Noch immer nehmen Mütter mehr
Elternzeit als Väter in Anspruch. Warum ist das so? Liegt es an fehlenden
Vorbildern, an der Vermutung, dass man nicht ersetzbar ist oder an den
Rahmenbedingungen?
Im ersten Job-Talk 2022 der
Badischen Zeitung interviewt Moderator Andreas Seltmann die beiden Väter Martin
Horn, Oberbürgermeister der Stadt Freiburg und Roland Meder, Leiter des Haupt-
und Personalamtes der Stadt Freiburg. Eine kurzweilige halbe Stunde, die ganz
unterschiedliche Sichtweisen auf die Elternzeit bietet.
… lautet der Titel des
Erstlingswerks von Fabian Soethof, das am 21. März im Kösel Verlag erscheinen
wird. Programmatisch heißt es im Untertitel „Es ist Zeit, Familie endlich
gleichberechtigt zu leben“. Dem kann ich uneingeschränkt zustimmen. Gedanklich
ergänzt sich der Titel bei mir um das Wort ‚lernen‘ und beim Untertitel denke
ich daran, was meine Kollegen und ich in den vergangenen 25 Jahren bewegt und
erreicht haben, um Rahmenbedingungen so zu beeinflussen, dass dies Vätern und
Müttern gleichermaßen gelingt. Aber dazu später mehr.
In dem umfangreichen Vorwort
beschreibt der Autor die Ausgangslage aus seiner Sicht und sieht seine
Generation als diejenige, die erstmals aus der Ernährerrolle ausbrechen „soll
und will“. Im Gegensatz zu „Früher“ wo Rollen klar zugeordnet waren, wollen
Väter heute nicht mehr abwesend sein und Mütter am Erwerbsleben teilhaben. Das
Spannungsfeld liegt zwischen den zugeschriebenen Erwartungen und den eigenen
Wünschen. „Die Aufgaben waren klar verteilt. Frauen und Männer taten vielleicht
nicht das, was sie wollten. Aber das, was von ihnen erwartet wurde.“ Und dann
kommt ein für mein Verständnis des ganzen Buches entscheidender Satz: „Diese
Zeiten sind leider nur teilweise vorbei.“
Vor diesem Hintergrund ist ein „Plädoyer
für eine private, gesellschaftliche und politische Veränderung von Familie,
Arbeit, Vereinbarkeit und Rollenbildern.“ legitim und die Einladung an Väter, „ihre Rolle
zu reflektieren, kritisch
zu hinterfragen und sich infolgedessen auch von überholten Erwartungshaltungen zu befreien,“
gut nachvollziehbar.
Der nächste Satz macht mich aber stutzig: „Väter müssen keine Angst verspüren, bisher als selbstverständlich wahrgenommene Privilegien abzugeben, wie
das, sich nur um ihren Job zu kümmern.“ Das zu tun, was von mir erwartet wird, Vollzeit
in einer oder prekär in zwei oder mehr Beschäftigungsverhältnissen erwerbstätig
zu sein, ist für mich kein „Privileg“.
Das sich an der Aufteilung von bezahlter Erwerbs- und unbezahlter Carearbeit
etwas ändern muss, ist unbestritten. Das machen auch die von Soethof zitierten Studien
und die Zeitverwendungserhebung oder die vom IAB regelmäßig erhobene Verteilung
von tatsächlichen und gewünschten Arbeitszeiten deutlich. Da aber Mütter und Väter
gleichermaßen in der Summe ca. 11 Stunden für Care und Erwerbsarbeiten aufwenden,
ist eine Veränderung nur systemisch zu erreichen.
„Don’t fix the women, fix the system“ lautet eine feministische Vision,
für die Google mehr als 90.000 Fundstellen liefert. Dementsprechend hätte ich
von einer Einladung an Väter, ihre Wünsche nach einer partnerschaftlichen
familialen Aufgabenteilung zu verwirklichen und vielmehr noch von einem
‚Plädoyer für Veränderung‘ erwartet, dass dieser Haltung entsprechend
Möglichkeiten erwogen, Spielräume ausgelotet und konkrete strukturelle
Veränderungen, die dies ermöglichen, benannt werden.
Aus dem was Soethof auf den nächsten gut 200 Seiten schreibt, lese ich
vor allem eine widersprüchliche Adaption dessen, was in Gesellschaft und
Politik zu langsam umgesetzt wird und einem ungeklärtem Verhältnis zu dem, was
er Vätern tatsächlich zutraut bzw. von ihnen erwartet. „Viele, glaube ich, wollen
die Rollenbilder ihrer eigenen Eltern eigentlich gar nicht
weiterführen. Allerdings sprechen sie nicht konkret darüber, treffen keine
genauen Vereinbarungen und landen schneller als gedacht in vertrauten Mustern
oder der Rolle, die gesellschaftlich von ihnen
erwartet wird. Manche trauen sich vielleicht auch gar nicht, etwas anderes einzufordern. Niemand trägt hier
irgendeine direkte, unmittelbare Schuld. Aber Veränderung beginnt mit Erkenntnis.“
Alexandra Schmidt-Wenzel hat, um
auch die individuelle Ebene zu betrachten, vor 15 Jahren mit ihrer Dissertation
dargelegt, wie aus Erfahrung Erkenntnis werden und sich daraus Verhalten
entwickeln kann. In „Wie Eltern lernen.“ einer empirisch qualitative Studien
zum innerfamilialen Kompetenzerwerb hat sie diese Prozesse analysiert und
Konsequenzen abgeleitet: „Sehen sich Väter in der Rolle des ‚guten Vaters’, so nehmen sie sich als
verantwortungsvolle Versorger wie Fürsorger im Sinne großer
Empathiebereitschaft und Beziehungsfähigkeit gegenüber dem Kind wahr. Ihre
grundlegend positive Selbsteinschätzung rekurriert jedoch auch auf einem
bestätigendem Vergleich zwischen den mütterlichen und den jeweils eigenen
Eigenschaften und Fähigkeiten, der wie zur Rückversicherung über das eigene
Können immer wieder vollzogen wird. So halten sich Väter prinzipiell für fähig,
in gleichem Maße wie die Mutter für ihr Kind sorgen zu können. Das Konzept des
empfundenen Stolzes, bei
positiven Rückmeldungen (vom Kind selbst, von der Partnerin, aber auch vom
gesellschaftlichen Umfeld) auf die väterlichen Kompetenzen untermauert diese
Besonderheit des väterlichen Selbstbildes.“
Und zur Bearbeitung des eigenen
Erlebens schreibt Schmidt-Wenzel an anderer Stelle: „In der Herkunftsfamilie
gesammelte Erfahrungen, verinnerlichte Werte, Haltungen und Rollen werden
entweder als bewusst oder auch
unbewusst gelebte Adaption in der aktuellen Familie fortgeführt oder
aber als bewusst gelebter Gegenentwurf
praktiziert. Den bewussten Haltungen gemein ist die jeweils vorangegangene
reflexive Auseinandersetzung mit der Herkunftsfamilie, auf deren Basis für das
eigene Leben, für die eigene Familie neu entschieden werden kann, welche Werte
transferiert, modifiziert oder auch gebrochen werden. Dabei existieren gelebte
Konzepte der Adaption wie des Gegenentwurfs durchaus nebeneinander und
schließen sich nicht gegenseitig aus.
