlich nichts
angeht, sondern müssen sie mit hineinholen. Das genau macht die Tagung, indem
sie Väter in den Mittelpunkt stellt. Das ist gut! Denn wir brauchen bei diesem
Thema mehr kulturelle Akzeptanz, vor allem auch bei den Arbeitgebern.
Im Einladungstext wird nicht nur auf Väter, sondern
genereller auf die „Bedürfnisse eines veränderten Männerlebens“ Bezug genommen.
Wie nehmen Sie diese wahr?
„Das Männerleben“ gibt es natürlich nicht, aber es gibt
schon gewisse Generationenerfahrungen, die sich in der Tat verändern. Die
mittlere Männergeneration hat jetzt 13 Jahre Elterngeld erlebt – diese
Möglichkeiten hatten ihre Väter – die Großvätergeneration – nicht. Leider nutzt
nur ein gutes Drittel der Väter Elternzeit. Diejenigen aber haben in der
Elternzeit erfahren, dass es beglückend ist, sich in die Familie einzubringen,
die Fürsorge für die Kinder mit zu übernehmen. Väter arbeiten zum Teil mehr als
Männer ohne Kinder im Beruf, mit Familienarbeit kommen viele auf bis zu 60-70
Stunden pro Woche, um aktive Väter zu sein. Wie Mütter sind sie in der Rushhour
des Lebens, wenn die Kinder klein sind. Häufig können Väter ihren Wunsch, ein
aktiver Vater zu sein, aber nicht so umsetzen, wie sie möchten. Die noch
jüngere Männergeneration ist mit einem egalitären Weltbild groß geworden: Sie
möchten die Dinge gern partnerschaftlich regeln und für beide ein erfüllendes
Berufs- und Privatleben realisieren. Aber sobald Kinder da sind, stellen sie
fest, dass Wunsch und Wirklichkeit nicht leicht in Einklang zu bringen sind.
Kommt hier Ihr Konzept der „dynamischen Familienarbeitszeit“
ins Spiel, mit dem Sie im Tagungsprogramm angekündigt sind?
Ja, das Konzept sieht vor, eben diese Kluft zwischen Wunsch
und Wirklichkeit zu reduzieren. Vereinbarkeit findet im Lebenslauf statt. Wenn
die Kinder sehr klein sind, ist der Bedarf an Zeit für Fürsorge sehr groß.
Heute sieht das dann meist so aus, dass Mütter halbtags Erwerbsarbeit nachgehen
und Väter voll und mehr arbeiten. Deshalb schlagen wir mit der dynamischen
Familienarbeitszeit einen Korridor vor, der etwa bis zum Schuleintritt der
Kinder greifen soll und in dem beide Elternteile 60-90 Prozent, also in
vollzeitnaher Teilzeit arbeiten. Ganz wichtig wäre, dass dabei die
unterliegenden Vorstellungen von Karriere bei den Arbeitgebern sich ändern. In
der Rushhour des Lebens muss es für Männer und Frauen möglich gemacht werden,
bei temporär reduzierter Arbeitszeit keine Karriereeinbußen zu erleiden und
partnerschaftlich Familie zu leben. Wir lesen seit Jahren die immer gleichen
Ergebnisse in Umfragen, dass Männer mehr Zeit für die Familie möchten und viele
Frauen gern stärker am Berufsleben teilhaben würden. Das müssen wir nun endlich
in die Realität umsetzen, da bedarf es einer mutigen Reform.
Am 16. Dezember hat der zweite ‚harte‘ Lockdown begonnen und
nicht nur der Jahreswechsel gibt Anlass, eine erste Bilanz der ‚Learnings‘ aus
der bisherigen Zeit mit Corona zu ziehen.
„Eltern sind in der Corona-Zeit mehrheitlich nicht in
traditionelle Rollen „zurückgefallen“. Meist blieb die Aufteilung der
Kinderbetreuung zwischen den Elternteilen unverändert, in etwa jeder fünften
Familie wurde die Aufteilung gleichmäßiger, in ebenso vielen Familien aber auch
ungleichmäßiger. Die zusätzlich anfallenden Betreuungsaufgaben haben Mütter und
Väter vielfach gemeinsam geschultert.“ heißt es in der kürzlich
veröffentlichten Broschüre ‚Familien in der Corona Zeit‘ des
BMFSFJ.
