Traditionelle
Vorstellungen typischer Erwerbsbiografien von Männern und Frauen,
klassische Rollenaufteilungen innerhalb von Familien zwischen Müttern
und Vätern sowie unzureichende Betreuungsangebote sorgen nach wie vor
für fortdauernde Ungleichheiten bei der Entlohnung. Daran wird nicht nur
am heutigen ‚Equal Pay Day‘ hingewiesen.
Ziel der Landesarbeitsgemeinschaft Väterarbeit ist es, eine gleiche
und faire Bezahlung für alle beruflichen Tätigkeiten und eine gerechte
Aufteilung der unbezahlten Arbeit in Familien zu erreichen. Dafür
braucht es wirksame Rahmenbedingungen, die die Vereinbarkeit von Familie
und Beruf vereinfachen und Anreize für eine gleichberechtigte
Aufteilung der Familienarbeit setzen.
Ebenso wichtig sind, so der Vorsitzende der LAG Hans-Georg Nelles
„sind jedoch Erlebnisräume für Väter, in denen sie sich als pflegende
Männer erleben und geschlechterstereotype Zuschreibungen überwinden
können. Und zwar vom ersten Tag an, die Freistellung für Väter in den
ersten 14 Tagen nach der Geburt, wie sie von der EU in der
‚Vereinbarkeitsrichtlinie gefordert wird, ist da eine sehr wirksame
Maßnahme.“
Die vergangenen 12 Monate Corona-Pandemie haben gezeigt, dass Väter
ihre Erwerbsarbeitszeiten reduziert haben und sich in einem bislang nie
beobachteten Maße an Kinderbetreuung, Homeschooling und anderen
familiären Aufgaben beteiligt haben. „Die Väter“, so Nelles „haben
Erfahrungen gemacht und Beziehungen zu ihren Kindern ausgebaut. Diese
Erlebnisse haben das Potenzial, Einstellungen und Wünsche in Bezug auf
die weitere Gestaltung des Lebens und die Aufteilung von Erwerbs- und
Care-Arbeit nachhaltig zu verändern.“
Es wird also darauf ankommen, nach dem Ende der Pandemie nicht
einfach zur ‚alten‘ Normalität zurückzukehren, so sehr wir uns danach
sehnen, sondern politische Konsequenzen zu ziehen und auch den
Gestaltungsrahmen von Erwerbsarbeit zu verändern.
Digitalisierung und Flexibilisierung von Arbeit können zu einer
entscheidenden Stellschraube dafür werden, Rollenbilder und
Erwerbsbiografien flexibler zu gestalten und stereotype Zuschreibungen
zu verflüssigen.
„Es bedarf einer mutigen Reform“ – Interview mit PD Dr.
Martin Bujard (Präsident der Evangelischen Arbeitsgemeinschaft Familie, eaf)
über die Rolle der Väter in Vereinbarkeitsmodellen von Familie und Beruf
Herr Bujard, die eaf bündelt die vielen evangelischen
Institutionen im Bereich Familie und gibt ihnen eine Stimme gegenüber der
Politik. Dabei geht es um Kinderrechte und Kinderschutz, um Unterstützung für
Familien und um Elternschaft mit all ihren Anforderungen und Bedürfnissen. Was
macht die Tagung „Männer Leben Beruf“ für Sie als Präsident der eaf interessant
und wo sehen Sie die Berührungspunkte?
Martin Bujard: Die Debatten um die Vereinbarkeit von Familie
und Beruf werden vielfach auf Frauen, auf Mütter reduziert. Dabei sind Väter
ein Schlüssel, damit Vereinbarkeitsmodelle gelingen. Das ist lange unterschätzt
worden, auch die Politik hinkt hier teilweise hinterher. Wir dürfen Männer nicht
als „Bystanders“ in diesem Diskurs betrachten, der sie eigentlich nichts
angeht, sondern müssen sie mit hineinholen. Das genau macht die Tagung, indem
sie Väter in den Mittelpunkt stellt. Das ist gut! Denn wir brauchen bei diesem
Thema mehr kulturelle Akzeptanz, vor allem auch bei den Arbeitgebern.
Im Einladungstext wird nicht nur auf Väter, sondern
genereller auf die „Bedürfnisse eines veränderten Männerlebens“ Bezug genommen.
Wie nehmen Sie diese wahr?
„Das Männerleben“ gibt es natürlich nicht, aber es gibt
schon gewisse Generationenerfahrungen, die sich in der Tat verändern. Die
mittlere Männergeneration hat jetzt 13 Jahre Elterngeld erlebt – diese
Möglichkeiten hatten ihre Väter – die Großvätergeneration – nicht. Leider nutzt
nur ein gutes Drittel der Väter Elternzeit. Diejenigen aber haben in der
Elternzeit erfahren, dass es beglückend ist, sich in die Familie einzubringen,
die Fürsorge für die Kinder mit zu übernehmen. Väter arbeiten zum Teil mehr als
Männer ohne Kinder im Beruf, mit Familienarbeit kommen viele auf bis zu 60-70
Stunden pro Woche, um aktive Väter zu sein. Wie Mütter sind sie in der Rushhour
des Lebens, wenn die Kinder klein sind. Häufig können Väter ihren Wunsch, ein
aktiver Vater zu sein, aber nicht so umsetzen, wie sie möchten. Die noch
jüngere Männergeneration ist mit einem egalitären Weltbild groß geworden: Sie
möchten die Dinge gern partnerschaftlich regeln und für beide ein erfüllendes
Berufs- und Privatleben realisieren. Aber sobald Kinder da sind, stellen sie
fest, dass Wunsch und Wirklichkeit nicht leicht in Einklang zu bringen sind.