Für Väter liegt ein zentraler Gegenentwurf in dem Anspruch, ihrem Kind ein emotional wie physisch präsenter Vater zu
sein, der aus der Reflexion eigener schmerzvoller Vaterentbehrungen hervorgeht.“
Es braucht also vor allem
positive Zuschreibungen ‚Väter können das‘, Ermutigung und Unterstützung bei
den erforderlichen Reflexions- und Aushandlungsprozessen in den Paarbeziehungen
und in, wie Klaus Althoff es nennt ‚Väterbanden‘.
Aber zurück zu dem Vorhaben von
Soethof. Das Buch ist in drei Abschnitten eingeteilt. Im ersten wirft er einen „subjektiven
Blick auf unser elterliches Gestern“, im zweiten auf das Heute und abschließend
auf das Morgen. „Wo wir herkommen wir ? Wo wir stehen wir? Wo wir hingehen sollten?“
Soethof porträtiert dazu in
Vollzeit arbeitende Väter und Hausmänner, wie zum Beispiel Heiner Fischer von
vaterwelten.de. Er zitiert Mütter, die sich aktiv und öffentlich für mehr
Gleichberechtigung einsetzen. Er interview den Väterforscher Andreas Eickhorst
und stellt Literatur vor, die sich aus anderer Perspektive mit ähnlichen
Problemen beschäftigt. Dazu zitiert er „(ernüchternde) Zahlen zu Care-Arbeit
aus aktuellen Studien“. Um die Frage zu klären, wie mit Arbeitnehmer*innen, die
Eltern sind oder werden, umgegangen wird, hat er im kleinen Familienbetrieb seines
Vaters und bei SAP nachgefragt.
Am Ende zahlreicher Abschnitte
stellt der Autor Fragen, Aufgaben und biete Reflexionsanreize, die ihm während
der Recherche selbst kamen und ich mir gewünscht hätte, dass der Autor sie auch
für sich beantwortet. „Bist du dir deiner eigenen Filterblase bewusst? Wie
könntest du sie öffnen?
Er ist der Überzeugung, „nur so können Väter erkennen, welche Leistung Mütter stemmen, und dass es nicht nur Eltern, sondern auch Kindern und der Gesellschaft hilft, wenn wir hinterfragen, warum wir Familienarbeit so aufteilen, wie wir sie häufig noch aufteilen. Ich jedenfalls mache den überholten Scheiß nicht länger und um jeden Preis mit.“ Das ist eine ehrliche Aussage, ich habe aber meine Zweifel, ob die zu Beginn ausgesprochene Einladung auf diesem Niveau zu dem gewünschten Erfolg führt.
Mehr
als zwei Drittel aller jungen Männer und Frauen wünschen sich eine
partnerschaftliche Aufteilung von Erwerbs- und Familienarbeit, wenn sie
denn einmal Väter und Mütter sind. Wünsche und Wirklichkeiten klaffen
aber nach wie vor auseinander, auch wenn es auf den ersten Blick
‚gerecht‘ aussieht.
Die Summe von bezahlter und unbezahlter Arbeit an Wochentagen ist bei
Männern und Frauen mit circa 11 Stunden in etwa gleich. Aber bezahlte
und unbezahlte Arbeit ist zwischen Männern und Frauen ungleich
aufgeteilt. Dies zeigt die alle 10 Jahre durchgeführte
Zeitverwendungserhebung ebenso wie Studien, die im Kontext der Pandemie
durchgeführt worden.
In einer aktuellen Studie[i]
heißt es dazu, „Betrachtet man die gegenwärtige Studienlage zu
innerfamilialer Arbeitsteilung und Geschlechterungleichheit, zeigt sich …
ein heterogenes und widersprüchliches Bild“ und weiter „Innerfamiliale
Arbeitsteilung lässt sich zunächst direkt auf der Mikroebene verorten,
bei den Paaren und in Familien. Für die Untersuchung der Arrangements
gilt es aber, die innerfamiliale Mikroebene in ihrer Verwobenheit mit
dem mobilen Arbeiten im Kontext von Arbeitsorganisationen auf der
Mesoebene und den Makrostrukturen des Wohlfahrtsstaates sowie
gesellschaftlichen Norm(alitäts)annahmen, wie
geschlechterdifferenzierende Zuschreibungen von Betreuungsverantwortung,
zu betrachten. … Aushandlungen kommt als Modus für Erzeugung, Erhalt
und Veränderung sozialer Ordnung eine zentrale Bedeutung zu.“
Als Fazit bilanzieren die Autor*innen ‚paradoxe Gleichzeitigkeiten‘.
