Jungen haben ‚Vaterhunger’
Erstellt von Hans-Georg Nelles am 30. Oktober 2012
Die Evangelische Akademie Thüringen hat In Sonneberg ihr Mentoren-Programm für Jungen vorgestellt. In Südthüringen ist ein Netzwerk mit einzigartigen Angeboten für Jungen entstanden.
Junge! Wie oft bekommt ein Heranwachsender diesen Ausruf zu hören. Wenn ihn seine Umgebung als zu laut empfindet. Schon wieder. Wenn sie sein Verhalten rügt. Wild, frech, aufsässig. Immer wieder: Junge! Wohlwollend klingt das selten. Manchmal strafend, oft resigniert. Das Wort drückt den Kindern einen Stempel auf, glaubt Ralf Borhardt. „Den falschen Stempel“, sagt der Mittvierziger. „Was die alles Schlimmes tun.“ Die Jungs.
Borhardt ist diplomierter Sozialwissenschaftler und lehrt seit 2004 als Professor soziale Arbeit an der Fachhochschule Coburg. Sein Schwerpunkt: Arbeit mit Jungs und Männern. Diesen Schwerpunkt gibt es „allein in Coburg“, sagt Borhardt. Man sei damit bundesweit sehr weit vorn. In Fachkreisen werde zwar schon seit etwa 30 Jahren über eine „geschlechtersensible Jungenarbeit“ diskutiert, sagt er. In der Ausbildung von Sozialarbeitern – ein überwiegend weiblich geprägtes Berufsfeld – und an den Hochschulen ist das Thema jedoch längst noch nicht alltäglich.
Von der Politik wird das Thema sogar erst „in den letzten zwei bis drei Jahren“ entdeckt. Laut Bohrhardt mag das auch „an der Beobachtung liegen, dass Jungen im Bildungssystem mit Besorgnis erregender Geschwindigkeit hinter die Leistungen der Mädchen zurückfallen“. Mit der Gründung eines Beirates für Jungenpolitik im Bundesbildungsministerium und einer Bundesarbeitsgemeinschaft Jungenarbeit setzt sich die Erkenntnis durch, dass Jungen offensichtlich einer intensiveren Aufmerksamkeit bedürfen. Bohrhardt: „Diese Förderungsabsicht mag, Stichwort Fachkräftemangel, mittelfristig auch einer volkswirtschaftlichen Sorge geschuldet sein.“
„Die Jungen sind da, gepiesackt von brennender Langeweile und heiß auf jede Aktion, die Abwechslung verspricht“, schreibt Scheibe, Leiter des Jugendzentrums Lichtblick, in einem Aufsatz, der seine Erfahrungen in Neuhaus zusammenfasst. Darin berichtet er über die Angebote speziell für Jungen, die in dieser Zeit entstanden sind – von einem Survival-Camp in der Sonneberger Wildnis über einen Bumerang-Workshop bis zu einem Jungenkulturtag mit einem Ausflug ins Puppentheater.
Jungen brauchen eine Lobby, meint Reifarth, Fachgrupppenleiter in dem Programm. „Wenn sie zusammen sind, geht die Post ab“, sagt er. „Das kann positiv sein, das kann negativ sein.“ Dabei suchen sie erfahrungsgemäß den Kontakt zu Männern, suchen Begleiter, väterliche Freunde, suchen „kritische Weggefährten“ – Mentoren also. Reifarth beschreibt diese Suche der Jungs als „Vaterhunger“. „Sie suchen Hilfe, Rat, Nähe, sie wollen kuscheln, aber auch sich reiben, schubsen, ihre Grenzen erfahren, provozieren“, sagt Reifarth, der seit einigen Jahren Wochenendfreizeiten für Jungs zwischen neun und 13 Jahren organisiert. Weiterlesen »
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