Eine 14-tägige Vater- bzw. Partner*schaftsfreistellung ist
Bestandteil der 2019 verabschiedeten Vereinbarkeitsrichtlinie der EU, stand bei
allen Ampelparteien in den Wahlprogrammen und ist Bestandteil des
Koalitionsvertrags. Das in der EU-Richtlinie verbindlich festgelegte Datum für
die Umsetzung war August 2022. Dies hat die Bundesfamilienministerin Lisa Paus
verstreichen lassen. Ende November erklärte sie: Die zweiwöchige Freistellung
nach der Geburt komme nicht mehr in diesem Jahr, aber 2024. Die wirtschaftliche
Lage sei derzeit schwierig, vor allem für kleine und mittlere Unternehmen. „Deshalb
möchte ich dieses wichtige Vorhaben im nächsten Jahr aufs Gleis setzen.“
Anfang Januar ist zu lesen, die Familienministerin rechne
mit Blick auf die Einführung einer zweiwöchigen, bezahlten Väterauszeit mit
Akzeptanz aufseiten der Arbeitgeber. „Ich gehe davon aus, dass die
Partnerfreistellung von den Unternehmen angenommen wird“, sagte Paus der
Deutschen Presse-Agentur. Die Unternehmen würden sich jetzt schon „große
Gedanken“ um die Vereinbarkeit von Familie und Beruf machen – gerade auch „in
einer Zeit des Fachkräftemangels.“
Diese Erwartung hat sie auch vor dem Hintergrund einer vom
BMFSJ in Auftrag gegebenen und kurz vor Weihnachten veröffentlichten Studie
geäußert. Dort heißt es unter anderem: Für Väter ist eine gelingende
Vereinbarkeit von Familie und Beruf ein sehr wichtiges Anliegen. Deutlich wird
das durch die Bereitschaft der Väter, ihre Arbeitsstelle zu wechseln. Rund
450.000 Väter in Deutschland haben schon einmal den Arbeitgeber zugunsten einer
besseren Vereinbarkeit gewechselt. Und mehr als 1,7 Millionen Väter denken
darüber häufig oder zumindest manchmal nach. Diese hohe Wechselbereitschaft ist
gerade in den aktuellen Zeiten des Fachkräftemangels ein großes
Unternehmensrisiko.
Da müssten doch eigentlich bei Unternehmen die Alarmglocken
läuten und die Vaterschaftsfreistellung, schon vorab auf freiwilliger Basis als
Instrument zur Steigerung der Arbeitgeber*attraktivität, ein Mittel der Wahl
sein. Aber denkste …
Quasi als Antwort auf die Äußerungen der Ministerin
gegenüber dpa veröffentlicht die FAZ einen Kommentar von Heike Göbel in dem sie
das Engagement von Vätern als ‚Freizeit‘ diffamiert. „Paus beruft sich auf eine
EU-Vorgabe, doch diese würde Deutschland mit seinen ohnehin reichlichen
Urlaubs- und Freistellungsregeln so wieder mal übererfüllen. Die Kritik der
Wirtschaft perlt an Paus ab. Sie gehe davon aus, dass die „Partnerfreistellung
von den Unternehmen angenommen werde“, ließ sie jetzt wissen. Zynischer geht es
kaum.
Und wer gedacht hat, diese Missachtung von Vätern und
Müttern lasse sich nicht steigern wird von Anke Heinrich eines Besseren
belehrt. In ihrem Beitrag für ‚Markt und Mittelstand‘ schreibt sie drei Tage
später: „Stellen Sie sich vor, man gibt der Bundesfamilienministerin eine Aufgabe:
Deutschlands Betrieben acht Millionen Arbeitstage im Wert von 1,8 Milliarden
Euro zu stehlen, Jahr für Jahr. Und zwar ohne, dass es irgendetwas bringt. Im
Gegenteil, es soll sogar mehr Schaden als Nutzen anrichten als nutzen. Das
klingt schwierig? Nicht für Lisa Paus. Wer wie die Grüne 22 Semester studiert
hat, um danach direkt Berufspolitikerin zu werden, dem fällt das schon etwas
ein: Jeder Vater soll nach der Geburt zwei Wochen Extra-Urlaub bekommen –
natürlich bezahlt vom Unternehmen.“
Sie verpackt ihre menschenverachtende Polemik geschickt in
Fragen, die zweite lautet: „Helfen die Väterwochen der Gesellschaft,
familienfreundlicher zu werden? In der Antwort wird jetzt gegen Väter
‚gekeilt‘: „Nein, denn wenn ein Vater keine zehn Urlaubstage mehr übrig hat für
die Phase nach der Geburt seines Kindes, wird er auch mit zehn zusätzlichen
Tagen wohl eher eine Kegeltour zum Ballermann unternehmen, als seiner Frau zu
helfen.“
Unternehmen und ihre vermeintlichen Helfer*innen, die auf einem derartigen Niveau polemisieren ist eigentlich nicht zu helfen. Norbert Walter, der ehemalige ‚Chefvolkswirt’ der Deutschen Bank, hat dazu beim ersten Netzwerktreffen des Unternehmensnetzwerks ‚Erfolgsfaktor Familie’ am 1. April 2008 in seiner Keynote zum Thema nachhaltige Familienpolitik in Unternehmen unter anderem angeregt, nicht ständig im Gegenwind zu arbeiten und zu predigen, sondern den Unternehmen, die der Überzeugung sind, Familienfreundlichkeit rechne sich nicht einen glücklichen Untergang zu wünschen. ‚Wir brauchen ja schließlich auch Verlierer im Wettbewerb’. Das gilt heute mehr als vor 15 Jahren.
Marius Kronsberger hat einen schonungslos ehrlichen Bericht
über seine 365 Tage Elternzeit mit den Zwillingen Franz und Isa geschrieben. Unter
der Überschrift ‚Von einem der heimging um bei seinen Kindern zu sein‘
schildert er, was ein Jahr Elternzeit mit ihm als Papa gemacht haben und fasst
im letzten Teil des Buches, am Ende der Elternzeit, seine Erfahrungen zusammen
und ermutigt zukünftige Papas, ebenfalls möglichst lange und alleine Elternzeit
zu machen.
Aber der Reihe nach. Ein beschissener Anfang, Franz kotzt,
er hat Magen Darm und … die erste Woche zieht sich bis zum ‚ockerfarbenen
Freitag‘. Kronsberger führt während seiner Elternzeit Tagebuch und zitiert beschissene
und freudige Erlebnisse. Dabei fasst er seine Erlebnisse in den unterschiedlichen
Phasen der Elternzeit thematisch zusammen und verdichtet diese.
Zum Beispiel ‚Das Denken der Anderen‘: „Die Leute gucken. Sie
gucken mich an und die Kinder. Es gibt unterschiedliche Reaktionen. Oft
bekommen wir ein Lächeln geschenkt, insbesondere von älteren Frauen. Männer,
vor allem jüngere, grinsen manchmal doof.“ Diese Blicke und die Gespräche, die
sich manchmal daraus entwickeln spiegeln den Blick auf einen Vater in
Elternzeit in einer deutschen Kleinstadt wider. „Im Kern meinen es die meisten
Menschen ja gut mit uns, selbst wenn sie über mein Geschlecht verwundert sind.“
Das alles erlebt der Autor im Jahr 2020, vierzehn Jahre nach
der Einführung des Elterngeldes können sich manche Menschen sich immer noch
nicht vorstellen, dass ein Vater das freiwillig macht. Aber damit kann der
Autor nach einer Weile gut umgehen. Was ihn, und alle anderen Mütter und Väter
aus den Socken haut, sind die Meldungen vom Freitag, den 13. März 2020: Für
Montag wird der erste Lockdown verbunden mit der Schließung der Kitas und
Schulen und der Sperrung der Spielplätze verhängt.
„Ich habe keine Ahnung, wie ich die nächsten fünf Wochen mit
drei Kindern zu Hause und ohne Aktivitätsangebote überstehen soll. Das wird
echt hart.“ Ja das war hart und Kronsberger beschönigt nichts. „Die globale
Kris ist vermutlich noch lange nicht beendet. Meine aber zum Glück schon. Ich
bin wieder zu Kräften gekommen, bin nicht mehr so dünnhäutig. Am Ende gehe ich
gestärkt und mit dem Wissen um eine Grenzerfahrung aus dieser Zeit.“
Die Erfahrungen führen zu einem Perspektivwechsel, den der
Autor nicht nur möglichst vielen Vätern, sondern auch vielen Führungskräften an
Herz legt. Sie würden mit den Anliegen ihrer Mitarbeitenden anders umgehen,
wenn sie einmal selbst verantwortlich mit diesen vermeintlichen Lappalien umgehen
müssten.