Die britischen Zeitung Guardian beurteilt die Auswirkungen von
Corona noch optimistischer: „Das Jahr 2020 verändert die Art und Weise,
wie die Gesellschaft Vaterschaft sieht, und könnte nach Ansicht von Forschern,
Wirtschaftsführern und Aktivisten die tiefgreifendste Veränderung der
Betreuungsaufgaben seit dem Zweiten Weltkrieg bewirken….“
So oder so wird es aber darauf ankommen, genauer auf die
Situationen in den Familien und die Erfahrungen der Väter und Mütter zu
schauen, und die richtigen Konsequenzen daraus zu ziehen und die jetzt sichtbar
werdenden Effekte nachhaltig wirksam werden zu lassen.
Väter & Corona – die positiven Erfahrungen aus der
Krise für eine geschlechtergerechte Gestaltung der Zukunft und die Arbeit mit
Vätern nutzen
In der gesellschaftlichen Diskussion der Corona Pandemie und
ihrer Auswirkungen standen angesichts von Schul- und Kitaschließungen und
anderer Einschränkungen vor allem die Herausforderungen und Belastungen für
Familien im Vordergrund. Die Landesarbeitsgemeinschaft Väterarbeit in NRW hat
die Entwicklungen von Anfang an im engen Austausch mit ihren Mitgliedern und in
zahlreichen Gesprächen mit Vätern verfolgt und sieht neben den Mehrbelastungen
und Problemen für Väter und Mütter auch positive Erfahrungen aus der Krise.
Damit diese bei der Arbeit mit Vätern aber insbesondere auch bei der Gestaltung
der neuen ‚Normalität‘ genutzt werden kann, möchten wir sie in den folgenden
sieben ‚Corona Lektionen gelernt‘ Punkten zusammenfassen:
1. Zusätzliche
Herausforderungen
Väter und Mütter sind in vergangenen Monaten mit neuen Herausforderungen
konfrontiert worden. Mühsam ausbalancierte ‘Vereinbarkeiten’ sind durch die
Schließung von Kitas und Schulen oft wie ein Kartenhaus zusammengefallen. Väter
und Mütter sind je nach Branche und Tätigkeitsfeld als systemrelevant
eingestuft, in Kurzarbeit geschickt oder konnten im Homeoffice weiterarbeiten.
Zusätzlich zu den Sorgen um die Betreuung und Beschulung der Kinder kamen
vielfach die um die finanzielle Absicherung der Familien und in allen Fällen
die um die Gesundheit, die eigene, die der Kinder und vor allem die der älteren
Familienangehörigen. Diese Herausforderungen sind von vielen Familien gestemmt
worden, in einer Zeit, in der Beratungs- und Unterstützungssysteme, wenn
überhaupt, nur per Telefon zu erreichen waren.
2. Care- und
Betreuungsarbeiten
Sowohl bezahlte als auch unbezahlte Care- und Betreuungsarbeiten sind ungleich
zwischen Vätern und Müttern aufgeteilt. Dies hat unter anderem mit Bezahlung
und Zuschreibungen dieser Tätigkeiten zu tun. Bereits die Zeitverwendungsstudie
hat aber gezeigt, dass Väter und Mütter in der Summe der bezahlten Erwerbs- und
unbezahlten Care- und Betreuungsarbeiten gleich viel Zeit aufwenden. Die
Berichte von Vätern, vor allem aber die in den letzten Monaten durchgeführten
Studien zeigen auf, dass sich Väter mit zusätzlichen Zeitanteilen an Care- und
Betreuungsarbeiten beteiligen, insbesondere, wenn sie in Kurzarbeit oder
Homeoffice und ihre Partnerin in einem systemrelevanten Beruf tätig ist. Die
Erzählungen der Väter, diese Erfahrungen seien eine Bereicherung gewesen,
wollen wir für eine gerechtere Aufteilung von bezahlten und unbezahlten
Tätigkeiten nutzen.
