Jürgen Haas ist seit vielen Jahren als Koordinator der Väterkindagentur im Bereich der Evangelischen Kirche von Westfalen in der Familienbildung tätig. Ihm ist Vernetzungsarbeit und die Kooperation mit andern für die Belange von Vätern und Kindern sehr wichtig. Als Supervisor, Gestalttherapeut und wissenschaftlicher Referent hat er zahlreiche Zugänge zur Männer- und Väterarbeit und ist selbst leidenschaftlich gerne Vater und Großvater von zwei Töchtern und einem Enkelkind.
Ergänzen Sie bitte den Satz ‚Vater werden ist …‘
… eine wunderbare Herausforderung und ein nachhaltiges Erlebnis.
Welche Eigenschaften fallen ihnen beim Wort ‚Vater‘ ein?
Was sollte Mann beim Vater werden unbedingt beachten?
Nach meiner nun fast 30 jährigen Erfahrung ist es wichtig immer mit dem eigenen Kind empathisch und nachhaltig in Kontakt zu bleiben und dies auch in sogenannten schwierigen Zeiten. Für mich beginnt diese Nähe und die von Verantwortung und Liebe getragene Verbundenheit vor der Geburt und gilt ein Leben lang, durch alle Lebensabschnitte und -phasen meines Kindes, bzw. meiner Kinder. Dieser Kontakt setzt gemeinsame Zeit voraus, für die es wichtig ist zu kämpfen, um konsequent Zeiträume und Zeitfenster zu sichern. Ich finde es wichtig elterliche Verantwortung gemeinsam zu tragen und trotz der Diversität mit Blick auf Einstellungen und Ansichten gemeinsame Wege zu suchen. Diese Grundhaltung sollte ggf. auch über die Partnerschaft hinaus (Stichwort: Trennung) Gültigkeit haben.
Was würde Ihrer Meinung nach Vätern in Zukunft das Vater sein erleichtern?
Die Anerkennung von Care-Aufgaben als wichtigen gesellschaftlichen und nachhaltigen Beitrag und als elementare Voraussetzung für eine partnerschaftliche Aufteilung von Erziehungsverantwortung. In Konsequenz bedeutet dies für mich die Festschreibung und Umsetzung von politischen Maßnahmen und Rahmenbedingungen für eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf und zur finanziellen Absicherung von Familien.
An welches Erlebnis mit Ihrem Vater erinnern Sie sich am liebsten?
Mein Vater war Küchenmeister und hat leidenschaftlich gerne gekocht. An jedem Sonntag hatte ich die Gelegenheit ihm beim Kochen zuzuschauen und ihn dabei zu unterstützen. Es hat mich sehr beeindruckt, wie er mit Gewürzen „jonglieren“ und Geschmacksnuancen komponieren konnte. Das er mich daran teilhaben ließ und mir die Dinge liebevoll und mit viel Geduld erklärte, hat bei mir Spuren und wunderschöne Erinnerungsbilder hinterlassen, an denen ich gerne meine Kindern in Geschichten und Erzählungen teilhaben lasse.
In
deinem Buch beschreibst du, dass viele Kinder ihre Väter als abwesend
wahrnehmen, immer noch. Was hindert denn die Väter daran, präsenter zu sein in
ihren Familien?
Mich
hat das erst mal überrascht, dass Kinder immer noch sagen, dass ihre Mütter
viel präsenter sind als die Väter, weil wir davon ausgehen, dass sich in
Familien sehr viel getan hat. Und was Väter wirklich daran hindert, sich mehr
zu beteiligen, sind die langen Arbeitszeiten. Das zeigen alle Studien, alle
Analysen ganz klar, dass die Vollzeitnorm von 40 Stunden Vätern die Zeit in der
Familie nimmt. Dann kommen oft noch Pendelwege dazu. Väter haben oft
Arbeitsorte, die länger entfernt sind. Und das ist im Alltag dann ganz wenig
Zeit. Also, Arbeitszeit ist eine der großen Stellschrauben und Vätern sollte
eben bewusst sein, die Kinder nehmen. Das war heute immer noch. Ja.
Was
können denn Väter gewinnen, wenn sie mehr Carearbeiten in den Familien
übernehmen?
Jeder
Vater, der sich ganz viel in die Familie einbringt, erlebt das eigentlich. Also
am besten mal Väter fragen, die lange in Elternzeit waren oder Teilzeit
arbeiten. Das entspricht auch eigentlich den Wünschen vieler Vätern, ja, ganz
aktiv Vater zu sein, viel Zeit mit den Kindern zu haben. Und diejenigen, die es
erleben, die vielleicht jetzt schon in Teilzeit arbeiten, die sagen auch, sie
wollen nie wieder dahin zurück, wo sie vorher waren, weil der große Wunsch von
den meisten Vätern ist, eben auch eine starke emotionale Bindung an die Kinder.