Dieser Perspektivwechsel hat einen Preis, auch das spricht
Kronsberger ehrlich an. Er hat sich am Ende der Elternzeit dafür entschieden,
nicht in Vollzeit in den Job zurückzukehren. Die Erfahrungen der Elternzeit
haben ihm geholfen, den gesellschaftlichen Druck der Arbeitswelt abzustreifen. „Die
Angst um den Job war eine der größten Hürden.“ Aber, „die Nähe zu meinen
Kindern und die Zeit mit ihnen sind mir mehr wert als ein großer
Karriereschritt.“
Die Erfahrungen sind aber auch für Arbeitgebende attraktiv:
Er sei mit viel mehr Wassern gewaschen als vorher und die Persönlichkeit ist in
vielen Facetten gereift. So beschreibt er fast bescheiden den Zuwachs an sozialen
Kompetenzen, die Mann, und natürlich auch Frau im täglichen Umgang mit Kindern erwirbt
und weiter entwickelt.
Vor diesem Hintergrund ist das ‚Sendungsbewusstsein‘ mit dem
er andere (werdende) Väter ermutigen möchte, diese Erfahrungen auch zu machen
nur zu verständlich.
„Nimm richtige Elternzeit, weil: sie dich verändern wird, du
eine völlig neue Perspektive auf das Leben kennenlernen wirst, deine Grenze
zwischen wichtig und unwichtig verschoben wird, diese Zeit eine riesige Chance
ist (und zwar für dich) und du danach eine enge Beziehung zu deinen Kindern
hast, die du anders nicht erreichen kannst!“
Um den Vätern ihre Entscheidung zu erleichtern, fasst er am
Ende seine Erkenntnisse in ‚10 Soft Skills‘ zusammen. Der Hinweis mit dem
Gefrierschrank stammt aus dem siebten: „Löse Probleme erst, wenn du sie hast.“
Das können Väter getrost auch auf ihre Sorgen bezüglich der
Reaktion ihres Arbeitgebenden auf den Wunsch länger als zwei Monate in
Elternzeit gehen zu wollen, beziehen. Freudensprünge werde in der Regel ausbleiben,
aber das Gespräch wird sich schnell um die Frage drehen, wie eine gute Lösung
für die Zeit der Abwesenheit gefunden werden kann.
Das Buch von Marius Kronsberger liefert ansonsten alle Argumente,
die ein Vater braucht, sich für diesen Schritt zu entscheiden und gemeinsam mit
der Partnerin auszuhandeln, wer, wann was in welchem Umfang macht. Eine gleichmäßige
Aufteilung von Erwerbs- und Carearbeit führt, das soll nicht verschwiegen
werden, auch zu einer Steigerung der Partnerschaftsqualität.
Das knapp 150seitige Buch von Marius Kronsberger ist in meinen Augen ein ‚must read‘ für werdende Väter und jede und jeder, der sich fragt, was er einem solchen schenken kann, ist mit 14,90 € dabei.
So lautete die Überschrift in dem Abschnitt ‚Eckpunkte für
eine zukünftige Familienpolitik‘ in dem Familienbericht, den die
Landesregierung 2015 veröffentlichte. Dem Bericht zugrunde lagen die Auswertung
statistischer Daten, eine eigens durchgeführte Familienbefragung sowie die
Ergebnisse verschiedener Workshops an denen Familien und Expert*innen sich
beteiligen konnten. Als letzte Veranstaltung fand im November 2014 unter der
Überschrift ‚Vatersein in Siegen, Vater sein in NRW‘ ein Familiendialog an der
Universität in Siegen statt.
Hier wurden bereits die Ambivalenzen und Widersprüche
deutlich, mit denen Väter und Mütter, nicht nur in NRW, konfrontiert werden. ‚Väter
sehen sich nicht mehr länger nur in der Rolle des Ernährers, sondern möchten
sich aktiv an der Betreuung und Erziehung ihrer Kinder beteiligen. Bei der Familienbefragung
für NRW haben 42 Prozent der Väter erklärt, dass sie es ideal fänden, wenn
beide Elternteile in gleichem Maße erwerbstätig sind und sich um Haushalt und
Familie kümmern.‘
Die Ursache – Wirkung – Kette‘ wird in dem Bericht
folgendermaßen beschrieben: Dies spiegelt die individuellen Wünsche der Väter,
mehr Zeit mit ihren Kindern verbringen zu können – stellt aber auch eine
Grundvoraussetzung für eine erhöhte Erwerbstätigkeit der Mütter dar. „Einspruch
Euer Ehren“ würde es jetzt vor Gericht lauten. Hat doch die gleiche
Landesregierung bei der Prognos AG wenige Jahre zuvor eine Untersuchung in
Auftrag gegeben, wovon die Inanspruchnahme von Elternzeit in erster Linie
abhängt. Als die wichtigsten Faktoren wurden identifiziert:
die existierenden Kinderbetreuungsangebote
der Umfang der Berufstätigkeit von Frauen und
die Einstellung zur Betreuung von kleinen
Kindern durch eine andere Person als die Mutter
Insbesondere bei den beiden letzten
Kriterien liegt NRW weit zurück. Darüber hinaus konstatiert der Bericht: ‚die
im Bundesvergleich geringe Inanspruchnahme der Partnermonate beim Elterngeld
bei den Vätern in NRW belegt, dass auch Väter bei der Realisierung des von
ihnen gewünschten Familienmodells auf Widerstände stoßen. … Dass viele Väter
hiermit unzufrieden sind, ist bei den Familiendialogen sehr deutlich geworden:
Väter erklärten, sie hätten immer ein schlechtes Gewissen ihren Kindern
gegenüber, und sie beneideten ihre Partnerin um die Zeit, die diese mit den
gemeinsamen Kindern verbringen könne. Dazu passt, dass 24 Prozent der voll
erwerbstätigen Väter bei der Familienbefragung für NRW den Wunsch nach einer Reduzierung
ihrer Arbeitszeit geäußert haben.
Bei den Gründen, warum sie es nicht tun, spielten
finanzielle Erwägungen eine wichtige Rolle. Äußerungen aus den Familiendialogen
hätten aber auch gezeigt, dass viele Väter ihre Rechte im Hinblick auf eine
Teilzeittätigkeit nicht kennen. Als Ziel wird an dieser Stelle im Bericht
formuliert, die Entscheidungsspielräume für Eltern zu erweitern. Dazu „müssen
die traditionellen Geschlechterbilder für Frauen und Männer so verändert
werden, dass die wechselnden Phasen von Erwerbs- und Familienphasen nicht
länger zu unterschiedlichen Erwerbschancen von Frauen und Männern führen“.
Diese mechanistische Sichtweise karikiert das an sich
wünschenswerte Ziel ‚atmender‘ Lebensläufe von Vätern und Müttern. Verhalten
und noch mehr Haltungen lassen sich nicht durch Anweisungen verändern, sondern
dadurch, dass Väter und Mütter andere Erfahrungen machen können, z.B. durch
Elternzeiten und Verantwortungsübernahme in bislang „vernachlässigten“
Bereichen.
Hier setze die Arbeit der 16 Kompetenzzentren Frau und Beruf
an. Es gehe dabei auch um Strategien für eine bessere Vereinbarkeit von
Familie/Pflege und Beruf, flexible Übergänge zum Wiedereinstieg nach der
Elternzeit, aber auch bessere berufliche Entwicklungs- und
Aufstiegsmöglichkeiten für Frauen und die Gewinnung weiblicher Auszubildender
in frauenuntypischen Berufen.
Alles gut und EU finanziert, aber was unternimmt die Landesregierung um Vätern
neue Erfahrungen zu ermöglichen? Dazu ist im Familienbericht zu lesen: Mit
ihrem Portal „www.vaeter.nrw.de“informiert die Landesregierung über
Wege zu einer aktiven Vaterschaft. Sie fördert außerdem eine Fachstelle für
Väterarbeit. Zusätzlich wird sie die Diskussion über die Bedeutung von Vaterschaft
stärker in die Gesellschaft hineintragen. Ziele einer Öffentlichkeitskampagne
sind deshalb u. a.:
die Attraktivität der Vaterrolle für Männer zu
steigern,
die Sensibilisierung der Öffentlichkeit für die
mit dem Rollenwandel einhergehenden Anforderungen,
die Bedeutung einer aktiven Vaterschaft für die kindliche
Erziehung darzustellen und
die notwendigen Aushandlungsprozesse von Eltern zu
begleiten.