Kommt hier Ihr Konzept der „dynamischen Familienarbeitszeit“
ins Spiel, mit dem Sie im Tagungsprogramm angekündigt sind?
Ja, das Konzept sieht vor, eben diese Kluft zwischen Wunsch
und Wirklichkeit zu reduzieren. Vereinbarkeit findet im Lebenslauf statt. Wenn
die Kinder sehr klein sind, ist der Bedarf an Zeit für Fürsorge sehr groß.
Heute sieht das dann meist so aus, dass Mütter halbtags Erwerbsarbeit nachgehen
und Väter voll und mehr arbeiten. Deshalb schlagen wir mit der dynamischen
Familienarbeitszeit einen Korridor vor, der etwa bis zum Schuleintritt der
Kinder greifen soll und in dem beide Elternteile 60-90 Prozent, also in
vollzeitnaher Teilzeit arbeiten. Ganz wichtig wäre, dass dabei die
unterliegenden Vorstellungen von Karriere bei den Arbeitgebern sich ändern. In
der Rushhour des Lebens muss es für Männer und Frauen möglich gemacht werden,
bei temporär reduzierter Arbeitszeit keine Karriereeinbußen zu erleiden und
partnerschaftlich Familie zu leben. Wir lesen seit Jahren die immer gleichen
Ergebnisse in Umfragen, dass Männer mehr Zeit für die Familie möchten und viele
Frauen gern stärker am Berufsleben teilhaben würden. Das müssen wir nun endlich
in die Realität umsetzen, da bedarf es einer mutigen Reform.
Anlässlich
des Equal Care Days am 1. März 2021 lädt die Katholische
Frauengemeinschaft Deutsch-lands (kfd) und die Gemeinschaft der katholischen
Männer Deutschlands (GKMD) zu einer Online Gesprächsreihe unter dem Motto Care
gerecht gestalten ein.
Freitags von 18.00 bis 19.00 Uhr stellen sich
Praktiker*innen, Wissenschaftler*innen und Politiker*in-nen dem Gespräch rund
um Equal Care.
Anmeldung: Die Teilnahme ist kostenfrei. Eine Anmeldung zu
den einzelnen Abenden ist möglich unter: cornelia.goette@kfd.de. Der
Einwahllink ist für alle vier Gesprächsabende gültig und wird jeweils am
Veranstaltungstag bis 11.00 Uhr verschickt. Weitere Informationen finden Sie
unter: r: https://www.kfd-bundesverband.de/equal-care-day/
Themen und Termine
26.02. Equal Care Day: Füreinander sorgen, aber wie
gerecht verteilen?
kfd im Gespräch mit:
Sascha Verlan, Initiator des Equal Care Days
Thomas Altgeld, Vorsitzender des Bundesforums Männer
Prof`in em. Dr. Margrit Brückner, Frankfurt University of
Applied Sciences, Soziale Arbeit und Gesundheit
5.03. Pflege: Eine gemeinsame Gestaltungsaufgabe aller?
GKMD im Gespräch mit:
Prof. Dr. Andreas Wittrahm, Theologe und Psychologe,
DICV-Aachen
Birgit Hullermann, Pflegewirtin, 2. Vorsitzende des
Katholischen Pflegeverbandes e. V., Emsdetten
Anna Wischnewski, Sprecherin des Netzwerkes PflegeBegleitung
NRW
12.03. Lebenspraxis: Für sich und andere sorgen – Wie
werden wir kompetent?
kfd im Gespräch mit:
Prof`in em. Uta Meier-Gräwe, Unterzeichnerin des
Care-Manifestes, ehemals Lehrstuhl Sozioökonomie des Privathaushaltes an der
Justus-Liebig Universität Gießen
Am 16. Dezember hat der zweite ‚harte‘ Lockdown begonnen und
nicht nur der Jahreswechsel gibt Anlass, eine erste Bilanz der ‚Learnings‘ aus
der bisherigen Zeit mit Corona zu ziehen.
„Eltern sind in der Corona-Zeit mehrheitlich nicht in
traditionelle Rollen „zurückgefallen“. Meist blieb die Aufteilung der
Kinderbetreuung zwischen den Elternteilen unverändert, in etwa jeder fünften
Familie wurde die Aufteilung gleichmäßiger, in ebenso vielen Familien aber auch
ungleichmäßiger. Die zusätzlich anfallenden Betreuungsaufgaben haben Mütter und
Väter vielfach gemeinsam geschultert.“ heißt es in der kürzlich
veröffentlichten Broschüre ‚Familien in der Corona Zeit‘ des
BMFSFJ.
Die britischen Zeitung Guardian beurteilt die Auswirkungen von
Corona noch optimistischer: „Das Jahr 2020 verändert die Art und Weise,
wie die Gesellschaft Vaterschaft sieht, und könnte nach Ansicht von Forschern,
Wirtschaftsführern und Aktivisten die tiefgreifendste Veränderung der
Betreuungsaufgaben seit dem Zweiten Weltkrieg bewirken….“
So oder so wird es aber darauf ankommen, genauer auf die
Situationen in den Familien und die Erfahrungen der Väter und Mütter zu
schauen, und die richtigen Konsequenzen daraus zu ziehen und die jetzt sichtbar
werdenden Effekte nachhaltig wirksam werden zu lassen.
Väter & Corona – die positiven Erfahrungen aus der
Krise für eine geschlechtergerechte Gestaltung der Zukunft und die Arbeit mit
Vätern nutzen
In der gesellschaftlichen Diskussion der Corona Pandemie und
ihrer Auswirkungen standen angesichts von Schul- und Kitaschließungen und
anderer Einschränkungen vor allem die Herausforderungen und Belastungen für
Familien im Vordergrund. Die Landesarbeitsgemeinschaft Väterarbeit in NRW hat
die Entwicklungen von Anfang an im engen Austausch mit ihren Mitgliedern und in
zahlreichen Gesprächen mit Vätern verfolgt und sieht neben den Mehrbelastungen
und Problemen für Väter und Mütter auch positive Erfahrungen aus der Krise.