Vorbild sein können und das kann man nur, wenn man im Alltag präsent ist. Und
Väter leiden gerade oftmals zwischen der Zerrissenheit von den beruflichen
Ansprüchen und wie sie als Vater eigentlich leben wollen. Und das in Einklang
zu bringen, darum geht es und dann fühlt man sich auch wohl da in der eigenen
Vaterrolle.
Was
können wir denn noch an den Strukturen drehen, damit wir den Vätern die
Anwesenheit in den Familien erleichtern können?
Was
ich empfehlen würde, ist, dass sich Paare, heterosexuelle Paare, wirklich
frühzeitig damit auseinandersetzen, wie sie leben wollen und ganz, ganz offen
darüber sprechen. Das findet oftmals nicht statt und dann werden wir in alte
Rollen gedrängt, in denen wir eigentlich gar nicht leben wollen. Und das
wirklich früh zu planen, vielleicht auch zu sagen, wir machen materielle
Einschnitte, weil wir beide in Teilzeit arbeiten wollen, aber dann so Eltern
sein können, wie wir es wirklich wollen, das ist ganz, ganz wichtig. Und was
ich Vätern auch empfehlen würde, wäre sich untereinander zu vernetzen, zu
solidarisieren und immer zu sagen, wenn ich hier in meinem Unternehmen den Weg
ebne für Familienfreundlichkeit auch für Väter, dann haben ganz viele andere
Väter was davon. Also diese solidarische Ebene, politisch auch etwas zu
verändern, das ist ganz wichtig.
Zum
Schluss, was ist dein Appell an Väter?
Traut
euch, in den Familien präsent zu sein, wirklich von Anfang an. Gönnt euch die
Zeit. Macht euch ganz klar, wie ihr Vater sein wollt, wie ihr Familie leben
wollt. Und seid dann auch mutig, dass es etwas unbequem sein kann, dass es
bedeuten kann, beruflich zu reduzieren. Aber redet auch mit anderen Vätern, wie
sie es wahrgenommen haben. Redet unbedingt mit Vätern, die lange in Elternzeit
waren, die jetzt Teilzeit arbeiten und macht euch gegenseitig Mut. Und traut
euch eben, Pioniere zu sein. Es wird euch und eure Kinder stärken.
Das
Interview hat Martina Züger am Rande des VäterSummits am 26. August geführt.
Christoph, du hast deine Dissertation zum Thema ‚Väter und
familiäre Gewalt‘ geschrieben. In der politischen Diskussion wird der Begriff
‚häusliche Gewalt‘ verwendet. Ist damit das Gleiche gemeint?
Nein, der Begriff „häusliche Gewalt“ ist mittlerweile eigentlich
sehr etabliert, auch über verschiedene Bereiche hinweg. Also die soziale Arbeit
oder auch die Strafverfolgung und Polizei, und beschreibt Gewalt ja eigentlich
zwischen erwachsenen Menschen, die in einer Beziehung leben oder in einer
intimen Partnerschaft, und ist dadurch sehr spezifisch wirklich auf diesen
Bereich Partnerschaftsgewalt zugeschnitten.
Der Begriff „familiäre Gewalt“ ist dagegen ein bisschen breiter und spezifischer, auch leicht antiquierter. War für meine Dissertation aber sehr passend, weil er eigentlich so alle Formen von Gewalt, die es in Familien gibt, ja, weil er diese beschreibt. Also Gewalt zwischen den Eltern, auch Gewalt gegenüber Kindern. Und meine Dissertation beschreibt genau diese Überschneidungen von letztlich Partnerschaftsgewalt und Kindesmisshandlung.
In der Vergangenheit ist häufig ‚Väter sind Täter‘ gereimt worden.
Was sind die Faktoren, die dazu beitragen, dass Männer zu Tätern und Frauen zu
Täterinnen werden?
Also mein Eindruck ist schon, dass es da sehr viele
Geschlechtsstereotype gibt, die so im Hintergrund eine Rolle spielen. Also dass
man bei Männern eher davon ausgeht, dass sie durchsetzungsstark sind, damit
auch zu Gewalt neigen, während Frauen eher, fürsorglicher sind und solche
Dinge. Dass das implizit so eine Rolle bei der Thematik spielt und auch bei
diesen Zuschreibungen.