Die Kampagne ist knapp 9 Monate nach der Veröffentlichung
des Familienberichts Ende Juni 2016 mit einer Plakataktion gestartet. Besonders
wirksam war der Aufbau eines SocialMedia Auftritts bei Facebook, bei dem
wöchentlich Erfahrungsberichte von Vätern publiziert wurden und der innerhalb
weniger Monate mehr als 8.000 Follower hatte.
Bereits fünf Monate vor dem Start der Kampagne fand der
ebenfalls im Bericht erwähnte Familiengipfel statt. In der Erklärung ist u.a.
zu lesen, „… dass Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber mit Müttern und Vätern
gemeinsam das Gespräch über die unterschiedlichen Ausgestaltungsmöglichen der
Elternzeit suchen und den werdenden Müttern und Vätern Ansprechpartner zur
Beratung und Beantragung des Elterngelds benennen, …“ und weiter unten „… dass
Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber mit Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern und
ihren Vertretungen in einer Kultur gegenseitiger Wertschätzung die
Inanspruchnahme der Elternzeit festlegen.“
Das klang und klingt gut und wäre, wenn den Worten denn
Taten gefolgt wären, echt innovativ gewesen, aber …
Und auch der Kampagne ging schnell die Luft bzw. das Geld
aus und nach der Landtagswahl im Mai 2017, bei der eine Koalition aus CDU und
FDP die bisherige Regierung ablöste wurde auch die erfolgreiche Facebook Seite
ebenso wie das Portal vaeter.nrw in den neuen Auftritt der Landesregierung
„integriert“. Die besondere Ansprache der Zielgruppe und das
Kommunikationsdesign dem allgemeinen ‚Corporate Design‘ untergeordnet.
Die Fachstelle ist bis Ende 2018
und mit einem halben Jahr Unterbrechung ab Juli 2019 die Geschäftsstelle der
LAG-Väterarbeit weiterhin gefördert. Seit dem Familienbericht sind sechs
Fachtagungen zu Väterthemen gefördert worden, u.a. 2017 in Bielefeld ‚Bewegte
Zeiten für Väter‘ und Olpe ‚Vater ist, was du draus machst!‘, 2019 in
Düsseldorf ‚Eltern bleiben trotz Trennung‘ und 2021 online per Zoom ‚Lockdown
als Chance? – Weichenstellungen für mehr väterliches Engagement‘.
Von den Veranstaltungen gingen
wichtige Impuls aus und die Geschäftsstelle der LAG-Väterarbeit arbeitet
kontinuierlich daran, die Weichen für väterliches Engagement zu stellen. Als
Dienstleister für alle diejenigen, die in Familienbildung- und beratung, Kitas
und Familienzentren Angebotejetzt schon Angebote für Väter machen, aber auch
als Lobbyist bei denen, die Rahmenbedingungen für väterliches Engagement strukturell
gestalten.
In dem Sinne sieht nicht nur die Landesregierung die
Arbeitgebenden als wichtige Akteure, wenn es um aktive Vaterschaft und eine
Unternehmenskultur geht, in der die Bedarfe von Vätern respektiert und
„mitgedacht“ werden.
Der Bericht „Familien gestalten Zukunft“ und insbesondere der Abschnitt ‚Mehr Zeit mit der Familie für Väter‘ sind ein erster Meilenstein nicht nur auf dem Weg zu einer kontinuierlichen Familienberichterstattung, sondern auch im Hinblick darauf, wie ernsthaft das Ziel einer partnerschaftlichen Aufteilung von Erwerbs- und Carearbeit in der Landespolitik verfolgt und umgesetzt wird. In der Legislaturperiode 2017 bis 2022 ist kein weiterer Bericht erfolgt. Dieses Vorhaben steht nun auf der Agenda der neuen Landesregierung und die Krisen ‚Corona‘ ‚Krieg‘ und ‚Inflation‘ und ihre Auswirkungen auf Väter, Mütter und Kinder sind mehr als ein Anlass für die Schwerpunktthemen des neuen Berichts.
Vater werden und sein verändert alles. Diese an sich
triviale Aussage verweist auf die Großartigkeit des Ereignisses einer Geburt
und die Komplexität der Wirkungen, die sie auslöst. Sie zeigt aber auch auf die
Fülle der Möglichkeiten auf, die Hebammen und andere haben, werdende Väter und
Mütter auf diesem Weg zu begleiten und sie auf das dieses Ereignis und die
folgenden Jahrzehnte vorzubereiten. Mehr als 90 Prozent der werdenden Väter
sind bei der Geburt ihres Kindes dabei und eine gute Vorbereitung wirkt sich
nicht nur auf den Geburtsverlauf positiv aus.
Wenn Männer Väter werden, wollen sie nicht nur beruflich
weiterhin erfolgreich, sondern gleichermaßen auch gute Väter sein. Das bedeutet
in erster Linie, Zeit haben, für die Kinder da zu sein, präsent zu sein, ihre
Entwicklung zu begleiten und zu fördern, ihnen die besten Möglichkeiten für
einen guten Schulabschluss zu verschaffen sowie möglichst viele Risiken des
Alltags von ihnen fernzuhalten. Also ein durch und durch fürsorglicher Vater zu
sein.
Im Hinblick auf die Partnerschaft und die Partnerin steht
der Anspruch, sich anfallende Aufgaben partnerschaftlich aufzuteilen und nicht
in traditionelle Rollenmuster zurückzufallen, im Raum. Eltern werden, Partner
bleiben. Die große Herausforderung bei der Umsetzung dieser Ansprüche ist, dass
Väter (und Mütter) kaum auf erprobte Muster und Rollenmodelle zurückgreifen
können und sich einen eigenen Weg suchen müssen. Es ist zwar inzwischen viel zu
diesem Thema geschrieben worden, aber verwirklichen müssen Mann und Frau ihren
Traum von einer partnerschaftlichen Aufgabenteilung, einer geteilten
Verantwortung für die Kinder und genügend Gelegenheiten für die Pflege der
Paarbeziehung schon selber.
Erfahrungen und Studienergebnisse (BMFSFJ, 2011) zeigen,
dass die gewählten Lebensmodelle vielfach nicht Ergebnis zielgerichteter
Aushandlungsprozesse sind, sondern Paare vor dem Hintergrund vermeintlich
rationaler Gründe nach der Geburt dort ‚hineingeschliddert‘ sind und Väter sich
mehr oder weniger freiwillig auf die traditionelle Rolle des Ernährers und
Assistenten in der Familie einlassen.
Was Väter brauchen, sind passende Erwartungshaltungen,
Rahmenbedingungen und Wertschätzungsstrukturen. Es kommt vor allem darauf an,
dass es völlig normal sein wird, beruflichen Erfolg und fürsorgliches Verhalten
in Familie und anderswo nicht mehr als Gegensätze zu denken, sondern als
gegenseitige Ergänzung und Bereicherung.
In dem Zeitraum zwischen der Entscheidung Vater und Mutter
werden zu wollen und der Geburt, der in den meisten Fällen länger als die 280
Tage der Schwangerschaft umfasst, werden nicht nur Pläne geschmiedet und das
‚Nest‘ hergerichtet, sondern die Weichen dafür gestellt, ob die Vorstellungen
sich Erwerbs- und Familienarbeit partnerschaftlich aufzuteilen gelingen können oder
nicht.
Auf die Vorbereitung kommt es an
Auf der Grundlage internationaler Forschungsergebnisse, die
die Zusammenhänge zwischen dem Verhalten, den Erfahrungen, Einstellungen und
Merkmalen von werdenden und neuen Vätern und der Gesundheit und Wohlbefinden
von Mutter und Kind aufzeigen, hat die Weltgesundheits-organisation (WHO) eine
der zehn Empfehlungen zu Maßnahmen der Gesundheitsförderung von Müttern und
Neugeborenen zur Einbeziehung von Vätern formuliert.
Die WHO empfiehlt, die Beteiligung von Männern während der Schwangerschaft, der Geburt und nach der Geburt zu fördern, um die Selbstsorge von Frauen und die häuslichen Pflegepraktiken für Frauen und Neugeborene zu verbessern, den Einsatz qualifizierter Vorsorge für Frauen und Neugeborene während der Schwangerschaft, der Entbindung sowie in der postnatalen Periode zu erleichtern, und die Einrichtung für Geburtshilfe rechtzeitig zu nutzen falls es Komplikationen bei den Neugeborenen gibt.