3. Beziehung zu den Kindern
Kinder wünschen sich in allen Befragungen mehr Zeit mit ihren Vätern und auch
diese wollen von Anfang an für diese da sein und sich aktiv an deren Erziehung
beteiligen und das Aufwachsen begleiten. In der Vergangenheit haben wir bei
unseren Angeboten eine Unsicherheit der Väter gespürt, ob sie über ausreichende
Kompetenzen in der Betreuung insbesondere der jüngeren Kinder verfügen. Diese
Kompetenzen können sie erwerben, indem sie Zeit mit ihren Kindern verbringen,
sich auf diese einlassen und so eine Beziehung zu ihnen aufbauen. Diese
Erfahrungen haben Väter während der Krise machen können und sich dabei
zunehmend als wirksam und bedeutend für ihre Kinder erlebt. Diese Erfahrungen
werden auch das Ausmaß des zukünftigen väterlichen Engagements bestimmen, es
wird aber darauf ankommen, sie einzubeziehen und passende Rahmenbedingungen zu
schaffen.
4. Partnerschaftliche
Arbeitsteilung
Aus den Wünschen junger Paare, sich Erwerbs- und Familienarbeiten
partnerschaftlich aufzuteilen wird nach der Geburt des ersten Kindes häufig
eine mehr oder weniger traditionelle Arbeitsteilung, die Väter in die
Ernährerrolle und Mütter in die sorgende Sphäre verweist. In der Folge sinken
Zufriedenheit und Partnerschaftsqualität mit weiteren negativen Wirkungen auf
das Engagement von Vätern.
Diese Kreisläufe sind in den vergangenen Wochen vielfach durchbrochen worden.
Den Vätern und Müttern, denen es schon vor der Pandemie gelungen ist, eine
partnerschaftliche Arbeitsteilung zu leben, berichten zwar am häufigsten von
extremen Belastungen, wollen aber keineswegs zurück zu einer klassischen
Arbeitsteilung. In den zahlreichen anderen Fällen ist die traditionelle Arbeitsteilung,
in die man vielfach ‘hineingerutscht’ ist, wieder zu einem Aushandlungsthema
geworden. Wir wollen Väter dabei unterstützen, ihre Wünsche nach einer
Reduzierung von Erwerbsarbeitszeiten auch umzusetzen
5. Stärkung des familiären
Zusammenhalts
Die Bewältigung der Herausforderungen ist selbstverständlich nicht ohne Krisen
und Konflikte verlaufen. Väter und Mütter sind in den vergangenen Monaten
häufig und für längere Zeiträume über ihre Grenzen hinaus gegangen und mit den
Erfahrungen auch gewachsen. Die Stärkung der Resilienzen ist eine wichtige
Erfahrung für den Zusammenhalt von Familien.
Wir wünschen uns selbstverständlich keine Wiederholung dieser ‘Lernsituation’
durch einen weiteren ‘Lockdown’, werden aber Väter und ihre Familien dabei
begleiten, ihre Erfahrungen aufzuarbeiten und für die Bewältigung zukünftiger
Herausforderungen nutzbar zu machen. In den Fällen,, in der die Krisen in
der Familie eskaliert sind, gilt es hinzuschauen welche Unterstützungsangebote
nötig sind um Krisensituationen konstruktiv meistern zu können.
6. Andere Formen der
Erwerbsarbeit Auch außerhalb von Familien haben Väter neue Erfahrungen machen können.
Arbeitsorte, -zeiten und -abläufe haben sich in vielen Bereichen grundlegend
verändert, in anderen ist schlagartig die gesellschaftliche Relevanz von
vielfach unterbezahlten Tätigkeiten deutlich geworden. Die Väter, die zeitweise
oder ganz im Homeoffice arbeiten konnten (oder mussten) wünschen sich, dass sie
diese Möglichkeiten auch weiterhin zumindest an zwei bis drei Tagen pro Woche
nutzen können, um mehr Zeit für Familie und Kinder zu haben.
Darüber hinaus geht es auch um Verantwortungsübernahme und Selbststeuerung, die
letztlich Auswirkungen auf Abläufe und Kulturen in den Unternehmen haben
werden. Dass die Arbeit im Homeoffice kein Ersatz für eine qualitativ
hochwertige Kinderbetreuung ist ja auch eine Lernerfahrung der letzten
Monate.