Damit diese bei der Arbeit mit Vätern aber insbesondere auch bei der Gestaltung
der neuen ‚Normalität‘ genutzt werden kann, möchten wir sie in den folgenden
sieben ‚Corona Lektionen gelernt‘ Punkten zusammenfassen:
1. Zusätzliche
Herausforderungen
Väter und Mütter sind in vergangenen Monaten mit neuen Herausforderungen
konfrontiert worden. Mühsam ausbalancierte ‘Vereinbarkeiten’ sind durch die
Schließung von Kitas und Schulen oft wie ein Kartenhaus zusammengefallen. Väter
und Mütter sind je nach Branche und Tätigkeitsfeld als systemrelevant
eingestuft, in Kurzarbeit geschickt oder konnten im Homeoffice weiterarbeiten.
Zusätzlich zu den Sorgen um die Betreuung und Beschulung der Kinder kamen
vielfach die um die finanzielle Absicherung der Familien und in allen Fällen
die um die Gesundheit, die eigene, die der Kinder und vor allem die der älteren
Familienangehörigen. Diese Herausforderungen sind von vielen Familien gestemmt
worden, in einer Zeit, in der Beratungs- und Unterstützungssysteme, wenn
überhaupt, nur per Telefon zu erreichen waren.
2. Care- und
Betreuungsarbeiten
Sowohl bezahlte als auch unbezahlte Care- und Betreuungsarbeiten sind ungleich
zwischen Vätern und Müttern aufgeteilt. Dies hat unter anderem mit Bezahlung
und Zuschreibungen dieser Tätigkeiten zu tun. Bereits die Zeitverwendungsstudie
hat aber gezeigt, dass Väter und Mütter in der Summe der bezahlten Erwerbs- und
unbezahlten Care- und Betreuungsarbeiten gleich viel Zeit aufwenden. Die
Berichte von Vätern, vor allem aber die in den letzten Monaten durchgeführten
Studien zeigen auf, dass sich Väter mit zusätzlichen Zeitanteilen an Care- und
Betreuungsarbeiten beteiligen, insbesondere, wenn sie in Kurzarbeit oder
Homeoffice und ihre Partnerin in einem systemrelevanten Beruf tätig ist. Die
Erzählungen der Väter, diese Erfahrungen seien eine Bereicherung gewesen,
wollen wir für eine gerechtere Aufteilung von bezahlten und unbezahlten
Tätigkeiten nutzen.
3. Beziehung zu den Kindern
Kinder wünschen sich in allen Befragungen mehr Zeit mit ihren Vätern und auch
diese wollen von Anfang an für diese da sein und sich aktiv an deren Erziehung
beteiligen und das Aufwachsen begleiten. In der Vergangenheit haben wir bei
unseren Angeboten eine Unsicherheit der Väter gespürt, ob sie über ausreichende
Kompetenzen in der Betreuung insbesondere der jüngeren Kinder verfügen. Diese
Kompetenzen können sie erwerben, indem sie Zeit mit ihren Kindern verbringen,
sich auf diese einlassen und so eine Beziehung zu ihnen aufbauen. Diese
Erfahrungen haben Väter während der Krise machen können und sich dabei
zunehmend als wirksam und bedeutend für ihre Kinder erlebt. Diese Erfahrungen
werden auch das Ausmaß des zukünftigen väterlichen Engagements bestimmen, es
wird aber darauf ankommen, sie einzubeziehen und passende Rahmenbedingungen zu
schaffen.
4. Partnerschaftliche
Arbeitsteilung
Aus den Wünschen junger Paare, sich Erwerbs- und Familienarbeiten
partnerschaftlich aufzuteilen wird nach der Geburt des ersten Kindes häufig
eine mehr oder weniger traditionelle Arbeitsteilung, die Väter in die
Ernährerrolle und Mütter in die sorgende Sphäre verweist. In der Folge sinken
Zufriedenheit und Partnerschaftsqualität mit weiteren negativen Wirkungen auf
das Engagement von Vätern.
Diese Kreisläufe sind in den vergangenen Wochen vielfach durchbrochen worden.
Den Vätern und Müttern, denen es schon vor der Pandemie gelungen ist, eine
partnerschaftliche Arbeitsteilung zu leben, berichten zwar am häufigsten von
extremen Belastungen, wollen aber keineswegs zurück zu einer klassischen
Arbeitsteilung. In den zahlreichen anderen Fällen ist die traditionelle Arbeitsteilung,
in die man vielfach ‘hineingerutscht’ ist, wieder zu einem Aushandlungsthema
geworden. Wir wollen Väter dabei unterstützen, ihre Wünsche nach einer
Reduzierung von Erwerbsarbeitszeiten auch umzusetzen
5. Stärkung des familiären
Zusammenhalts
Die Bewältigung der Herausforderungen ist selbstverständlich nicht ohne Krisen
und Konflikte verlaufen. Väter und Mütter sind in den vergangenen Monaten
häufig und für längere Zeiträume über ihre Grenzen hinaus gegangen und mit den
Erfahrungen auch gewachsen. Die Stärkung der Resilienzen ist eine wichtige
Erfahrung für den Zusammenhalt von Familien.
Wir wünschen uns selbstverständlich keine Wiederholung dieser ‘Lernsituation’
durch einen weiteren ‘Lockdown’, werden aber Väter und ihre Familien dabei
begleiten, ihre Erfahrungen aufzuarbeiten und für die Bewältigung zukünftiger
Herausforderungen nutzbar zu machen. In den Fällen,, in der die Krisen in
der Familie eskaliert sind, gilt es hinzuschauen welche Unterstützungsangebote
nötig sind um Krisensituationen konstruktiv meistern zu können.