„Wir folgern aus unseren Analysen, dass die Diskussion um innerfamiliale
Arrangements und ihre Entwicklungen während der CoronaKrise
differenziert geführt werden muss: Weder haben wir es ausschließlich mit
einer Retraditionalisierung noch mit einer Modernisierung zu tun,
sondern vielmehr werden bereits bestehende Geschlechterungleichheiten
sichtbar und teilweise verschärft – bei gleichzeitig vorhandenem
Modernisierungsstreben.“
Was das für die Aushandlungen in den Partnerschaften bedeutet und
welchen Beitrag Familienbildung leisten kann um diese Prozesse zu
unterstützen, war das Thema einer Dialogrunde und eines Workshops bei
der Fachtagung der LAG Väterarbeit im vergangenen November.
In ihrem Impuls wies auch Barbara Streidl, Autorin der Streitschrift
‚Lasst Väter Vater sein‘, auf die Ambivalenzen hin: Einerseits
erleichtere das Homeoffice die Vereinbarkeit von Beruf und Familie,
bringe aber andererseits auch die Figur der wartenden Mutter zurück, auf
der die deutsche Sozialpolitik beruhe. Familie, Partnerschaft,
Erwerbstätigkeit, Haushalt, Selfcare und … die Erwartung ist, dass alles
gleichzeitig ‚erledigt‘ werde. Aber der Tag hat nun Mal ‚nur‘ 24
Stunden.
Als Vision wurde eine gesellschaftliche Aufwertung der Carearbeit
formuliert, die sich auch so äußern kann: „Da will ich ja eigentlich zum
Laternenumzug“, sagt der Oberstaatsanwalt, als es um eine Veranstaltung
am Abend des 10. Novembers ging. Die Veranstaltung begann um halb acht,
da ist der Umzug vorbei und er kommt knapp zur Veranstaltung.“
Es geht also darum, dem alltäglichen Vatersein Raum und Zeit zu
gestatten, das ist in erster Linie eine Frage der Haltung. Im Hinblick
auf die in den Partnerschaften notwendigen Aushandlungen geht es auch um
Einstellungen, aber vor allem um Kompetenzen und deren Zuschreibungen
auf Väter und Mütter. Einem klassisches Feld der Familienbildung.
Wie diese in NRW aufgestellt ist und wo Entwicklungspotenziale sind, hat die im vergangenen Jahr vorgelegte Evaluation[ii]
der familienpolitischen Leistungen gezeigt. Dort steht unter anderem,
es „wird deutlich, dass Väter 2019 am häufigsten Angebote in
Beratungseinrichtungen in Anspruch nahmen, … der Anteil der männlichen
Teilnehmer in der Familienbildung [hat sich] im Verhältnis zur
Bestandsaufnahme von 2006 kaum verändert hat. [er verharrt] auf dem
niedrigen Niveau von 16 bis 17 Prozent. An anderer Stelle ist zu lesen,
dass sich „Väter nicht durch die klassischen auf Reflexivität und Dialog
angelegten Kursgruppen angesprochen fühlen und entweder
Outdoor-Aktivitäten oder etwas Technisches bzw. Handwerkliches
bräuchten. Zudem wird die Teilnahme von Vätern/Männern überwiegend
abends oder an Wochenenden verzeichnet.“
Diese und weitere Ergebnisse der Evaluationsstudie griff auch Jürgen
Haas in seinem Impuls zu Beginn des Workshops auf und wies auf einen
weiteren ‚Mangel‘ hin, den geringen Anteil von männlichen Mitarbeitenden
in der Familienbildung.
Wer mehr Väter in der Familienbildung möchte, muss sich so sein
Fazit, als Entscheidungsträger und Anbieter, auch mit diesen
Herausforderungen auseinandersetzen. „Prognos hat in der aktuellen
Studie zu den familienbezogenen Leistungen in NRW auf fünf
Handlungsfelder hingewiesen, die meines Erachtens auch für die
Familienbildung Relevanz haben: Bekanntheit, Vernetzung,
Digitalisierung, Angebotsformate und das Personal.
Als Ergebnis des Workshops wurden drei zentrale Weichenstellungen formuliert:
für die Neuausrichtung der Angebote im Bereich der
Familienbildungsarbeit braucht es einen langen Atem. Projekte sind oft
sehr kurzfristig angelegt. Dadurch kann man das Vertrauen und die
Kontinuität der Väterbeteiligung nicht sicherstellen
eine Erhöhung der Anteile des pädagogischen männlichen Personals in
der Familienbildung und auch die der freiberuflichen Honorarkräfte kann
durch eine bessere finanzielle Ausstattung erreicht werden
die Fachkräfte müssen in die Lage versetzt werden, Väter
gendersensibel in den Blick zu nehmen und anzusprechen. Dazu braucht es
passende Qualifizierungsangebote.
Take Aways für Väter
Es ist gut, dass Sie sich vornehmen, sich alle anfallenden Aufgaben
in der Familie ‚gerecht‘ aufzuteilen. Damit dies Vorhaben auch gelingt,
ist es hilfreich, sich mit ihrer Partnerin darüber auszutauschen welche
Erwartungen sie als Vater und Mutter an sich und den jeweils anderen
haben.
Im nächsten Schritt geht es dann darum, wer was zu welchem Zeitpunkt
macht: Elternzeit nimmt, Kinder und Haushalt betreut oder das Geld für
die Finanzierung des Projekt Familie verdient. Lassen Sie sich bei
diesen ‚Verhandlungen‘ nicht vorschnell durch die Verlockungen des
vermeintlich leichteren Wegs, eine*r geht Geld verdienen und eine*r
bleibt zu Hause über den Tisch ziehen. Auch wenn Sie vorhaben, beim
nächsten Kind alles anders zu machen führt diese gutgemeinte ‚temporäre
Teilretraditionalisierung‘ geradewegs in alte Rollenmuster und engt ihre
Spielräume und Wünsche, mehr Zeit mit den Kindern zu verbringen und
dafür ggf. auch Arbeitszeiten zu reduzieren extrem ein
Fangen Sie mit diesen Aushandlungsprozessen frühzeitig an, am besten
genau dann, wenn Sie über die Umsetzung ihrer Kinderwünsche sprechen.