Neben dieser auf die
Gesundheit von Mutter und Kind bezogenen Perspektive, die für sich genommen
schon Grund genug ist, Väter während der Schwangerschaft, bei der
Geburtsvorbereitung, der Geburt und der Zeit danach aktiv einzubeziehen, gibt
es weitere, ebenfalls wissenschaftlich gut belegte Gründe, dies zu tun.
Die Gesundheit der
Väter und ihre Beziehung zu dem ungeborenen Kind haben einen großen Einfluss
darauf, in welchem Maße sie sich an der Erziehung des Kindes beteiligen und
Ressourcen für seine gelingende Entwicklung zur Verfügung stellen.
In dem 2016 auf 136
Seiten ausformuliertem ‚Nationalen Gesundheitsziel Gesunde Geburt‘ wird die
Einbeziehung von Vätern an verschiedenen Stellen erwähnt. Unter anderem heißt
es dort ‚Väter bzw. Partnerinnen und Partner sollen dazu ermutigt werden, sich
von Anfang an in der Babyversorgung zu engagieren und einen eigenen positiven
Stil im Umgang mit dem Neugeborenen zu finden‘.
Ansprüche und
Wirklichkeiten
Obwohl also Alles
dafürspricht, (werdende) Väter rechtzeitig einzubeziehen und als aktive
Subjekte im Geburtsgeschehen zu betrachten, werden sie hierzulande häufig immer
noch als ‚Beifahrer‘ (BZgA 2011) betrachtet. In Großbritannien, wo bereits 2006
im Nationalen Gesundheitssystem ein Paradigmenwechsel zugunsten der
Einbeziehung von Vätern stattgefunden hat, zeigen gerade veröffentlichte
Befragungsergebnisse, dass dieser empfohlene Wandel auch dort noch längst nicht
überall praktiziert wird. (Thorpe, 2018)
92% der Väter nehmen an den Vorsorgeuntersuchungen teil,
aber 61% berichten, dass ihre Rolle als Vater zu keinem Zeitpunkt
angesprochen worden ist
Väter haben keinen formalen Status bei der
Geburtsvorbereitung, selbst ihr Name wird nicht erfasst. Lediglich 16 %
der Väter werden während der Geburt nach ihrem Befinden gefragt.
Wenn ‚Väter‘ und ‚Mütter‘ statt ‚Eltern‘ adressiert werden
und deutlich gemacht wird, dass beide gefragt sind, steigt die Beteiligung
von Vätern bei der Nachsorge von ca. 20% auf bis zu 70%
Ein Blick hinter die Kulissen
Zu der Thematik liegen vor allem Praxis- und
Forschungsberichte aus dem angelsächsischen Raum vor. Auf der Website www.familyincluded.com werden diese seit 2015 systematisch
ausgewertet, thematisch gelistet und zur Verfügung gestellt. Das Projekt ist
nach der Erklärung der Weltgesundheitsorganisation im Jahr 2013, in der erklärt
wurde, dass die Zusammenarbeit mit den Vätern eine globale Priorität für die
Gesundheitsversorgung von Müttern haben sollte, und vor dem Hintergrund, dass
es weder Pläne noch Ressourcen gab, um dies umzusetzen, entstanden. Als
Haupthindernisse für die tatsächliche Einbeziehung von Vätern werden dort
folgende Punkte identifiziert:
Das erste Problem ist die Professionalisierung und die
Perspektive auf die Gesundheit von Müttern und Neugeborenen. Häufig wird diese
Gesundheitsversorgung als eine Angelegenheit betrachtet, die sich nur zwischen
dem Gesundheitspersonal und der „Patientin“, in diesem Fall der
Schwangeren abspielt.
Das zweite Problem ist die Sorge um die Gleichberechtigung
der Geschlechter. Fast alle Familien umfassen Männer, und sie haben oft mehr
vor allem finanzielle Ressourcen. Wenn man sie in die Pflege einbezieht, so
wird befürchtet, könnte dies dazu führen, dass die Autonomie der Frauen
eingeschränkt wird und die geschlechtsspezifischen Unterschiede in den Familien
nicht in Frage gestellt werden. Diese Aussage spiegelt die Tatsache wider, dass
zahlreiche Forschungsprojekte in Ländern mit noch ausgeprägteren patriarchalen
Strukturen durchgeführt werden.
Hierzulande geht es vor allem darum, Väter für eine
Beteiligung in Familie und an den in der Familie zu erledigenden Arbeiten zu
gewinnen und zwar von Anfang an. Für den deutschsprachigen Raum liegen zwei
Untersuchungen vor, die die von ‚Family Included‘ identifizierten Hindernisse
bestätigen.
Marion Müller und Nicole Zilien (2016) verifizieren in ihrem
Forschungsprojekt die Ausgangsthese, „dass die heutigen
Geburtsvorbereitungskurse durch ihre Ausgestaltung Geschlechterdifferenzen
hervorheben, diese weiterhin mit geschlechterdifferenzierenden Zuschreibungen
häuslicher Arbeit koppeln und durch eine wissenschaftlich gestützte
Naturalisierung legitimieren. Geburtsvorbereitungskurse bahnen demnach bereits
in der pränatalen Phase eine geschlechterdifferenzierende Arbeitsteilung an und
lassen sich deshalb als Institutionen der Retraditionalisierung
interpretieren.“
Lisa Maria Groß (2017) kommt in ihrer Arbeit ‚Väter als
Adressaten in Frühen Hilfen? Über die Konstruktion von Väterlichkeit im
professionellen Handeln von Familienhebammen‘ zu dem Ergebnis, „In Interviews mit Familienhebammen und ethnographischen
Beobachtungsprotokollen von Hausbesuchen zeigt sich allerdings eine Mütterorientierung
im professionellen Handeln von Familienhebammen, die zu einer sekundären
Adressierung der Väter hinsichtlich innerfamilialer Sorgetätigkeiten bis hin
zur Exklusion väterlicher Fürsorge aus dem Binnenraum der Familie
führt.“
Die Vorbereitung des geburtshilflichen Teams auf die
Väter
Wie Väter auf die Geburt vorbereitet werden können und
welche Rolle die verschiedenen Professionen dabei spielen, hat schon 2014 das,
in einer von der Bundeszentrale für gesundheitliche veröffentlichten Broschüre,
Ergebnis einer multiprofessionellen Arbeitsgruppe deutlich gemacht. (BZgA 2014)
Ein entscheidender Faktor dabei ist die Haltung gegenüber
der Rolle sowie der aktiven Einbeziehung von Vätern. Ihre gute Vorbereitung auf
die Geburt kommt auch der werdenden Mutter zugute. Studien zeigen, dass Väter,
die ihre Rolle während der Geburt kennen und verstehen, was dort geschieht,
selbst besser vor übermäßigem Stress geschützt sind und seltener Gefahr laufen,
den Ablauf der Geburt negativ zu beeinflussen. Das gilt insbesondere in den
Momenten, in dem es mal nicht „nach Plan läuft“, was aber auch völlig normal
ist. (Schäfer, Abu Dakn 2008)
Die Rolle, die sie während der Geburt wahrnehmen können, für
ihre Partnerin da zu sein, den neuen Lebensabschnitt gemeinsam zu beginnen und
von Anfang an als Vater präsent zu sein. Dabei erleben sie sich vielfach in
einer völlig ungewohnten Situation: Sie haben keine Kontrolle über das
Geschehen und die Mächtigkeit der Gefühle führt sie vielfach nicht nur
emotional an ihre Grenzen, sondern manchmal sogar darüber hinaus. Das Vertrauen
in die Kompetenzen des geburtshilflichen Teams und ihr Wissen um die
natürlichen Abläufe sind in diesen Momenten gute Stützen.
Dieses Vertrauen kann im Vorfeld der Geburt durch
verschiedene Angebote zur Geburtsvorbereitung in den Geburtskliniken und den
Kursen der Hebammen bzw. der Familienbildung gebildet werden. Dabei geht es
verständlicherweise vorrangig um die biologischen Abläufe der Geburt und die
Vorbereitung der Mütter darauf, um ihre Bedürfnisse, Ängste und Sorgen.