6. Andere Formen der
Erwerbsarbeit Auch außerhalb von Familien haben Väter neue Erfahrungen machen können.
Arbeitsorte, -zeiten und -abläufe haben sich in vielen Bereichen grundlegend
verändert, in anderen ist schlagartig die gesellschaftliche Relevanz von
vielfach unterbezahlten Tätigkeiten deutlich geworden. Die Väter, die zeitweise
oder ganz im Homeoffice arbeiten konnten (oder mussten) wünschen sich, dass sie
diese Möglichkeiten auch weiterhin zumindest an zwei bis drei Tagen pro Woche
nutzen können, um mehr Zeit für Familie und Kinder zu haben.
Darüber hinaus geht es auch um Verantwortungsübernahme und Selbststeuerung, die
letztlich Auswirkungen auf Abläufe und Kulturen in den Unternehmen haben
werden. Dass die Arbeit im Homeoffice kein Ersatz für eine qualitativ
hochwertige Kinderbetreuung ist ja auch eine Lernerfahrung der letzten
Monate.
7. Wege der Arbeit mit
Vätern
Die Krise und die damit einhergehenden ‘Coronaschutzverordnungen’ haben auch
unmittelbare Auswirkungen auf die Arbeit unserer Mitglieder gehabt.
Einrichtungen haben geschlossen und selbst nach der Wiederöffnung ist Vätern
der Zugang verwehrt oder nur streng reglementiert. Hygienekonzepte führen dazu,
dass offene Angebote kaum noch möglich sind.
Diese Rahmenbedingungen haben zu einem Lernschub bei der Nutzung von neuen,
insbesondere digitalen Zugängen zu Vätern geführt und damit auch Vätern, die
schon vorher keine Angebote vor Ort gefunden haben, Möglichkeiten zur Teilnahme
eröffnet und Schwellen gesenkt. Nach anfänglichen Unsicherheiten finden
Beratungen zunehmend per Video statt und auch bei thematischen Veranstaltungen
und Weiterbildungsangeboten sind wertvolle Erfahrungen mit dieser Form des
Zusammenkommens und Austauschs gemacht worden, die die zukünftige Arbeit mit
Vätern erweitern können.
Ich bin mir bewusst, dass es auch zahlreiche Väter und Mütter gab, die andere Erfahrungen gemacht haben, weil der Partner bzw. die Partnerin nicht zur Verfügung standen, prekäre Lebenssituationen und unsichere Arbeitsverhältnisse sich während der Pandemie noch verschärft haben und diese oder andere Rahmenbedingungen zur Verschärfung von Konflikten beigetragen haben. Diese Familien brauchen auch weiterhin passende Beratungs- und Unterstützungsangebote.
Aber auch dabei lohnt sich der Blick auf die oben
skizzierten Gelingensfaktoren. Diese wollen wir auch in Zukunft durch die
Arbeit der LAG-Väterarbeit in NRW sowie der 26 Mitgliedsorganisationen stärken,
um Vätern Wege in die Familie zu ebnen, Kindern eine gelingende Entwicklung und
Partnerschaften zufriedenstellende Beziehungen zu ermöglichen.
Ihre Erfahrungen sind gefragt
Das ist eine erste Zwischenbilanz, die wir aus zahlreichen
Gesprächen und Zoom Konferenzen mit Kollegen und Kolleginnen zum Jahresende
ziehen. Wir sind uns bewusst, dass Sie und andere Menschen auch ganz andere
Erfahrungen gemacht haben können bzw. andere Konsequenzen aus diesen
Erfahrungen ziehen können.
Herr Nelles, Frauen- und Kinderverbände wurden aus der
gesellschaftlichen Defensive gegründet. Gegen wen will sich das
Bundesforum Männer behaupten?
Wir wenden uns gegen Ignoranz gegenüber den Anliegen von Männern,
Jungen und Vätern. Aber wir haben uns nicht aus der Defensive heraus
zusammengeschlossen. Ich habe damals in den neunziger Jahren bei meinem
damaligen Arbeitgeber mit einem Projekt zur beruflichen Qualifizierung
während des Erziehungsurlaubs begonnen. Wir haben ausdrücklich auch
Väter angesprochen. Das Thema Erziehungsurlaub musste aus der Frauenecke
heraus. Die Zahl der Väter, die Erziehungsurlaub nahmen, war zwar sehr
gering. Aber es gab auch damals schon den Wunsch nach einer anderen
Aufteilung von Berufs- und Familienarbeit. Daran haben wir gearbeitet
und uns zusammengetan, um Kommunikationslinien in die Politik und in die
Verbände hinein aufbauen. Den Anfang machte das „Väterexpertennetz“.
Bald kamen auch Themen für Nichtväter dazu. Ein wichtiger Partner war
die evangelische Kirche, die schon lange eine sehr elaborierte
Männerarbeit geleistet hat. 2008 sind wir mit dem
Bundesfamilienministerium in Gespräch gekommen. Dort zeigte man sich
sehr aufgeschlossen, denn einen zentralen Ansprechpartner für die
Belange von Männern gab es nicht. 2010 haben wir mit zunächst zwei
Dutzend Verbänden das Bundesforum Männer gegründet – nicht gegen
irgendjemanden, sondern um Themen von Jungen, Männern und Vätern
gebündelt nach vorne zu bringen.
Personell grenzen Sie sich von Frauenverbänden ab, inhaltlich von
Männerbündnissen mit traditionellen Rollenbildern. Was genau ist Ihr
Markenkern?