Und wir wissen in der Tat auch, es gibt deutliche Anzeichen,
zumindest bei schweren Formen von Gewalt, sowohl in der Partnerschaft als auch
gegenüber Kindern, dass dort Väter häufiger die Täter sind. Das heißt aber
nicht, dass das generell so ist. Auch bei leichteren Formen, also
beispielsweise bei körperlicher Disziplinierung von Kindern, wissen wir, dass
sogar Mütter gleichermaßen oder teilweise sogar stärker aktiv sind.
Letztlich hilft uns das aber relativ wenig, weil es ja eigentlich,
mir zumindest, nicht darum geht aufzurechnen wer da jetzt irgendwie
gewalttätiger ist. Und zu den Ursachen muss man sagen, wissen wir noch gar
nicht so viel über geschlechtsspezifische Zuschreibungen. Gibt es
wahrscheinlich auch nicht.
Es gibt sehr viele Rahmenbedingungen, die in dem Bereich eine
Rolle spielen. Sogenannte Risikofaktoren, also soziale Problemlagen,
Hintergrund der Familie. Wir wissen bei Vätern aber insbesondere, dass alles
eine Rolle spielt, was dazu führt, dass Väter in der Lage sind, sich in andere
Menschen hineinzuversetzen. Also wie gut sind sie in der Lage, andere Menschen
zu verstehen? Also ihre Partnerin zu verstehen, die Kinder zu verstehen und
auch deren Situation zu verstehen. Bei Müttern gibt es, bei
Kindesmisshandlungen zumindest, Anzeichen, dass da noch stärker auch Dinge wie
Stress oder auch wie Depressionen eine Rolle spielen können. Das gilt natürlich
für beide Geschlechter, das sind so grob gesagt Punkte, die eine Rolle spielen.
In einer Familie leben häufig auch Kinder, welche Zusammenhänge
zwischen der Partnerschaftsgewalt und möglichen Kindesmisshandlungen gibt es?
Partnergewalt ist eigentlich, das wissen wir aus ganz vielen Studien, ein Indikator dafür, dass es auch ganz viele andere Problemlagen in der Familie gibt. Und unter anderem eben auch Kindesmisshandlungen. In der Forschung spricht man dann davon, dass es ein Mediator ist. Das heißt, sobald Partnerschaft vorliegt, erhöht sich auch die Wahrscheinlichkeit, dass es Gewalt gegenüber Kindern gibt. Das lässt sich nicht generalisieren. Das gilt auch nicht für alle Bereiche. Wir wissen, dass es bei Vätern Überschneidungen in dem Bereich gibt. Und wir wissen auch, dass wir diesen ganzen Komplex eigentlich sehr viel systemischer betrachten müssen, also zwischen Vätern, Müttern und Kindern.
Holger, du hast bei der Fachtagung der LAG Väterarbeit in
NRW im November die Dialogrunde und den Workshop im Themenfeld
‚Gleichberechtigung und Beteiligung‘ moderiert. Eine der Visionen die in der Dialogrunde
formuliert wurde lautet: ‚Familienarbeit aus der Tabuzone holen‘. Was ist damit
gemeint?
Im gesellschaftlichen Kontext gehen wir vom Idealbild der
heilen Familie aus, ein Ort von Liebe und Geborgenheit. Treten Probleme und
Herausforderungen auf, werden diese schnell individualisiert und stehen in
Verantwortung der Eltern. Dann gibt es Aussagen wie: „Die Eltern sind
überfordert sie sollen sich doch Hilfe holen.“ Im unternehmerischen Kontext
soll Familienarbeit idealerweise funktionieren und nicht den Arbeitsprozess
stören.
Schlaflose Nächte bei zahnenden Kindern, Erkrankungen, neue
Lebensabschnitte oder auch die Zeit der Pubertät sind jedoch ganz normale
Familienthemen, die in der Regel viel Kraft und elterliche Aufmerksamkeit
benötigen. Konkret geht es darum, dass Kolleginnen nicht ausgegrenzt und
belächelt werden, wenn sie aufgrund von Aufgaben mit und für die Kinder eher
gehen müssen oder die familiären Themen über berufliche Aufgaben stellen.
Ebenso sind Themen wie Allein- bzw. Getrennterziehende oder
Trennung keine, mit denen man im Arbeitsalltag oder auch im Freundeskreis
punkten kann, wenn Familie und Familienarbeit zur besonderen Herausforderung
wird. Unsere Gesellschaft verweist lieber an individuelle
Unterstützungsangebote, als dass strukturelle Veränderungen angedacht und auf
den Weg gebracht werden.