7. Wege der Arbeit mit
Vätern
Die Krise und die damit einhergehenden ‘Coronaschutzverordnungen’ haben auch
unmittelbare Auswirkungen auf die Arbeit unserer Mitglieder gehabt.
Einrichtungen haben geschlossen und selbst nach der Wiederöffnung ist Vätern
der Zugang verwehrt oder nur streng reglementiert. Hygienekonzepte führen dazu,
dass offene Angebote kaum noch möglich sind.
Diese Rahmenbedingungen haben zu einem Lernschub bei der Nutzung von neuen,
insbesondere digitalen Zugängen zu Vätern geführt und damit auch Vätern, die
schon vorher keine Angebote vor Ort gefunden haben, Möglichkeiten zur Teilnahme
eröffnet und Schwellen gesenkt. Nach anfänglichen Unsicherheiten finden
Beratungen zunehmend per Video statt und auch bei thematischen Veranstaltungen
und Weiterbildungsangeboten sind wertvolle Erfahrungen mit dieser Form des
Zusammenkommens und Austauschs gemacht worden, die die zukünftige Arbeit mit
Vätern erweitern können.
Ich bin mir bewusst, dass es auch zahlreiche Väter und Mütter gab, die andere Erfahrungen gemacht haben, weil der Partner bzw. die Partnerin nicht zur Verfügung standen, prekäre Lebenssituationen und unsichere Arbeitsverhältnisse sich während der Pandemie noch verschärft haben und diese oder andere Rahmenbedingungen zur Verschärfung von Konflikten beigetragen haben. Diese Familien brauchen auch weiterhin passende Beratungs- und Unterstützungsangebote.
Aber auch dabei lohnt sich der Blick auf die oben
skizzierten Gelingensfaktoren. Diese wollen wir auch in Zukunft durch die
Arbeit der LAG-Väterarbeit in NRW sowie der 26 Mitgliedsorganisationen stärken,
um Vätern Wege in die Familie zu ebnen, Kindern eine gelingende Entwicklung und
Partnerschaften zufriedenstellende Beziehungen zu ermöglichen.
Ihre Erfahrungen sind gefragt
Das ist eine erste Zwischenbilanz, die wir aus zahlreichen
Gesprächen und Zoom Konferenzen mit Kollegen und Kolleginnen zum Jahresende
ziehen. Wir sind uns bewusst, dass Sie und andere Menschen auch ganz andere
Erfahrungen gemacht haben können bzw. andere Konsequenzen aus diesen
Erfahrungen ziehen können.
Herr Nelles, Frauen- und Kinderverbände wurden aus der
gesellschaftlichen Defensive gegründet. Gegen wen will sich das
Bundesforum Männer behaupten?
Wir wenden uns gegen Ignoranz gegenüber den Anliegen von Männern,
Jungen und Vätern. Aber wir haben uns nicht aus der Defensive heraus
zusammengeschlossen. Ich habe damals in den neunziger Jahren bei meinem
damaligen Arbeitgeber mit einem Projekt zur beruflichen Qualifizierung
während des Erziehungsurlaubs begonnen. Wir haben ausdrücklich auch
Väter angesprochen. Das Thema Erziehungsurlaub musste aus der Frauenecke
heraus. Die Zahl der Väter, die Erziehungsurlaub nahmen, war zwar sehr
gering. Aber es gab auch damals schon den Wunsch nach einer anderen
Aufteilung von Berufs- und Familienarbeit. Daran haben wir gearbeitet
und uns zusammengetan, um Kommunikationslinien in die Politik und in die
Verbände hinein aufbauen. Den Anfang machte das „Väterexpertennetz“.
Bald kamen auch Themen für Nichtväter dazu. Ein wichtiger Partner war
die evangelische Kirche, die schon lange eine sehr elaborierte
Männerarbeit geleistet hat. 2008 sind wir mit dem
Bundesfamilienministerium in Gespräch gekommen. Dort zeigte man sich
sehr aufgeschlossen, denn einen zentralen Ansprechpartner für die
Belange von Männern gab es nicht. 2010 haben wir mit zunächst zwei
Dutzend Verbänden das Bundesforum Männer gegründet – nicht gegen
irgendjemanden, sondern um Themen von Jungen, Männern und Vätern
gebündelt nach vorne zu bringen.