Eine ‚Arbeitshilfe‘ dazu finden Sie hier oder auch auf dieser Webseite.
Denkanstöße für Beschäftigte in der Familienbildung und Familienzentren
Es ist gut, wenn Sie in Zukunft Väter verstärkt in die
Familienbildungsarbeit ihrer Einrichtung einbinden möchten. Beziehen Sie
bei der Planung der Angebote am besten Väter mit ein.
Planen Sie diese Angebote möglichst niedrigschwellig und zun den
Zeiten, in der die Väter auch daran teilnehmen können: nach Feierabend,
am besten Freitagnachmittag oder Samstagvormittag
Kommunizieren Sie die Angebote so, dass Väter diese auch im Internet finden können.
Bei allen Fragen, die Sie zu diesem Thema haben steht Ihnen die Geschäftsstelle der LAG-Väterarbeit gerne beratend zur Seite.
[i]
Almut Peukert, Miriam Beblo, Laura Lüth und Katharina Zimmermann;
Erwerbs- und Familienarbeit im Homeoffice? Innerfamiliale Arbeitsteilung
in der Corona-Krise auf dem Prüfstand; in Sozialer Fortschritt, 71
(2022), S.29ff
Die Stadt München hat eine Ausschreibung für ein Väterberatungszentrum veröffentlicht. In der Ausgangslage zu dem Vorhaben heißt es unter anderem:
Nach fachlicher Einschätzung des
Sozialreferates hat sich die Rolle von Vätern* in den letzten Jahren stark
verändert. Väter* fühlen sich vermehrt für die Familien- und Erziehungsbereiche
mitverantwortlich und nehmen diese auch wahr. Wissenschaftliche Erkenntnisse
der Väter- und Familienforschung zeigen auf, dass Väter* weiterhin für die
vorhandenen Bildungs- und Beratungsangebote für Eltern und Familien schwer zu
erreichen sind. Gleichzeitig hat die hohe Zahl von Trennungen weitreichende
Konsequenzen für Familien und kann Einfluss auf das Wohl der Kinder nehmen.
Durch die hohe Anzahl hochstrittiger Trennungen, in denen Väter* schwer für
Beratungseinrichtungen erreichbar sind, kommt es immer wieder zu
Kontaktabbrüchen zu ihren Kindern. Diese starken Trennungskonflikte schaden dem
Wohl des Kindes sehr.
Kinder und Familien profitieren
von aktiven und zugewandten Vätern*. Engagierte Vaterschaft nützt nicht nur den
Vätern* selbst, sondern auch den Kindern und Müttern*.
Gerade für diese Gruppe der
„neuen“ Väter* bedarf es Angeboten, die von ihnen akzeptiert werden und auf
ihre speziellen Bedürfnisse eingehen, sowohl nach Trennungssituationen als auch
im Erziehungsbereich oder bei der Vereinbarkeit von Beruf und Familie in der
Partnerschaft.
Um diesen entstandenen Bedarf
abzudecken und weiteren Entwicklungen zu begegnen, wurde mit Beschluss des
Kinder- und Jugendhilfeausschusses vom 04.02.2020 und der Vollversammlung des
Stadtrats vom 19.02.2020 (Sitzungsvorlage Nr. 14-20 / V 17079), sowie dem
Beschluss des Kinder- und Jugendhilfeausschusses vom 05.10.2021 und der
Vollversammlung des Stadtrats vom 20.10.2021 (Sitzungsvorlage Nr. 20-26 / V
04257) das Sozialreferat mit der Einrichtung eines Väterberatungszentrums als
Modellprojekt beauftragt.
Die Modellphase ist über vier Jahre von 2022 bis 2025 vorgesehen. Nach der Evaluation im Jahr 2024 wird das Ergebnis dem Stadtrat zur Entscheidung erneut vorgelegt.
Am Donnerstagnachmittag hatten Heiner Fischer und ich Gelegenheit, im Gespräch mit Dennis Maelzer und Regina Kopp-Herr unsere Vorstellungen von ‚moderner‘ Vaterschaft zu äußern und darüber ins Gespräch zu kommen, was (Landes-) Politik dazu beitragen kann, diese zu stärken. Zum Beispiel im Kontext der #Vaterschaftsfreistellung, eines neuen Unterhaltsrechts oder durch die Öffnung von (kommunalen) Räumen für #Vaeter, die am Wochenende Umgang mit ihren Kindern in einer anderen Stadt haben.
… und Väter gestehen sich häufig eine Krise erst dann ein, wenn sie alleine absolut nicht mehr weiter wissen. Das war schon vor Corona eine ‚Binsenwahrheit‘ und die Pandemie hat auch an dieser Stelle offengelegt, was eh nicht mehr zu verbergen war.
„Väter können permanent in Krisen sein. Die Vereinbarkeit von etwas, was nicht vereinbar ist, kann zu Ernüchterung und Überforderung führen“, führt Vonnoh in seinem Impuls aus, und weiter, „wir haben eine Vorstellung davon, was okay ist und was nicht. Gleichzeitig nehmen wir uns nicht die Zeit, zu hinterfragen, was dahintersteckt. Wir müssen schauen, wie ein typischer Alltag von einem Vater aussieht. Wir meinen, wir haben keine Wahlmöglichkeiten. Aber wenn es mir selber nicht gut geht, funktioniere ich bestenfalls nur und es kommt bei den Kindern nichts wirklich an, sie fühlen sich nicht gehalten und sicher.“
Viele Väter ahnten nicht, welche Potenziale in ihnen stecken. Als Männer haben sie gelernt, Wünsche und Gefühle zu unterdrücken. Es fällt ihnen daher auch schwer, sich in die Partnerin oder die Kinder hineinzuversetzen. Ein Zugang zu den Emotionen ist aber wichtig, um echte Beziehungen zur Partnerin und sichere Bindungen zu den Kindern aufzubauen. Viele Männer haben auch Probleme damit, der Zeit mit den Kindern einen eigenen Wert zuzuschreiben, auch wenn man nur gemeinsam ‚abhängt‘. Es habe aber einen unschätzbaren Wert, sich als Vater ein paar Wochen, Monate oder vielleicht auch Jahre rauszunehmen, um die Kinder bestmöglich zu begleiten. Es muss für Männer spürbar werden, welche Bedeutung es hat, für die Kinder da zu sein.