Darüber hinaus sind aber zwei weitere Ebenen der
Vorbereitung auf die Geburt und vor allem die Zeit danach für Väter von großer
Bedeutung. Die gemeinsamen Planungen der werdenden Eltern für die Zeit zu Dritt
und der Austausch des werdenden Vaters mit anderen Männern.
Einbeziehung von Vätern nutzt partnerschaftlicher
Aufgabenteilung
Die Entscheidung Eltern werden zu wollen, ist heute eine
bewusste, auch wenn eine exakte Planung nicht garantiert ist. Im Rahmen dieses
Prozesses können Fragen der beruflichen Weiterentwicklung, der familiären
Arbeitsteilung und auch die Vorstellungen zu den Rollen als Mutter und Vater sowie
die Erfahrungen und Prägungen in der eigenen Herkunftsfamilie thematisiert
werden. In ihrem Papa Handbuch beschreiben die Autoren eine Fülle von
praktischen Möglichkeiten dazu. (Richter, Schäfer 2020)
Darüber hinaus gibt es eine Fülle an ‚Väterthemen und fragen‘,
die am besten bearbeitet werden können, wenn Väter unter sich sind und diese
Phase auch von einem erfahrenen Mann und Vater betreut wird:
Welche Wünsche und Befürchtungen habe ich für
die Geburt?
Will ich bei der Geburt dabei sein? Was will ich
sehen, was nicht?
Was ist mir wichtig für die erste Zeit zuhause?
Welche Bedeutung habe ich als Vater für die
Entwicklung des Kindes?
Wie kann ich meine Vaterkompetenzen entfalten?
Wie entwickelt sich das Verhältnis zu meiner
Partnerin, wenn sie auch Mutter ist?
Was ist mit dem Sex in der Schwangerschaft und
nach der Geburt?
Wie kann es gelingen, dass wir auch als Vater
und Mutter die Verantwortung für finanzielle Versorgung der Familie und die
dort anfallenden Care-Aufgaben partnerschaftlich aufteilen?
Die Möglichkeit, sich mit anderen Vätern darüber auszutauschen,
haben einen bedeutenden Einfluss auf das spätere Geburtsgeschehen. Derart
vorbereitet können Väter vom geburtshilflichen Team als unmittelbar Beteiligte
des Geschehens wahrgenommen und als Personen mit eigenen Bedürfnissen und
eigenem Erleben angesprochen und einbezogen werden.
Diese „Männerrunden“ sind teilweise schon Praxis bei der
Geburtsvorbereitung. Darüber hinaus gibt es an wenigen Orten spezielle Angebote
für werdende Väter. (Mens Health 2016)
Ergebnisse eines Praxisprojekts in NRW
Ein vom Familienministerium in NRW gefördertes Praxisprojekt
beschäftigte sich mit der Fragestellung, wie die Einbeziehung von Vätern im
Rahmen der Geburtsvorbereitung durch Hebammen gefördert werden kann. Im Zentrum
standen dabei die Entwicklung und Erprobung eines Fortbildungs-Curriculums.
(Nelles 2020)
Die Annahme, Väter und Mütter im Kontext der
Geburtsvorbereitung durch Hebammen anzusprechen und dort das Anliegen
‚partnerschaftliche Aufgabenteilung‘ zu thematisieren hat sich bestätigt, da in
diesem Zeitraum entscheidende Weichenstellungen vorgenommen werden und mehr als
90 % der Väter an der Geburt und, zumindest beim ersten Kind, auch an
angebotenen Kursen zur Vorbereitung teilnehmen.
Auf der Basis freiwilliger Fortbildungen für Hebammen lässt
sich das Ziel, partnerschaftliche Aufgabenteilung im Rahmen der
Geburtsvorbereitung zu thematisieren jedoch nicht erreichen. Das liegt zum
einen, an der von der, an den unterschiedlichsten Stellen beschriebenen Haltung
der Hebammen, Frauen und Männern traditionelle Rollen zuweisen und selbst wenn
sie Angebote für Väter machen, diesen Unterstützungs- und Assistentenaufgaben
zuweisen.
Auf der anderen Seite sind es strukturelle Rahmenbedingungen
wie Personalschlüssel in Kliniken und der Blick der dort arbeitenden Gynäkologen
auf die Hebammen sowie die schlechte Bezahlung von letzteren. Dazu kommt die
Akademisierung der Hebammenausbildung und die Umsetzung der entsprechenden
Verordnungen und die Sicherstellung der praktischen Ausbildungsanteile auf den
‚letzten Drücker‘.
Die Neuaufstellung der Hebammenausbildung bietet, zumindest
theoretisch, die Chance, die Themen ‚Bedeutung von Vätern‘ und ‚Aufstellung der
Akteure im System Familie‘ in den neuen Curricula zu verankern zumal es in der
Anlage 1 der ‚Studien- und Prüfungsverordnung für Hebammen des
Bundesministeriums für Gesundheit‘, in der die Kompetenzen von Hebammen
aufgeführt sind, ausdrücklich heißt: [ sie] ‚verfügen über Kenntnisse … über Prozesse der Familiengründung und bereiten
die schwangere Frau und ihre Familie ihrer individuellen Lebenssituation
entsprechend auf die Geburt, das Wochenbett und die Elternschaft vor …‘ (BMG
2019)
Um die Chance, die Themen im Rahmen der zu erarbeitenden
neuen Ausbildungsordnungen breiter zu verankern, wird es aber notwendig sein,
mit Unterstützung bereits im System tätigen Akteur*innen, Professor*innen mit
ausgewiesener Väterexpertise und Praktikern der Väterbildung zunächst eine
Expertise und darauf aufbauend Bausteine für die universitären Lehrpläne zu
entwickeln.
Ein anderer Ansatzpunkt die Themen in bestehenden
Geburtsvorbereitungskursen zu verankern sind die Qualitätsstandards. Die Kurse
werden, zumindest für die Frauen, von den gesetzlichen Krankenkassen
finanziert. Jede Hebamme, die derartige Kurse anbietet kann sie über die
Krankenkassen abrechnen. Diese könnten also mit entsprechenden Standards auch
Einfluss auf die Inhalte ausüben
Fazit
Als Vision und Wunsch abschließend formuliert: um werdenden
und gewordenen Vätern und Müttern die Verwirklichung ihres Wunsches nach einer
gleichberechtigten Aufgabenteilung zu ermöglichen braucht es, neben den
äußeren, passenden Rahmenbedingungen, ein Angebot sich vor und nach der Geburt
mit den oben genannten Themen auseinanderzusetzen. Und zwar an den Orten und zu
den Anlässen, die Väter und Mütter sowieso gemeinsam oder getrennt aufsuchen
und nutzen. Die Geburtsvorbereitung gehört in jedem Fall dazu. Es braucht aber
neben den Hebammen weitere (männliche) Akteure und Angebote für Väter, vor
allem für die Zeit nach der Geburt.
Das ist eine zentrale Aussage in dem Strategiepapier des ‚Runden
Tisches Elternwerden‘ das im Februar letzten Jahres erstmals veröffentlicht und
im August aktualisiert wurde. Dieser Aussage können wir uneingeschränkt
zustimmen. In unseren Augen braucht es aber es aber auch einen
Paradigmenwechsel im System der Geburtshilfe.
Und zwar was die Bedeutung der Väter angeht: werdende Väter sind neben den
Hebammen und dem ärztlichen Personal wichtige Akteure im gruppendynamischen
Geschehen einer Geburt. Ihre Handlungen beeinflussen den Geburtsprozess, die
Geburt selbst wirkt nachhaltig auf sie.
Die Vorbereitung auf die Geburt und das Vatersein, die Zuschreibung und das
Erleben der eigenen Bedeutung und Selbstwirksamkeit sind prägende
Weichenstellungen für zukünftiges väterliches Engagement und die Stabilität der
Paarbeziehung.
Mit den damit zusammenhängenden Themen und Herausforderungen werden
wir uns in diesem und dem kommenden Monat beschäftigen.
Väter ansprechen und erreichen
Väter sind schwer zu erreichen und Angebote, die in Kitas und
Familienzentren gemacht werden, kommen häufig nicht zustande, weil sich zu
wenige Väter anmelden.
Auf der anderen Seite wollen Väter mehr Zeit mit ihren Kindern verbringen und
suchen nach passenden Angeboten und Möglichkeiten sich mit anderen Vätern
auszutauschen.
