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Familie darf nicht ein Privatproblem von Vätern und Müttern bleiben

Erstellt von Hans-Georg Nelles am Sonntag 17. Januar 2010

Professor Dr. Ulrich Mückenberger, der an der Universität Hamburg die Forschungsstelle Zeitpolitik leitet, erläutert im Interview mit dem Bulletin des Deutschen Jugendinstituts (DJI), ‚Experiment Familie. Der globale Wandel und die Folgen: Wie Mütter, Väter und Kinder den Alltag bewältigen’ vor welchen Herausforderungen eine neue gesellschaftliche Zeitpolitik steht und wie er die Bereitschaft der Politik einschätzt, sich diesen Herausforderungen zu stellen:

‚Welche Veränderungen sind aus zeitpolitischer Perspektive erforderlich?
Zeitpolitik setzt ganzheitlich bei den Lebenslagen der Menschen an. Thematisiert werden die strukturellen Merkmale des alltäglichen Lebens, die bei der bisherigen Vereinbarkeitspolitik außen vor bleiben. Alles ist in Deutschland darauf ausgerichtet, dass ein Familienmitglied tagsüber, zumindest halbtags, frei verfügbar ist. Eine Vollzeittätigkeit beider Eltern ist deshalb nur schwer zu realisieren. Die Kinderbetreuung stellt dabei das größte Problem dar: kurze Öffnungszeiten, mangelnde Flexibilität in der Lage der angebotenen Zeiten und unzureichende Qualität. Spätestens wenn das Kind in die Schule kommt, erweist sich, dass ganztägige Angebote fehlen. Und die Notwendigkeit, die Arbeitswelt zugunsten einer besseren Vereinbarkeit von Familie und Beruf umzugestalten, ist in Deutschland nicht ausreichend identifiziert.

Dank des technischen Fortschritts können einige Eltern arbeiten, wann und wo sie wollen. Das ist doch ein großer Vorteil für Familien.
Allerdings nur dann, wenn sich Arbeitszeit und -ort tatsächlich an den Bedürfnissen und Lebenslagen der Menschen orientieren. Die Flexibilisierung der Berufswelt folgt heutzutage aber meist einer streng betriebswirtschaftlichen Logik, die andere Gesellschaftsbereiche überschwemmt. …

… und in den Zeitlücken, die übrig bleiben, sollen Eltern dann maximale emotionale Profite in der Familie erwirtschaften.
Genau. Aber das kann nicht gelingen, denn Familienleben und Kindererziehung verlangen Empathie und lassen sich nur bedingt planen, schon gar nicht »bewirtschaften«. Stattdessen müsste die Familie den Takt im Alltag angeben. Denn ohne eine auch privat organisierte Fürsorge für andere kann eine Gesellschaft nicht bestehen.

Wie sieht eine familienfreundliche Arbeitswelt aus?
In Schweden haben nicht nur beide Elternteile den Anspruch darauf, weniger Zeit am Arbeitsplatz zu verbringen, solange ihre Kinder klein sind. Darüber hinaus wird ihnen gesetzlich zugesichert, dass sie später wieder Vollzeit arbeiten können. In Deutschland scheut sich die Politik bis heute, den Unternehmen solche verbindlichen gesetzlichen Auflagen zu machen. Unser Recht kennt zwar einen Teilzeitanspruch, aber nicht den Rückkehranspruch in Vollzeit. Wenn man Eltern zubilligen würde, ihre Arbeitszeit vorübergehend zu reduzieren, um später wieder mehr oder insgesamt länger zu arbeiten, wäre das Problem der Vereinbarkeit viel geringer. Das wäre im Übrigen auch vernünftig angesichts der steigenden Lebenserwartung.

Inwiefern?
Zeit ist nicht nur zwischen Frauen und Männern oder zwischen gesellschaftlichen Gruppen höchst ungleich verteilt, sondern auch über das Lebensalter hinweg. Familienforscher sprechen von der »Rush hour« in der Mitte des Lebens, in der junge Erwachsene volles Engagement im Job bringen, aber auch ein Heim gründen und Kinder erziehen sollen. Gleichzeitig fallen viele der Vollzeiterwerbstätigen aufgrund eines kalendarisch gegebenen Stichtages plötzlich in den Ruhestand. Die Erwerbszeit und die Pensionierung werden als ein extremes Nacheinander von Zeitnot und Zeitwohlstand erlebt. An die Stelle dieses gewaltsamen Nacheinanders müsste ein Nebeneinander von zeitlicher Beschleunigung und Entschleunigung, von Anspannung und Entspannung treten.

Welche Aufgaben sollten sich die Politiker in der nächsten Legislaturperiode stellen?
Es geht darum, einem Vereinbarkeits-Modell zum Durchbruch zu verhelfen, das das »System« der gesellschaftlichen Produktion und Reproduktion in den Blick nimmt. Es verlangt ein ressortübergreifend koordiniertes und aufeinander abgestimmtes System. Nötig sind erstens auf Lebenslagen bezogene flexible Arbeitszeitmodelle, zweitens eine öffentliche Kultur der Pflege, der Ganztagsschule, der Kleinkindbetreuung und drittens die Fortentwicklung des lohnbezogenen Elterngeldes. Das entspricht einem »schwedischen Modell«, das auf die Bedingungen unseres Landes angepasst ist. Dieses sollte – mehr noch als in Schweden – die vergangene Geschlechterdiskriminierung abwehren und Männern und Frauen eine gleiche Beteiligung an Elternschaft und Erwerbstätigkeit erlauben. Ich bin mir aber keineswegs sicher, ob die derzeitige Koalition zu einer solchen systematischen Vereinbarkeitspolitik bereit sein wird.’

Quelle

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