Personell grenzen Sie sich von Frauenverbänden ab, inhaltlich von
Männerbündnissen mit traditionellen Rollenbildern. Was genau ist Ihr
Markenkern?
Zentral für uns sind Geschlechtergerechtigkeit und Dialog. Es geht
uns um Gleichberechtigung in allen Lebensbereichen. Wir treten in den
Dialog mit denjenigen, die zuständig sind für Gesetzgebung und für
Arbeitsbedingungen. Mit der IG Metall haben wir uns zum Beispiel darüber
auseinandergesetzt, wie sich Arbeitszeiten so gestalten lassen, dass
sie aktive Vaterschaft ermöglichen. Einige unserer Mitgliedsvereine
legen ihren Schwerpunkt auf Gewaltprävention oder Gesundheitsvorsorge.
Die Lebens- und Arbeitsweise von Männern führt dazu, dass sie eine
niedrigere Lebenserwartung haben. Zu vernünftigen Ergebnissen in der
Gleichstellungspolitik kommen wir nur, wenn wir das ganze Leben von
Männern betrachten.
Gehören dem Bundesforum Männer auch Vereine und Organisationen mit traditionellen Männerthemen an?
Wir sind im Gespräch zum Beispiel mit dem Nationalen Olympischen
Komitee und anderen Vereinen. Aber Bedingung für eine Mitgliedschaft bei
uns ist, dass die Interessen von Männern in der eigenen Organisation
thematisiert werden. Es gibt zwar viele große Vereine, in denen
massenhaft Männer organisiert sind, die spezifische Perspektive von
Jungen, Männern und Vätern wird dort aber oft noch nicht adressiert.
Doch es gibt Bewegung. Väter im Fußball, zum Beispiel, ist durchaus ein
Thema.
Klassiker traditioneller Männerarbeit sind Holzhacken oder Reparaturen rund ums Haus. Was ist Ihr Verständnis von Männerarbeit?
Wir arbeiten daran, Geschlechterklischees zu überwinden. Viele Männer
wollen beim Kindergartenfest nicht nur am Grill stehen. Sie möchten
auch fürsorglich sein und als Erziehungspartner akzeptiert werden. Die
gesetzlichen Rahmenbedingungen, etwa das Ehegattensplitting, wirken
jedoch einer partnerschaftlichen Aufteilung der Erwerbs- und
Familienarbeit entgegen. Derartige Fehlanreize führen dazu, dass Männer,
gerade wenn sie Väter geworden sind, nicht das Leben führen können, das
sie eigentlich gerne leben würden.
Die meisten Ihrer Mitgliedsorganisationen kommen aus den Bereichen
Bildung, Gesundheit, Kirche, Arbeit und Soziales. Sind auch Unternehmen
eingebunden?
Mit der „Väter gGmbH“ haben wir ein Mitglied, das sehr aktiv und
erfolgreich Netzwerkarbeit für Väter in Unternehmen betreibt. Die Väter
gGmbh berät bundesweit Unternehmen zum Thema Vereinbarkeit von Beruf und
Familie aus Vätersicht. In verschiedenen Branchen wurden Väternetzwerke
aufgebaut, im Bankenwesen ebenso wie in Mobilfunkunternehmen, in der
Pharmaindustrie und im Handel. Ich würde allerdings vehement der These
widersprechen, dass kleine Betriebe sich mit der Väterarbeit schwerer
tun als Großkonzerne. Aus eigener Erfahrung in Unternehmen verschiedener
Größe kann ich berichten, dass es immer darauf ankommt, die
Vereinbarkeit von Familie und Beruf tatsächlich zu leben und vorzuleben.
Wenn ein Handwerksmeister ein halbes Jahr in Elternzeit geht und
tatsächlich „nur“ 30 Wochenstunden im Betrieb ist, wird sich etwas
verändern.
Sie haben viele Aktive aus dem kirchlichen Bereich. Wie sieht es aus
mit Organisationen anderer Religionsgemeinschaften. Gibt es unter Ihrem
Dach islamische Verbände?
Aktuell liegt uns ein Mitgliedsantrag des Sozialdienstes muslimischer Frauen (SmF) vor . . .
Eines Frauenverbandes?