Vor diesem Hintergrund hat Corona und die mehrfach verhängten Lockdowns, die unfreiwillige Kurzarbeit, das HomeOffice und Homeschooling mit den Kindern alleine zu Hause für viele Väter auf der individuellen Ebene neue Erfahrungen mit sich gebracht und kann auf der gesellschaftlichen als wirkmächtiges soziales ‚Experiment‘ betrachtet und ausgewertet werden. Es lohnt sich, an dieser Stelle genauer hinzuschauen und die Konsequenzen der Lockdowns für väterliches Engagement zu betrachten
Die umfangreichste Untersuchung dazu hat das Fatherhood Institute[i] aus London mit der Studie „Lockdown Fathers: The untold story“[ii] vorgelegt. Die Studie basiert auf einer landesweit repräsentativen Stichprobe von rund 2 000 Vätern, die im Frühjahr 2020 während des Lockdowns im Vereinigten Königreich befragt wurden. Sie zeigte, dass Väter aus Paarfamilien aller sozioökonomischen gesellschaftlichen Gruppen:
mehr Zeit mit ihren Kindern verbrachten (78 %),
mehr Zeit als üblich für die häusliche Erziehung und die Unterstützung bei den Hausaufgaben aufwandten (68 %),
sich nach dieser Erfahrung besser gerüstet fühlten, um das Lernen und die Erziehung ihrer Kinder zu unterstützen (57 %; selbst unter benachteiligten Vätern lag der Anteil bei 50 %),
sowie 59 % mehr Zeit für Putzen, Wäsche waschen und Kochen aufbrachten. Und das, obwohl 27 % weiterhin Vollzeit außer Haus Erwerbsarbeit nachgingen und 86 % derjenigen, die während der Schließung noch arbeiteten, 30 und mehr Stunden pro Woche erwerbstätig arbeiteten. [iii]
Auch in anderen wichtigen Bereichen berichteten die Väter von überwiegend positiven Erfahrungen. Hinsichtlich der Anstiegs von „Väterkompetenzen“ berichteten 65 % von einer besseren Vater-Kind-Beziehung nach dem Lockdown im Frühjahr 2020 (73 % der Väter, die Vollzeit zu Hause sind). 48 % fühlten sich nach dem Lockdown in ihrer Elternrolle als kompetenter, nur 8 % fühlten sich weniger kompetent. 42 % fühlten sich besser in der Lage, Ruhe zu bewahren und ihre Wut auf ihre Kinder zu kontrollieren. Eine kleine, aber signifikante Minderheit (14 %) war dazu weniger in der Lage.
Hinsichtlich des Verständnisses für die Kinder gaben 51 % an, ihre Kinder besser zu verstehen, und 64 % fühlten sich ihnen nach dem Lockdown emotional näher. Fast alle anderen berichteten von keiner Veränderung. Nur 2 bis 3 % berichteten von einer Verschlechterung.
Bezüglich der mentalen Gesundheit, dem sog. „Mental Health“, zeigte sich folgendes Bild. Väter, die von einer besseren Vater-Kind-Beziehung berichteten, äußerten mit größerer Wahrscheinlichkeit auch ein besseren psychischen Wohlbefinden. Die meisten gaben an, dass sich ihr eigenes Wohlbefinden (und das ihrer Partnerin) während der Abriegelung verbessert (20 %) oder nicht verändert hat (40 %). Eine Verschlechterung wurde von 40 % berichtet. Dies steht in Verbindung mit befürchteten oder tatsächlichen Arbeitsplatz- und Einkommensverlusten.
Diese Väter benötigen passende und niedrigschwellige Beratungsangebote, und zwar eine Beratung, so Eberhard Schäfer, „die ihrem Anliegen gerecht wird. Das heißt, bei dem Berater oder bei der Beraterin muss ein Verständnis dafür da sein, dass dieser Mann oder dieser Vater in einer Krise ist. Und dass er entsprechend eine Ansprechpartnerin oder einen Ansprechpartner braucht, der zuhören kann und will. Der ein offenes Ohr hat. Der verständnisbereit ist. Und der schnell aus seiner professionellen Haltung heraus einordnen kann, um was es dem Vater geht und für was er jetzt welche Art von Rat oder Unterstützung oder Gespräch braucht.“
Das klingt banal, in der Realität finden Väter derartige Angebote nicht immer.
Take Aways für Väter
holen Sie sich rechtzeitig Unterstützung und nehmen Beratung in Anspruch. Je länger sie damit warten, umso langwieriger wird der Lösungsweg.
zu einer Beziehungskrise gehören immer zwei Seiten und bei einem Streit vor Gericht gibt es in der Regel mehrere Verlierer. Nehmen Sie gerade in Konfliktsituationen außergerichtliche, mediative Angebote in Anspruch und behalten ihre Verantwortung als Vater für Ihr Kind/ Ihre Kinder im Blick
spezifische Beratungsangebote können Sie in Ihrer Region unter maennerberatungsnetz.de finden
in NRW finden Sie auf der Webseite echte-maenner-reden.de ausgebildete Männerberater, die Sie in den unterschiedlichen Krisensituationen, auch als Opfer von Gewalt beraten
Anregungen für Familien – Beratungsstellen
überprüfen Sie, inwieweit sich Ihr öffentlicher Auftritt, Webseite, Flyer, etc. auch ausdrücklich an Männer und Väter richtet und die Angebote niedrigschwellig zugänglich sind
sind die Mitarbeitenden darauf vorbereitet, Väter in Krisensituationen spezifisch zu beraten?
können Sie ratsuchenden Männern und Vätern die Auswahl eine Beraters bzw. einer Beraterin ermöglichen?
beziehen Sie bei einer Trennungsberatung den jeweiligen Partner bzw. die Partnerin mit ein?
