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Deutschland geht (ein wenig) voraus

Erstellt von Hans-Georg Nelles am Mittwoch 1. Juni 2016

Jahn Bävman - mencare Schweiz

Johan Bävman - mencare Schweiz

Mein Beitrag für die aktuelle Ausgabe der Schweizer Männerzeitung zur Elternzeit in Deutschland. Ein Rückblick und ein Ausblick:

Sie beginnt vor 37 Jahren, die Geschichte der Vätermonate und des Elterngeldes in Deutschland. Sie ist eine lange Geschichte, eine Geschichte mit verschiedenen kleineren und größeren Zwischenetappen. Und sie beginnt eben – auch wenn es der Name nicht vermuten lässt – mit dem Mutterschaftsurlaub. Der im Sommer 1979 in Kraft getretene Mutterschaftsurlaub stellte in erster Linie eine Erweiterung der Mutterschutzfrist auf sechs Monate dar. Die Idee damals: Die Mütter sollten unter Beibehaltung ihres Arbeitsplatzes mehr Zeit zur Verfügung haben, sich um das eigene Kind zu kümmern. Von Seiten der sozialdemokratisch-freisinnigen Koalition war allerdings damals schon geplant, auch Vätern eine zweimonatige Schutzfrist zuzugestehen. Diese Möglichkeit wurde aber im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens verworfen, weil dann eine Zustimmung des Bundesrats erforderlich gewesen wäre – in dem damals die Opposition über die Mehrheit verfügte. Und das war ein Umstand mit Folgen.

Schritt eins: Mutterschaftsurlaub

Bundesarbeitsminister Herbert Ehrenberg (SPD) bezeichnete das Gesetz zwar damals als Beitrag zur Verbesserung der Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Andere kritisierten aber schon damals, dass die Väter nicht miteinbezogen wurden: «Mit der Einbeziehung der Väter hätte man deren Verantwortung für die Kindererziehung verdeutlichen können», argumentierte beispielsweise eine Parteikollegin und ergänzte: «Es wäre ein guter Beitrag zur Auflockerung der starren ­Rollenverteilung gewesen.» Nur mit einem Modell für beide Geschlechter könne man die Frau vor Diskriminierung im ­Arbeitsmarkt schützen, argumentierten auch andere Parteikollegen damals schon – und: Väter hätten die Pflicht und das Recht, sich um ihre Kinder zu kümmern. Die Argumentationslinien – die mehr als 25 Jahre später bei der Einführung des Elterngeldes abermals angeführt werden sollten – wurden also von den Regierungsparteien schon im Jahr 1979 klar benannt.

Auch viele Medien kritisierten damals die Einseitigkeit des Mutterschaftsurlaubs. So unterstützte die Zeitschrift «Emma» die Klage eines jungen Vaters beim Bundesverfassungsgericht, der sich anstelle seiner Partnerin vier Monate um sein Kind kümmern wollte. Die Klage wurde abgelehnt. Auch in der «Zeit» wurde das Gesetz aus demselben Grunde kritisiert: «Eine halbherzige Reform, weil der Gesetzgeber sich offenbar an eingefahrenen Vorstellungen über die Aufgaben von Müttern und Vätern orientiert.» Der Gesetzgeber habe damit möglicherweise – wurde im Artikel weiter argumentiert – gegen das Grundgesetz verstoßen. Denn: Dieses postuliere schließlich die gleiche Behandlung von Männern und Frauen.

Schritt zwei: Bundeserziehungsurlaubsgesetz

Die Kritik blieb nicht ganz wirkungslos. Denn das im Herbst 1985 verabschiedete Bundeserziehungsurlaubsgesetz war ein weiterer wichtiger Schritt in Richtung «Elternzeit». Das Gesetz wollte durch Bezahlung eines Erziehungsgeldes einem Elternteil vereinfachen, sich der Erziehung eines frischgeborenen Kindes zu widmen. Für Mütter und Väter sollte mehr Wahlfreiheit zwischen Erwerbs- und Familientätigkeit geschaffen sowie die Erziehungskraft der Familie gestärkt und gesellschaftlich anerkannt werden. In seiner Begründung der Gesetzesvorlage argumentierte CDU-Familienminister Heiner Geissler damals, dass immer mehr gutausgebildete Frauen einen Beruf ausüben wollten. Eine Mutter solle weiterhin die Möglichkeit haben, das eigene Kind zu erziehen, statt es in gesellschaftlichen Einrichtungen erziehen zu lassen. Insbesondere alleinerziehende Mütter stünden vor dieser Notlage.