Nicht zuletzt gehört Familien- und Care-Arbeit nach wie vor
zu den unentgeltlichen Leistungen, die für eine Gesellschaft zwar unabdingbar
sind, aber eben nicht finanziert und entsprechend anerkannt werden. Nicht
zuletzt sehen wir im Umgang mit Familien während der Pandemie, dass zwar
Trostpflaster verabreicht werden, wie einmalige Zahlungen, aber dass wir viel
mehr über Wirtschaft und Finanzen berichten, als dass die herausfordernde
Familien- und Sorgearbeit in den Mittelpunkt gerückt werden. Ebenso ist das
Lohngefälle ein Ausdruck dafür, welchen Wert Sorgearbeit in unserer
Gesellschaft hat und wie selbstverständlich sie in diesem Lohngefälle gegenüber
produzierendem Gewerbe gehalten wird.
Warum ist es wichtig, Männer und Väter von Anfang an als
Akteure im Gleichstellungsprozess zu adressieren und einzubeziehen?
Weil Gleichstellung nur im Miteinander und im für einander
Einstehen gelingen kann. Equal Pay und Equal Care sind Aufgaben, die längerfristig
Müttern wie Vätern zugutekommen. Rollenklischees entwickeln sich, sobald wir
auf die Welt kommen und prägen unsere Gesellschaft nachhaltig. Wenn wir daran
etwas ändern wollen, dann müssen wir an individuellen Einstellungen etwas
verändern und bei den frühen Sozialisationsinstanzen starten. Kinder müssen
erleben können, dass Väter im Alltag anwesend sind und sich ebenso um Kinder
kümmern, wie sie ihre bezahlte Arbeit meistern. So braucht es in allen
Lebensbereichen männliche Vorbilder, die ein gleichberechtigtes Leben ohne
Rollenzuschreibungen anstreben oder bereits realisiert haben. Und hierfür
braucht es Männer und Väter die dies auch leben wollen, also davon überzeugt
sind, dass dies für sie und für die nachfolgende Generation ein guter Weg ist,
Gesellschaft zu gestalten. Oft erleben heute Männer Gleichstellung als
Beschneidung von Möglichkeiten, als Zurechtweisen und defizitär. Dabei gilt es
das Augenmerk darauf zu legen, was Männer und Väter von diesem Prozess ganz
individuell und im Zusammenleben mit Frauen und Müttern davon haben.
Welche Vorteile bringt das für Väter und die Beziehung zu
ihren Kindern?
Es bringt Stabilität für die Beziehung, wenn Väter nicht nur
im Spaßbereich erlebt werden, sondern auch zeigen dass sie im Carebereich fit
sind. Viele Väter, die Elternzeit genommen haben, berichten davon, dass sie
später eine gute Beziehung zu ihren Kindern haben. Zum einen ist dies natürlich
in der Begleitung im Aufwachsen der Kinder eine wichtige Ressource. Aber ich
denke zudem ist es eine wichtige Energiequelle für Väter selbst, wenn sie am
Werden ihrer Kinder beteiligt sind und durch Beziehung zu ihnen gestärkt und
getragen werden. Nicht zuletzt verhindert es soziale Isolation, insbesondere in
Krisen & Konfliktsituationen.
Welche Stolpersteine und Widerstände gilt es dabei
unbedingt zu beachten?
Väter sind, wenn es um Familien- und Carearbeit geht, in
einem für sie noch relativ neuen Lebensbereich unterwegs. Es fehlt an
Erfahrungen und Angeboten. Häufig bekommen sie direkt oder durch die Blume
gesagt, dass die Mütter hier die bessere Arbeit leisten. Als Beispiel sei ein
Vater genannt, der in der Familienberatung bei der Umgangsgestaltung danach
gefragt wurde, ob er für seine Kinder sorgen könne. Dieser Vater hatte ein Jahr
Elternzeit genommen. Als er die Frage bejahte, kam die nächste Rückfrage, was
er denn für seine Kinder koche? Diese subtilen Kontrollfragen sind verunsichern
Väter zusätzlich und zeigen ein fehlendes Zutrauen. Väter brauchen jedoch
offene und vertrauensvolle Rahmenbedingungen, um sich noch mehr in den Care-
und Sorgebereich einzubringen.