[iii] Burgess, A. & Goldman, R. (2021) Lockdown Fathers: the untold story (executive summary). Contemporary Fathers in the UK series. London: Fatherhood Institute; S. 3f
Innerhalb des Teilprojekts an der LMU München „Sich fair
trennen und weiter gemeinsam erziehen“ wird aktuell eine Studie zum
Alltag in Trennungsfamilien durchgeführt. Hierfür werden getrennte Eltern
zu ihrem Wohlbefinden, und zu ihren täglichen Herausforderungen und
Bewältigungsstrategien, z.B. in der Zusammenarbeit mit dem anderen Elternteil,
befragt.
Es ist den Forscher:innen besonders wichtig, mit der Studie
eine große Bandbreite von Eltern, und insbesondere auch Väter zu erreichen. Die
Vielfalt der Erfahrungen der Studienteilnehmenden soll uns helfen, das
Online-Angebot auf der Website auf den Bedarf von getrennten Vätern und Müttern
zuzuschneiden. Die Eltern erhalten für ihre Teilnahme an der Studie zudem eine Aufwandsentschädigung
von 40 €.
In der Studie geht es um die Situation von Familien, in
denen sich die Eltern getrennt haben. Es ist auch geplant, ein Online-Angebot
zu entwickeln, das Eltern bei der Gestaltung gemeinsamer Elternschaft nach
einer Trennung unterstützt. Um das Angebot hilfreich und passend gestalten zu
können, möchten die Forscher:innen in der Tagebuchstudie mehr darüber erfahren,
welche besonderen Herausforderungen getrennte Eltern im Alltag bewältigen
müssen, was ihnen dabei hilft, Schwierigkeiten zu meistern, und zu welchen
Themen sie Fragen haben oder sich Unterstützung wünschen.
Die Studie wird vom Bundesministerium für Familien, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) gefördert. Weitere Informationen zur Teilnahme finden Sie auf der Webseite des Projekts.
Eberhard Schäfer, Leiter des
Papaladens in Berlin, Systemischer Berater und Therapeut und Diplom Politologe
äußert sich zu Beratungsangeboten für Väter in einer Krisensituation
Welche Beratung brauchen Väter in einer
Krisensituation?
Väter brauchen in einer Krisensituation eine Beratung, sage ich jetzt erst mal so banal, die ihrem Anliegen gerecht wird. Das heißt, bei dem Berater oder bei der Beraterin muss ein Verständnis dafür da sein, dass dieser Mann oder dieser Vater in einer Krise ist. Und dass er entsprechend eine Ansprechpartnerin oder einen Ansprechpartner braucht, der zuhören kann und will. Der ein offenes Ohr hat. Der verständnisbereit ist. Und der schnell aus seiner professionellen Haltung heraus einordnen kann, um was es dem Vater geht und für was er jetzt welche Art von Rat oder Unterstützung oder Gespräch braucht.
Welche Art von Beratung braucht ein Mann oder
Vater? Diese Beratung oder diese Beratungsstelle, diese Beratungseinrichtung
muss für den Beratungssuchenden erreichbar sein, sichtbar sein. Und das sagen
wir ja oft, dass wenn bei Beratungseinrichtungen globale Etiketten dranhängen,
wie Erziehungs- und Familienberatung oder Elternberatung oder Lebensberatung,
dass sich aus irgendwelchen Gründen Männer oder Väter da häufig nicht so
angesprochen fühlen.
Wo Familie draufsteht, denken dann viele, da
sind die Männer nicht so mit drin. Das heißt, ich plädiere seit vielen Jahren
dafür, dass wenn man Männer oder Väter erreichen will, dann soll man das auch
auf den Namen mit draufschreiben. Dann ist es ja eigentlich nicht mehr
missverständlich, wenn da Beratung für Männer oder Beratung für Väter draufsteht,
dass sich dann der Vater da auch hinwenden kann.
Wie sieht die Beratungslandschaft aus, auf die
Väter treffen?
Bei so einer Frage, muss ich mich entscheiden,
spreche ich auf eigene Rechnung oder als Lobbyist. Ja natürlich brauchen wir
mehr Beratungsstellen. Es gibt nicht genug Beratung, das kann man immer sagen.
Und gerade mit neuen oder neuartigen Herausforderungen, in denen Eltern und
Väter sich befinden, wie, nicht verheiratete Paare haben Kinder, wie steht es
da mit der formalen und auch mit der juristischen Situation? Oder, mehr und
mehr Patchwork-Konstellationen. Wie komplex und kompliziert gestalten sich
Familienbeziehungen in Patchwork-Konstellationen? Oder Konzepte von gemeinsam
getrennt erziehen, also ein Elternpaar hat sich getrennt und es gibt auf beiden
Seiten relevant viele Zeitanteile, in denen sich die Eltern um die Kinder
kümmern.
Also dass Väter oder Männer mit all diesen
Hintergründen in Beratungseinrichtungen Ansprechpartner und
Ansprechpartnerinnen finden, die ein Bewusstsein davon haben, dass es diese
Situationen gibt. Und da sage ich, auch mit meinem Erfahrungshintergrund, das
finden viele Väter, die sich allgemein an Beratungseinrichtungen wenden, nicht
immer. Also wenn ich mit Vätern spreche, wenn ich Väter berate, dann höre ich
häufig so im ersten, zweiten, dritten Satz: Naja, als ich das Jugendamt
angerufen habe, da hat man mir gesagt, „mit Ihnen als Vater kann ich gar nicht
sprechen“.