Die damalige Opposition sah das ähnlich, hielt den staatlichen Unterstützungsbeitrag aber für viel zu tief. So konstatierte die SPD-Abgeordnete Renate Schmidt: «Die Wahlfreiheit bleibt auf dem Papier stehen, solang Mann und Frau nicht die gleichen Einkommenschancen haben.» Dass die finanzielle Ausstattung des Erziehungsurlaubs nicht geeignet sei, Väter zur Beteiligung zu bewegen, betonte damals auch die Abgeordnete Doris Wagner von den Grünen: «Der Einkommensverlust für Väter müsste viel deutlicher abgeschwächt werden.» Das Bundeserziehungsurlaubsgesetz ist dann wenigstens in den folgenden Jahren noch mehrmals verlängert worden; auch die Bezugsdauer des Elterngeldes ist verlängert und Einkommensgrenzen sind erhöht worden. Im Jahr 2000 ersetzte man die Bezeichnung «Erziehungsurlaub» dann schließlich durch «Elternzeit».

Schritt drei: Das Elterngeldgesetz

Mit der Einführung eines Elterngeldes im Jahr 2007 sollten die familienpolitischen Leistungen neu ausgerichtet werden. Das höhere Elterngeld löste das Erziehungsgeld ab. Und zwar mit dem Ziel, Familien bei der Sicherung ihrer Lebensgrundlage in der Zeit zu unterstützen, in der sich die Eltern um die Betreuung ihrer Kinder kümmern. Mütter und auch Väter sollten sich eine Zeitlang der Betreuung ihres neugeborenen Kindes widmen können. Das war ein entscheidender Schritt. Denn beide sollten wählen können, wer, wann und in welchem Umfang in der möglichen Bezugsdauer von 14 Monaten Leistungen in Anspruch nimmt. Und: Dabei sind mindestens zwei Monate für jeden der beiden Partner vorgesehen. Die Elterngeldmonate können auch gleichzeitig beansprucht oder bei gleichem Gesamtbudget auf die doppelte Bezugsdauer ausgedehnt werden. Das Elterngeld – und das ist neben diesen verbindlichen Partnermonaten ein zusätzlicher Paradigmenwechsel – ist als Lohnersatzleistung definiert. Gezahlt werden bis zu 67 Prozent des letzten Nettoeinkommens, maximal ­jedoch 1800 Euro.

Insbesondere Väter sollten also einen zusätzlichen Anreiz haben, sich an der Erziehung der Kinder zu beteiligen. Die vom Bundesfamilienministerium mit der Einführung gestartete Werbekampagne «Krabbeln lerne ich bei Mama, Laufen dann bei Papa» sowie die 12-plus-2-Monate Lösung machen aber deutlich, bei wem die primäre Verantwortung für das Kind verbleiben sollte: bei der Mutter. Die damalige Familienministerin Ursula von der Leyen verwies im Bundestag immerhin darauf, dass alleine schon die Ankündigung des Gesetzesvorhabens enorme Diskussionen ausgelöst habe. Eine längst überfällige Debatte über die Rolle des Vaters in der ­Kindererziehung sei in Gang gekommen. «Mit den Partner­monaten stärken wir auch den Vätern den Rücken, die sich Zeit für ihr eigenes Kind nehmen wollen. Das wird zu einem Umdenken in der Arbeitswelt führen», sagte die CDU-Ministerin damals.

In der zweiten Lesung des Gesetzes hoben die meisten ­Redner und Rednerinnen ebenfalls die positiven Wirkungen der Väterbeteiligung auf die Gleichberechtigung und die Chancen von Frauen auf dem Arbeitsmarkt hervor. «Durch die Partnermonate geben wir Vätern mehr Möglichkeiten, sich partnerschaftlich an der Kinderbetreuung zu beteiligen», hieß es. Durch die Einkommensersatzleistung würden Eltern mehr Wahlfreiheit hinsichtlich der Elternrolle gewinnen. Endlich gäbe es nun eine echte Alternative zur traditionellen Rollenaufteilung.

Linke und Grüne verwiesen ebenfalls darauf, dass junge Familien heute partnerschaftliche Lebenskonzepte verwirklichen wollten – der vorliegende Gesetzentwurf aber genau an dieser Stelle eine erhebliche Schwäche aufweise. Hintergrund ihrer Kritik: Bei einer gleichzeitigen Elternzeit, verbunden mit einer Teilzeittätigkeit – also bei einer partnerschaftlichen Aufteilung von Erwerbs- und Familienarbeiten – kam es zu einem «doppelten Anspruchsverbrauch». Die Folge: Der ­Elterngeldbezug endete dann schon nach sieben, statt nach vierzehn Monaten.