Zentral für uns sind Geschlechtergerechtigkeit und Dialog. Es geht
uns um Gleichberechtigung in allen Lebensbereichen. Wir treten in den
Dialog mit denjenigen, die zuständig sind für Gesetzgebung und für
Arbeitsbedingungen. Mit der IG Metall haben wir uns zum Beispiel darüber
auseinandergesetzt, wie sich Arbeitszeiten so gestalten lassen, dass
sie aktive Vaterschaft ermöglichen. Einige unserer Mitgliedsvereine
legen ihren Schwerpunkt auf Gewaltprävention oder Gesundheitsvorsorge.
Die Lebens- und Arbeitsweise von Männern führt dazu, dass sie eine
niedrigere Lebenserwartung haben. Zu vernünftigen Ergebnissen in der
Gleichstellungspolitik kommen wir nur, wenn wir das ganze Leben von
Männern betrachten.
Gehören dem Bundesforum Männer auch Vereine und Organisationen mit traditionellen Männerthemen an?
Wir sind im Gespräch zum Beispiel mit dem Nationalen Olympischen
Komitee und anderen Vereinen. Aber Bedingung für eine Mitgliedschaft bei
uns ist, dass die Interessen von Männern in der eigenen Organisation
thematisiert werden. Es gibt zwar viele große Vereine, in denen
massenhaft Männer organisiert sind, die spezifische Perspektive von
Jungen, Männern und Vätern wird dort aber oft noch nicht adressiert.
Doch es gibt Bewegung. Väter im Fußball, zum Beispiel, ist durchaus ein
Thema.
Klassiker traditioneller Männerarbeit sind Holzhacken oder Reparaturen rund ums Haus. Was ist Ihr Verständnis von Männerarbeit?
Wir arbeiten daran, Geschlechterklischees zu überwinden. Viele Männer
wollen beim Kindergartenfest nicht nur am Grill stehen. Sie möchten
auch fürsorglich sein und als Erziehungspartner akzeptiert werden. Die
gesetzlichen Rahmenbedingungen, etwa das Ehegattensplitting, wirken
jedoch einer partnerschaftlichen Aufteilung der Erwerbs- und
Familienarbeit entgegen. Derartige Fehlanreize führen dazu, dass Männer,
gerade wenn sie Väter geworden sind, nicht das Leben führen können, das
sie eigentlich gerne leben würden.
Die meisten Ihrer Mitgliedsorganisationen kommen aus den Bereichen
Bildung, Gesundheit, Kirche, Arbeit und Soziales. Sind auch Unternehmen
eingebunden?
Mit der „Väter gGmbH“ haben wir ein Mitglied, das sehr aktiv und
erfolgreich Netzwerkarbeit für Väter in Unternehmen betreibt. Die Väter
gGmbh berät bundesweit Unternehmen zum Thema Vereinbarkeit von Beruf und
Familie aus Vätersicht. In verschiedenen Branchen wurden Väternetzwerke
aufgebaut, im Bankenwesen ebenso wie in Mobilfunkunternehmen, in der
Pharmaindustrie und im Handel. Ich würde allerdings vehement der These
widersprechen, dass kleine Betriebe sich mit der Väterarbeit schwerer
tun als Großkonzerne. Aus eigener Erfahrung in Unternehmen verschiedener
Größe kann ich berichten, dass es immer darauf ankommt, die
Vereinbarkeit von Familie und Beruf tatsächlich zu leben und vorzuleben.
Wenn ein Handwerksmeister ein halbes Jahr in Elternzeit geht und
tatsächlich „nur“ 30 Wochenstunden im Betrieb ist, wird sich etwas
verändern.
Sie haben viele Aktive aus dem kirchlichen Bereich. Wie sieht es aus
mit Organisationen anderer Religionsgemeinschaften. Gibt es unter Ihrem
Dach islamische Verbände?
Aktuell liegt uns ein Mitgliedsantrag des Sozialdienstes muslimischer Frauen (SmF) vor . . .
Eines Frauenverbandes?
Ja, der Sozialdienst betreibt auch eine sehr engagierte Väterarbeit.
Einen Sozialdienst muslimischer Männer gibt es bislang nicht. Die
Aufnahme des SmF wäre in der Tat ein Präzedenzfall. Aber in unseren
Mitgliedsverbänden sind nicht ausschließlich Männer tätig. Einige
schicken auch weibliche Delegierte zu unseren Mitgliedsversammlungen.
Ihr Verband empfiehlt sich der Politik aber als Ansprechpartner für
die Anliegen von Männern. Was unterscheidet männer- von
frauenpolitischen Themen?
Die unterschiedliche Perspektive. Im Koalitionsvertrag ist zum
Beispiel vereinbart, dass das Umgangs- und Sorgerecht neu geregelt wird.
Unsere Erwartung war, dass die Interessen von Vätern künftig früher
berücksichtigt werden und unverheiratete Väter nach der
Vaterschaftsanerkennung automatisch sorgeberechtigt sein werden. Danach
sieht es aber nun leider nicht aus. Dabei hatte eine Arbeitsgruppe von
Familienrechtlern diesen Reformschritt empfohlen und überzeugend
dargelegt, dass Kinder von Geburt an Anspruch auf zwei sorgeberechtigte
Eltern haben.
Wo sehen Sie weiteren Handlungsbedarf, wenn es um die Rechte und Interessen von Jungen, Männern und Vätern geht?