Oder wenn er dann doch mit jemandem sprechen
konnte, dann bekamen Sie zu hören: „Für Sie als Vater kommt es in erster Linie
darauf an, dass Sie pünktlich und verlässlich Ihren Unterhalt zahlen können.“
Aber was mit der Beziehung zu den Kindern ist zweitrangig. Und wenn ein Vater
sowas einmal oder mehrmals gehört hat, dann denkt er eben, ich finde hier nicht
die richtigen Ansprechpartner. Und so geraten dann manche über ein paar Ecken
an uns.
Also das heißt, mit anderen Worten, ich glaube,
in der Beratungslandschaft sollte noch mehr Bewusstsein und Kenntnis vorhanden
sein, wie komplex Eltern- und Trennungssituationen heutzutage sein können. Und
dass Väter ein reales Interesse haben, eine gute Beziehung zu ihren Kindern zu
haben und nach einer Trennung zu erhalten. Das ist nicht immer so präsent wie
es sein sollte. Es ist wichtig dass Väter sich auch ernst genommen fühlen.
Was muss passieren, damit es passende Angebote
für Väter gibt?
Na, auch hier, große Organisationen, die
Beratungen, Beratungseinrichtungen tragen, die sollten mehr Bewusstsein dafür entwickeln,
dass es spezifische Anliegen von Vätern gibt, und viele davon. Politische
Institutionen und Akteure sollten das auch wissen. Ich kann jetzt auch mal
schützend eigentlich sagen, gegenüber großen Organisationen, wie zum Beispiel Paritätischen
Wohlfahrtsverband, da gibt es durchaus ein Bewusstsein dafür, es fehlt noch ein
stückweit an der Umsetzung.
Aber dass die nicht so eine Haltung haben, wie
vor zwanzig, dreißig oder vierzig Jahren. Mütter sind in erster Linie für Kinder
zuständig und Väter haben allenfalls Unterhalt zu bezahlen. Also so schlimm ist
es auch nicht, Was man vielleicht, also so hier einen schnellen Einwurf zu
machen und zu sagen, das und das müsste es geben, das kann ich nicht tun.
Aber ich finde, dass Menschen, die mit
Beratung und Institutionen zu tun haben, sich gründlich mit befassen sollten,
Klammer auf, das wird auf der Ebene der Arbeitsgemeinschaft der
Familienverbände in Deutschland und auf europäischer Ebene ein stückweit getan,
Klammer zu, ist, was können wir eigentlich tun, damit Eltern in
Trennungssituationen nicht gleich an den Rechtsweg denken? Oder nicht gleich
daran denken, dass der Rechtsweg die einzige Möglichkeit ist, hier irgendwas zu
klären oder zu lösen.
Also wir haben uns getrennt, oder wir wollen
uns scheiden lassen und wir wollen unsere Interessen sichern und um die zu
sichern, gehen wir zu einem Anwalt. Also dass diese Schnellschlüsse sozusagen,
nicht mehr ganz so schnell sind. Ich wünsche mir, dass Paare, die sich trennen,
oder Väter oder Mütter, die sich trennen, überlegen, wie können wir denn beide
eine gute Beziehung zu unseren Kindern weiterführen und erhalten und was müssen
wir dafür tun, wo gibt es hier die adäquate Beratung für uns?
Dass dieser Schritt zuerst gemacht wird, bevor man an den Rechtsweg denkt. In so vielen Beratungen, die ich führe, war der Rechtsweg zu einem Ende gekommen, zu einem unguten Ende, zu einem teuren Ende, zu einem für alle unbefriedigenden Ende. Zwei Jahre ist man diese Rechtswegschiene gegangen und hatte ein, zwei Prozesse und man ist mit den Ergebnissen überhaupt nicht zufrieden und dann geht man in die Beratung. Aber dann ist das Kind aber tief, tief in den Brunnen gefallen und dann ist ein Beratungsanfang überhaupt nicht so vielversprechend, wie wenn der ganze Schlamassel vorher nicht gewesen wäre.
In dieser
Aussage eines Vaters kommt die ganze Ambivalenz zum Ausdruck, die Männer
im Kontext einer Geburt erleben. Und genau in diesen Ambivalenzen und
Dissonanzen stecken nach Ansicht von Philip Krüger die größten Chancen
für Veränderungen. Für eine Realisierung des von vielen jungen Vätern
und Müttern geäußerten Wunsches, sich Erwerbs- und Familienarbeit
partnerschaftlich aufzuteilen. Aber damit aus diesen Absichtserklärungen
reale Veränderungen werden, braucht es Unterstützung, unter anderem
spezifische Angebote zur Geburtsvorbereitung für Väter.
Die Zuschreibung von väterlichen Kompetenzen und ihre Beziehung zu
dem ungeborenen Kind haben einen großen Einfluss darauf, in welchem Maße
sie sich an der Erziehung des Kindes beteiligen und Ressourcen für
seine gelingende Entwicklung zur Verfügung stellen.
In der Phase vor und unmittelbar nach der Geburt werden die Weichen
dafür gestellt, ob das gewünschte Lebenskonzept Wirklichkeit werden kann
oder die Partnerschaftszufriedenheit darunter leidet, dass sich Vater
und Mutter in jeweils unterschiedlichen Sphären voneinander entfremden.
Viele Väter wollen die Entwicklung ihrer Kinder von Anfang an aktiv
begleiten und mitgestalten.
„Ich habe dann nur den Schwangerschaftstest gesehen, den sie mir
gezeigt hat, und das war dann erst mal so ein eine Explosion der Gefühle
im Kopf, also von Freude, Glück, aber natürlich auch Respekt und Sorge.
Alles was einem, glaube ich so als Vater auch in den nächsten Jahren so
durch den Kopf geht, war denn auch einfach da“.