Wahrscheinlich stehen sich jedoch die Männer im
Gleichstellungsprozess am meisten selbst im Weg, wird das Thema
Gleichberechtigung mit „schwach sein“ verknüpft und innerlich abgewertet. Auf
der anderen Seite braucht es natürlich auch Mütter und Frauen, die
Veränderungen aushalten, insbesondere, wenn sie nicht nach ihren Ideen
umgesetzt werden. Wichtig ist dabei, dass ein Austausch miteinander stattfindet
und mögliche Stolpersteine gemeinsam aus dem Weg geräumt werden können.
Nicht zuletzt ist es Aufgabe der Politik, den
gesellschaftlichen Umdenkprozess zu forcieren und zu unterstützen. Väter und
Männer aktiv hierzu einzuladen und dafür strukturelle Rahmenbedingungen zu
schaffen.
Was sind deiner Meinung nach die ersten drei Schritte auf
dem Weg hin zu einer ‚echten‘ Gleichberechtigung in den Sphären Erwerbs- und
Carearbeit?
Die Rahmenbedingungen dafür zu schaffen, dass Männer nicht
mit dem Gedanken des Familienernährers aufwachsen, also als hauptverantwortlich
in die Erwerbsarbeit gedrängt werden und dass Vereinbarkeit von Familie und
Beruf aktiv von Unternehmen angesprochen und Vätern Mut gemacht wird, sich
auszuprobieren, den Bereich von Sorgearbeit zu entdecken und sich selbst zu
zeigen.
Themen, wie Vereinbarkeit von Familie und Beruf müssen auf
Männer und Väter direkt zugeschnitten werden, auch wenn es dieselben Inhalte
betrifft. Solange wir in traditionellen Rollenvorstellungen verhaftet sind,
braucht es aktive und manchmal provokative Anstöße zum Umdenken.
Role-Model-Kampagnen können dabei positive Denkanstöße liefern und eine
Vielfalt aufzeigen, die ganz unterschiedliche Väter anspricht.
Frauen in den Vorstandsetagen sind dabei ebenso wichtig, wie
Väter in einer Elternzeit von sieben Monaten und mehr. Die Elternzeit- und
Elterngeldreform 2007 hat gezeigt, dass strukturelle Anreize Veränderungen
wunderbar beschleunigen können. Hier kann Politik entsprechend unterstützend
wirken.
Holger
Strenz ist Vater von 2 Töchtern, Sozialpädagoge, Systemischer Paar- und
Familientherapeut. Er ergründet, untersucht und beforscht das männliche
Geschlecht seit über 25 Jahren und versteht sich als Netzwerker, der mit
Papaseiten.de Väterarbeit in Dresden und in Sachsen einen Weg bahnt. Seit über
15 Jahren geschieht dies innerhalb der Gleichstellungsarbeit. Er ist Mitglied
der Fachgruppe Väter im Bundesforum Männer und im Väterexpertennetz Deutschland
e.V. Aktuell koordiniert er die Kampagne zur Petition „10 Tage
Vaterschaftsfreistellung* zur Geburt“.
Die Landesarbeitsgemeinschaft Väterarbeit in NRW
veranstaltet am 16. November eine Online Tagung mit der Überschrift ‚Lockdown
als Chance?. Was ist damit gemeint?
Im Rückblick auf das Frühjahr 2020 und den Beginn des Jahres
2021 kommen uns zunächst die Einschränkungen und Schließungen von Schulen und
Kindertagesstätten in den Sinn, die zu großen Mehrbelastungen in Familien
geführt haben. Corona hat dabei wie ein Brennglas gewirkt und an vielen Stellen
deutlich gemacht, was gut läuft und was nicht.
Wir wollen mit dieser Tagung noch einmal die Lupe darauf richten, was ‚gut‘
gelaufen ist, welche Erfahrungen Väter gemacht haben, die sich, zu Beginn
vielleicht unfreiwillig, in Familie engagiert haben und welche Wirkungen diese
Erlebnisse auf ihr Vatersein haben.
Und der Titel der Tagung hat ja noch einen zweiten Teil: ‚Weichenstellungen für
mehr väterliches Engagement‘. Es wird darum gehen, Konsequenzen aus diesen
‚Learnings‘ zu ziehen und zu schauen, wo strukturelle Hindernisse beseitigt
werden können um dieses Engagement auf Dauer sicher zu stellen und mehr Vätern
das zu ermöglichen, was sie wollen, sich gleichermaßen in Familie und Beruf zu
engagieren und in beiden Sphären erfolgreich zu sein
Was erwartet die Teilnehmenden am 16. November konkret?