Das Feld vor und rund um die Geburt von Kindern muss insgesamt
stärker ins Blickfeld rücken. Denn bereits bei der Geburtsvorbereitung
werden die Weichen gestellt für alles weitere, was man später versucht,
durch Gleichstellungspolitik zu reparieren. Deshalb ist es so wichtig,
Vätern zu diesem frühen Zeitpunkt Angebote zu machen. Noch viel mehr
passieren müsste beim Gewaltschutz. Auch Männer werden Opfer häuslicher
Gewalt. Zumindest im Hellfeld nicht so häufig wie Frauen, aber der
Anteil liegt immerhin bei rund 20 Prozent. Für Männer gibt es jedoch
kaum Schutzräume. Einige Gewaltschutzwohnungen wurden mittlerweile im
Rahmen von Modellprojekten in Bayern und in Nordrhein-Westfalen
eingerichtet. In Sachsen gibt es ebenfalls eine Einrichtung. Aber
insgesamt sind es viel zu wenige. Wir bräuchten auch deutlich mehr
Beratungsstellen für Männer, die häusliche Gewalt erleben. Auf einer
Internetseite haben wir bislang rund 280 Angebote gebündelt, damit
Männer möglichst frühzeitig Hilfe suchen und Krisen überwunden werden
können, ohne dass es zur Trennung kommt.
Ihr Verband arbeitet ja auch mit Frauenorganisationen zusammen. Bei
welchen Themen funktioniert die Kooperation gut und wo gibt es
Differenzen?
Wir haben von Anfang an mit dem Deutschen Frauenrat
zusammengearbeitet. In den allermeisten Fällen klappt das sehr gut. Aber
manchmal haben wir unterschiedliche Perspektiven, etwa im Bereich
Pflege. Mit der Ausgangsthese, Männer würden sich hier nicht engagieren,
erreicht man nichts. Gerade ältere Männer übernehmen häufig
Pflegeverantwortung für ihre Frauen oder Partnerinnen, fast ebenso
häufig wie ältere Frauen. Wenn man erreichen möchte, dass Männer sich
insgesamt mehr in der Pflege engagieren, auch beruflich, sollte man auch
anerkennen, wo sie bereits als Pflegende aktiv sind.
Die Corona-Pandemie gilt als Rückschlag für die
Gleichstellungspolitik. Frauen und Mütter gelten als die Verliererinnen.
Stimmen Sie zu?
Nein, das sehe ich nicht so. Die Corona-Krise wirkt wie ein
Brennglas, das heißt man sieht in besonderer Schärfe, was vorher schon
war. So hat sich in der Pandemie besonders bemerkbar gemacht, dass
überwiegend die Männer Vollzeit arbeiten und die Frauen sehr häufig in
Teilzeit tätig sind, wenn sie Familie haben. Wie sich dieses Modell in
der Corona-Krise auf die Familie ausgewirkt hat, war zum Teil sehr stark
branchenabhängig. Arbeitet der Mann in einem Unternehmen, das
Kurzarbeit anmeldete, blieb er zu Hause. Eine Partnerin, die im
Pflegebereich tätig ist, war beruflich voll eingespannt. Aber nach einer
Umfrage, die das Bundesfamilienministerium in Auftrag gegeben hatte,
ist die Aufteilung bei der Kinderbetreuung in knapp 60 Prozent der
Familien so gut wie gleich geblieben. In rund 20 Prozent der befragten
Familien ging es partnerschaftlicher zu und in weiteren rund 20 Prozent
wurde die Aufteilung ungleicher. Einen großen Trend zur
Retraditionalisierung sehe ich hier nicht. Im Gegenteil: Das familiäre
Engagement der Väter hat in der Corona-Krise stärker zugenommen als in
früheren Jahren, auch wenn Frauen sich insgesamt noch mehr engagieren.
Ihr Verband blickte im November 2020 auf sein zehnjähriges Jubiläum zurück. Was gab es zu feiern?
Unser Verband und unser Einfluss sind deutlich gewachsen. Nicht nur
in Berlin, auch in vielen Bundesländern werden unsere Themen
aufgegriffen. Aber es gibt weiterhin viel zu tun. Die traditionelle
Überzeugung, dass Kinder und Mütter mehr zusammengehören und Väter
zweitrangig sind, ist immer noch da. Vor allem bei den Themen Trennung,
Sorge und Unterhalt sind wir noch lange nicht am Ziel.
Treffen Sie sich mit Ihrem Sohn manchmal zu einem klassischen Männerabend?
Dazu haben wir leider zu selten Gelegenheit gehabt. Seit dem Abitur
vor 13 Jahren ist mein Sohn in der Weltgeschichte unterwegs. Mal
gemeinsam vor dem Fernseher abzuhängen und Bier zu trinken, das wird, in
Zeiten von Corona, in diesem Jahr aber klappen.
Kristin Weber berichtet in der Werra Rundschau über meinen Beitrag zum Internationalen Männertag
„Viele Männer möchten gerne aktive Väter sein. Das heißt, sich Zeit für ihre Familie und die Kindererziehung nehmen, ihre Sozialkompetenz als Familienmanager erweitern, eine liebende und verständnisvolle Partnerschaft führen und zugleich aber auch beruflich erfolgreich sein, erklärt Hans-Georg Nelles, Gründungsmitglied im Väter-Experten-Netz Deutschland und seit der Vereinsgründung 2005 ehrenamtliches Vorstandsmitglied.
Am Internationalen Männertag hatte die
Gleichstellungsbeauftragte des Werra-Meißner-Kreises, Thekla Rotermund-Capar,
zur Konferenz per Video-Stream eingeladen, und Nelles referierte zum Thema
„Aktive Väter– ein Gewinn für Unternehmen und Partnerschaft“.
Der oben genannte Wunschkatalog stelle Herausforderungen an
das Zeitmanagement der Väter –heißt, für all das muss sich ein Vater viel Zeit
nehmen, was viele Männer im Alltag überfordere, erklärte Nelles. Vor allem, da
der Wunsch, sich Zeit für die Familie zu nehmen, mit der Aussicht auf eine berufliche
Karriere immer noch kollidiere.