Bei der Geburt selbst dabei sein zu können, ist für Männer die
Möglichkeit, das Vaterwerden, das sich bislang als ‚Kopfgeburt‘
abgespielt hat, unmittelbar zu erleben und eine Beziehung zu ihrem Kind
aufbauen zu können. „Es war unglaublich, atemberaubend, erstaunlich und
erschreckend, die erste Person zu sein, die meine Tochter sah, und
Augenkontakt mit ihr herzustellen, als sie herauskam. Ich habe ein Foto,
etwa drei Minuten nach ihrer Geburt, auf dem ich sie im Arm halte und
wir uns gegenseitig anstarren, und es sieht aus, als würde sie mir die
Zunge herausstrecken.“
Corona hat auch in der Geburtshilfe wie unter einem Brennglas
offengelegt, dass Väter dort noch nicht die Bedeutung haben, die ihnen
zusteht. Zehntausende Männer konnten wegen der Corona-Regeln in den
vergangenen Monaten die Geburt ihres Kindes nicht miterleben. In manchen
Kliniken dürfen Väter den gesamten Verlauf der Geburt begleiten, in
anderen ruft sie das Personal erst zur Endphase der Geburt in den
Kreißsaal – wenn die Presswehen beginnen oder der Muttermund um einige
Zentimeter geöffnet ist. Zu Vorsorgeterminen, zum Ultraschall durften
Väter häufig ebenfalls nicht mitkommen. „Also ich hätte das sehr gerne
gemacht, aber es war uns jetzt leider aufgrund der Situation in der
Klinik oder, so wie es die Frauenarztpraxis, in der sie behandelt wird,
händelt, die ganze Pandemie, war es mir leider nicht möglich, an den
Terminen teilzunehmen.“
Um hier nachhaltige Veränderungen zu erreichen, könnten Veränderungen
bei der Ausbildung von Hebammen und Sozialpädogog:innen bzw.
-arbeiter:innen beitragen. Dazu erklärt Gunter Beetz, der Dialogrunde
und Workshop moderiert hat und selbst seit Jahren Angebote zur
Geburtsvorbereitung für Väter durchführt:
„Das Rollenverständnis hat sich bei so vielen Männern zum Positiven
gewandelt, aber die Rahmenbedingungen haben sind leider nicht
dementsprechend mit verändert. Die Bedürfnisse und Sichtweisen von
Vätern sollten viel mehr mitgedacht und berücksichtigt werden. Dies
sollte in der Ausbildung von Sozialpädagog:innen und Hebammen eine
größere Rolle spielen. Beide Berufsgruppen sind eine so große Stütze,
besonders am Anfang einer Familie, aber auch später in den Ambulanten
Hilfen, wenn es mal zu Schwierigkeiten kommt. Vielen Vätern fehlt es an
Rollenvorbildern und deshalb ist eine Unterstützung durch diese
Berufsgruppen so wichtig.“
Dementsprechend wurden in dem Workshop unter anderem folgende Gedanken formuliert:
Sprache: partnerschaftlichere, differenziertere und flexiblere Rollenbilder kommunizieren
Finanzierung: die Möglichkeit der Präventionskurse der gesetzlichen
Krankenversicherung und die Vernetzung mit bestehenden und zukünftig zu
etablierenden emotionalen Beratungen im Sinne einer Netzwerkbildung:
Hier können Nachtreffen genutzt werden, um weiter in Kontakt zu bleiben
Väterberatung: flächendeckender anbieten, auch auf Betriebe und Behörden ausweiten
Wissenschaft: Studierende bereits im Studium mit der
Väterperspektive vertraut zu machen mit dem Schwerpunkt auf einer
gesunden Entwicklung der Kinder/Familie/ Balance
Fragen für (werdende) Väter
Was für eine Vater- bzw. Mutterrolle wurde mir vorgelebt? Welche
Gesprächs- und Konfliktkultur hat mich geprägt? Die Biografie der Eltern
spielt eine wichtige Rolle, denn dein eigenes „inneres Kind“
beeinflusst die Erziehung und das Selbstverständnis deiner neuen
Familie.
Was sind meine Wünsche und Vorstellungen an mich, die Familie und an
meine Karriere. Was soll dein Kind in 25Jahren über dich erzählen?
Stimmen deine Vorstellungen mit denen deiner Partnerin überein?
Welche alltäglichen Aufgaben stehen an und welche übernimmst du? Was
braucht ihr an Struktur, damit sich alle wohlfühlen? Wieviel möchtest
du/‘musst‘ du Arbeiten? Diese und viele weitere Fragen kannst du
zunächst für dich und dann gemeinsam mit deiner Partnerin lange vor der
Geburt beantworten. Auch wenn danach alles anders kommt als gedacht, wer
A gesagt hat kann auch B viel leichter planen.
Anregungen für Hebammen
Es ist selbstverständlich, dass bei der Geburtsvorbereitung der
Fokus auf die werdende Mutter und die Geburt gerichtet ist. Aber schon
vor der Geburt werden die Weichen dafür gestellt, ob die neuen Familien
sich anfallende Aufgaben partnerschaftlich aufteilen oder in alte
Rollenmuster zurückfallen. Auch bei diesem Entscheidungsprozess können
Sie die werdenden Eltern unterstützen.
Die Unterstützung durch Väter im Geburtsprozess hat positive
Auswirkungen auf die werdenden Mütter. Beziehen sie Väter daher von
Anfang an systematisch ein und ermöglichen ihnen sich zu beteiligen. So
können Väter ihre Partnerinnen unterstützen, eine eigene Identität als
Vater entwickeln und eine aktive Rolle in der Versorgung der Säuglinge
übernehmen.
Im Rahmen der Vorbereitung auf die Geburt haben Väter das Interesse,
sich mit anderen Vätern in einem geschützten Raum über ihre Sorgen,
Gedanken und Hoffnungen auszutauschen. Ermutigen Sie die Partner ‚Ihrer‘
Mütter, den Rahmen Ihres Kurses zu nutzen.