Die Geschäftsstelle der LAG-Väterarbeit möchte dazu beitragen dieses Dilemma aufzulösen und bietet dazu Vorträge und Fortbildungen an, die Beschäftigten verschiedener Einrichtungen oder auch einzelnen Teams die Möglichkeit gibt, sich intensiv mit einem Thema auseinanderzusetzen und ihre Arbeit mit und die Angebote für Väter weiterzuentwickeln. Mögliche Themen sind: ‚Grundlagen der Arbeit mit Vätern‘, ‚Väter ansprechen und erreichen‘, ‚Wie ticken Väter eigentlich?‘, ‚Die Bedeutung von Vätern für die Entwicklung von Kindern‘, ‚Väter in den frühen Hilfen‘ …
Melden Sie sich einfach telefonisch oder per Mail bei uns. Die
Kontaktdaten finden Sie am Ende des Newsletters.
… mir fehlt vor allem eine systemische Perspektive
In den vergangenen beiden Monaten standen Väter und Kinder, die Opfer
von Gewalt geworden sind, im Blickpunkt.
Bei dem Werkstattgespräch am 12.
August berichtete Tobias Schiefer über die Arbeit der Männerschutzwohnungen in
Düsseldorf: Ziele des Schutzkonzepts, das mit regelmäßiger Beratung verbunden
ist, sind Schutz-, Rückzugs- und Wohnraum für einen begrenzten Zeitraum zur
Verfügung zu stellen. Die durchschnittliche Aufenthaltsdauer beträgt ca. 3
Monate.
Im Mittelpunkt der Arbeit mit den Klienten steht deren psychische
Stabilisierung und Entlastung sowie die Stärkung der Handlungsfähigkeit und der
Selbstbestimmung. Perspektivisch geht es um die persönliche Weiterentwicklung
und Neuorientierung außerhalb der ‚Gewaltbeziehung‘ sowie die Vermittlung
weiterführender Hilfen.
In einem Interview mit Christoph Liel vom Deutschen Jugend Institut in München
äußerte er sich unter anderem zu den zukünftigen Bedarfen in diesem
Hanlungsfeld:
„Ich finde schon, dass es in Bezug auf Väter große blinde Flecken gibt, und
zwar sowohl in der Praxis wie auch in der Forschung. Und zwar im gesamten
erweiterten Kontext des Kinderschutzes. Weil Väter da häufig keine oder eine
untergeordnete Rolle spielen, obwohl sie sowohl eben als Gefährder für Kinder
auftreten können, wie auch als Unterstützer in der familiären Situation. Und da
brauchen wir sehr viel mehr Wissen.“ Die Aufzeichnung des Gesprächs können Sie hier nachlesen und
hören.
Welchen Kulturwandel brauchen Väter in der Geburtshilfe – aktuelle Eckpunkte und Perspektiven
Im System der Geburtshilfe rumort es. Immer mehr Geburtskliniken
schließen, aus Mangel an Hebammen oder Renditegründen. Während der Pandemie
wurden Väter ganz oder teilweise bei Vorsorgeuntersuchungen und der Geburt
ausgeschlossen und auch wenn sie dabei sein dürfen, fühlen sich Väter vielfach
nicht einbezogen.
Es gibt zwar seit 2016 ein auf 136 Seiten ausformuliertes ‚Nationales
Gesundheitsziel Gesunde Geburt‘, aber die von vielen Seiten erhobene Forderung
nach einem ‚Geburtsgipfel‘ und der im Frühjahr gestarteten Initiative ‚Bündnis
Gute Geburt‘ verdeutlichen den tatsächlichen Handlungsbedarf.
In dem Werkstattgespräch am 26. Oktober wird Hans-Georg Nelles, der u.a.
bei der Broschüre der BZgA ‚Väter auf die Geburt vorbereiten – Informationen
und praktische Tipps für Fachkräfte‘ mitgewirkt hat, Eckpunkte einer Reform in
der Geburtshilfe aus der Perspektive der Väter präsentieren und diese in die aktuelle
Diskussion einordnen.
Zu dem Werkstattgespräch können Sie sich hier anmelden
Jeder Mann sollte mit gutem Gefühl Vaterwerden können. Deshalb unterstützt die ‚Erzählcafé-Aktion‘ Väter mit einem kostenlosen Flyer voller Fakten & Forschung. Kurz und knackig bringt dieser auf den Punkt, was Männer beim Vaterwerden wissen sollten, auch um selbst gesund zu bleiben. „Lies los Mann, damit Du gestärkt aus dem größten Abenteuer Deines Lebens hervorzugehen kannst!“
Der Flyer ‚Respekt Mann, Du wirst Vater‘ ist kostenfrei und gibt es hier zum Download!
Ausblick
Das letzte Schwerpunktthema in diesem Jahr wird im November und
Dezember ‚Väter im Strafvollzug‘ sein. Dazu planen wir interessante Einblicke,
Praxistipps und ein Werkstattgespräch, bei dem es um die praktische Arbeit mit Vätern
und deren Kindern im Justizvollzug gehen wird.
Im kommenden Jahr haben wir uns vorgenommen, uns noch intensiver mit
den einzelnen Themen auseinanderzusetzen und vor allem durch unsere Arbeit
darauf hinzuwirken, in den angesprochenen Bereichen nachhaltige Veränderungen
für Väter und aktive Vaterschaft anzustoßen und da wo möglich auch strukturell
zu verankern.
Im Themenspeicher stehen jetzt schon ‚Großväter‘ und ‚getrennt
erziehende Väter‘.
Termine
25. Oktober 2022, 15:30 bis 17 Uhr, Online Member Meeting der LAG Väterarbeit
26. Oktober 2022, 15:30 bis 17 Uhr, Werkstattgespräch Kulturwandel in
der Geburtshilfe
Offener Brief an Lisa Paus macht Anliegen von Vätern deutlich
Auf Initiative des Bundesforum Männer – Interessenverband für Jungen, Männer & Väter e.V. fordern
insgesamt 19 Organisationen aus der gleichstellungsorientierten Männer-
und Väterarbeit Bundesfamilienministerin Lisa Paus in einem offenen
Brief dazu auf, bei Vereinbarkeitsfragen Väter offensiver in den Blick
zu nehmen und eine zweiwöchige Vaterschaftsfreistellung mit
Lohnausgleich noch in diesem Jahr einzuführen.
In ihrem Koalitionsvertrag »Mehr Fortschritt wagen« einigten sich
SPD, Grüne und FDP im vergangenen Jahr unter anderem darauf, Eltern
dabei zu unterstützen, Erwerbs- und Sorgearbeit partnerschaftlicher
aufteilen zu können. Ein zentrales Vorhaben in dieser Hinsicht ist die
zweiwöchige vergütete Freistellung für Partner:innen nach der Geburt.
Genau eine solche Leistung ist als Vaterschaftsfreistellung (§4
paternity leave) bereits in der EU-Vereinbarkeitsrichtlinie verankert.
Die Richtlinie definiert Mindeststandards zur Vereinbarkeit von Beruf
und Privatleben für alle Mitgliedsstaaten der EU. Sie muss bis August
2022 in nationales Recht umgesetzt werden. Die Erwartung aus der
Zivilgesellschaft war insofern, dass die vergütete Freistellung nach
Geburt als erste große Maßnahme für mehr Partnerschaftlichkeit nun im
Sommer kommt.
Jetzt aber verweist die Bundesregierung darauf, die
Vaterschaftsfreistellung aufgrund der in Deutschland geltenden
umfassenderen Regelungen bei Elterngeld und Elternzeit nicht im Rahmen
der Umsetzung der Richtlinie einführen zu müssen. Geplant sei
demgegenüber, die im Koalitionsvertrag verabredete „zweiwöchige
vergütete Freistellung für die Partnerin oder den Partner nach der
Geburt eines Kindes“ in einem eigenen Gesetzgebungsverfahren auf den Weg
zu bringen – immerhin angestrebt noch für das Jahr 2022.
Ein hartes Datum zur Einführung dieser wichtigen familien- und
gleichstellungspolitischen Leistung ist damit vom Tisch. Auch ist nun
politisch erst mal offen, wie diese Leistung konkret ausgestaltet sein
wird. Und im Gegensatz zur EU-Vereinbarkeitsrichtlinie, wird Vaterschaft
im Wortlaut der Leistung nicht mehr explizit in den Fokus genommen.
