Sorge-und Umgangsrecht in der Coronakrise Empfehlungen des BMJV
Erstellt von Hans-Georg Nelles am Samstag 28. März 2020
Aufgrund der Coronakrise wird das öffentliche Leben stark eingeschränkt und es gilt die dringende Empfehlung, soziale Kontakte möglichst zu vermeiden. Für Kinder fühlt sich die Zeit bereits jetzt wie eine Ewigkeit an. Daher sollte klar sein: Die Rechtsordnung verbietet den Umgang des Kindes mit beiden Elternteilen nicht, sondern sorgt für eine kindeswohlgerechte Regelung des Umgangs.
1. Was bedeutet die Coronakrise für Umgang und Sorge mit Kindern, wenn die Eltern getrennt leben?
Zunächst einmal: Die Coronakrise ändert nichts daran, dass minderjährige Kinder auf ihre Eltern angewiesen sind, um eine Persönlichkeit zu entwickeln. Der regelmäßige Umgang eines Kindes mit jedem Elternteil gehört deshalb in der Regel zum Wohl des Kindes. Das Kind hat daher ein Recht auf Umgang mit jedem Elternteil, das der andere Elternteil nicht ablehnen kann. Der Umgang kann in Ausnahmefällen für das Kind schädlich sein. Das beurteilt im Einzelfall das Familiengericht. Das Familiengericht kann den Umgang regeln, einschränken oder ausschließen, wenn dafür die gesetzlichen Voraussetzungen erfüllt sind.
2. Was bedeutet die Empfehlung, soziale Kontakte zu vermeiden, für den Umgang?
Die Empfehlung, soziale Kontakte möglichst zu vermeiden, bezieht sich nicht auf die Kernfamilie, auch wenn die Eltern nach einer Trennung in zwei getrennten Haushalten leben. Kinder sollen selbstverständlich auch weiterhin sozialen Kontakt zum anderen Elternteil behalten. Hinzu kommt: Gibt es eine Umgangsregelung oder eine gerichtliche Entscheidung zum Umgang, gilt sie trotz der Coronakrise weiter. Bei der Frage, wie man die persönliche Begegnung zwischen Eltern und Kind in Zeiten der Coronakrise am besten organisiert, dürfte eine Rolle spielen, wie das Kind zum anderen Elternteil gelangt und ob es auf dem Weg zu ihm mit weiteren Personen in Kontakt kommen würde bzw. wie sich das vermeiden ließe.
3. Wie kann eine Umgangsregelung oder eine gerichtliche Entscheidung an die aktuelle Situation angepasst werden?
Ergibt sich Bedarf für eine Änderung der Umgangsregelung, sind alle Beteiligten aufgerufen, eine einvernehmliche Lösung zu finden. Der Weg zum Familiengericht ist weiterhin möglich, wenn eine solche Lösung scheitert. Das gilt auch für die Frage, ob das Kind von einem Elternteil zum anderen Elternteil wechseln soll.
4. Was gilt, wenn eine Umgangsregelung krisenbedingt nicht eingehalten wird?
Befindet sich das Kind bei einem Elternteil und tritt vorübergehend ein Umstand ein, der dem Wechsel des Kindes zum anderen Elternteil entgegensteht, so muss darin im Einzelfall nicht zwangsläufig eine schuldhafte Verletzung der Umgangsregelung zu sehen sein. Ein Ordnungsgeld wegen Umgangsverweigerung kann dann nicht verhängt werden. Der Elternteil, der von der Umgangsregelung abweicht, muss aber in einem Ordnungsgeldverfahren darlegen, dass er die Zuwiderhandlung gegen die Vereinbarung nicht zu vertreten hat.
5. Welche Umstände können eine Änderung der Umgangsregelung notwendig machen?
Nicht jeder Umstand steht einem Wechsel des Kindes zum
anderen Elternteil entgegen.
Erkrankt das Kind beispielsweise an einer nicht hoch infektiösen Krankheit,
kommt es für den Wechsel etwa auf die Transportfähigkeit des Kindes an.
Grundsätzlich sind beide Eltern für die Betreuung des erkrankten Kindes
zuständig, so dass der Wechsel des Kindes zum anderen
Elternteilkindeswohlgerecht sein kann.
Durch die Coronakrise sind aber einige besondere Umstände denkbar:
Ein nur allgemeines Risiko – wie die Möglichkeit, auf dem Weg in einen
Verkehrsunfall zu geraten oder sich unterwegs trotz Vorsichtsmaßnahmen zu
infizieren – dürfte nicht zur Rechtfertigung einer Abweichung von der
Umgangsregelung ausreichen. Zudem dürfte eine landesweite Ausgangs- oder
Kontaktbeschränkung, die Kontakt zur Wahrnehmung des Sorge- oder Umgangsrechts
weiterhin erlaubt, kein Hindernis darstellen.
Anders könnte dies unter anderem zu beurteilen sein, wenn das Kind im anderen
Elternhaus Kontakt zu einer positiv getesteten Person zu erwarten hat oder wenn
das Kind, ein Elternteil oder eine andere dem Haushalt eines Elternteils
angehörige Person zu einer Risikogruppe gehört.
In jedem Fall sind diese Umstände im Hinblick auf das Wohl des konkreten Kindes
im Rahmen der elterlichen Entscheidung oder im Streitfall einer gerichtlichen
Entscheidung (über die Verweigerung des Umgangs bzw. Verweigerung der
rechtzeitigen Rückkehr des Kindes) zu bewerten. Dabei ist auch das Verhalten
der beiden Elternteile – insbesondere zur Risikobegrenzung – einzubeziehen.
6. Was ist, wenn keine persönliche Begegnung mit dem anderen Elternteil, den Großeltern oder anderen Bezugspersonen möglich ist?
Das Umgangsrecht zielt vor allem auf die Ermöglichung einer persönlichen Begegnung. Ist eine persönliche Begegnung eines Elternteils mit dem Kind aber nicht möglich, kann es sich ggf. anbieten, verstärkt die Möglichkeit des Umgangs „auf Distanz“ zu nutzen. Telefon und Videoanrufe können dazu beitragen, dass der Kontakt zum anderen Elternteil in den kommenden Wochen aufrecht erhalten bleibt. Dasselbe gilt, wenn die Entfernung zwischen den elterlichen Haushalten womöglich bedingt durch die Auswirkungen des Virus schwer zu überwinden ist. Selbstverständlich sind diese Kommunikationsformen auch eine gute Möglichkeit, damit das Kind mit seinen Großeltern und anderen Bezugspersonen Kontakt halten kann.