Am Vormittag wird es zunächst zwei Beiträge geben: David
Juncke von der Prognos AG wird zunächst aktuelle Zahlen und Fakten aus dem
gerade veröffentlichten Väterreport vorstellen, Anne Buschmeyer vom Deutschen
Jugend Institut wird diese ‚Fakten‘ mit Ergebnissen aus qualitativen Interviews
mit Vätern, die sie 2020 und 21 geführt hat, ergänzen. Anschließend diskutieren
die beiden gemeinsam mit einem Elternpaar, das sich schon vor der Pandemie
Erwerbs- und Familienarbeit partnerschaftlich aufgeteilt haben, deren Auswirkungen
auf Väter und Mütter.
Am Nachmittag geht es dann in einer ersten Runde um Ideen und Visionen für die
Gestaltung von entscheidenden Lebenssituationen von Vätern. Als
Impulsgeber:innen haben wir Autor:innen gewonnen, die sich intensiv mit dem
jeweiligen Thema auseinandergesetzt haben.
In einer zweiten Runde geht es dann darum, aus den Ideen konkrete
Weichenstellungen für mehr väterliches Engagement abzuleiten und die Schritte
zu ihrer Verwirklichung zu definieren.
Welche Konsequenzen werden die Ergebnisse der Tagung
haben?
Als Ergebnis der Fachtagung werden wir für die Bereiche: ‚Geburt
& Gesundheit‘, ‚Bildung & Erziehung‘, ‚Recht & Beratung‘, ‚Erwerbs-
& Care Arbeit‘ sowie ‚Gleichberechtigung & Beteiligung‘ konkrete Ansätze
für mehr väterliches Engagement haben. Diese ermöglichen Vätern und Müttern, denjenigen
die sie begleiten und beraten vor allem aber denjenigen, die Rahmenbedingungen
(mit-) gestalten, vermeintliche Sachzwänge und andere Faktoren, die nicht zu
den ‚erwünschten‘ Zielen führen, zu korrigieren und Weichen anders zu stellen.
Wir als Landesarbeitsgemeinschaft sind vor fünf Jahren unter anderem
angetreten, Vätern Wege in die Familie zu erleichtern. Wir werden diese
Ergebnisse für unsere Lobbyarbeit nutzen, im kommenden Jahr sind ja auch
Landtagswahlen in NRW. Darüber hinaus werden wir die konkreten Vorschläge auch
im fachlichen Austausch mit anderen Verbänden und Institutionen zur
Verbesserung der Arbeit mit Vätern nutzen.
Für die Teilnahme an der Tagung
werden keine Kosten erhoben, eine Anmeldung ist hier möglich:
Birk Grüling, Autor von ‚Eltern
als Team – Ideen eines Vaters für gelebte Vereinbarkeit‘ im Gespräch mit der
LAG Väterarbeit in NRW
Was war der Anlass für dich,
den Ratgeber zu schreiben?
Sowohl privat als auch als Journalist habe
ich mich in den letzten Jahren sehr viel mit dem Thema Vereinbarkeit
auseinandergesetzt und damit auch mit der Frage, wie ich eigentlich arbeiten
und wie viel Zeit ich für die Familie haben will. Ein ganz wichtiger Moment in
diesem Zusammenhang war der Tod meines eigenen Vaters in der Schwangerschaft
meiner Frau. Das hat mich sehr zum Grübeln gebracht. Mein Vater hat immer viel
gearbeitet und wenig auf seine Gesundheit geachtet, am Ende hat er dadurch
seinen Enkel verpasst. Und als Journalist habe ich das Privileg, meinen eigenen
Fragen auch noch beruflich nachzugehen. So entstanden aus der privaten Suche
nach meiner eigenen Vater-Rolle viele Texte und irgendwann dieses Buch. In dem
Buch erzähle ich aber nicht nur von mir, sondern stelle Menschen und ihre
tollen Ideen zu den ganz verschiedenen Aspekten von Vereinbarkeit vor. Ein
Patent-Rezept entsteht daraus zwar nicht, aber viele spannende Impulse wie ich
finde.
Zu Beginn des Buchs schreibst
du „Vereinbarkeit ist nicht unmöglich“. Mir kommen da zwei Titel, vor 6 Jahren
auch von Journalist:innen geschrieben, in den Kopf. Nämlich: „Geht alles gar
nicht“ von Marc Brost und Heinrich Wefing und „Die Alles ist möglich-Lüge:
Wieso Familie und Beruf nicht zu vereinbaren sind“ von Susanne Garsoffky und
Britta Sembach. Was entgegnest du Ihnen aus heutiger Perspektive?