Dabei wäre aus unserer Sicht gerade dies notwendig, um die
gleichstellungspolitische Bedeutung von Vätern hervorzuheben. Viele
Väter wollen heute mehr Zeit mit ihren Kindern verbringen und sich
partnerschaftlich einbringen. Sie sind ein selbstverständlicher Teil der
Familie und von Anfang an wichtig. Daher müssen Väter bei politischen
Maßnahmen, die sie betreffen, auch deutlich als Zielgruppe adressiert
werden.
Gemeinsam mit allen am offenen Brief Beteiligten fordert die LAG Väterarbeit NRW die Bundesfamilienministerin deshalb auf, den Koalitionsvertag ernst zu nehmen und durch die schnelle Einführung der Vaterschaftsfreistellung eine partnerschaftliche und gleichstellungsorientierte Familienpolitik zu stärken. Dazu sind in dem Offenen Brief Eckpunkte zur Ausgestaltung formuliert.
Interview mit Andreas Haase und Alexander Bentheim
Lieber Andreas, du hast gemeinsam mit Alexander Bentheim das
Portal vaeter-nrw.de aufgebaut. Kannst du dich noch daran erinnern, wie
Ihr an den Auftrag gekommen seid?
Andreas Haase Ja. Es gab einen Fachtag im Jahr 2005
zum Thema Väterarbeit in NRW auf der Basis der Untersuchungen von Martin
Verlinden. Diesen hatten wir als männerwege GbR für das Ministerium
konzipiert und organisiert. Er war in der Vernetzung der Akteure in der
Väterarbeit so erfolgreich, dass das Ministerium danach an diesem Thema
weiterarbeiten wollte. In einem Brainstorming-Workshop im Spätsommer
2005 mit uns und Martin Verlinden entstand dann die Idee eines Portals,
auf dem alle wichtigen Informationen und Anregungen für Väter und
Fachpersonal gebündelt werden sollten.
Alexander Bentheim … neben Martin Verlinden war
zeitweilig noch Robert Richter dabei, um Optionen für eine
arbeitsteilige Umsetzung zu beraten. Die Freischaltung des Portals fand
dann am 12. Mai 2006 in Anwesenheit von Armin Laschet, damals
NRW-Familienminister, statt.
Welche Erwartungen hat das Familienministerium mit dem Väter-Portal verknüpft?
AH Das Ministerium wollte damals vor allem (jungen)
Väter Hilfestellungen geben, ihre Vaterrolle im Sinne einer zugewandten
Erziehung auszuüben. Eine weitere Erwartung war sicherlich, dass durch
die Bündelung aller Aktiven im Bereich Väterarbeit in NRW, dieses Thema
hoch professionell nach außen getragen werden konnte.
Was waren eure persönlichen Ziele beim Aufbau und der Betreuung der Webseite?
AH Meine Ziele bestanden darin, sowohl für die Väter
als auch für das Fachpersonal die bestmöglichsten Informationen
bereitzustellen, um einerseits die Väter zu motivieren, ihre Vaterrolle
anzunehmen und so auszugestalten, dass es dem Kind, ihnen selber und der
Familie zu Gute kommt. Zum anderen sollte das Fachpersonal im Bereich
Väterarbeit angeregt werden, durch neue Ideen ihren Arbeitsbereich
weiterzuentwickeln und sich selber zu reflektieren.
AB Ich fand es spannend, jahrelange Erfahrungen
vieler in der Väterarbeit Engagierter in einem ministeriellen Vorhaben
konzentriert bündeln und zugänglich machen zu können – exemplarisch in
dieser offiziellen Form erstmals und mit Reichweite auch über NRW
hinaus. Mein persönliches Ziel war, die Auftraggeber*innen von der
Notwendigkeit einer Ermutigung von Vätern für ihre Belange, und
natürlich auch der Sichtbarmachung ihrer verschiedenen Lebenslagen, zu
überzeugen. Dass wir neben der Zielgruppe Väter parallel auch Fachkräfte
und Multiplikator*innen mit entsprechenden eigenen Inhalten direkt
erreichen konnten, fand ich folgerichtig und in der hier mit dem
Ministerium gemeinsam geteilten Wahrnehmung sehr angenehm.
Rückblickend betrachtet, hat das Projekt die Wirkungen erzielt, die erreicht werden sollten?
AH Ich kann nur für die Jahre 2006 bis 2009 dazu
etwas sagen, da wir das Väterportal nur bis 2009 gepflegt haben. In
dieser Zeit entstand aus meiner Sicht eine gute Vernetzung der
Väterarbeit in NRW sowie viele Idee in der Väterarbeit, um Väter mit
ihren Anliegen zu unterstützen. Zudem konnten wir m.E. viele Väter durch
das Väterportal erreichen, um ihnen auf diesem Wege viele Anregungen
und wichtige Informationen rund um ihre Vaterschaft zu vermitteln.
AB … aus meiner Sicht wären fundiertere
Wirkungsanalysen in den Zielgruppen wünschenswert gewesen, weil
»gefühlte» Erkenntnisse oder rein statistische Daten zur
Nutzungsfrequenz des Portals allein nicht ausreichen, um die Frage
valide beantworten zu können.
Wie müsste eurer Meinung nach heute, im ‚Social-Media‘ Zeitalter, ein Portal aussehen, dass Väter anspricht und begleitet?
AB Es müssten sicher mehr Apps und Tools für
Smartphones zum Einsatz kommen, um die zu verbreitenden Informationen
schneller, prägnanter, übersichtlicher zur Verfügung stellen. Auch
Bildmarken und andere kommunikative Elemente spielen heute eine größere
Rolle als vor 16 Jahren. Ich denke, dass Väter einen guten Mix aus
praktischer Information und auch unmittelbarer Interaktion schätzen
würden.
AH Da kann ich leider nicht viel zu sagen, da ich derzeit die Bedürfnisse der Väter, wie eine Informationsaufbereitung aussehen sollte und ihren Umgang mit ‚Social-Media‘ nicht ausreichend genug kenne.
auch in diesem
Jahr sind mehr als 25 Väter der Einladung von Heiner Fischer gefolgt und
haben zum Vatertag in einem kurzen Videostatement erzählt, was
Vaterschaft für sie bedeutet und haben sich so als Väter in
Verantwortung sichtbar gemacht.
Väter wollen mehr Verantwortung übernehmen
Das sieht selbst das Arbeitgeber*innen nahe Kölner Institut der
Deutschen Wirtschaft: In einem Beitrag zum Vatertag ist zu lesen: „Die
meisten Väter wünschen sich eine gleiche Aufgabenteilung bei der
Kindererziehung:
Die positiven Entwicklungen beim Elterngeld weisen darauf hin, dass sie
es ernst meinen. … War Kindererziehung lange Zeit fast ausschließlich
Frauensache, wollen sich die Väter heutzutage mehr engagieren. 55
Prozent der Männer mit Kindern unter zehn Jahren wollen die Hälfte der
Betreuung übernehmen, 23 Prozent sogar den größeren Anteil.
Dass es den Vätern mit der Kinderbetreuung ernst ist, zeigt sich beim
Elterngeld: Nutzten dies bei den im Jahr 2008 geborenen Kindern knapp
21,2 Prozent, waren es bei 2018 geborenen Kindern mit 42,1 Prozent
bereits nahezu doppelt so viele. Ein weiterer Anstieg zeichnet sich ab.
Allerdings nehmen die meisten Väter bisher lediglich die zwei vorgesehen
‚Partnermonate‘ in Anspruch.“
Das ist nicht nur in Deutschland so, auch in Island, wo seit langem
die Regelung 3 Monate für die Mütter, 3 für die Väter und 3 zur freien
Verfügung gilt und mehr als 90 % der Väter Elternzeit nehmen, sind es
die für sie ‚vorgesehenen‘ drei Monate.
Da liegt es doch auf der Hand, die Zahl der für Väter reservierten
Monate heraufzusetzen und am besten eine paritätische Aufteilung: je
sieben Monate für Väter und Mütter einzuführen.
Der Lackmustest dafür, wie die Arbeitgeber*innen tatsächlich zu mehr
väterlichem Engagement von Anfang an stehen, ist ihre Haltung zur
14tägigen ‚Vaterschaftsfreistellung‘ unmittelbar nach der Geburt. Die
ersten Reaktionen auf die Ankündigung der ehemaligen Familienministerin
Anne Spiegel, dieses Vorhaben schnell umzusetzen, ergab eine falsche
Färbung.
In dem üblichen Abwehrreflex ließen sie verlauten, die bisherigen
tariflichen Regelungen, d.h. eine Freistellung an einem Tag, reiche
vollkommen aus.