Trotz dieser Mängel erweist sich das Gesetz als ein großer Erfolg. Bereits im ersten Jahr 2007 machten knapp zehn Prozent der Väter von ihren neuen Möglichkeiten Gebrauch und sprengten so den vorgesehenen Etat der Familienministerin für das Elterngeld. Im Bundestagswahlkampf des Jahres 2009 wurde eine «Weiterentwicklung» des Elterngeldes von fast allen Parteien angekündigt. Der im Mai 2009 vorgelegte Vorschlag für ein «Teilelterngeld», das bis zu 28 Monate ­gezahlt werden sollte, wurde nicht umgesetzt – und erst fünf Jahre später mit dem «Elterngeld Plus» realisiert.

Schritt vier: Gesetz zur Einführung des Elterngeld Plus mit Partnerschaftsbonus

In der Begründung des Gesetzentwurfs zum «Elterngeld Plus» wurden wiederum die sich verändernden Wünsche junger ­Eltern benannt, die diesmal aber anhand zahlreicher aktueller Untersuchungen und Befragungen präzise benannt werden konnten. An erster Stelle wurde die Diskrepanz zwischen dem Wunsch nach einer partnerschaftlichen Aufteilung von Erwerbs- und Familienarbeit und der gelebten Wirklichkeit ­benannt: Sechzig Prozent der jungen Mütter und Väter wünschen sich diese – aber lediglich 14 Prozent können diese umsetzen. Diese Bedürfnisse der Eltern sollen durch flexiblere Elterngeldregelungen realisierbar werden.

Gerade in der Lebensphase eines jungen Paares mit Kinderwunsch werden Entscheidungen getroffen, die Konsequenzen für den weiteren Lebensverlauf haben. Und diese Entscheidungen können eben für die Beteiligungschancen am Erwerbs- als auch am Familienleben entscheidend sein. Für eine Erweiterung der Lebensentwürfe ist die Elterngeld-Plus-Regelung von großer Bedeutung. Um Mütter und Väter aber ­dabei zu unterstützen, ihre eigene Lebensgrundlage und die ihrer Familie zu sichern sowie eine partnerschaftliche Aufgabenteilung zu stärken, soll nun ein «Elterngeld Plus» mit ­einem Partnerschaftsbonus eingeführt werden. Diese neuen Gestaltungskomponenten des Elterngeldes sollen eine Teilzeiterwerbstätigkeit für Mütter und Väter im Elterngeldbezug lohnender machen. Die bislang zeitlich eingeschränkten Möglichkeiten zur Übertragbarkeit von Elternzeit auf spätere ­Lebensphasen soll flexibilisiert werden. Die Zeitsouveränität der Eltern soll gestärkt – und der Wiedereinstieg ins Erwerbsleben erleichtert werden.

Und was kommt als nächstes?

So viel ist in Deutschland klar: «Arbeitsmarkt» und «Familie» sollen kein Gegensatz mehr sein. Darüber herrscht breiter Konsens über fast alle Parteien hinweg. Das Elterngeld soll einen Beitrag dazu leisten, Partnerschaftlichkeit zu leben und neue Arbeitszeitmodelle auszuprobieren. Die Wünsche und Bedürfnisse junger Familien, geänderte Rollen- und Partnerschaftsvorstellungen sind zwar schon in den Jahren 1979, 1985 und 2005 benannt worden, die jeweils beschlossenen Gesetze haben ihnen aber damals nicht, beziehungsweise nur zum Teil, Rechnung getragen. Nach dem Inkrafttreten des «Elterngelds Plus» und der vier Partnerschaftsbonusmonate im Sommer 2015 ist die Diskussion hierzulande ruhig. Erste Zahlen belegen allerdings, was wenige bereits im Vorfeld der Einführung der neuen Regelungen befürchtet haben: Die Gesetze sind wegen ihrer Komplexität kein Selbstläufer. Es bedarf noch der Ansprache von Vätern, Unternehmen und denjenigen, die diese beraten und unterstützen. Es braucht Zeit, bis die neuen gesetzlichen Bestimmungen vollends Wirkung zeigen. Auch wenn die lange Geschichte einer gesellschaftlichen Veränderung noch längst nicht zu Ende erzählt ist: Alles in allem ist Deutschland wenigstens hinsichtlich der gesetzlichen Rahmenbedingungen dafür auf Kurs.

Quelle

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