Im Hinblick auf ein verändertes Rollenbild habe sich heute
zwar schon viel in den Köpfen getan, aber noch nicht genug. Die Grundfrage
laute nach wie vor, wer in der Familie arbeite Teilzeit, wer Vollzeit und wer kümmere
sich um Haushalt und Kinder? Könnten diese Aufgaben partnerschaftlich
aufgeteilt werden?
Nelles beobachtet, dass viele junge Väter heutzutage zwar
bekunden, dass sie aufgeschlossen sind für eine neue Rollenverteilung, sie
wünschten sich eine 35-Stunden-Woche, sie würden gerne mehr als drei Monate
Elternzeit nehmen. Dennoch änderte sich wenig am Verhalten. „Aber das Thema
Vereinbarkeit von Beruf und Familie ist in den Unternehmen angekommen, und es
gilt zunehmend auch für Männer“, sagte Nelles.
Er setzt auf Vorbildfunktion der Unternehmensführung und
versucht Unternehmen nahezubringen, welche Vorteile aktive Väter für ihre
Unternehmenskultur hätten: So könnten im ländlichen Raum Fachkräfte angelockt
werden, indem ihnen gute Bedingungen für die Vereinbarkeit von Beruf und
Familie geboten würden.
Männer, die Väter sind, verfügten außerdem über viel
Sozialkompetenz, da sie Erfahrungen damit hätten, Konflikte zu lösen. Der
Väter-Experte wünschte sich, dass Unternehmen bereits in Stellenanzeigen und
Bewerbungsgesprächen signalisierten, dass diese Kompetenzen erwünscht seien. So
werde das Rollenbild des aktiven Vaters in der Gesellschaft aufgewertet.
Hans-Georg Nelles führt als Beispiel an, dass in der Schweiz
schon jeder sechste Mann in einem Teilzeitjob arbeite. Und dass im weltweiten
Vergleich Unternehmen, bei denen Vaterschaftsurlaub möglich sei, auch
durchschnittlich mehr weibliche Führungskräfte hätten. Allerdings kann man
fragen, an welcher Stelle hier Ursache und Wirkung liegen. „Wir brauchen eine väterbewusste
Familienpolitik und Unternehmenskultur“, forderte der Experte.
Auch Thekla Rotermund-Capar hält fest: „Wenn wir mit den Frauen weiterkommen wollen, müssen wir mehr an den Vätern arbeiten.“ Aber sie zeigte sich nicht grenzenlos optimistisch. „Solange die Erwerbsarbeit im Zentrum unseres Lebens steht, wird sich nicht viel ändern“, sagte sie und plädierte für ein bedingungsloses Grundeinkommen.“
Der Anspruch von Boris an sich selbst ist sehr hoch: Der
zweifache Vater will zu Hause und bei der Arbeit alles geben, „das Beste
aus meinem Leben rausholen“, auch wenn das heißt, dass er in manchen
Nächten nur drei oder vier Stunden schläft.
Das letzte Mal mit einem Freund unterwegs war Boris vor drei
Jahren, erzählt er. Er möchte gerne, dass seine Kinder später von ihm sagen
„dass er ein toller Papa war, der Beste“. Dafür hat Boris seinen
gutbezahlten Posten als Facharbeiter bei einem großen Pharmakonzern gegen einen
Job bei einem Mittelständler getauscht. Er ist jetzt nicht mehr täglich drei
Stunden auf der Autobahn, aber das heißt für die Familie auch: weniger Geld.
Seine Frau geht deswegen wieder arbeiten. Er steht nun um
vier Uhr morgens auf, um am Nachmittag wieder zu Hause zu sein – dann geht
seine Frau arbeiten und er versorgt die beiden Kleinkinder. Das ist ein
täglicher Spagat. Laut Väterreport des Bundesfamilienministeriums fänden es 60
Prozent der Väter ideal, sich den Alltag partnerschaftlich zu teilen,
verwirklicht wird es aber nur von 14 Prozent.
Immer im Hamsterrad, rund um die Uhr funktionieren – 40
Prozent der Väter fühlen sich laut einer Familienstudie der AOK zeitlich
überlastet und 82 Prozent der Kinder zeigen Stresssymptome, so eine Studie der
Uni Bielefeld.
In dieser Studie, deren Ergebnisse sicher auch auf Deutschland und Österreich übertragen werden können, wird (auch) der volkswirtschaftliche Nutzen der Arbeit mit Vätern und Beratungs- und Bildungsangebote für sie dargelegt
Die ersten Lebensjahre eines Kindes sind entscheidend für dessen
weitere Entwicklung. Dasselbe gilt für die Rahmenbedingungen, die diesen
Lebensabschnitt begleiten sollten. Sie sind unerlässlich, um
Chancengerechtigkeit für jedes Kind zu gewährleisten und es in die Lage zu
versetzen, sein Potenzial zu entfalten. Wenn jedes Kind schon vor dem
Schuleintritt in seiner Entwicklung unterstützt wird, unabhängig von seiner familiären
Situation und seinem Hintergrund, dann sind die langfristigen Vorteile gegeben:
für das Kind in Bezug auf Bildung und berufliche Entwicklung, für die Eltern in
Bezug auf den Zugang zum Arbeitsmarkt und das Lohneinkommen und schließlich
auch für den Staat selbst.
Das vorliegende White Paper der Jacobs Foundation ist ein Novum:
Zum ersten Mal wird für die Schweiz aufgezeigt, dass ein Ausbau der
Betreuungsangebote im Frühbereich auch positive Auswirkungen auf die Schweizer
Volkswirtschaft hat. Die Jacobs Foundation hat die diesem White Paper
zugrundeliegende Studie von BAK-Economics und die darin durchgeführten
Simulationen von verschiedenen namhaften Ökonomen und Politikern und
Politikerinnen begleiten lassen, um einen qualitativ hochwertigen Prozess
sicherzustellen.