Vor drei Jahren wurde die EU-Vereinbarkeitsrichtlinie beschlossen, um
in der Europäischen Union notwendige Mindeststandards zur Vereinbarkeit
von Beruf und Privatleben herzustellen und die Rahmenbedingungen für
eine partnerschaftliche Aufteilung von Haus-, Sorge- und Erwerbsarbeit
zwischen den Geschlechtern zu verbessern.
Bis August 2022 muss die Vereinbarkeitsrichtlinie in nationales Recht
umgesetzt werden. Ein zentraler Bestandteil der Richtlinie ist die
Einführung einer Vaterschaftsfreistellung. Eine solche Leistung gibt es
in dieser Form in Deutschland bisher nicht, anders als in anderen
EU-Mitgliedsstaaten.
Das Bundesfamilienministerium hat Ende April einen
Referent*innenentwurf für ein Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie
vorgelegt. Die Vaterschaftsfreistellung wird darin mit keinem Wort
erwähnt, obwohl die Bundesregierung in ihrem Koalitionsvertrag
angekündigt hat, „eine zweiwöchige vergütete Freistellung für die
Partnerin oder den Partner nach der Geburt eines Kindes ein[zu]führen.“
Die LAG Väterarbeit NRW, die sich von Anfang an für die Umsetzung der
Richtlinie eingesetzt hat ist darüber sehr irritiert und fordern die
Bundesregierung auf, zeitnah zu klären und öffentlich bekannt zu machen,
wann und in welcher Form eine vergütete Freistellung für Väter (und
andere zweite Elternteile) nach der Geburt gesetzlich eingeführt werden
soll. Die Gleichstellung der Geschlechter geht nur gemeinsam und wird
nur dann nachhaltig gelingen, wenn auch Jungen, Männer und Väter dabei
stärker als bisher in den Blick genommen werden.
Anlässlich des »Vatertags« am 26. Mai möchten wir daran erinnern.
Jetzt ist es an der Ampelkoalition zu zeigen, dass sie es beim Thema
Gleichstellung ernst meint und auch Männer für das Thema gewinnen will.
Bis zur Vorlage des Gesetzentwurfs schien die
Vaterschaftsfreistellung politisch ein Selbstläufer zu sein. Die
vormalige Familienministerin Anne Spiegel kündigte sie im vergangenen
Dezember als wichtiges Vorhaben an. Nun schweigt allerdings der
Referent*innenentwurf der Bundesregierung ausgerechnet zur
Vaterschaftsfreistellung. Diese ist wichtig, um einen klaren rechtlichen
Rahmen auch gegenüber Arbeitgeber*innen zu schaffen, damit Väter sich
in dieser wichtigen ersten Phase voll und ganz auf ihre Kinder und die
Unterstützung ihrer Partnerinnen konzentrieren können.
In einem offenen Brief an Bundesfamilienministerin Lisa Paus vom 20. Mai 2022 fordert Holger Strenz vom Projekt »Papaseiten.de« des Väterzentrum Dresden die Einführung der Vaterschaftsfreistellung nicht weiter hinauszuzögern. Vor einem Jahr hat Papaseiten.de
eine Petition zur Vaterschaftsfreistellung initiiert, die auch von der
LAG-Väterarbeit NRW unterstützt wird und die noch bis zum
Internationalen Vatertag am 19. Juni 2022 mitgezeichnet und geteilt
werden kann.
Bislang sind mehr als 9.000 Unterschriften zusammengekommen. Gemeinsam können wir bis zum Internationalen Vatertag ein deutliches Zeichen setzen. Dafür benötigen wir gerade jetzt Eure und Ihre Unterstützung!
„Beim differenzierten Blick auf die Einrichtungsarten wird deutlich,
dass Väter 2019 am häufigsten Angebote in Beratungseinrichtungen in
Anspruch nahmen, am seltensten in Einrichtungen der Eltern- und
Familienbildung. Gerade mit Blick auf die Einrichtungen der Eltern- und
Familienbildung deuten die Ergebnisse darauf hin, dass sich der Anteil
der männlichen Teilnehmer im Verhältnis zur Bestandsaufnahme von 2006
kaum verändert hat.“
Prognos AG Familienbildung und Familienberatung in Deutschland eine Bestandsaufnahme
Die LAG Väterarbeit hat im Vorfeld der Landtagswahl am 15 Mai fünf
konkrete väterpolitische Forderungen aufgestellt und die im Landtag
vertretenen Parteien darum gebeten darzulegen, inwieweit eine Stimme für
Ihre Partei zu einer Umsetzung in den kommenden 5 Jahren beitragen
wird.
Die zweite Forderung lautet:
„Einrichtung eines Bildungsbudgets im Rahmen des
Weiterbildungsgesetzes (§17 WbG) um neue Zugänge, offene Angebote,
aufsuchender Bildung für die bislang kaum erreichte Zielgruppe der Väter
zu entwickeln und durchzuführen. Dadurch wird auch die regionale
Vernetzung und sozialräumliche Ausrichtung der Angebote gewährleistet.“
Die CDU hat dazu geantwortet:
Durch die Reform des Weiterbildungsgesetzes haben wir die
nordrhein-westfälische Spitzenstellung bei der gemeinwohlorientierten
Weiterbildung in den vergangenen fünf Jahren ausgebaut, die
Grundförderung verlässlicher gestaltet und innovative neue
Förderinstrumente geschaffen. Diese Dynamisierung der Landesförderung im
Bereich der Weiterbildung werden wir fortschreiben, um
bedarfsorientierte Fördermöglichkeiten zu gewähren. Auch weiterhin
wollen wir die starke Weiterbildungslandschaft mit über 450
Volkshochschulen und freien Weiterbildungseinrichtungen, die mehr als
1,5 Millionen Menschen in unserem Land jährlich besuchen, stärken.
Die FDP hat dazu geantwortet:
Lebenslange Weiterbildung hat für uns in einer Welt im Wandel eine
zentrale Bedeutung. Deswegen haben wir in dieser Legislatur das
Weiterbildungsgesetz novelliert und die gemeinwohlorientierte
Weiterbildung zukunftsfähig aufgestellt. Insgesamt wollen wir bessere
Voraussetzungen für die Vereinbarung von Weiterbildung und Familie
schaffen, da speziell Familienarbeit und insbesondere die Betreuung und
Erziehung von Kindern eine wichtige Phase der Persönlichkeitsentwicklung
ist. Verantwortung für Kinder und Familie zu übernehmen, stärkt auch
die Bereitschaft und Fähigkeit im beruflichen Kontext Führungsrollen
einzunehmen. Daher steigern familienfreundliche Weiterbildungen die
Karrierechancen von Menschen, die auch zu Hause Verantwortung
übernehmen. Aus-, Fort- und Weiterbildung bleiben das ganze Leben
Grundlage für sozialen Aufstieg und beruflichen Erfolg. Die Entscheidung
für Weiterbildung darf nicht finanziell erschwert werden. Wir
unterstützen deswegen die umfassenden Vorhaben der neuen Bundesregierung
in diesem Bereich, vor allem die Schaffung ganz neuer
Gamechanger-Instrumente wie das Lebenschancen-Bafög.
Die Grünen haben dazu geantwortet:
Auf Initiative der Fraktionen von CDU, SPD, FDP und Grünen wurde das
Weiterbildungsgesetz in diesem Jahr novelliert. Insbesondere war das
Anliegen, neue Formate zu fördern und bislang wenig erreichte
Zielgruppen in den Fokus zu nehmen. Deshalb gibt es nun Innovationsfonds
und Entwicklungspauschalen für die Einrichtungen. Spezielle
Bildungsbudgets für bestimmte Zielgruppen sind nicht vorgesehen. Die
Erfahrung zeigt, dass es zielführender ist, die Einrichtungen
entscheiden zu lassen, wie sie auf welche Zielgruppe zugehen.
Die SPD hat dazu geantwortet:
Sozialräumliche Arbeit ist ein Kernpunkt der NRWSPD und unserer Kinder- und Familienpolitik, wir wollen flächendeckend Familienbüros in den Quartieren etablieren, die die Angebote der Familienbildung, der Jugendhilfe und der Familienberatung bündeln. Die alle Angebote im Stadtteil bewerben und so auch Initiativen für Väter bewerben. In Kooperation mit den Familienzentren in Kitas und Grundschulen wollen wir die Elternarbeit stärken und hier auch besonders auf spezifische Angebote für Elternteile stärken, eben auch besonders für Väter.