Ich habe beide Bücher nicht
gelesen und kann zu ihnen auch wenig sagen. Allerdings bin ich ein großer Fan
von konstruktivem Journalismus. Also Probleme benennen und Lösungen suchen,
statt einfach nur zu jammern und die Flinte in Korn zu werfen. Und ja, es gibt
sehr viele Probleme – von fehlenden Betreuungsplätzen bis zu alles anderes als
familienfreundlichen Arbeitsmodellen. Aber das bedeutet doch nicht, dass ich das
Thema Vereinbarkeit für mich abharken und alles so mache wie unsere
Eltern-Generation. Es muss doch etwas zwischen Hausmann und 60 Stunden Wochen
Karrieremann geben.
Eine große Rolle spielt für dich die Vorbereitung auf das
Elternsein. Du sprichst da von der Entwicklung einer „Familienvision“. Wie
können sich Väter auf das Vatersein vorbereiten und auf welche „Rolemodels“ und
Unterstützung können sie dabei zurückgreifen?
Ich glaube, der wichtigste
Schritt ist die bewusste Auseinandersetzung mit den wichtigen Fragen der
Vaterrolle. Also sehe ich mich eher als Ernährer und „Wochenendpapa“ oder will
ich wirklich in Teilzeit arbeiten und kann ich mir dabei sogar vorstellen auf
bestimmte Symbole zu verzichten. Ich habe das Gefühl, dass selbst vorher
gleichberechtigte Paare ganz schnell in „traditionelle“ Rollenbilder
abrutschen, einfach weil sie diese nie richtig hinterfragt haben. Und daraus
entstehen oft Konflikte. Im Babykurs meiner Frau beschwerten sich zum Beispiel unzählige
Mütter darüber, dass ihre Männer doch gar nicht so engagierte Papas waren, wie
der Generation der „Neuen Väter“ gemeinhin nachgesagt wird. Und ich kann sagen:
Konflikte über unausgesprochene Erwartungen klärt man lieber im Vorfeld, als
völlig übermüdet und genervt mit zahnendem Baby auf dem Arm. Deshalb würde ich
jedem raten, sich mit seiner zukünftigen Rolle auszusetzen und ruhig mal mit
anderen Vätern und natürlich mit der eigenen Partnerin darüber zu sprechen. Und
wenn ich die Rolemodels vielleicht nicht im eigenen Freundeskreis findet, kann
ich sie mir im Internet suchen und mit ihnen in Kontakt treten.
Im Zusammenhang mit der
Elternzeit schreibst du: „Noch nie standen die Chancen besser, mit alten Werten
zu brechen, der Last des alleinigen Ernährers zu entfliehen und die eigene
Vaterrolle neu und anders zu gestalten.“ Die Elternzeit gibt es ja schon seit
14 Jahren, woher rührt dein Optimismus?
Ist das wirklich optimistisch? Im
Vergleich zu allen Väter-Generationen vor uns haben wir fürstliche Möglichkeiten.
Gleichzeitig nutzen wir sie nicht genug und rutschen immer noch viel zu oft in
Rollenbilder aus den 50er Jahren. Deshalb muss es noch mehr Druck zur
Gleichberechtigung geben – zum Beispiel könnten Mütter und Väter, die
gleichberechtigt in Elternzeit gehen, mehr Geld bekommen oder sogar eine
„Pflicht“ zur Gleichberechtigung eingeführt werden, jedenfalls wenn man
Elterngeld bekommen möchte. Ich bin also eher enttäuscht darüber, dass wir
Eltern immer noch zu wenig aus den Chancen machen, bin aber froh, dass es sie überhaupt
gibt – auch wenn bei ihnen durchaus Nachholbedarf besteht.
Welche Rolle spielen dabei die letzten 14 Monate mit
Corona?
Corona ist ein komplexes Thema –
einerseits haben wir gespürt, dass zuhause arbeiten deutlich besser
funktioniert und daraus könnte eine deutlich rasantere Flexibilisierung der
Arbeitswelt entstehen. Auch manche Väter haben sich nun stärker in die
Care-Arbeit eingebracht und damit einen Wertewandel durchlaufen. Andererseits
hat die Pandemie auch gezeigt, wie groß die Probleme in diesem Land sind – zum
Beispiel, dass die Belange von Familie politisch nichts wert sind oder das auch
Bildung keine so große Rolle spielte wie die Belange von Industrie und
Wirtschaft. Und wir haben erlebt, dass am Ende in vielen Familien die Mütter
die Last der Pandemie tragen und die Väter selbst im Homeoffice gut auf
Tauchstation gehen können. Am Ende sehe
ich die Pandemie aber durchaus als Chance für Veränderungen. Jedenfalls kann
man jetzt die Probleme und die Versäumnisse nicht mehr klein oder schön reden.