Ja, der Sozialdienst betreibt auch eine sehr engagierte Väterarbeit.
Einen Sozialdienst muslimischer Männer gibt es bislang nicht. Die
Aufnahme des SmF wäre in der Tat ein Präzedenzfall. Aber in unseren
Mitgliedsverbänden sind nicht ausschließlich Männer tätig. Einige
schicken auch weibliche Delegierte zu unseren Mitgliedsversammlungen.
Ihr Verband empfiehlt sich der Politik aber als Ansprechpartner für
die Anliegen von Männern. Was unterscheidet männer- von
frauenpolitischen Themen?
Die unterschiedliche Perspektive. Im Koalitionsvertrag ist zum
Beispiel vereinbart, dass das Umgangs- und Sorgerecht neu geregelt wird.
Unsere Erwartung war, dass die Interessen von Vätern künftig früher
berücksichtigt werden und unverheiratete Väter nach der
Vaterschaftsanerkennung automatisch sorgeberechtigt sein werden. Danach
sieht es aber nun leider nicht aus. Dabei hatte eine Arbeitsgruppe von
Familienrechtlern diesen Reformschritt empfohlen und überzeugend
dargelegt, dass Kinder von Geburt an Anspruch auf zwei sorgeberechtigte
Eltern haben.
Wo sehen Sie weiteren Handlungsbedarf, wenn es um die Rechte und Interessen von Jungen, Männern und Vätern geht?
Das Feld vor und rund um die Geburt von Kindern muss insgesamt
stärker ins Blickfeld rücken. Denn bereits bei der Geburtsvorbereitung
werden die Weichen gestellt für alles weitere, was man später versucht,
durch Gleichstellungspolitik zu reparieren. Deshalb ist es so wichtig,
Vätern zu diesem frühen Zeitpunkt Angebote zu machen. Noch viel mehr
passieren müsste beim Gewaltschutz. Auch Männer werden Opfer häuslicher
Gewalt. Zumindest im Hellfeld nicht so häufig wie Frauen, aber der
Anteil liegt immerhin bei rund 20 Prozent. Für Männer gibt es jedoch
kaum Schutzräume. Einige Gewaltschutzwohnungen wurden mittlerweile im
Rahmen von Modellprojekten in Bayern und in Nordrhein-Westfalen
eingerichtet. In Sachsen gibt es ebenfalls eine Einrichtung. Aber
insgesamt sind es viel zu wenige. Wir bräuchten auch deutlich mehr
Beratungsstellen für Männer, die häusliche Gewalt erleben. Auf einer
Internetseite haben wir bislang rund 280 Angebote gebündelt, damit
Männer möglichst frühzeitig Hilfe suchen und Krisen überwunden werden
können, ohne dass es zur Trennung kommt.
Ihr Verband arbeitet ja auch mit Frauenorganisationen zusammen. Bei
welchen Themen funktioniert die Kooperation gut und wo gibt es
Differenzen?
Wir haben von Anfang an mit dem Deutschen Frauenrat
zusammengearbeitet. In den allermeisten Fällen klappt das sehr gut. Aber
manchmal haben wir unterschiedliche Perspektiven, etwa im Bereich
Pflege. Mit der Ausgangsthese, Männer würden sich hier nicht engagieren,
erreicht man nichts. Gerade ältere Männer übernehmen häufig
Pflegeverantwortung für ihre Frauen oder Partnerinnen, fast ebenso
häufig wie ältere Frauen. Wenn man erreichen möchte, dass Männer sich
insgesamt mehr in der Pflege engagieren, auch beruflich, sollte man auch
anerkennen, wo sie bereits als Pflegende aktiv sind.
Die Corona-Pandemie gilt als Rückschlag für die
Gleichstellungspolitik. Frauen und Mütter gelten als die Verliererinnen.
Stimmen Sie zu?