Diese Studie ist das finale Projekt der Forschungsagenda der Jacobs Foundation, ein wesentliches Element ihrer Strategie 2016––2020 zur Verbesserung der Rahmenbedingungen im Bereich der frühen Kindheit in der Schweiz. Eine Strategie, die sowohl auf die Politik als auch auf die Wirtschaft abzielt, damit in unserem Land eine echte Politik der frühen Kindheit entwickelt werden kann.
Das Leben von Eltern ändert sich mit der Geburt des ersten Kindes schlagartig. Werden sie erwachsener, weil sie neue Verantwortung zu übernehmen haben? Dieser Frage gingen Eva Asselmann und Jule Specht von der Humboldt-Universität zu Berlin nach. Die Psychologinnen werteten Daten von knapp 20.000 Personen aus dem Sozioökonomischen Panel aus, einer bevölkerungsrepräsentativen Langzeitstudie aus Deutschland. Die Forscherinnen untersuchten die fünf Persönlichkeitsmerkmale Offenheit, Geselligkeit, Gewissenhaftigkeit, Verträglichkeit und emotionale Stabilität in den Jahren vor und nach der Geburt des ersten Kindes.
Danach hatten Personen, die weniger offen für neue
Erfahrungen waren sowie extrovertierte Menschen eine höhere Wahrscheinlichkeit,
in den Folgejahren eine Familie zu gründen. Nach der Geburt ihres Kindes waren
Eltern weniger offen und die Geselligkeit (Extraversion) nahm ab. Eine
Erklärung: Mit einem Baby bleibt oft kaum Zeit, um neue Dinge auszuprobieren
oder Freunde zu treffen.
Komplexere Effekte zeigten sich für die anderen
Persönlichkeitsmerkmale Gewissenhaftigkeit, Verträglichkeit und emotionale
Stabilität. Sie waren teilweise vom Alter und Geschlecht der Teilnehmenden
abhängig.
So zeigte die Studie, dass jüngere Eltern im ersten Jahr
nach der Geburt ihres Kindes deutlich gewissenhafter waren als in den Jahren
davor und danach. Späte Eltern dagegen waren nach der Geburt des ersten Kindes
sogar weniger gewissenhaft als zuvor. Eine mögliche Erklärung: Gerade junge
Eltern müssen oft schlagartig Verantwortung übernehmen. Dagegen haben sich
späte Eltern bereits einen sozialen Status erarbeitet, der es ihnen erlaubt,
nach der Familiengründung beruflich kürzer zu treten.
Es sind jedoch weitere Untersuchungen notwendig, um zu prüfen,
durch welche konkreten Veränderungen im Alltag sich die einzelnen Ergebnisse
erklären lassen. Dass die Geburt des ersten Kindes grundsätzlich mit einer
Persönlichkeitsreifung einhergeht, konnte in der Studie nicht bestätigt werden.
Fast eineinhalb Jahre hat eine Arbeitsgruppe von acht
Familienrechtler_innen aus Wissenschaft, Justiz und Anwaltschaft im Auftrag des
Justizministeriums darüber beraten, wie das zuletzt 1998 umfassend geänderte
Sorge- und Umgangsrecht modernen Betreuungsmodellen und geänderten
Lebenswirklichkeiten vieler Familie angepasst werden kann.
Das Ergebnis waren 50 Thesen
und Empfehlungen, die eine grundlegende Reform des geltenden
Kindschaftsrechts bedeuten würden. Manche von ihnen bergen politisches Konfliktpotential.
Eines der Ergebnisse.
Die elterliche Sorge sollte den rechtlichen Eltern eines
Kindes von Anfang an gemeinsam zustehen. Auch unverheiratete Väter, deren
Vaterschaft rechtlich anerkannt ist, sollen künftig mit Geburt des Kindes wie
die Mutter automatisch sorgeberechtigt sein. Bislang bedurfte es hierfür einer
gemeinsamen Sorgeerklärung beider Eltern. Weigerte sich die Mutter, mit dem
Vater das Sorgerecht zu teilen, musste der Vater dann den Weg übers
Familiengericht gehen.
Jetzt wird deutlich, dass es diese Regelung nicht geben
wird. Warum Bundesjustizministerin Lambrecht in einem Interview trotzdem davon
sprach, mit ihrem Vorschlag werde das gemeinsame Sorgerecht von nicht
verheirateten Eltern „erleichtert“, erschließt sich Rechtsanwältin Eva
Becker, Mitglied der Arbeitsgruppe und Vorsitzende des Geschäftsführenden
Ausschusses der Arbeitsgemeinschaft Familienrecht im Deutschen Anwaltsverein,
nicht.
„Auch weiterhin wird es Hürden für unverheiratete Väter
geben, das gemeinsame Sorgerecht zu erlangen. Es ist bedauerlich, dass die Ministerin
nicht der Auffassung der Arbeitsgruppe gefolgt ist. Kinder haben von Geburt an
den Anspruch auf zwei sorgeberechtigte Eltern“. Die Anwältin hatte den
Automatismus beim Sorgerecht mit Etablierung der rechtlichen Elternschaft
seinerzeit als „Leitbild einer geplanten Reform“ bezeichnet. Der Vorschlag
war in der Arbeitsgruppe im BMJV ohne Gegenstimme angenommen worden.
Nach meiner Auffassung ist nicht der ‚Automatismus‘ das Leitbild,
sondern die Rechte des Kindes auf die Sorge durch Vater und Mutter und die
Bedeutung von Vätern für die Entwicklung ihrer Kinder. Die Missachtung des einstimmigen
Votums der Arbeitsgruppe ist ein Skandal ebenso wie die Behauptung der
Ministerin, das Vorhaben orientiere sich am ‚Kindeswohl‘.