Ein Thema, das sich wie ein roter
Faden durch das Buch zieht, ist die Erwerbsarbeitszeit bzw. die „30 Stunden
Woche“ als neue Vollzeit. Warum ist die Möglichkeit einer Reduzierung der
Erwerbsarbeitszeit für Väter so wichtig?
Ich hole mal
etwas theoretisch aus. Forscher der Oxford University kamen in einer Studie zum
Schluss, dass in den USA 47 Prozent aller Arbeitsplätze in den nächsten ein bis
zwei Jahrzehnten bedroht sind. In
Deutschland sieht es ähnlich aus. Wir müssen uns also schon heute Gedanken
machen, wie wir bald weniger vorhandene Arbeit besser verteilen können. Und ich
halte dabei die 30 Stunden Woche für ein tolles Modell. Die Zeit reicht aus, um
Arbeit zu gestalten und auch „Karriere“ zu machen. Auf der anderen Seite bleibt
so deutlich mehr Platz für die Familie oder das Privatleben. Außerdem ließe
sich die Arbeit besser und gerechter verteilen. Dadurch das auch sehr
hochqualifizierte Mütter oft nur geringen Umfang arbeiten, geht Unternehmen
viel Wissen und Knowhow verloren. Kurzum: Die 30-Stunden Woche wäre geeignet,
um die „Work-Life-Balance“ zu verbessern und mehr Gleichberechtigung zu
schaffen. Allerdings darf das nicht eine Akademiker-Geschichte bleiben. Auch in
der Pflege oder im Einzelhandel muss eine 30 Stunden Woche so gut bezahlt sein,
dass ich davon meinen Lebensunterhalt bestreiten kann. Und davon sind wir
leider oft noch etwas entfernt.
Der Begriff des „Mental Load“
wird ja im Kontext von partnerschaftlicher Arbeitsteilung von vielen angeführt.
Du schreibst in dem Abschnitt „Wir müssen über Geld reden“ von einem „Financial
Load“, sind das zwei Seiten einer Medaille?
Ich glaube, 1 zu 1 übertragbar
sind die beiden Dinge nicht. Aber die (fast) alleinige Last des
Familienernährers ist für mich ein wichtiges Thema, über das zu wenig
besprochen wird. Dieses Modell ist nämlich immens gefährlich und sehr
belastend. Dem Alleinernährer darf nichts passieren, von seinem Gehalt lebt die
Familie. Kommt es doch zu einem Unfall oder einer schweren Erkrankung, wird es
richtig schwer für die Familie – nicht nur emotional, sondern auch finanziell.
Von den negativen Auswirkungen auf die Rentenansprüche der Frau ganz zu
schweigen – Kinder groß zu ziehen, ist ein großes Armutsrisiko im Alter.
Deshalb müssen wir dringend auch die „Last“ der Erwerbsarbeit besser verteilen
und dazu gehört auch die Überwindung des Gender Pay Gaps. Und wir Väter
gewinnen dabei nur: Wir müssen weniger arbeiten, müssen uns weniger Sorgen
machen, ob das Gehalt für alle wohl reicht und haben noch mehr Zeit für die
Kinder. Achja, Paare, die gleichberechtigt arbeiten, haben auch noch ein
deutlich höheres Familieneinkommen als Alleinernährer.
„Vereinbarkeit ist kein Sprint
sondern ein Marathon“ steht auf einer der letzten Seiten deines Buchs. Was
müssen Väter in jedem Fall beachten, damit sie die „Strecke“ durchhalten?
Familienleben ist hoch dynamisch.
Ständig tauchen neue Herausforderungen auf. Geschwister werden geboren,
Arbeitszeiten verändern sich, die Schulzeit beginnt, auch unvorhersehbare Dinge
wie Krankheiten bringen alte Routinen durcheinander. Deshalb muss ich auch in
Sachen Vereinbarkeit ständig nachjustieren und immer wieder neue Wege und
Lösungen suchen. Denn alles was gestern noch reibungslos klappte, kann morgen
schon völlig unpassend sein. Deshalb ist es wichtig, im Gespräch zu bleiben und
sich auch als Eltern-Team regelmäßig zu fragen, ob die vor zwei Monaten oder
zwei Jahren getroffenen Entscheidungen noch heute passen oder ob gegengesteuert
werden muss. Das ist glaube ich das wichtigste Rezept beim Durchhalten. Am Ende
müssen einfach alle Beteiligten zufrieden sein.