Nein, das sehe ich nicht so. Die Corona-Krise wirkt wie ein
Brennglas, das heißt man sieht in besonderer Schärfe, was vorher schon
war. So hat sich in der Pandemie besonders bemerkbar gemacht, dass
überwiegend die Männer Vollzeit arbeiten und die Frauen sehr häufig in
Teilzeit tätig sind, wenn sie Familie haben. Wie sich dieses Modell in
der Corona-Krise auf die Familie ausgewirkt hat, war zum Teil sehr stark
branchenabhängig. Arbeitet der Mann in einem Unternehmen, das
Kurzarbeit anmeldete, blieb er zu Hause. Eine Partnerin, die im
Pflegebereich tätig ist, war beruflich voll eingespannt. Aber nach einer
Umfrage, die das Bundesfamilienministerium in Auftrag gegeben hatte,
ist die Aufteilung bei der Kinderbetreuung in knapp 60 Prozent der
Familien so gut wie gleich geblieben. In rund 20 Prozent der befragten
Familien ging es partnerschaftlicher zu und in weiteren rund 20 Prozent
wurde die Aufteilung ungleicher. Einen großen Trend zur
Retraditionalisierung sehe ich hier nicht. Im Gegenteil: Das familiäre
Engagement der Väter hat in der Corona-Krise stärker zugenommen als in
früheren Jahren, auch wenn Frauen sich insgesamt noch mehr engagieren.
Ihr Verband blickte im November 2020 auf sein zehnjähriges Jubiläum zurück. Was gab es zu feiern?
Unser Verband und unser Einfluss sind deutlich gewachsen. Nicht nur
in Berlin, auch in vielen Bundesländern werden unsere Themen
aufgegriffen. Aber es gibt weiterhin viel zu tun. Die traditionelle
Überzeugung, dass Kinder und Mütter mehr zusammengehören und Väter
zweitrangig sind, ist immer noch da. Vor allem bei den Themen Trennung,
Sorge und Unterhalt sind wir noch lange nicht am Ziel.
Treffen Sie sich mit Ihrem Sohn manchmal zu einem klassischen Männerabend?
Dazu haben wir leider zu selten Gelegenheit gehabt. Seit dem Abitur
vor 13 Jahren ist mein Sohn in der Weltgeschichte unterwegs. Mal
gemeinsam vor dem Fernseher abzuhängen und Bier zu trinken, das wird, in
Zeiten von Corona, in diesem Jahr aber klappen.
Erklärung
des VEND-eV zum internationalen Vatertag
Bezahlte und unbezahlte Arbeit
Jede Krise wirkt wie ein
Brennglas für bestehende Probleme. So ist es auch mit Corona: Es wird deutlich,
dass wir von dem Wunsch der meisten Väter und Mütter, sich Erwerbs- und
Familienarbeit partnerschaftlich aufzuteilen, noch weit entfernt sind. 2018 arbeiteten
in den alten Bundesländern lediglich 18%, in den neuen 44% der Mütter mit
Kindern unter sechs Jahren in Vollzeit, 58% bzw. 42% in Teilzeit und 24% bzw.
14% waren voll und ganz für ihre Kinder da. Demgegenüber arbeiteten in allen
Bundesländern über 90% der Väter in Vollzeit.
Ergebnis ist eine Rollenzuschreibung
der unbezahlten Haus- und Carearbeit auf die Mütter. Wir fordern die
Bundesregierung daher auf, alle Regelungen, die diese Ungleichheit festschreiben,
zu beseitigen und Vätern den Einstieg in die Carearbeit zu erleichtern. Eine
14tägige Freistellung mit Lohnersatz für Väter aus Anlass der Geburt ihres
Kindes, die in der im letzten Jahr verabschiedeten EU-Vereinbarkeitsrichtlinie vorgesehen ist, ist unserer Auffassung nach ein
wichtiger erster Schritt in diese Richtung.
Ferner erwarten wir von der
Politik, dass Väter ein klar geregeltes individuelles Anrecht auf eine längere
Phase von Elternzeit mit Elterngeld zuerkannt bekommen (mindestens vier Monate, besser sieben
Monate) – und dabei müssen auch diejenigen Väter einbezogen werden, die nicht
mit der Mutter des Kindes in einem Haushalt leben.
Vätern und Müttern im Rahmen
einer Familienarbeitszeit zu ermöglichen, ihre Arbeitszeiten bis zum dritten
Lebensjahr des Kindesgemeinsam auf 32 Stunden zu reduzieren und die
Verdienstdifferenzen durch ein entsprechendes ‚Kurzarbeitergeld‘ auszugleichen,
ist ebenfalls eine wichtige Weichenstellung.
Die Erfahrungen der letzten
drei Monate zeigen deutlich, dass die Familien, wo sich Väter und Mütter schon
vor Corona Erwerbs- und Familienarbeit partnerschaftlich aufgeteilt haben,
diese Aufteilung auch im Krisenmodus bestehen bleibt und zusätzliche
Belastungen gleichmäßiger verteilt werden.
Zuhause in Beziehung mit den Kindern
Aber auch wenn Frauen zuhause
einen großen Teil der Care-Arbeiten übernehmen, Kinder betreuen und beschulen,
engagierten sich Väter während des Lockdown und der Schließung der Schulen und
Kindertagesstätten verstärkt in Familie und mit ihren Kindern. Väter, die in
Kurzarbeit waren und sind und deren Frauen in den sogenannten systemrelevanten
Berufen arbeiten, im Einzelhandel, in der Pflege oder im Krankenhaus,
übernehmen selbstverständlich Beschulung und Betreuung ihrer Kinder sowie die
Aufgaben im Haushalt. Dass dies die vollzeitbeschäftigten Väter – sei es im
Homeoffice oder an der Werkbank – nicht im gleichen Maße machen können, liegt
auf der Hand. Doch auch diese Väter engagieren sich bis zur Belastungsgrenze
und häufig darüber hinaus in und für ihre Familien.
Damit dies dauerhaft gelingen
kann, brauchen die Väter neben väter- und familienfreundlichen gesellschaftlichen
Rahmenbedingungen ebenso individuelle Unterstützung, Beratung und passende
Bildungsangebote, vor allem aber Austauschmöglichkeiten mit anderen Vätern.
Väterzentren, Familienbildung für Väter mit ihren Kindern ab der Geburt und
Vater-Kind-Angebote, sollten zu den Standardangeboten gehören.
Vor allem aber gilt es, Väter
in ihren unterschiedlichen Lebenslagen in den Blick zu nehmen und sichtbar zu
machen:
den getrenntlebenden Vater, der sein Kind im
Wechselmodell betreut und dazu jede zweite Woche täglich 16 Stunden arbeitet um
in der anderen für seine Tochter da sein zu können
die Väter, die in beengten Wohnverhältnissen
Homeoffice und -schooling am Küchentisch erledigen sollen
und auch die Väter, die sich an ihren Arbeitsplätzen
Sorgen um ihre Gesundheit machen und sich nach 10 Stunden Erwerbsarbeit zuhause
ihren Kindern widmen.
Konsequenzen für eine neue ‚Normalität‘
#Vaterschaftistmehr als die
finanzielle Absicherung der Lebensgrundlagen der Familie. Väter haben eine
eigene Bedeutung für die Entwicklung der Kinder und können von Anfang an eine
Beziehung zu ihnen aufbauen. Damit dies in Zukunft noch besser gelingt, müssen gesetzliche
und gesellschaftliche Rahmenbedingungen verändert werden. Dazu gehören unserer
Auffassung nach in jedem Fall:
ein gemeinsames Sorgerecht für beide Elternteile ab
der Geburt
ein Eltern – Coaching, beginnend im Rahmen der
Geburtsvorbereitung, in dem Aufgaben und Erwartungen wie auch Problemstellungen
der Vater- bzw. Mutterschaft auch auf der Paarebene angesprochen und verhandelt
sowie Eltern begleitet und unterstützt werden können
bei Trennung kein präferiertes Residenzmodell, sondern
ein am Wohl des Kindes und dem Bedürfnis nach beiden Elternteilen orientiertes
Betreuungs- und Lebensmodell
reale Gleichbehandlung vor Gericht einhergehend mit
einer Qualifizierung von Familienrichter_Innen* zu einem veränderten
Familienbild und -begriff, in dem eine gleichberechtigte Familiengestaltung
zentral ist
die Berücksichtigung von Getrennt- und
Alleinerziehendenhaushalten sowie die nachhaltige Unterstützung beider Formen
bei allen Maßnahmen der Familienförderung
digitale und analoge Bildungs- und Beratungsangebote,
die einen niedrigschwelligen Zugang für Väter ermöglichen, etwa durch die
Kooperation von Familienbildungsstätten mit Unternehmen.